Wenn ein Thema die Gemüter der Deutschen erhitzt, dann ist es der schon beinahe zum Nationalheiligtum gewordene Verzicht auf ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Doch genau an diesem Heiligtum soll nun – einem Bericht des SPIEGEL zufolge – von einer „Regierungskommission“ im Namen des Klimaschutzes gerüttelt werden. Die Autohersteller wird es freuen. Denn wenn eine nachhaltige Verkehrspolitik nun nur noch mit dem Tempolimit assoziiert wird, bleibt wohl oder übel ohnehin alles beim Alten. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
„Autoland ist abgebrannt“ titelten die NachDenkSeiten vor wenigen Monaten. Seitdem ist die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der deutschen Klimapolitik keinesfalls geringer geworden. Im Gegenteil. Wenn die deutsche Politik die verbindlich ratifizierten Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens wirklich einhalten will, wird die Zeit für radikale Weichenstellungen immer enger. In diesem Jahr noch will das Umweltministerium ein Klimaschutzgesetz vorlegen und sammelt dafür zurzeit Vorschläge aus den Ministerien. Deutschland stößt zur Zeit rund 905 Mio. Tonnen CO2 aus, davon entfallen rund 171 Mio. Tonnen CO2 auf den Sektor „Verkehr“. Fast ein Drittel davon – nämlich 54,7 Mio. Tonnen – sollen laut Plan der Kommission des Bundesverkehrsministeriums bis 2030 eingespart werden. Das hört sich ambitioniert an und ist es auch. Leider sind die Zahlen jedoch um Längen ambitionierter als die Vorschläge.
So will man beispielsweise den Steuervorteil für Diesel wegfallen lassen. Darüber ließe sich ja reden, nur dass diese Maßnahme für die avisierte Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs um 25% komplett kontraproduktiv ist, da Diesel bekanntermaßen weniger verbrauchen und damit auch weniger CO2 ausstoßen als Benziner. Würde man – rein theoretisch – alle Diesel durch Benziner ersetzen, würden der durchschnittliche CO2-Ausstoss von derzeit 126,5 Gramm pro Kilometer auf 132,7 Gramm pro Kilometer steigen. Ein Austausch aller Benziner durch Diesel würde den Wert indes auf 119,6 Gramm pro Kilometer senken. Auch wenn die Forderung der Experten des Verkehrsministeriums sicher dem Zeitgeist entspricht, der sich ja auf den Diesel als Sündenbock festgelegt hat, so können die nackten Zahlen keinesfalls überzeugen.
Ähnlich sieht es bei der angestrebten „Elektromobilität“ aus. Da will man sogar eine Quote einführen und die Kunden mit massiven Fördermitteln (8.000 Euro pro Neuwagen) zu den Elektromobilen treiben, für die man auch die Infrastruktur mit Steuergeldern verbessern will. Letzteres ist sicher notwendig, in toto ist dies jedoch eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Elektromobilität ist ja kein Selbstzweck und wenn der Schlot des Kohlekraftwerks nun der „neue Auspuff“ der Elektromobile werden soll, hat sich in Sachen Klimabilanz nicht viel getan. Dementsprechend sind die Zahlen, mit denen das Ministerium hier agiert, unseriöse Luftbuchungen. Um wirklich den CO2-Ausstoss zu senken, müsste der Strom für die Elektromobile im Idealfall CO2-neutral produziert werden. Davon kann aber zur Zeit in Deutschland gar nicht die Rede sein, da immer noch mehr als die Hälfte des Stroms aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird. Woher das Ministerium allein im Bereich „PKW“ die angestrebte CO2-Reduktion von 28,1 Millionen Tonnen hernehmen will, bleibt somit ein Geheimnis.
Der hitzig debattierte Punkt „Tempolimit“ spielt dabei bestenfalls eine Nebenrolle. Das Umweltbundesamt schätzt, dass der Gesamtkraftstoffverbrauch in der PKW-Sparte durch eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h auf Fernverkehrsstraßen um drei Prozent gesenkt werden könnte. Das Expertenpapier schlägt 130 km/h als Limit vor, was dann nur noch rund zwei Prozent Einsparung entspräche. Nun beträgt der Anteil des PKW-Verkehrs an der CO2-Bilanz des Verkehrssektors 61% und der gesamte Verkehrssektor repräsentiert 12% der nationalen CO2-Emissionen. Der ganze Streit dreht sich also um eine – großzügig geschätzte – Einsparung von etwas mehr als einem einzigen Promille. Ein Nebenkriegsschauplatz, der jedoch die gesamte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zieht.
Dabei wäre es doch viel wichtiger, den in den letzten Jahren de facto ja gestiegenen Flottenverbrauch durch – gerne auch radikale – Steuerungsmaßnahmen selbst zu senken. Wenn der „freie Markt“ nach tonnenschweren, spritfressenden SUVs verlangt, so muss der Gesetzgeber auch direkt an diesem Punkt ansetzen. Was spräche dagegen, wenn man einen Sollverbrauch für Neuwagen festlegt und jede Abweichung nach oben – zur Not sogar exponentiell – mit einer „Neuwagenumweltsteuer“ belegt und jede Abweichung nach unten mit einer „Neuwagenumweltprämie“ belohnt? Dann müsste der Käufer des von SPIEGEL Online heute gefeierten neuen Porsche Macan S mit seinem Normverbrauch von 8,9 Liter beispielsweise 15.000 Euro Aufschlag bezahlen, während ein Käufer eines Citroën C1, der nur 3,8 Liter verbraucht, eine Umweltprämie von 5.000 Euro bekommt. Ein solches Bonus-Malus-System hätte bei ausreichender Höhe eine deutliche Lenkungswirkung.
Da besonders schwere und spritfressende Autos ja in der Regel nicht als Neuwagen gekauft, sondern als Firmenwagen geleast werden, müsste sich dieses System natürlich auch auf Leasingmodelle erstrecken. Generell sollte die Absetzbarkeit von Firmenwagen als Unternehmenskosten vermehrt an den Verbrauch gekoppelt werden. Dann lassen sich halt all die Porsches, Range Rovers und SUVs von Audi, Mercedes oder BMW nicht mehr steuerlich absetzen. Auch dies hätte eine Lenkungswirkung, die sicherlich sinnvoller ist als ein generelles Tempolimit.
Wohin der Weg laut Verkehrsministerium gehen soll, zeigen jedoch die weiteren Zahlen. Gewaltige 18,4 Millionen Tonnen CO2 sollen beispielsweise durch eine Anpassung der LKW-Maut, basierend auf dem Verbrauch der LKWs, eingespart werden – das sind wohlgemerkt stolze 30% des Gesamtverbrauchs. Da müsste die Mauterhöhung aber schon horrend ausfallen, zumal die Mautkosten ja ohnehin an den Handel und von ihm an den Endkunden weitergegeben werden. Demgegenüber wirken die zwei Millionen Tonnen, die man durch eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene einsparen will, geradezu minimalistisch; aber auch die 3,9 Millionen Tonnen, die man durch eine Verlagerung des Personenverkehrs auf die Schiene einsparen will, wirken nicht sonderlich ambitioniert. Übrig bleibt eine Ideensammlung, die jegliche Ambitionen und jegliches radikale Umdenken vermissen lässt.
Die wirksamste Politik, die Emission von Treibhausgasen beim Verkehr zu reduzieren, ist die Reduzierung des Verkehrs selbst. Doch wer spricht heute schon über eine intelligente Raumordnungspolitik? Wer unterstützt Unternehmen darin, umweltfreundliche Home-Office-Arbeitsplätze aufzubauen – die Digitalisierung macht es schließlich möglich. Und wer denkt heute noch ernsthaft an eine Stärkung regionaler Güter und Dienstleistungen zulasten des globalen Handels, der einen großen Teil des Verkehrs und der damit verbundenen Emissionen ja erst bedingt? Ein Verzicht auf Erdbeeren im Winter würde wahrscheinlich – global betrachtet – mehr CO2 einsparen als ein Tempolimit auf der Autobahn. Und wenn man schon auf finanzieller Ebene eingreift, dann muss dies sozialverträglich sein. Es darf nicht sein, dass der Hilfsarbeiter, der sich halt nur einen alten durstigen Passat leisten kann, von „Lenkungsmaßnahmen“ getroffen wird, während sein Chef im schicken Tesla auf der anderen Seite als Empfänger dieser Maßnahmen steht.
Bedauernswert unterambitioniert und fehlgesteuert erscheint auch der politische Gestaltungswille bei der Verlagerung des Güter- und Personenverkehrs auf die Schiene. Hier müsste – vor allem im Güterbereich – ganz massiv Geld in die Hand genommen werden, um die Millionen LKWs von der Straße und die Güter auf die Schiene zu bekommen. Die Versäumnisse im Schienen-Personenverkehr – die auf den NachDenkSeiten ja regelmäßig thematisiert werden – wären ein weiteres „Jahrhundertprojekt“ für eine intelligente, nachhaltige Verkehrspolitik. Doch auch hier glänzt die Bundesregierung durch Nichtstun.
Doch die Debatte ist ja beileibe keine Sachdebatte. Wäre sie dies, würden die Medien ähnliche Fragen wie wir stellen. Doch das ist natürlich nicht der Fall. Stattdessen arbeitet man sich publikumswirksam am Tempolimit ab. Da weiß man doch, dass nur die SPD so dumm sein kann, über dieses Stöckchen zu springen und ernsthaft die Neuauflage einer ewigen und ewig sinnlosen Debatte anzutreten. Es gibt gute Gründe für und gute Gründe gegen ein allgemeines Tempolimit und da Politiker gewählt werden müssen, wird es ohnehin auf nationaler Ebene keinen derartigen Beschluss geben. Der Franzose hat „Liberté, Égalité, Fraternité“, wir haben „freie Fahrt für freie Bürger“. Amen.
Die viel interessantere Frage ist da doch, wer das „Kommissionspapier“ des Verkehrsministeriums an den SPIEGEL weitergereicht hat. Im Artikel selbst heißt es süffisant, die Automobillobby hätte das Papier mit der Frage an das Ministerium quittiert, ob „der Minister vor seinem Haus wirklich wütende Demonstranten in gelber Weste sehen wolle“. Und diese Drohung ist sicherlich ernst gemeint und anders als in Frankreich eignet sich das Thema hierzulande vor allem für den Protest von rechts und die vorsätzlichen Fehler der Verkehrspolitik laden ja auch förmlich zu jeglicher Kritik ein. Die AfD war schlau und hat sich schon einmal prophylaktisch zur Kümmererpartei für deutsche Dieselfahrer erklärt. Da das Thema „Flüchtlinge“ ja zurzeit seinen „Reiz“ verloren hat, braucht man ohnehin ein neues emotionsbeladenes Thema, mit dem man Wahlkampf machen kann. Das weiß man auch in der Bundesregierung und vor allem im CSU-geführten Verkehrsministerium.
Es ist also durchaus damit zu rechnen, dass das gesamte „Klimaschutzgesetz“ nun sprichwörtlich unter die Räder kommt und am Ende die Automobillobby sogar noch die ohnehin nur geringen Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung auf diesem Umweg aushebeln kann. Offenbar weiß auch die Automobillobby, wie man die AfD für sich in Stellung bringen kann. Und auch die Bundesregierung darf sich zu den Gewinnern zählen. In der Aufregung um das Tempolimit gehen die realen Defizite der Verkehrspolitik einmal mehr unter. Wer für Klimaschutz ist, will nun dem freien Bürger seine freie Fahrt vermiesen. So funktioniert „Framing“. Wir müssen uns also auch künftig nicht wundern, wenn die Bundesregierung mal wieder verkündet, dass man beim Klimaschutz leider wieder einmal hinter dem Plan zurückgeblieben ist. Der abgesoffene Eisbär wird sicher dafür Verständnis haben.
Titelbild: Zhao jian kang/shutterstock.com