Weltweit agierende Konzerne wie Apple zahlen sowohl in den USA als auch in der EU kaum Steuern und erzielen Rekordgewinne in Milliardenhöhe. Benutzt wird das Geld jedoch zu immer größeren Teilen nicht für realwirtschaftliche Investitionen, sondern für den Aufkauf der eigenen Aktien an der Börse. Und Apple ist kein Einzelfall, auch in Deutschland greift diese bis 1997 verbotene Praxis immer weiter um sich. Thomas Trares hat sich für die NachDenkSeiten mit dem Phänomen „Aktienrückkäufe“ beschäftigt.
Im neuen Jahr geht es genauso weiter wie im alten. So hat der Sportartikelhersteller Adidas Anfang Januar bekanntgegeben, 2019 insgesamt 800 Millionen Euro für Aktienrückkäufe ausgeben zu wollen. 2018 hatte Adidas bereits Papiere im Umfang von einer Milliarde Euro zurückgekauft. Diese Tranchen sind Teil eines Programms, das auf mehrere Jahre angelegt ist und einen Umfang von bis zu drei Milliarden Euro hat. Und nun hat auch der Chemiekonzern Lanxess erklärt, für 200 Millionen Euro eigene Aktien zu erwerben. Die Summe stammt aus dem zum Jahreswechsel zugeflossenen Verkaufserlös für die Beteiligung an dem Kautschukhersteller Arlanxeo.
Diese Meldungen der vergangenen Tage sind vor allem aus zwei Gründen interessant. Erstens liegen Aktienrückkäufe an den Finanzmärkten gerade wieder voll im Trend, und zweitens handelt es sich dabei um reine Finanzinvestitionen ohne realwirtschaftlichen Bezug. Letztlich geht es nur darum, aus Geld mehr Geld zu machen. Aktienrückkäufe sind mithin Ausdruck einer „finanzialisierten“ Wirtschaft, in der die Finanzmarktlogik inzwischen auch die Realwirtschaft erfasst hat.
Neben Adidas haben im vergangenen Jahr Konzerne wie die Allianz, Munich Re, Siemens und Linde, aber auch kleinere Unternehmen wie der Telekommunikationsanbieter 1&1 Drillisch, die auf Bausoftware spezialisierte RIB Software, der Triebwerkhersteller MTU Aero Engines oder der Start-up-Investor Rocket Internet Rückkaufprogramme aufgelegt. Mehr als 8,4 Milliarden Euro steckten Unternehmen aus dem Dax und MDax in den ersten elf Monaten 2018 in den Kauf eigener Aktien, ermittelte das Forschungsinstitut Flossbach von Storch Research. Dies ist doppelt so viel wie 2017 und der höchste Wert seit der Finanzkrise 2008.
Bei Aktienrückkäufen macht das jeweilige Unternehmen letztlich nichts anderes, als eigene Aktien einzusammeln und stillzulegen. Dadurch verknappt sich die Zahl der umlaufenden Papiere, der Gewinn pro Aktie steigt, was wiederum den Aktienkurs in die Höhe treibt. Manche nennen dies „Kurspflege“, andere sprechen von „Kursmanipulation“ – je nach Sichtweise. Nutznießer dieser finanztechnischen Operationen sind die Aktionäre sowie das Management, sofern dessen Bezahlung an die Entwicklung des Aktienkurses gekoppelt ist. Ein ökonomischer Mehrwert wird bei alldem nicht geschaffen.
Wie die „Kurspflege“ via Aktienrückkäufe in der Praxis funktioniert, zeigt das Beispiel des Erstversicherers Allianz. Dort hat der Vorstandsvorsitzende Oliver Bäte bei seinem Amtsantritt Mitte 2015 versprochen, den Gewinn pro Aktie um jährlich durchschnittlich fünf Prozent zu steigern. Seither hat die Allianz drei Rückkaufprogramme im Umfang von insgesamt sechs Milliarden Euro aufgelegt. Der Aktienkurs hat zwar im Zuge des jüngsten Kursrutsches an den Börsen wieder etwas nachgegeben, der Gewinn pro Aktie bewegt sich aber weiter in die gewünschte Richtung.
Der US-Ökonom Michael Hudson hat die Vorgänge um die Aktienrückkäufe wie folgt beschrieben: „In der Natur töten die Parasiten für gewöhnlich den sterbenden Wirt und verfuttern das, was von ihm übrigbleibt, an die eigene Nachkommenschaft. Die ökonomische Parallele dazu sind Finanzmanager, die ihre Abschreibungsreserven für Aktienrückkaufe benutzen oder als Dividenden ausbezahlen, statt damit die Fabrik und deren Anlagen zu modernisieren. Die Mittel für Investitionen in Sachanlagen, Forschung und Entwicklung und Beschäftigung werden zugunsten reiner Finanzerträge gekürzt.“
Das Eldorado für Aktienrückkäufe ist aber nach wie vor die USA. Dort ist das Rückkaufvolumen 2018 auf sage und schreibe 1,1 Billionen US-Dollar gestiegen. Den bisherigen Rekord gab es 2015 mit rund 780 Milliarden Dollar. Bei den Einzelunternehmen hat der Technologiekonzern Apple mit Rückkäufen von über 100 Milliarden Dollar den Vogel abgeschossen.
Bei solchen Summen sind ein paar grundsätzliche Bemerkungen angebracht:
Grund für das exorbitant hohe Rückkaufvolumen ist die Steuerreform von US-Präsident Donald Trump aus dem Jahr 2017, bei der die Unternehmenssteuersätze radikal gesenkt wurden. Die freigewordenen Gelder haben viele Firmen dazu genutzt, Aktien zurückzukaufen. Die Behauptung der Neoliberalen, dass Steuersenkungen die Investitionen anheizen und somit die Wirtschaft beleben, ist damit widerlegt worden. Zudem wird die Verteilung durch die Aktienrückkäufe noch ungleicher, wie der US-Ökonom William Lazonick schreibt.
Passend dazu haben die US-Ökonominnen Irene Tung und Katy Milani in einer Studie für das Roosevelt Institute ermittelt, dass die US-Einzelhändler CVS, Home Depot und Lowe’s mit dem Geld, das sie von 2015 bis 2017 in Aktienrückkäufe steckten, die Jahresgehälter ihre Beschäftigten im Schnitt um 18.000 Dollar hätten erhöhen können. Bei der Kaffeehauskette Starbucks und der Schnellrestaurantkette McDonald’s waren es 7.000 beziehungsweise 4.000 Dollar. Tung und Milani fordern Aktienrückkäufe mit gesetzlichen Maßnahmen einzudämmen, zu Gunsten einer besseren Bezahlung der Arbeitnehmer.
Während man in der Europäischen Union (EU) über die Einführung einer Digitalsteuer diskutiert, und die großen Tech-Konzerne Google, Apple, Facebook und Amazon in Europa nach wie vor kaum Steuern zahlen, kann allein Apple mal soeben 100 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe lockermachen. Und nicht nur das. 2018 hat Apple-Chef Tim Cook seine bisher höchsten Boni überhaupt eingestrichen. Von den 15,7 Millionen Dollar, die ihm im vergangenen Jahr zuflossen, waren zwölf Millionen an das „Erreichen bestimmter Finanzziele“ gekoppelt.
Aktienrückkäufe können auch Ausdruck der Ideenlosigkeit des Managements sein. Ein Beispiel hierfür ist der US-Computerkonzern IBM, der jahrelang mehr Geld für Aktienrückkäufe und Dividendenzahlungen ausgegeben hat, als in das eigene Unternehmen zu investieren. IBM hat seine PC- und Laptop-Sparte dann an die chinesische Firma Lenovo verkauft und gehört heute nicht mehr zu den führenden Unternehmen der Computerindustrie.
In Deutschland waren Aktienrückkäufe von 1931 bis 1997 verboten. Grund waren die Erfahrungen in der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre: Damals kauften Unternehmen ausgesuchten Aktionären und dem eigenen Management Aktien ab, um sie vor Verlusten zu schützen. Seit 1998 sind Aktienrückkäufe wieder erlaubt. Ein Grund dafür war der Wunsch der deutschen Manager, ihre Bezüge mit Aktienoptionsprogrammen aufbessern zu können.
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