Seit vergangenem 1. Dezember und für die kommenden sechs Jahre hat die Republik Mexiko einen neuen Präsidenten. Den ersten „genuinen Linken“ in ihrer Geschichte, so wird im Land selbst und weltweit angemerkt. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
Aus bescheidenen Familienverhältnissen spanischer Emigranten stammend, die sich im mexikanischen Bundesstaat Tabasco niederließen, ist der 65-jährige Diplom-Politologe Andrés Manuel López Obrador – popularisiert durch sein Namensakronym AMLO – Protagonist einer politischen Chronik des sozialen und rechtlichen Widerstands, deren erste Seiten vor mehr als 25 Jahren in der südostmexikanischen Yucatán-Halbinsel mit Blockaden gegen die schrittweise Privatisierung des staatlichen Erdölkonzerns Pemex geschrieben wurden.
Obwohl seine politische Karriere in der bis zuletzt seit fast einem Jahrhundert regierenden Partei der Institutionellen Revolution (PRI) begann, bezeichnet die politische Standortbeschreibung – vor allem mit Verweis auf die wiederholten Massenprotestmärsche gegen soziale und politische Missstände, die er vom Südosten des Landes auf nahezu 800 Kilometern in die Hauptstadt anführte – mehrheitlich sein Profil als das eines sozialen Kämpfers.
Das politische Erbe des Cardenismo
Selbst bezeichnet sich AMLO gern als Erbe der historischen Figur des Lázaro Cárdenas del Río. General Cárdenas beteiligte sich an der Mexikanischen Revolution (20. November 1910 bis 1917, mit einem Nachspiel im Jahr 1934), die als Grundsteinlegung des eigentlichen, modernen mexikanischen Staates gilt, und war Führungsgründer der PRI. Mit dem Aufbau von Landgenossenschaften verwirklichte Cárdenas als erster mexikanischer Politiker die vom legendären Revolutionsführer Emiliano Zapata geforderte Agrarreform und kämpfte ebenso für die Verstaatlichung der mexikanischen Naturressourcen, insbesondere der Erdölvorkommen.
Als Mexikos Präsident (1934-1940) förderte Cárdenas zur Vereinheitlichung der sozialen und Arbeiterbewegung die Gründung des mexikanischen Gewerkschaftsbundes (CTM) sowie den Aufbau von Bauern-Konföderationen, setzte die erste Agrarreform mit sechsjähriger Dauer durch, womit Land an verarmte Bauern und indigene Völker verteilt und ein Kreditsystem für Dorfgenossenschaften eingeführt, jedoch gleichzeitig und erstaunlicherweise die Vorrechte der Militärs beschnitten wurden; ein Unikum in der Geschichte der lateinamerikanischen Kasernen-Geschichte.
Im aktuellen weltpolitischen Vergleich könnte AMLOs ideologische Zuordnung daher als mexikanische Spielart eines sozialdemokratischen Nationalismus beschrieben werden, der zwar den Markt nicht ablehnt, doch die Stärkung des Nationalstaates und der nationalstaatlichen Souveränität zur Maxime hat.
López Obradors politische Karriere
Dreimal bewarb er sich als Präsidentschaftskandidat, zweimal scheiterte er; einmal wegen fragwürdiger Transparenz der Wahlen. Dass er sich auch gern auf die sogenannte „indianische Demokratie“ beruft, hat eher persönliche Gründe und erklärt auch seinen ersten Wahlerfolg als Präsidentschaftsbewerber.
In den späten 1970-er Jahren hatte er das Koordinationszentrum Chontal für Indigene Fragen in Nacajuca geleitet, anschließend als Direktor des Nationalen Plans für unterentwickelte Gebiete und marginalisierte Gesellschaftsgruppen und schließlich fünf Jahre lang als Beauftragter des Nationalen Instituts für Indigene Angelegenheiten (INI) gewirkt.
In diesen Funktionen lernte AMLO die basisorientierten Versammlungen und plebiszitären Beschlussfassungen der von vielfältiger Ausgrenzung betroffenen, rund 12 Millionen Menschen zählenden „rein“ indigenen Bevölkerung (ca. 110 unterschiedliche ethnische Gruppen) schätzen, die ihn mehrheitlich im Juli 2018 wählte und deren Vertreter ihn am vergangenen 1. Dezember mit einem Ritual unter spirituellen Schutz stellten.
Bisheriger Höhepunkt seiner 25-jährigen politischen Karriere – deren Kurzfassung in der NachDenkSeiten-Ausgabe vom 2. Juli 2018 mit dem Titel “Mexiko – Andrés Manuel López Obrador, der Hoffnungsträger” nachzulesen ist – war AMLOs Amtszeit als Gouverneur und Bürgermeister von Mexico City (2000-2006). Als vielfältig preisgekrönter Verwalter beendete er wegen der rigorosen Transparenz und der Korruptionsbekämpfung seine Amtszeit mit einer mehr als 80-prozentigen Popularitätsrate.
Die breite Masse der im Mutterland (130 Millionen) und in den USA (20 Millionen) lebenden Mexikaner hatte ihn während der jüngsten Wahlkampagne jedoch aus einem zusätzlichen und entscheidenden Grund in Erinnerung. Nämlich wegen seiner Sozialpolitik, die die allgemeine Altersrente in der Hauptstadt, die kostenfreie Verteilung von Lehr- und Schulmaterial an Grundschüler, den Mutterschafts-Zuschuss für alleinerziehende Mütter sowie kostenlose Gesundheitspflege und Medikamenten-Verteilung an benachteiligte Bevölkerungsgruppen eingeführt hatte; Programme, die damals von neoliberalen Heilspredigern des „Minimalstaates“ kritisiert, später jedoch auf mehrere Bundesstaaten ausgedehnt wurden.
Persönliche Askese
Unabhängige und progressive mexikanische Medien wie die Tageszeitung La Jornada fragen sich bereits zu Recht, wie will AMLO seine hochgesteckten Ziele erreichen? Welche Herausforderung wird die US-amerikanische Administration Donald Trump für eine solche Agenda stellen? Kann die mexikanische Wirtschaft, die zweitgrößte Lateinamerikas, in dem Tempo wachsen, wie dies zur Unterstützung solcher Reformen erforderlich ist? Kann die landesweite und tief verwurzelte Korruption so leicht wie geplant „ausgerottet“ werden?
López Obrador, so steht jedenfalls fest, präsentierte mit seiner Vereidigungsrede eine kühne Vision für die nahe Zukunft Mexikos. Umgeben von internationalen Gästen – vom britischen Labour-Führer Jeremy Corbyn über die Trump-Tochter Ivanka, Kanadas Premier Justin Trudeau bis hin zu den Präsidenten Kubas, Venezuelas und Boliviens (Miguel Díaz-Canel, Nicolás Maduro und Evo Morales), ein Prominenten-Aufgebot, in dem die deutschen SPD und Linken wieder einmal durch Abwesenheit glänzten – zog der neue Präsident mit einer andächtigen, jedoch scharfen Ansprache vom Leder.
„Ein neues Zeitalter beginnt in Mexiko, und zwar mit einer radikalen Wende!“, prophezeite AMLO und erhob während seiner eine Stunde und 22 Minuten langen Rede mehrmals einen kalkuliert dramaturgischen Blick vom Rednerpult auf das tausendfach applaudierende Publikum auf den Tribünen des mexikanischen Parlaments. Als sei er von der asketischen Lebens- und Verwaltungs-Philosophie des schon mythenhaften uruguayischen Präsidenten José “Pepe“ Mujica beflügelt, verkündete er als Erstes Selbstbescheidung und Selbstbeschränkung.
So zum Beispiel, dass er den offiziellen Präsidenten-Jet an die USA verkaufen und künftig seine Flüge als Staatsoberhaupt in der Economy-Klasse der normalen Sterblichen buchen lassen werde. Auch werde er nicht in den prunkvollen, im Chapultepec-Park Mexiko-Stadts gelegenen Regierungspalast Los Pinos einziehen, in dem Lázaro Cárdenas als erster in den 1930-er Jahren residierte. Nein, er, AMLO, werde weiterhin sein bescheidenes Eigentums-Appartment bewohnen – eine symbolische, jedoch höchst publikumswirksame Ankündigung, denn am gleichen Tag strömten bereits tausende Fußvolk-Mexikaner zu Los Pinos, um die seit über einem Jahrhundert unzugänglichen und geheimnisumwitterten Interieurs der Präsidentenresidenz zu bestaunen, die durch offizielle Anweisung des Präsidenten mit sofortiger Wirkung in ein Museum umgewandelt wurde.
Im Übrigen wolle er auch keine Leibgarde und keinen Personenschutz mehr. Der Generalstab des Präsidenten (EMP) solle aufgelöst und seine 2.021 Männer und Frauen – darunter 1.586 Militärs (12 Generäle und Admirale, 187 Hauptleute und 550 Offiziere), 52 Polizisten und 383 Zivilisten – in die neue Nationalgarde zur Kriminalitätsbekämpfung eingegliedert werden. Ja, der mexikanische Staat wird von allerhand Anachronismen umrankt, denn mit der im Jahr 1952 gegründeten und ihm unterstellten Präsidentengarde (CGP) beträgt die „Truppenstärke“ des EMP ausschweifend unnötige und untätige 6.026 Männer und Frauen.
Als unerwartete Geste der Selbstbeschränkung erlegte sich López Obrador schließlich eine einzige Amtszeit auf. „Ich habe kein Recht zu versagen und verzichte von vornherein auf meine eigene Wiederwahl!“, erklärte er mit herausforderndem Unterton, der von seinen Anhängern mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde; immerhin erwarte doch das Volk die Fortsetzung einer erfolgreichen, zudem fortschrittlichen Präsidentschaft. Nein! Die Wende in Mexiko stehe auch im Zeichen einer respektableren, rechtschaffenen Demokratie, verteidigte AMLO seinen Entschluss.
Gewalt und Amnestierung der Korrupten: die akuten Herausforderungen und die Konzilianz AMLOs
Wie die NachDenkSeiten am 11. November 2017 berichteten, ist der mexikanische Alltag von haarsträubender Gewalt-Bilanz geprägt: 100.000 Tote und 30.000 Vermisste bis Mitte 2017; so viele Opfer, wie die ein Jahrzehnt andauernden Bürgerkriege im Mittelamerika der 1980-er Jahre forderten („A 10 años de la guerra contra el narco: 100 mil muertos y 30 mil desaparecidos“ – El Milenio, 11.12.2016).
Nicht weniger dramatisch sind die Auswirkungen der landesweit tief und historisch verwurzelten Korruption auf Staat und Gesellschaft. Wie die kubanische Nachrichtenagentur im Gespräch mit dem Vorsitzenden des mexikanischen Verbandes der Ethik- und Compliance-Experten (Ampec), Fernando Senties, ermittelte, belaufen sich die Kosten der Korruption in Mexiko auf beachtliche 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Senties warnt jedoch. Obwohl einige Studien diese Verluste zwischen 2 und 9 Prozent des BIP ansetzen, könnte der Verlust drastisch höher sein, wenn der „unregelmäßige Umgang mit Geld in Privatunternehmen“ (sic!) fundierter in Betracht gezogen würde. Nach Schätzung Sentíes‘ erreiche die tatsächliche Korruption bis zu schwindelerregende 18 Prozent des BIP, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen, von denen 82 Prozent zugeben, dass sie irgendwann Bestechungsgelder zahlen mussten.
Am Obersten Rechnungshof Mexikos wurden bis Mitte 2018 mindestens 800 Klagen, in der Hauptsache gegen Beamte von AMLOs Vorgänger-Regierung Peña Nieto, eingereicht, jedoch sei fraglich, ob diese Klagen auch konsequent von der Justiz verfolgt würden. „All‘ diese Prozesse sollten aus meiner Sicht rigoros von der Justiz durchgefochten werden, was der kommenden Regierung viel Glaubwürdigkeit verleihen würde”, forderte Senties, doch der neue Präsident denkt anders.
Die Exekutive werde keine Verfolgung gegen korruptionsverdächtigte oder angeklagte „Beamte der Vergangenheit” fordern. Die grundlegende Sache bestehe darin, „die Verbrechen der Zukunft zu vermeiden”, warnte AMLO. Die Justizbehörden sollten selbstverständlich freie Hand zur Bestrafung der Verantwortlichen haben, doch ziehe er es vor, „niemanden zu verfolgen, um dem Zirkus und der Scheinheiligkeit ein Ende zu setzen“. „Seien wir doch ehrlich!“, provozierte der neue Präsident, der statt der Massenprozesse vielmehr eine Massenamnestie, die Befriedung und einen „Neubeginn“ vorzieht. „Wenn wir die Prozessdateien öffnen, werden wir uns doch wieder nur auf einzelne Sündenböcke beschränken, wie es immer der Fall war!“.
Was jedoch Kritikern aus dem eigenen, progressiven Lager unangenehm aufstößt, ist das Vertrauen des neuen Präsidenten in die der Gewalt und Korruption vielfach angeklagten Streitkräfte, denen AMLO nach wie vor die zentrale Rolle in der Kriminalitätsbekämpfung einräumt.
Kampfansage an den Neoliberalismus und Burgfrieden mit Donald Trump: López Obradors kühne Mexiko-Vision
„Ich werde 16 Stunden am Tag arbeiten, um in sechs Jahren freiwillig die vollendete Transformation zu verlassen, die den Rückfall in die Vergangenheit behinderte“, verkündete prophetisch Mexikos neuer Präsident. „Warum geben Sie nicht zu, dass der Neoliberalismus versagt hat, dass es mehr Arme gibt, Gewalt und Schulden?”, zog er sodann in seiner Vereidigungsrede gegen das marode Wirtschaftssystem und seine Repräsentanten vom Leder, ersparte jedoch auch „einer bestimmten Presse“ nicht seine Kritik: „In den vergangenen 30 Jahren widmeten sich einige Medien dem Beifall (der Herrschenden) und dem Schweigen, dem Gehorsam und dem Schweigen, der Beweihräucherung des Regimes sowie dieser Partei oder jener Partei”.
Zusammengefasst verspricht sein ehrgeiziges Regierungsprogramm außer einer drakonischen Korruptionsbekämpfung:
- eine 14,3-prozentige Erhöhung des Mindestlohns, der mit umgerechnet 80 Euro/Monat ab 1. Januar 2019 Millionen Mexikaner aus extremer Armut befreien soll, doch nach wie vor zu den niedrigsten Lateinamerikas (z. Vgl. Argentinien: 500 Dollar/Monat) gehören wird
- die Einstellung sämtlicher Privatisierungen
- massive Investitionen in Bildung, Infrastruktur und soziale Leistungen
- die Dezentralisierung von Regierung und Verwaltung
- den Ausbau der Infrastruktur, so z.B. mit der Expansion der mexikanischen Ölraffinerien und der Maya-Bahn („Tren Maya“), die in 4 Jahren und zum Kostenaufwand von 6 bis 8 Milliarden Dollar die wichtigsten touristischen Ziele der Regionen Cancún, Tulum, Calakmul, Palenque und Chichen Itzá mit modernen Hochgeschwindigkeitszügen zusammenschließen und tausende Arbeitsplätze schaffen soll; ein gleichsam chronisches und dramatisches Nachholbedürfnis, leben zwar 130 Millionen Mexikaner im Heimatland, doch 20 Millionen “Chicanos“ emigrierten auf der Suche nach Arbeit und dem täglich Brot in die USA.
Dem Beispiel der ehemaligen Präsidenten Dilma Rousseff (Brasilien), José Mujica (Uruguay) und des amtierenden bolivianischen Staatschefs Evo Morales folgend, beschnitt AMLO sein künftiges Präsidenten-Salär um 60 Prozent und forderte die Gehälter-Beschneidung hoher Staatsbeamter, insbesondere in der Justiz, die jedoch mit einer wütenden Kampagne die Diätenkürzung ablehnt.
„Es beginnt die vierte Transformation des öffentlichen Lebens in Mexiko. Ich werde mein Wort halten und Mexiko nicht enttäuschen”, twitterte López Obrador wenige Stunden nach seiner Amtseinführung.
Mit und gegen Trump: AMLOs Chance für eine Geopolitik im Balance-Akt
Den meisten Mexikanern ist selbstverständlich gegenwärtig, dass die USA in den vergangenen 170 Jahren den größten Landraub in der Geschichte gegen ihr Land verübten. Mit dem im Februar 1848 unterzeichneten Vertrag von Guadalupe Hidalgo, zur Beendigung des amerikanischen Interventionskriegs gegen Mexiko, büßte das Land südlich des Rio Grande fast die Hälfte seines Territoriums durch Abtretungen an die USA ein, die umgekehrt mit der Einverleibung Kaliforniens, Neu Mexikos, Arizonas und Texas rund 15 Prozent an Fläche dazugewannen.
Dass zusätzlich zu den 20 Millionen “Chicanos“ im Jahr 2015 rund 3,4 Millionen Zentralamerikaner – etwa 8 Prozent der 43,3 Millionen Einwanderer – in den USA lebten, deren Heimatländer El Salvador, Guatemala und Honduras ebenso wie Mexiko seit nahezu zwei Jahrhunderten von den USA kolonisiert, militärisch besetzt oder politisch interveniert wurden, ausgerechnet auf dem Boden ihres vermeintlichen Henkers existentielle Zuflucht suchen, mag so manch einer und einem als bittere Ironie erscheinen.
Wie bei seinem rüden Umgangsstil üblich, machte US-Präsident Donald Trump sich in den vergangenen Monaten mit dem Spitznamen „Juan Trump“ über AMLO lustig, der aus historischem und aktuellem Anlass – vor allem dem Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko, der Einsperrung von Migranten in Käfigen und dem Schussbefehl auf Migranten-Karawanen – umgekehrt den US-Amerikaner als „Rassisten“ beschimpfte. Dennoch schrieb der im Juli 2018 frisch gewählte Präsident Mexikos einen konzilianten Brief an seinen US-Kollegen, der wiederum mit unerwartet überschwänglichem Tweet seinem linken Kontrahenten herzlich zu dessen Wahl gratulierte und einer Zusammenarbeit nahezu euphorisch entgegensah.
Zusammengefasst schlug AMLO der US-Regierung eine Kooperation in 5 Punkten vor:
- Die Lösung des Migrationsproblems solle mit einem „Entwicklungsplan, der die mittelamerikanischen Länder einbezieht” einhergehen.
- Von mexikanischer Seite werde alles getan, damit die Mexikaner nicht aus Armut oder wegen Gewalt migrieren müssen.
- Es sollen Neuverhandlungen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) abgeschlossen werden.
- Die Bekämpfung der Korruption sei der Fokus der künftigen Regierung.
- Es sollen verschiedene wirtschaftliche Projekte entlang der mehr als 3.000 Kilometer langen Grenze zu den USA gemeinsam angegangen werden, die zur Verbesserung der Wirtschaft in Mexiko beitragen würden.
Im künftigen Verhältnis zu den USA zieht Mexikos neuer Präsident also einen ausgesprochen pragmatischen Kurs vor. Wie lange dieser konfliktlos hält, hängt u.a. von AMLOs außenpolitischem Kurs gegenüber der Europäischen Union (EU) und China ab.
Christophe Ventura, Professor für Geopolitik, Mitglied von La France Insoumise und Lateinamerika-Experte des Institut de relations internationales et stratégique (IRIS) in Paris wagt eine optimistische Prognose. Die EU und China werden sich um ein Bündnis mit der neuen Regierung gegen Washington bemühen, was die geopolitische Bedeutung Mexikos auf internationaler Ebene stärken wird, schätzt der Analyst.
Obwohl in den europäischen Hauptstädten kaum bekannt, erblicken die Schaltstellen der EU in AMLO einen gemäßigt linken Politiker und politischen Führer, dessen Agenda sozialer Reformen im Rahmen recht orthodoxer makroökonomischer Gleichgewichte stattfinden wird, und der sehr wohl ein lateinamerikanisches Gegengewicht zum US-Präsidenten Donald Trump herstellen kann.
López Obrador wird sich Donald Trump nicht unterordnen. Als Beispiel für seine Forderung nach außenpolitischer Autonomie nennt Ventura die Nominierung Marcelo Ebrards zum mexikanischen Außenminister, der dafür bekannt ist, die Kampagne von Hillary Clinton unterstützt und die Latinos für die Wahl der Demokraten mobilisiert zu haben. Ventura warnt jedoch, dass diese Beziehung „pragmatisch und nicht offen herausfordernd oder ideologisch sein wird. „AMLO muss bilaterale Beziehungen entwickeln, die auch die Interessen des mexikanischen Privatsektors einschließen“.
In gleicher Weise räumt AMLO der Beziehung zu China eine erstmalige und prioritäre Rolle ein, zumal chinesische Investitionen in Mexiko zunehmen, das Land als Sprungbrett für Exporte in die USA nutzen und in diesem Punkt allerdings mit den Interessen der Trump-Administration konfrontiert sind. Um dies zu erreichen, muss AMLO allerdings widersprüchliche Dynamiken umgehen, warnt weiterhin Ventura: Mexiko wird die wirtschaftliche Abhängigkeit der Vereinigten Staaten nicht abstrakt abkoppeln können, muss daher gleichzeitig seine Beziehungen zu drei Akteuren – Lateinamerika, China und der EU – stärken. Gelingt es AMLO, so könnte Mexiko erneut eine wichtige Rolle in den internationalen Beziehungen spielen; und zwar die Rolle einer großen Nation.
Titelbild: Carlos Tischler/shutterstock