Während im polnischen Katowice auf der Weltklimakonferenz darüber beraten wird, welche Maßnahmen ergriffen werden müssten, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden, verlost der Hessische Rundfunk unter seinen Hörerinnen und Hörern einen Kurztrip nach New York zum Christmas Shopping. Per Flugzeug, versteht sich. Dieses Zugleich offenbart den ganzen Wahnsinn unserer gegenwärtigen Situation: Hehre Absichtsbekundungen in den Konferenzsälen, business as usual in unserem Alltag. Ein empörter Zwischenruf von Götz Eisenberg.
Der Gießener Weihnachtsmarkt wurde letzte Woche vom hr3 Christmas Shopping Mobil heimgesucht. „So haben wir das New York Feeling auf Euren Weihnachtsmarkt gebracht“, heißt es in einer Verlautbarung des Senders. Ein mitgereister Nikolaus verteilte auf dem Kirchenplatz „faire Schokolade“. Man lässt sich nicht mal die Zeit, „fair gehandelte Schokolade“ zu sagen, sondern deklariert kurzerhand die Schokolade selbst zur “fairen Schokolade”, was immer das sein soll. Worum geht es? Der Sender verlost in Kooperation mit einem Reiseveranstalter unter den Besuchern des Shopping Mobils eine Reise ins vorweihnachtliche New York: „Du und deine Begleitperson fliegen zusammen mit der hr3-Morningshow Moderatorin Tanja vom 16. bis 21. Dezember nach New York. Der komfortable Flug startet ab Frankfurt …“ Auf solchen Sendern duzt jeder jeden. Wir sind alle Konsumenten und haben es nicht besser verdient. „Shopping“ ist immer und überall Schwachsinn. Es ist der mondäne Zeitvertreib von Leuten, denen es zu gut geht und denen es an nichts gebricht. „Shopping“ ist etwas vollkommen anderes als das Einkaufen von lebensnotwendigen Dingen. Wer „shoppen geht“ kauft das siebenundzwanzigste T-Shirt, das dreißigste Paar Schuhe, den elften Kaschmirpullover, das dreizehnte Sakko, die achte Handtasche, das neunundneunzigste Parfüm. Der homo consumens, von dem bei Erich Fromm die Rede ist, ist ein unersättliches Wesen, ein ewiger Säugling, der immer mehr konsumieren möchte und dem die ganze Welt zum Konsum wird. Durch den Akt des Kaufens und Konsumierens kompensiert er seine innere Leere, versucht er, Gefühle von Sinnlosigkeit und Angst zu vertreiben. Vergeblich natürlich. Dadurch nimmt der Akt des Kaufens einen suchtartigen Charakter an. Man muss die Dosis ständig erhöhen und den Abstand zwischen den Kaufakten verkürzen. Eine Spitzenleistung in puncto Unvernunft ist es, zum Christmas-Shopping nach New York zu fliegen: Man trägt massiv zur Verschlechterung der CO2-Bilanz bei und profitiert zugleich auf eine beinahe obszöne Weise von den Erträgen der Sklavenarbeit in den Ländern der Peripherie und der neoliberalen Weltordnung. Und so etwas fördert HR3!
Dabei war dieser Sender bei seinem Start in den 1960-er Jahren ganz vom Zeitgeist geprägt und belieferte eine rebellische Generation mit entsprechender Musik und kritischen Texten. Ein von mir bewunderter älterer Cousin gehörte zu den Moderatoren der ersten Stunde. Wie konnte dieser respektable Sender derart verkommen? Wie rechtfertigt ein durch unsere Gebühren finanzierter öffentlich-rechtlicher Sender einen derartigen Blödsinn und ein Öko-Verbrechen?
Denn um ein solches handelt es sich. Wer auf einer entsprechenden Website nachschaut, wie die CO2-Bilanz eines solchen Fluges aussieht, wird diesen Verdacht bestätigt finden. Pro Person werden auf dem Hin- und Rückflug von Frankfurt nach New York 2,3 Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen. 2,0 Tonnen CO2 dürfte eine Person maximal pro Jahr verursachen, wenn der Klimawandel aufgehalten werden sollte, erfahre ich auf dieser Seite weiter. Diese bietet übrigens den Umwelt-Sündern gleich einen zeitgenössischen Ablasshandel an. Als Äquivalent für den durch den Flug angerichteten Schaden kann man für Klimaschutzprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern spenden. In unserem Fall wird als Schuldausgleich eine Spende in Höhe von 57 Euro empfohlen. Nach der Überweisung kann sich der Sünder freigesprochen fühlen und guten Gewissens weitermachen wie zuvor.
Dabei ging gerade letzte Woche die Meldung durch die Nachrichten, dass der Ausstoß an Treibhausgasen im Jahr 2018 einen neuen Höchststand erreichen wird. Treibhausgase sind für die Erderwärmung maßgebend und sind damit Hauptverantwortliche für den Klimawandel. Der Ausstoß von Treibhausgasen hat allen Beteuerungen von Seiten der Politik, es endlich mit dem Klimaschutz ernst zu nehmen, zum Trotz zugenommen. Immer mehr Autos und immer größere Autos befahren unsere Straßen. SUVs verbrauchen mehr Sprit und erzeugen also auch mehr CO2. Der Marktanteil der SUVs und Geländewagen stieg in den letzten Jahren kräftig an. Statt endlich automobil abzurüsten, wird massiv aufgerüstet. Die Leute verhalten sich wie ein Junkie, der sich am Vorabend des Therapieantritts nochmal richtig einen ballert.
Es werden also mehr Treibhausgase produziert als je zuvor. Und es wird mehr geflogen als je zuvor. Ein Flug nach Mallorca produziert pro Person so viel CO2 wie ein ganzes Jahr Autofahren, was ja schon schlimm genug ist. Flugbenzin wird noch nicht einmal besteuert. Warum ist das eigentlich so? Leute fliegen übers Wochenende mal eben für 19 Euro nach Athen oder Barcelona, um dort Party zu machen, oder nach Paris, um eine Ausstellung zu besuchen und in einem ehemals existentialistischen Café zu frühstücken. Muss so etwas auch noch subventioniert werden?
Alle wissen alles, jeden Abend bekommen wir die Bilder des nahenden ökologischen Kollapses in den Nachrichten präsentiert. Es stellt eine Meisterleistung in puncto Verleugnung und Verdrängung dar, die täglichen Katastrophenmeldungen und –bilder aus dem Alltag fernzuhalten und vom Bewusstsein abzuspalten. So können es die Leute von Jahr zu Jahr toller treiben. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Apokalypse eine reizvolle Option darstellt und dass von ihr eine geheime Lockung ausgeht. Ausgelassen feiernd und in riesigen Autos sitzend taumeln und rasen wir gut gelaunt auf den Abgrund zu.
Götz Eisenberg ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er arbeitet seit Jahren an einer „Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus“, deren dritter Band unter dem Titel „Zwischen Anarchismus und Populismus“ im Oktober im Verlag Wolfgang Polkowski in Gießen erschienen ist.
Titelbild: jokerpro/shutterstock