Über Luxus-Suiten, Geheimdienste, den Sieg des Erdöls und einen “feigen” Präsidenten – eine Nachlese zum G20-Gipfel in Buenos Aires
„Als der amerikanische Präsident (in der Casa Rosada) ankam, atmeten die Sicherheitsbeamten auf. Der Einsatz war beeindruckend und umfasste sowohl die Umgebung als auch die Innenräume des argentinischen Regierungssitzes, die bis zum letzten Moment von Hunden der Sprengstoffabteilung der Bundespolizei abgeschnüffelt wurden“. So beschrieb die peruanische Tageszeitung El Comercio eine der Schlüssel-Episoden hinter den Kulissen des G20-Gipfels. Doch „explosiv“ war dann der Auftritt des Staatsgastes. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
„Ich habe Dich besser verstanden als mit diesem Gerät”, protestierte der US-Präsident gegenüber seinem Amtskollegen und Gastgeber Mauricio Macri, nachdem er erfolglos versucht hatte, dessen Begrüßung in Spanisch mit Dolmetscher-Kopfhörern zu verfolgen. Von kindischer Rage angetrieben, streifte sich Trump nach wenigen Sekunden die Kopfhörer ab und warf sie demonstrativ zu Boden. „Der Lärm beim Aufprall des Übersetzungsgeräts, bevor Trump sich überhaupt selbst zum ersten Mal gegenüber der Presse äußerte, war ein Zeichen der Ungezügeltheit des amerikanischen Präsidenten“, rügte das peruanische Medium.
Entmutigende Zwischenbilanz
Mit Entgleisungen, Possen und Lachnummern der „menschlichen, allzu menschlichen Art“ – etwa Präsident Wladimir Putins unnötig überschwänglicher Handschlag mit dem des Mordauftrags an dem Journalisten Jamal Khashoggi verdächtigten saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, Bundeskanzlerin Angela Merkels 24-stündige Verspätung wegen Motorschadens an der deutschen Regierungsmaschine oder der vom Gala-Abend zu peinlichen Tränen gerührte Präsident Mauricio Macri, der nachträglich für seine „Feigheit“ um Entschuldigung bat – okkupierten die Regierungsdelegationen der einflussreichsten 20 Staaten der Welt regelrecht zwei Tage lang die argentinische Hauptstadt, allerdings durch drakonisches Militär- und Polizeiaufgebot von der Öffentlichkeit abgeschirmt.
Mitglieder der G20 sind 19 Industrie- und Schwellenländer sowie die Europäische Union. In diesen Mitgliedsstaaten leben annähernd zwei Drittel der Weltbevölkerung, die zusammen rund 80 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften. Bilanz? Sieger des Buenos-Aires-Gipfels sind eindeutig die USA.
Die imperial-nationalistisch gesinnte Regierung Donald Trump protestierte noch einmal lautstark gegen die deutschen und vor allem die chinesischen Handelsüberschüsse und sagte – nicht zuletzt mit Einschmuggeln einer Klausel in die Abschlusserklärung des Gipfels – der Welthandelsorganisation der Vereinten Nationen (WTO) den Kampf an.
Ebenso angetrieben vom Geist der Unberechenbarkeit und außenpolitischen Unverantwortlichkeit ließ der US-Präsident seinen russischen Amtskollegen „abblitzen“. Mit dreister Umdeutung der Fakten und als „Repressalie“ gegen einen angeblichen „russischen Angriff“ auf die Ukraine, vor der Krim, strich Trump ein vorher lautstark angekündigtes Gespräch mit Wladimir Putin aus der Agenda.
In Parallelhandlung gelang den Regierungen Chinas und der USA allerdings eine unerwartete Wende, nämlich die Aushandlung einer 90-tägigen „Feuerpause“ im seit Monaten fortschreitenden Handelskrieg auf Gegenseitigkeit. Als Geste des Entgegenkommens und der empfohlenen Entspannung erklärte sich China bereit, zur Reduzierung des enormen Handelsdefizits der USA „wichtige landwirtschaftliche, Energie- und Industrieprodukte” zu einem noch nicht vereinbarten Gesamtwert einzuführen. Im Gegenzug versprach die Trump-Regierung zumindest vorerst Pläne zur Erhöhung bestehender Strafzölle ab dem 1. Januar 2019 auszusetzen.
Dennoch: Gründe zum Feiern gibt es kaum. Hochgestellte Washingtoner Beamte werteten es als „große Leistung”, dass das Schlussdokument des Gipfels als „besten Weg zur Energieversorgungssicherheit“ neben erneuerbaren Energien auch „saubere Kohle und saubere fossile Energieträger anerkannt“ habe. Dass der dumme, innere Widerspruch von „sauberer Kohle und sauberen fossilen Energieträgern“ weder ein gewolltes, noch doppelbödig pointiertes Oxymoron der Trump-Beamten war, darf vorausgesetzt werden, traten sie doch nur im flachen Auftrag der Koch-Brothers, des Big Oil und der Klimawandel-Leugner auf.
Die Komödie der Geheimdienste
Wie unzeitgemäß, geradezu anachronistisch Weltgipfel wie der G20 unter dem Gesichtspunkt der Qualität von Demokratie und sozialstaatlichem Diskurs sein können, offenbart die an Obszönität grenzende Prachtentfaltung, womit sich die Mehrheit der Staatschefs und ihre Entourage von den normalen Sterblichen absetzte. „Alle Fünf-Sterne-Hotels von Buenos Aires wurden von offiziellen Regierungs-Delegationen des G20-Gipfels blockiert. Schauen Sie, wie die Suiten aussehen, die sie belegen”, schrieb die bonairensische Tageszeitung Clarin, mit einer Fotoserie des für die Frau und den Mann auf der Straße – zumal Argentinier – in diesem Leben niemals zugänglichen Luxus.
Die Informationen, wo sie sich aufhielten, war absoluter Geheimhaltung unterworfen. Dennoch gelang es Clarin zumindest festzustellen, in welchen glamourösen Unterbringungen einige Staatschefs in Buenos Aires ihre Häupter zur Nachtruhe legten. Donald Trump, zum Beispiel, belegte zusammen mit Ehefrau Melania den Duhau-Palast im luxuriösen Hotel der Hyatt-Kette, der als Teil seiner Einrichtung die prunkhafte, im Jahr 1898 entworfene Residenz der Familie Teodoro de Bary umfasst und mit dem Hotelturm durch imposante Gärten verbunden ist.
Jedoch gehört der scheinbare Widerstreit zwischen Geheimhaltung und gesteuerter Publicity zu den Inszenierungstricks von Weltgipfeln wie dem G20. Die gleiche, konservative Clarin bot ihren Lesern auch Eindrücke von den Umtrieben der Schlapphüte aus aller Herren Länder an. Mit dem Titel „Wie der geheime G20-Gipfel ablief: Spione, Drohnen, Hacker und Terroristenalarm“ gelangen der Tageszeitung Einblicke in eine tatsächlich vor zwei Jahren begonnene Operation von 54 Geheimdiensten aus den Teilnehmerländern, die der „Abwehr möglicher Bedrohungen“ diente.
So sollen einzelne Warnungen der ausländischen Agenten konkrete Ergebnisse erzielt haben, die meisten Hinweise erwiesen sich jedoch als „Fehlanzeige“. Zwei Jahre lang flanierten Agenten durch die Straßen von Buenos Aires, überwachten das Internet und infiltrierten V-Männer und -Frauen, wo immer Gefahr im Verzug (falsch) vermutet wurde, doch die konkreten Maßnahmen zur Verhinderung möglicher Anschläge und anderer Missetaten hatten erst vor einigen Monaten begonnen. Im vergangenen Februar berichtete beispielsweise das Europäische Polizeibüro (Europol), eine terroristische Gruppe plane, das “Patio de Olmos” – ein Einkaufszentrum auf Avenida Córdoba – anzugreifen. Der angebliche Tatort wurde evakuiert, mit Null Ermittlungsergebnissen. „Jetzt wissen Sie endlich den Grund“, orientierte Clarin ihre Leser.
Andere „Hinweise“ aus dem Ausland veranlassten die argentinische Justiz zur Festnahme mehrerer Verdächtiger, die angeblich mit dem islamischen Terrorismus in Verbindung stünden. Zwei Gefangenen wurde vorgeworfen, Beziehungen zur „Terroristengruppe Hisbollah“ zu unterhalten. Eine Zuordnung, der Argentinien niemals zugestimmt hat, ist doch die libanesische Organisation eine bewaffnete, jedoch legale politische Partei mit vergangener Regierungsbeteiligung, die wegen ihrem Widerstand gegen israelische Überfälle von Israel und den USA als „terroristisch“ eingestuft wird. Dass Hisbollah weltweit als eine der unerbittlichsten Armeen im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ bekannt ist, wird wie so manch‘ anderer Umstand von der Trump-Regierung und dem israelischen Geheimdienst Mossad wider besseres Wissen schlichtweg geleugnet.
Während des G20-Gipfels wurden angebliche Cyberangriffe auf offizielle Websites geortet, Spione und die Polizei wurden angewiesen, ihr Auge nicht nur auf die Straßen, sondern auch gen Himmel zu richten. Und siehe da! Es flogen verbotene Drohnen am Himmel von Buenos Aires! Nach offiziellen Angaben hätte die chinesische Delegation eine der unbemannten Mini-Drohnen gestartet. Die Polizei warnte: Wenn das Gerät nicht unverzüglich lande, würde es abgeschossen. „Die Rhetorik hat funktioniert“, kommentierte Clarin.
Doch dann kam es zu jenem Knall. Gegen elf Uhr morgens, am Freitag, dem 30. November, erreichte die Sicherheitsbehörden ein Alarmruf der Einwohner von Vicente López 911. Argentiniens First Lady, Juliana Awada, befand sich kurz vor der Ankunft in der Gefahrenzone San Isidro. Es herrschte größte Panik! Und wieder erwies sich auch der angebliche „Knall“ als falscher Alarm. Anstatt eines Anschlags handelte es sich um eine Seltenheit in Buenos Aires: ein Erdbeben der harmlosen Stärke 3,8 auf der Richterskala.
Widerstand
Wie nicht anders zu erwarten, protestierten zigtausende Argentinier gegen den Gipfel auf der Straße. „Der private Club der imperialistischen Mächte unterhält die multilateralen Kredit- und Handelsorganisationen als Partner, fordert aber die sogenannten Schwellenländer dazu auf, den Tisch zu decken. Diese Mächte streiten sich um Rohstoffe und Märkte, und laden ihre Überausbeutungspläne auf dem Rücken der Arbeiterinnen, der Arbeiter und der Städte ab; mit Kriegen, Hungersnöten, strukturellem Elend, der Zerstörung der natürlichen Ressourcen und der Umwelt, hieß es in einem Manifest der G20-Gegner.
Sie beschuldigten die G20-Staatschefs als „Hauptverantwortliche für die Herrschaftsstrategien wider die Völker und die Natur, die katastrophale Auswirkungen auf die Politik und die Wirtschaft Argentiniens und der übrigen Welt haben“, und lehnten „die Präsenz von Trump und anderen imperialistischen Führern, Vertretern internationaler Banken und großer transnationaler Konzerne, des IWF, der Weltbank und der OECD in unserem Land ab. Allesamt sind sie notorische Feinde der Menschheit. Wir sagen: G20 raus!!! Und raus IWF!!!“.
Die Schlusserklärung: Wenn die USA feiern, verliert die restliche Welt
In einer gemeinsamen, achtseitigen Erklärung verpflichteten sich die G20-Staaten, auf eine „gerechte und nachhaltige globale Entwicklung“ hinzuarbeiten, und räumten ein, dass das von der WTO geregelte multilaterale Handelssystem „seine Ziele nicht erreicht“, also versagt habe. Ohne ausdrücklich den Protektionismus beim Namen zu nennen, bestätigten die Staatschefs der G20 in ihrem Abschlussdokument, es gäbe „Probleme” im Welthandel, die Washington allerdings einseitig der „expansiven Handelspolitik Chinas“ zuschreibt.
„Derzeit hält sich das System nicht an seine vorgegebenen Ziele, jedoch gibt es Raum für Verbesserungen“, rügt die Abschlusserklärung die gegenwärtige WTO-Leitung unter Roberto Azevêdo, einem im Jahr 2012 von Präsidentin Dilma Rousseff den Vereinten Nationen vorgeschlagener, brasilianischer Welthandels-Experte, der sich einen Namen während der Doha-Verhandlungen gemacht hatte. Der Satz, „wir unterstützen die notwendige Reform der WTO, um ihre Funktionsweise zu verbessern, und wir werden den Fortschritt auf unserem nächsten Gipfel überprüfen“, wurde nur unter massivem Druck der USA in die Schlusserklärung aufgenommen und signalisiert schwere Erschütterungen in Leitung und künftiger Politik der WTO.
Hingegen darf die „Bekräftigung unserer Verpflichtung, alle politischen Instrumente zu nutzen, um ein solides, nachhaltiges, ausgewogenes und integratives Wachstum zu erreichen”, als leere Phrase verstanden werden. Kein einziger westlicher G20-Staat schert sich gegenwärtig um „integratives“, sprich sozialorientiertes Wachstum; ebenso wenig um die konsequente Einhaltung des Hamburger Aktionsplans für das Pariser Klima-Abkommen.
Doch eine Frage beschäftigt die internationale diplomatische Szene. Steckt auch diesmal Trumps Sicherheitsberater, der rechtsextreme Kriegstreiber und umnachtete John Bolton, hinter der WTO-Intrige? Bolton war es, der bereits 2002 den Sturz des brasilianischen Diplomaten José Maurício Bustani als damaliger Generaldirektor der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (Opaq) herbeiführte. In jenen Jahren arbeitete Opaq als Unterorganisation der Vereinten Nationen und gelangte nach vielfältigen Inspektionen zum Schluss, dass der Irak über keine chemischen Waffen verfügte; ein Vorwand, den die Regierung George W. Bush jedoch zur 2003-er Invasion des Irak benutzte.
Titelbild: Indymedia Derechos Humanos