Hilferuf für Syrien

Hilferuf für Syrien

Hilferuf für Syrien

Rüdiger Göbel
Ein Artikel von Rüdiger Göbel

Christen fürchten Sturz von Assad. Sanktionen und Abwerbung von Fachkräften treffen das kriegszerstörte Land. Rüdiger Göbel gibt für die NachDenkSeiten einen Überblick und schildert ein Dilemma, das so gar nicht zur Syrien-Berichterstattung des medialen Mainstreams passt.

Das weltweite päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ unterstützt mit einer Spendenkampagne den Wiederaufbau der syrischen Stadt Aleppo. Im laufenden Jahr werden über 120 Einzelmaßnahmen in Syrien mit einer Gesamtsumme von sieben Millionen Euro gefördert. Es sind Tropfen auf den heißen Stein in dem seit bald acht Jahren kriegsgeplagten und kriegszerstörten Land. Millionen Euro Spendengelder lindern die Not, notwendig sind Milliarden für den Wiederaufbau. Syrien braucht einen Marshall-Plan.

Aleppo, wo „Kirche in Not“ vornehmlich engagiert ist, gehört zu den vom bald acht Jahre dauernden Krieg am meisten betroffenen Städten des Landes. In den von islamistischen Kampfgruppen besetzten östlichen Bezirken tobten monatelang schwere Kämpfe. Ende 2016 befreite die syrische Armee mit Unterstützung der russischen Luftwaffe die okkupierten Stadtteile, die Waffen schweigen. Rund ein Drittel der Gebäude in der Stadt sind zerstört. Auch zahlreiche Kirchen sind von Treffern gezeichnet. Die Al-Qaida-nahen Kampfgruppen wollten mit ihnen die Symbole für die jahrhundertelange christliche Tradition in der Stadt auslöschen.

Das katholische Hilfswerk unterstützt unter anderem die Wiederherstellung von drei Kathedralen: der armenisch-katholischen, der maronitischen und der syrisch-katholischen. Das nicht aus missionarischem Eifer, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe. „Die Kirchen sind so etwas wie Leuchttürme im Meer. Sie vermitteln Sicherheit und Hoffnung. Das gesamte soziale Leben spielt sich in den Kirchengemeinden ab“, erklärt Projekt-Referent Andrzej Halemba. Von den wiederaufgebauten Kirchen gehe eine „wichtige Signalwirkung“ aus: „Die vertriebenen Christen können den ersten Schritt Richtung Rückkehr wagen.“

Dazu passend ist in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 29. November ein Interview mit Michael Theuerl erschienen, das mit „In Damaskus erregt ein Kreuz keinen Anstoß“ überschrieben ist. Der Teltower Pfarrer berichtet von seinen bei einer Syrien-Reise gewonnenen Eindrücken, die so gar nicht zum medialen Mainstream der Konfliktbeschreibung passen. „Syrische Christen wünschen sich mehr Solidarität westlicher Staaten und Kirchenführer. Es genügt ihnen nicht, dass der Westen fordert: Assad muss weg! Sie glauben, Deutschland werbe durch seine Willkommenspolitik wichtige Bürger des Landes ab und beschleunige so auch das Sterben der orientalischen Kirchen. Außerdem fürchten sie, dass es nach einem Sturz Assads für sie gefährlicher werden könnte.“ Dieses „Dilemma“ sei in Deutschland kaum Thema, beklagt Pfarrer Theuerl, der in Damaskus, Homs und Aleppo war, aber auch Maalula und Saidnaja besucht hat. In der Omaijaden-Moschee sei er als katholischer Priester von den Muslimen herzlich willkommen geheißen worden. Der von Papst Franziskus berufene Nuntius Mario Zenari habe ihm berichtet, das Verhältnis zu den Muslimen sei völlig unkompliziert. Nirgendwo in Damaskus errege es Anstoß, wenn er als Kardinal mit roter Kopfbedeckung und Brustkreuz Moscheen besuche.

Christen und Muslime seien in Syrien über Jahrhunderte gut miteinander ausgekommen, erinnert Theuerl in der Zeit. „Erst im Zuge des aufkommenden Terrors formierten sich in Syrien auch radikale Gruppen, die Andersgläubige bedrohen.“ Die Christen in Syrien „kritisieren die einseitige Schuldzuschreibung durch den Westen und beklagen, dass sie westliche Bischöfe vergeblich einladen: Kommt doch, sprecht mit Christen und Muslimen! Ihr müsst ja nicht mit Assad sprechen! Aber nein, sie kommen nicht.“

Kardinal Zenari, der früher in Bonn als Vatikandiplomat arbeitete, glaube, ein friedliches Zusammenleben von Christen und Muslimen sei weiterhin möglich. „Christen in Syrien haben eine überdurchschnittlich große Präsenz in Schulen, Krankenhäusern, Altersheimen. Das wird von der muslimischen Bevölkerung geschätzt. Der Nuntius bittet den Westen seit Jahren, syrische Fachkräfte nicht zur Flucht zu ermuntern.“ – Ähnlich argumentiert Omar Abawi von Caritas Jordanien. Die meisten syrischen Christen, die vor dem Krieg in Jordanien gestrandet seien, hätten inzwischen in westliche Länder weiterreisen können. Das sei bei allem Verständnis zugleich ein schwerwiegender Aderlass für Syrien. Denn der Beitrag der religiösen Minderheiten wie der Christen sei essenziell, um das Land wieder aufzubauen. Syrien brauche gut ausgebildete und moderate Bürger, „und keine muslimischen Extremisten“.

Pfarrer Theuerl schildert im Zeit-Gespräch mit Martin Lohmann, der in den Neunzigern zur Chefredaktion des „Rheinischen Merkur“ gehörte, seine Erlebnisse in Aleppo. In den völlig zerbombten östlichen Vororten sehe man überall kyrillische Schrift. Grund: „Die russischen Soldaten mussten nach dem Rückzug der Rebellen die Häuser nach Minen durchsuchen. War ein Haus sauber, schrieben sie auf die Wand ‚min njet‘. Wir besuchten den ausgebombten melkitischen Bischof in seiner provisorischen Residenz. Er beklagte, dass nur noch etwa 200 Familien seiner Gemeinde übrig seien, die anderen 200 seien tot oder geflohen.“

Auf Lohmanns Nachfrage, ob denn die Kirche in Syrien die Militäreinsätze Russlands kritisiere, hat Pfarrer Theuerl eine knappe wie existentielle Antwort: „Nein. Die Bischöfe sagen: Hätten Russen und Iraner nicht interveniert, wir wären längst Kalifat.“ Christen wie Muslime erhofften, „dass der Kampf um Geld, Öl und Macht in Syrien aufhört“. Man argwöhne, „der christliche Westen stehe aufseiten der Christenverfolger, aber wolle auch den Muslimen übel“. Viele Syrer machten die USA für die Destabilisierung verantwortlich. „Man erinnert sich gut an die amerikanische Lüge von den Massenvernichtungswaffen im Irak.“

Das Land befinde sich weiter im Kriegszustand, mit rund 500.000 Toten, zwölf Millionen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, einer zunehmenden Verelendung der Bevölkerung, die auch unter den EU-Wirtschaftssanktionen leide. „Es fehlt dramatisch an medizinischen Geräten und Medikamenten“, mahnt Theuerl. Für die Nähe der Christen zum syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad habe er Verständnis, „insofern er ihnen Sicherheit garantiert“. Sein Appell am Ende: „Ich wünsche mir, dass mehr Politiker und Bischöfe das Land besuchen, mit den Leuten dort reden und sich ihr eigenes Bild machen.“

Es wäre ein bescheidener Vorsatz für das kommende Jahr, wenn wenigstens die Religionsbeauftragten der im Bundestag vertretenen Fraktionen den Ruf des Pfarrers aus Berlin-Teltow hörten und sich zu einer gemeinsamen Fact-Finding-Mission nach Syrien begeben. Und wenn bei der nächsten großen Talk-Sendung zum Syrien-Krieg Pfarrer Michael Theuerl in der Runde säße anstelle eines Außenpolitikers der waffenexportierenden Kriegsparteien.

Titelbild: anasalhajj/shutterstock

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