Tatort Polizeiruf 110 – die Selbstzensur der ARD ist ein Sieg des Opportunismus
Nur wenige Sekunden war er im Bild und doch löste er einen medienpolitischen Orkan aus. Dass die AfD und die Junge Union den klitzekleinen FCKAFD-Aufkleber in einer Szene des vorigen Polizeirufs politisch nicht korrekt finden und sich mal wieder weinerlich als Opfer des „linksversifften Zwangsgebührensystems“ inszenieren, war vorherzusehen. Dass die große ARD, die die Freiheit der Kunst gerne in Sonntagsreden hochhält, schon nach einer informellen Beschwerde von AfD und Junger Union eben jene Freiheit der Kunst auf dem Scheiterhaufen des Opportunismus opfert und den klitzekleinen Aufkleber digital aus dem Krimi schneiden ließ, ist jedoch ein echter Tiefpunkt der jüngeren medienpolitischen Geschichte. Wenn die Öffentlich-Rechtlichen sich in vorauseilendem Gehorsam vom rechten Rand vorschreiben lassen, was gesendet werden darf und was nicht, zeigt dies nicht nur, wie wenig Rückgrat die Medienfunktionäre haben, sondern auch, wie wenig sie aus der Geschichte gelernt haben. Von Jens Berger.
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Katrin König ist eine Kunstfigur. Im Rostocker Polizeiruf ist König eine Analytikerin bei der dortigen Mordkommission. König, gespielt von Anneke Kim Sarnau, wird von den Machern der Serie als nonkonformistische Kämpferin für die Gerechtigkeit gezeichnet, die auch mal gegen patriarchalische Strukturen aufbegehrt, politisch klar links eingestellt ist und gegen den grassierenden Rechtsextremismus kämpft. Auf ihrem Laptop prangt daher auch ein FCKNZS-Aufkleber und ihr Büro ist mit Devotionalien gepflastert, die in linken Kreisen dazugehören – angefangen bei der Regenbogenflagge, über ein Poster der linken Rostocker Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ bis eben zum „szenetypischen“ FCKAFD-Aufkleber – der übrigens stilistisch eine Anspielung auf den in rechtsextremen Kreisen so beliebten HKNKRZ-Aufkleber, der anscheinend auch an Wahlständen der AfD gern gesehen ist. Die Aufkleber und kleinen Details aus dem Umfeld der Rostocker Kommissarin werden dabei von den Machern liebevoll ins Sujet des Polizeirufs eingebaut. Dass eine fiktive politisch links stehende Kommissarin, die Punkmusik schätzt und gegen Rechtsextremismus kämpft, auch einen FCKAFD-Aufkleber an ihrer Pinnwand hat, ist nun einmal vor allem eines – authentisch.
Und genau wegen seiner hohen Authentizität wird der Rostocker Polizeiruf auch von den Kritikern so gelobt …
König und Bukow alias Sarnau und Hübner gehören zu den Reihen-Ermittlern, denen man besonders gern zuschaut, weil man sie „normal“ findet, nicht so abgehoben, noch nicht so ritualisiert oder abgenutzt durch den jahrelangen Dauereinsatz und weil sich ihnen, ihren Geschichten, ihrem Milieu das Schlüsselwort „Authentizität“ zuschreiben lässt. […] Das Biographische dieses Duos im achten Film nicht wie gewohnt parallel zu erzählen, sondern mit der Geschichte des Krimifalls kurzzuschließen, erweist sich bei dieser (psycho)physischen Konstellation als besonders aufregende Variante.
Rainer Tittelbach auf tittelbach.tv
Zumindest in rechten Kreisen ist diese Form von Authentizität nicht so beliebt. Die Junge Union München Nord witterte gar eine „Schleichwerbung für die Antifa“, der AfD-Politiker Thomas Röckemann befand via Twitter unter dem Hashtag #Linksstaat, dass „nicht einmal Honeckers Schergen so schäbig [gewesen seien]“ und AfD-Enfant-terrible Jens Maier rülpste via Twitter gar etwas von „Demokratieerziehung“ und „politischer Indoktrination“. Re-Education via Polizeiruf? Dümmer geht´s nimmer.
Die ARD sieht dies jedoch offenbar anders. Bevor der braune Shitstorm Form annehmen konnte, griffen die ARD-Oberen proaktiv zur Schere und gaben Order, den kleinen FCKAFD-Aufkleber aus dem Filmmaterial, das noch in der Mediathek abrufbar ist, digital herauszufiltern. In der Mediathek heißt es nun:
Der NDR-Film “Für Janina” aus der Reihe “Polizeiruf 110”, der am 11. November 2018 um 20:15 Uhr im Ersten gesendet wurde, ist für eine weitere Ausstrahlung einer digitalen Bildbearbeitung unterzogen worden. In einigen sehr kurzen Sequenzen war unbeabsichtigt im Hintergrund ein kleiner Anti-AfD-Aufkleber zu sehen. Die bearbeitete Fassung ist nun hier online und in der Mediathek abrufbar.
Das ist freilich nicht nur feige, sondern auch noch verlogen. Natürlich war der Aufkleber nicht „unbeabsichtigt“ eingeblendet, gehörte er doch zum authentischen Szenenbild, wie auch der Regisseur des Polizeirufs bestätigt:
„Ihre Büroeinrichtung mit Pinnwand und Notebook gibt es von Anfang an. Die Gesinnung von Frau König ist seit der ersten Folge an ihren Charakter gebunden. Wie bei jedem anderen Menschen auch bildet ihr Arbeitsumfeld ihre Haltung ab.”
Wenn man den vorauseilenden Gehorsam der ARD-Oberen also konsequent zu Ende denkt, müssten ARD-Produktionen künftig ohne Charaktere auskommen, die aus dramaturgischen Gründen ein linkes Weltbild haben. Die filmische Darstellung ihres authentischen Umfelds könnte schließlich die Gefühle reaktionärer Schreihälse verletzen. Das wäre Opportunismus in Reinkultur und ein massiver Eingriff in die Kunstfreiheit.
Was schwebt der Jungen Union und der AfD eigentlich alternativ vor? Vielleicht könnte die ARD ja einen Sachsen-Polizeiruf ins Programm nehmen, bei dem die Ermittler ein geschlossen rechtes Weltbild haben, zur Musik von Andreas Gabalier schunkeln und ihre Pinnwand mit HKNKRZ-Aufklebern schmücken … das wäre dann aber vielleicht schon wieder nicht fiktiv genug. Oder schwebt dem rechten Rand womöglich doch eher eine apolitische Unterhaltung vor – nette Herz-Schmerz-Geschichten aus dem täglichen Leben, in denen weder gesellschaftliche noch politische Themen vorkommen? Das hat zu Goebbels Zeiten ja auch funktioniert. Dann könnte die ARD ja auch ganz einfach die alten Polizeiruf-Folgen wiederholen, die für das DDR-Fernsehen produziert wurden. Denn „Honeckers Schergen“ waren ja, wie wir nun wissen, nicht so schäbig, als dass sie Krimis für „gebührenfinanzierte linksgrün-versiffte Re-Education“ missbraucht hätten.
Die Zensur der eigenen Produktionen auf Wunsch der AfD setzt einen Trend fort, der bereits mit dem verstörenden Auftritt der beiden Chefredakteure von ARD und ZDF bei der AfD begann. Anstatt sich unabhängiger vom Einfluss der „alten Parteien“ zu machen, scheinen sich die Oberen von ARD und ZDF nun lieb Kind bei der „neuen Partei“ machen zu wollen. Aus Karrieregesichtspunkten ist dies sicher eine richtige Entscheidung. Wer mit der Zeit geht und sein Fähnchen immer in den Wind hält, hat es bekanntlich einfach. Wenn die Schere im Kopf, der vorauseilende Gehorsam und die Angst vor dem nächsten braunen Shitstorm aber das Denken der Programmverantwortlichen bei ARD und ZDF proaktiv prägen, sitzt die AfD streng genommen bereits heute an den Schaltstellen der Öffentlich-Rechtlichen. Wir dürften gespannt sein, ob die AfD nicht vielleicht schon bald ihre Meinung zu den „Zwangsgebühren“ ändert. Gegen einen „ordentlichen Braunfunk“ hätte sie doch sicher nichts einzuwenden. Oder?
Schlusspointe: Dabei ist ohnehin fraglich, worüber die AfD sich hier eigentlich konkret aufregt. Der FCKAFD-Aufkleber dürfte den Rechten nämlich vor allem aus einer ganz anderen, dem „Linksgrün-Versifftsein“ gänzlich unverdächtigen Quelle bekannt sein – dem offiziellen Wahlwerbespot der AfD zur Bundestagswahl. Dort lächelt Alice Weidel nämlich vor eben jenem bösen kleinen Aufkleber ins Bild, den die Nachfahren von Honeckers Schergen als Re-Education-Maßnahme im Rostocker Polizeiruf an die Pinnwand klebten. Sachen gibt es.