„Journalisten wollen nicht am Leistungsmythos rütteln“
Wer in Deutschland Journalist werde möchte, sollte besser nicht aus armen Verhältnissen kommen. Der Weg in den Journalismus gehört mit zu den elitärsten Berufswegen, die es in Deutschland gibt. Abitur, ein möglichst abgeschlossenes Studium, Auslandsaufenthalte in jungen Jahren und Praktika bei den großen Medienhäusern in Berlin, München oder Hamburg sind oft die Voraussetzungen, um die begehrte Ausbildung zum Redakteur absolvieren zu können. Für all das ist Geld notwendig. Christian Baron, Redakteur beim Freitag, ist diesen Weg gegangen – obwohl er aus einer armen Familie kommt. Im NachDenkSeiten-Interview erzählt Baron, wie hoch die Hürden für ihn waren und zeigt auf, was die soziale Schließung der Medien für die Demokratie bedeutet. Von Marcus Klöckner.
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Herr Baron, dass es viele freie Journalisten gibt, die in sehr bescheidenen Verhältnissen leben, ist kein Geheimnis. Aber wie sieht es mit denjenigen aus, die aus armen Verhältnissen kommen und den Beruf des Journalisten ergreifen wollen?
Egal, wie sehr man sich anstrengt, wie viel Neugier oder Schreibtalent jemand mitbringt: Aus eigener Kraft schafft es aus einkommensschwachen und sogenannten bildungsfernen Verhältnissen niemand als Festangestellter in eine Medienredaktion. Mehr als zwei Drittel aller Journalisten haben oder hatten Eltern, die als Beamte oder Angestellte mit Hochschulabschluss im gehobenen bis sehr gehobenen Dienst tätig sind oder waren. Es gibt kaum einen Beruf, dessen Zugang einem Menschen mit nicht-akademischer Herkunft so versperrt ist wie der des Journalisten.
Woran liegt das?
Vor allem liegt es daran, dass wir in einer Klassengesellschaft leben. Wer Journalist werden will, der muss ein abgeschlossenes Universitätsstudium vorweisen. Und das deutsche Bildungssystem zählt im europaweiten Vergleich zu den sozial ungerechtesten, sodass nur wenige Kinder aus Arbeiterhaushalten überhaupt Abitur machen können. Wer es doch schafft, hat es dann mit neuen Schranken zu tun. Es gibt da zum Beispiel eine Studie von dem Politologen Peter Ziegler, der sich die Journalistenschüler angesehen hat: Bei den Berufen der Eltern dominiert der Beamte. Der Beruf des Arbeiters kam unter den Befragten kein einziges Mal vor. Der Soziologe Michael Hartmann, der viel zur Elite geforscht hat, bestätigt das. Er sagt, beim Zugang zum Beruf des Journalisten kommt es auf soziale Ähnlichkeit mit den potenziellen Vorgesetzten an, also auf den Stallgeruch.
Bitte beschreiben Sie unseren Lesern: Wie wird man Journalist? Und: Wo und wie entstehen Kosten, die es für jemanden, der aus armen Verhältnissen kommt, schwierig macht, Journalist zu werden?
Wenn Chefredaktionen neue Auszubildende suchen, dann achten sie peinlich genau darauf, ob der Bewerber oder die Bewerberin schon in der Jugend bei der Schülerzeitung oder der Lokalzeitung mitgearbeitet hat. Wer Journalist werden will, muss den Wunsch also schon früh gehabt haben. Wer in einem Elternhaus ohne Bücherwände und Zeitungsabos aufwächst, spürt diesen Wunsch meist später als Menschen, die von klein auf spielerisch mit kulturellem Kapital beschenkt werden. Weil ein abgeschlossenes Studium verlangt wird und in Deutschland überwiegend Akademikerkinder studieren, begrenzen die Medienhäuser den Kreis der Anwärter schon von vornherein erheblich. Während des Studiums muss man außerdem nebenbei schon eigene Beiträge in Medien unterbringen. Wer sich das Studium mit Aushilfsjobs finanzieren muss, weil ihn die Eltern nicht unterstützen können, wird das kaum über seine Tätigkeit als freier Mitarbeiter bei einer Zeitung tun können. Dort werden oft mickrige Honorare gezahlt, der Zeiteinsatz, der von einem erwartet wird, ist hoch. Das heißt: Wer hier nicht von Hause aus über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, hat schlechte Karten.
Welche Hürden finanzieller Art gibt es noch?
Auch teure Auslandsaufenthalte sind den Auswahljurys wichtig. Noch wichtiger ist im Bewerbungsprozess die Anzahl der Redaktionspraktika. Die sind fast immer unbezahlt, sodass auch da wieder die auf Nebenjobs angewiesenen Studenten deutlich im Nachteil sind.
Ein junger Mensch aus einer armen Familie wird es sich auch kaum leisten können, durch Deutschland zu reisen, um einige Wochen oder Monate in Hamburg, Berlin oder München Praktika zu absolvieren.
Richtig, das sind die versteckten Kosten, die viele nicht auf dem Schirm haben, denen diese Praktika selbstverständlich erscheinen. Nicht jeder kann in solchen Fällen zur finanziellen Unterstützung auf Eltern, Verwandte, Partner oder Freunde zurückgreifen. Nicht zu vergessen sind aber auch die Ausbildungskosten, denn das BAföG muss nach dem Abschluss zur Hälfte zurückgezahlt werden. Außerdem gibt es BAföG nur bis zum Ende der Regelstudienzeit. Wer nebenher arbeitet, schafft es nicht so schnell wie andere – und muss einen Kredit aufnehmen. Da können dann insgesamt mehrere zehntausend Euro zusammenkommen. Wer nun weiß, dass der Journalismus ein elitäres, aber in weiten Teilen mittlerweile auch skandalös prekäres Arbeitsfeld mit immer weniger fest angestellten Redakteuren ist, der wird sich genau überlegen, ob er all diese Anstrengungen auf sich nimmt.
Sie wissen aus eigener Erfahrung, was es heißt, wenn jemand, der arm ist, Journalist werden möchte, oder?
Mein Vater war ungelernter Hilfsarbeiter und schwerer Alkoholiker, meine Mutter hatte ebenfalls keinen Beruf gelernt. Wir waren ständig unterhalb des Existenzminimums. Mit viel Glück schaffte ich es als Erster und bislang Einziger in meiner Familie bis zum Abitur. Meine ersten Artikel habe ich mit 17 Jahren für die Lokalzeitung „Rheinpfalz“ geschrieben. Der Sportredakteur Peter Lenk hatte irgendwie erfahren, dass ich in Fanzeitungen manchmal Fußballtexte über den 1. FC Kaiserslautern schrieb. Er ließ mich durch die Dörfer tingeln und über Fußball, Basketball und Handball berichten. Das war für mich eine Offenbarung. Seitdem wollte ich nichts mehr anderes werden als Journalist.
Gibt es Erlebnisse, die auf Ihrem Weg zu dem Beruf im Zusammenhang mit Ihrer Herkunft und den fehlenden finanziellen Mitteln besonders prägnant waren?
Während des Studiums in Trier hatte ich den Berufswunsch eigentlich schon wieder aufgegeben, weil ich merkte, dass ich mit den Kommilitonen mit dem gleichen Berufsziel nicht mithalten konnte, wenn es um Dinge ging wie Praktika, Redaktionskontakte, Medienkompetenz oder einfach einem selbstbewussten Auftreten. Dann lernte ich die Journalisten Marcus Stölb, Christian Jöricke und Jörg Halstein kennen, die mein Weblog lasen und mich hartnäckig davon überzeugten, dass mein Geschreibsel kein totaler Quatsch war. Also schloss ich mich ihrem alternativen Medienprojekt an und entdeckte mein Faible fürs Feuilleton. Nach dem Studienabschluss scheiterte ich dann aber mit allen Versuchen, ein Volontariat zu bekommen, weil mein Lebenslauf zu wenige, und dann auch noch die „falschen“ Praktika aufwies. Also ging ich in die Wissenschaft. Nach drei Jahren war die Sehnsucht nach dem Journalismus immer noch da. Ich versuchte es ein letztes Mal, obwohl ich schon Ende zwanzig war. Aber diesmal war ich vorbereitet. Ich kannte alle Studien zum Thema und imitierte in den Vorstellungsgesprächen diese für Journalisten so wichtige Haltung, die Selbstsicherheit, Schlagfertigkeit und eine gewisse Arroganz ausstrahlt. Und siehe da: Trotz all meiner Defizite wollten mich gleich fünf Redaktionen einstellen. Ich kann noch heute kaum glauben, wie zentral dieser Aspekt beim Zugang zu diesem Beruf ist.
Sie haben angesprochen, dass sich der journalistische Nachwuchs weitestgehend aus der Mittelklasse rekrutiert. Was bedeutet es, wenn eine soziale Schicht allenfalls unter schwierigen Bedingungen Zugang zum journalistischen Beruf bekommt?
Für eine Demokratie mit dem Anspruch, der Presse die Rolle als „Vierte Gewalt im Staat“ zuzuschreiben, ist das fatal. Da kann ich noch einmal auf Michael Hartmann verweisen. In seinem aktuellen Buch „Die Abgehobenen“ beschreibt er, wie die Eliten die soziale Ungleichheit in Deutschland bewerten. Auf die Frage, ob die Lebenschancen im Wesentlichen vom Elternhaus abhängen, antworten Wirtschafts-, Politik-, Verwaltungs- und Medienelite genauso oft mit „Ja“ wie mit „Nein“. Gleichzeitig ist aber eine klare Mehrheit auch aus Spitzenpositionen im Journalismus der Meinung, dass persönliche Fähigkeiten bestimmen, was man im Leben erreicht. Sie wollen also nicht am Leistungsmythos rütteln. Das ist die neoliberale Variante der Geschichte vom berühmten Baron Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will. Wenn ein Chef so denkt, dann tut er sich natürlich schwer, Menschen einzustellen, die erlebt haben, wie falsch das ist. Darum sprechen die meisten Medien nie grundlegend über die soziale Frage.
Welche Folgen hat ein sozial geschlossenes journalistisches Feld noch?
Da müssen wir über die Eigentumsverhältnisse sprechen. Zum Beispiel im Print: Fünf Verlage kontrollieren die Hälfte des Zeitungsmarktes. 70 Prozent der Bevölkerung können nur auf eine einzige Regionalzeitung zurückgreifen. Da besteht keine Meinungsvielfalt. Alle privaten Leitmedien befinden sich im Eigentum von Mehrfachmilliardären oder Großkonzernen. Und die werden nur ausnahmsweise einen Mitarbeiter dulden, der dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in seiner täglichen Arbeit fundamental in Frage stellt. Das erklärt auch, dass etwa „Die Zeit“ jede Woche ein Pro und Contra zu völlig abseitigen Themen bringt und damit Kontroversen simuliert, anstatt auch einmal zu fragen, ob Schlüsselindustrien verstaatlicht gehören oder eine Vermögens- und Erbschaftssteuer einzuführen wäre, die diese Namen verdienen.
Wie könnte denn eine soziale Öffnung des journalistischen Feldes ablaufen? Was müsste getan werden?
Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich die Chefredaktionen von dem Fetisch des Universitätsdiploms lösen würden. Wer eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und eine Neigung zu Sprache, Politik, Wirtschaft und Kultur hat, der kann ein ebenso guter Journalist sein wie ein Soziologie-Absolvent. Ein anderes Mittel könnte eine Arbeiterquote in Redaktionen oder sogar in Führungspositionen sein. Ich sehe Quoten durchaus kritisch, weil meines Erachtens die Qualität der Arbeit immer Vorrang haben muss vor Merkmalen wie Geschlecht oder Herkunft. Aber im Falle benachteiligter Gruppen wie Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte hat sich etwas getan in den Redaktionen. Kämen mehr Chefredakteurinnen oder Chefredakteure von ganz unten, dann ergäbe sich automatisch eine andere thematische Schwerpunktsetzung in den Zeitungen und Sendungen, was den Blättern und Sendern wiederum neue Leserschichten erschließen könnte.
Selbst wenn hier und da der Wille vorhanden wäre, den Weg in den Journalismus breiter zu machen: Die sozial dominierenden Gruppen innerhalb der Medien dürften kaum ein Interesse daran haben, neben Kollegen zu arbeiten, die bei zentralen politischen und gesellschaftlichen Themen eine andere Weltsicht haben. Zugespitzt: Man hört lieber jemanden sagen, dass es „uns“ doch „gut“ geht, als dass jemand auf die für die Armen katastrophale Politik der letzten 20 Jahre verweist. Oder?
Ich habe das Glück, bei einer linken Zeitung zu arbeiten. Da fallen solch realitätsferne Sprüche nie. Aber auch ich nehme natürlich die Mainstreammedien wahr und da haben Sie schon recht: Dort regieren Chauvinismus und Herablassung gegenüber dem Thema der sozialen Gerechtigkeit. In letzter Zeit kommt etwas anderes hinzu: Wer benennt, dass viele Medien nicht über drängende Probleme berichten, den stellen die Alpha-Journalisten schnell in die Ecke des Fake-News-Produzenten. Dabei geht es nicht darum, irgendwem Zensur zu unterstellen. Das haben Edward Herman und Noam Chomsky schon vor Jahrzehnten in ihrem Propagandamodell herausgestellt: Die Journalisten bei den Massenmedien hätten ihre Jobs nicht, wenn sie nicht vorher schon unter Beweis gestellt hätten, dass niemand ihnen sagen muss, was und worüber sie schreiben sollen.
Die Wochenzeitung „der Freitag“, bei der Sie als Redakteur arbeiten, hat gerade eine Aktion gestartet, die unter dem Hashtag #unten läuft. Worum geht es?
Wir haben einen Aufruf gestartet, der Menschen ermutigen sollte, bei Twitter und anderswo ihre persönlichen Erfahrungen mit Armut, prekärer Arbeit und sozialer Ausgrenzung öffentlich mitzuteilen. Wir wollen das wieder ins Bewusstsein holen, was Politik, Wirtschaft und Medien den Menschen in Jahrzehnten ausgetrieben haben: Deutschland ist eine Klassengesellschaft. Wir sind ja nur eine kleine Zeitung und hätten darum mit der riesigen Resonanz niemals gerechnet. Jetzt ist aber etwas angestoßen, was Medien und Politik weiter vorantreiben müssen. Reden wir über den Kapitalismus, über Krieg und Frieden, über soziale Gerechtigkeit. Es ist an der Zeit, dass diese Themen in der Debattenhierarchie endlich ganz nach oben rücken.
Lesetipp: Baron, Christian: Proleten, Pöbel, Parasiten: Warum die Linken die Arbeiter verachten. Das Neue Berlin. Oktober 2016.