Über 600.000 arbeitslose Jugendliche – Clement: „Jeder soll ein Beschäftigungsangebot bekommen“ – Da bleibt noch viel zu tun
Im letzten Sommer hat Wolfgang Clement bei Sabine Christiansen für Hartz IV geworben und wieder einmal eines seiner vollmundigen Versprechen abgegeben: „Jeder dieser (arbeitslosen) Jugendlichen wird ab 1. Januar einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz oder eine Qualifizierung oder sonstiges angeboten bekommen.“
Von Januar 2004 bis Januar 2005 ist die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen im Alter von unter 25 Jahren um 26,5% von einer halben Million auf 635.000 gestiegen. Nicht nur Clement hat mal wieder den Mund zu voll genommen.
Wir von den NachDenkSeiten konnten nie an die Verheißungen der Agenda 2010 und speziell von Hartz IV glauben. Nicht etwa weil es keiner Reformen bei der früheren Bundesanstalt für Arbeit bedurft hätte, sondern einfach deshalb, weil Arbeitsmarktpolitik ohne Konjunktur- und Wirtschaftspolitik keine neuen Jobs schaffen kann. Hartz IV – um es in ein Bild zu bringen – hieß für uns, sich rückwärts aufs Pferd zu setzen, es vom Schwanz her aufzuzäumen, ihm heftig die Sporen zu geben und sich dann zu wundern, dass sich der Gaul in die falsche Richtung bewegt.
Es war von Anfang an eine weitgehend sinnlose Kraftvergeudung, dass die Bundesregierung und mit ihr nahezu die gesamte „politische Klasse“ über mehr als zwei Jahre bei diesem Kurieren an Symptomen ihre gesamte politische Energie verschwendete, statt mit ganzer Kraft eine aktive Wirtschafts- und Finanzpolitik zu entwickeln, die die Konjunktur hätte in Gang bringen können, um damit auch wieder mehr Wachstum und Beschäftigung zu erreichen. Es war und ist ein politisches Armutszeugnis, wenn die Konjunkturentwicklung heutzutage nur noch als ein Naturereignis betrachtet wird, auf das man – wie auf den Regen in der Wüste – halt nur hoffen oder das Glaubensbekenntnis der angebotsorientierten ökonomischen Lehre herunterbeten kann – das ja besagt, dass der Regen irgendwann irgendwann einmal kommen wird.
Hoffen und beten haben nichts genützt, die der warme Regen der Konjunktur ist noch nicht über uns gekommen und deshalb musste Wirtschaftsminister Clement in der Bundestagsdebatte vom 17.2.05, wie schon seit Beginn seiner Amtszeit als „Superminister“ erneut kleinlaut einräumen, dass nach der Rekordzahl vom Januar auch im Februar erneut mit einer deutlichen Zunahme der Arbeitslosigkeit zu rechnen ist – statistische Effekte hin oder her.
Wenn man mit meiner Einschätzung über die Wirkungslosigkeit der Arbeitsmarktreformen am 22. August 2004 sich mal wieder Sabine Christiansen zumutete, dann konnte man eigentlich nur die Luft anhalten, was unser Wirtschafts- und Arbeitsminister an diesem Sonntagabend versprach:
„Wir haben heute in Ostdeutschland 180.000 arbeitslose Jugendliche, wir haben in Deutschland insgesamt 500.000. Jeder dieser Jugendlichen wird ab 1. Januar einen Arbeitsplatz oder einen Ausbildungsplatz oder eine Qualifizierung oder sonstiges angeboten bekommen.“ (Quelle: Sabine Christiansen)
Der 1. Januar ist längst vorbei. Im Februar 2005 haben wir neue Zahlen über die Jugendarbeitslosigkeit: In Ostdeutschland ist die Zahl der Arbeitslosen im Alter von unter 25 seit einem Jahr von 170.469 auf 219.858, d.h. um 29% gestiegen und im Westen von 329.905 auf 415.159 also um 25,8% gewachsen, insgesamt ist in der Bundesrepublik eine Steigerung um 26,9% auf die schreckliche Zahl von 635.017 arbeitslosen jungen Leuten zu verzeichnen. Am schlimmsten war der Anstieg in Bremen, wo sich die Zahl der betroffenen Jugendlichen fast verdoppelt hat, aber selbst im Land, das noch am besten dasteht, nämlich Baden-Württemberg, gab es einen Anstieg um über 15%.
Dabei war der Anstieg bei den arbeitslosen jungen Frauen mit 40,6% noch viel dramatischer als bei den jungen Männern mit 19,2%.
Quelle:
Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ)
Knochenhauerstraße 20-25
28195 Bremen
Tel. 0421/302380
Fax 0421/302382
E-Mail: [email protected]
Angesichts der Größenordnungen dieses Problems der Jugendarbeitslosigkeit kann man sich über Lobhudelei der Wirtschaft, dass sich die Zahl der Lehrstellen „dank“ des Ausbildungspaktes um etwas über 15.000 erhöht hat, nur wundern.
Im übrigen waren auch da über 50.000 neue Ausbildungsplätze – also mehr als dreimal so viel wie tatsächliche angeboten werden – zugesagt. (FR vom 5.2.05)
Wolfgang Clement nun Wortbruch vorzuwerfen oder – wie es Angela Merkel am 17.2.05 im Bundestag tat – nachträglich die Untauglichkeit seiner Lösungsvorschläge anzuprangern, wäre viel zu kurz gegriffen. Welches Versprechen, das von wem auch immer über die Segnungen der Agenda-Politik je gemacht worden, ist denn gehalten worden? Clement hatte doch sein Konzept nicht etwa selbst entwickelt, er hat doch nur die „Reform“-Vorschläge – und das mit Brachialgewalt – umgesetzt, die alle Fraktionen im Bundestag, die sämtliche sog. Wirtschaftsexperten und die überwiegende Zahl der Medien ihm nahegelegt haben und ihm heute noch abverlangen.
Und der sog. „10-Punkte-Pakt“ mit dem die CDU nun neuen „Wind macht“, wäre doch auch nur die Fortsetzung einer „untauglichen“ Politik mit einer höheren Dosierung der kontraproduktiven Rezepte mit noch viel verheerenderen Auswirkungen für die Betroffenen.
Die Frage müsste vielmehr lauten, wie oft muss die Wirklichkeit noch die Versprechungen widerlegen, bis die Politik, die Experten, die Medien merken, dass der eingeschlagene politische Kurs in die Irre führt?
“Wer die Krankheit der Arbeitslosigkeit heilen will, darf sich vor einer ehrlichen Diagnose nicht drücken“ sagte Gerhard Schröder als er den Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über 5 Millionen Menschen zu kommentieren hatte. Zu einer ehrlichen Diagnose gehörte allerdings mindestens auch die Einsicht, dass die bisherigen Rezepte keine Heilung gebracht haben und dass es angesichts der Verschlimmerung der „Krankheit“ höchste Zeit wäre, dieses Scheitern mit in eine „ehrliche Diagnose“ einzubeziehen.