Elite-Universität – eine weiterer sozialdemokratischer Tabubruch

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Die Forderung des SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz nach einer Spitzenuniversität nach amerikanischem Vorbild besagt nicht mehr und nicht weniger als die generelle Herabstufung der deutschen Hochschulen in die Zweit- oder Drittklassigkeit. “Elite”- Universität und die Prinzipien der Chancengerechtigkeit und gleichwertiger Qualifikation sind nur schwer miteinander vereinbar. Ein weiterer Bruch mit sozialdemokratischen Grundwerten zeichnet sich ab – diesmal auf dem Feld der Bildung. Von Wolfgang Lieb.

Nach der “Normalisierung” von Militäreinsätzen der Bundeswehr, nach dem Aufbrechen der paritätischen Finanzierung der Sozialsysteme, nach der Öffnung der Umlagefinanzierung der Renten hin zum Kapitaldeckungsprinzip soll nun offenbar ein weiterer sozialdemokratischer Grundwert “modernisiert” werden: das Prinzip der Chancengerechtigkeit in der Bildung.

Die Sozialdemokratie hat sich ehedem im Gegensatz zum Konservativismus mit dem Begriff der “Elite” schwer getan. Nicht weil sie etwas gegen die Bestenauslese gehabt hätte – im Gegenteil. Aber für Republikaner hat “Elite” (vom französischen “auserwählt” oder “auserlesen”) historisch etwas mit Privilegien qua Stand und später sogar etwas mit “Herrenmenschentum”, in jedem Falle aber nichts mit Chancengleichheit oder speziell mit demokratischer Durchlässigkeit des Bildungswesens zu tun.

Es geht bei Chancengleichheit und Durchlässigkeit keineswegs nur um die Bewahrung von Tradition und ehernen Werten, sondern es geht darum, das Bildungspotential der Bevölkerung möglichst optimal auszuschöpfen, um damit nicht nur ein Höchstmaß an demokratischer Mitwirkung, sondern auch an volkswirtschaftlicher Wertschöpfung zu erreichen. Und da wird jetzt einfach ohne weitere Begründung behauptet, das amerikanische Hochschulsystem sei besser, das produzierte Wissen würde schneller umgesetzt und deshalb wir müssten uns anpassen. Dabei sollte doch nicht verborgen geblieben sein, dass die amerikanische Spitzenforschung seit Jahrzehnten vom Import ausländischer Spitzenwissenschaftlern lebt. Das seit Jahren größer werdende Leistungsbilanzdefizit der USA spricht auch nicht gerade dafür, dass das Wissenschaft rascher in wirtschaftlichen Erfolg umgesetzt worden wäre.

Dennoch will – unter “Beratung” der Chefs von McKinsey, von Siemens, BMW und VW (und nicht etwa – horribile dictu – der einstmals renommierten SPD-Bildungskommission) – der SPD-Vorstand in Weimar, der Stadt der Klassik und der ersten Republik, einen “Innovations”-Plan auflegen, dessen provokatorische Zuspitzung offenbar der Vorschlag einer Elite-Universität sein soll.

Man fragt sich, was Olaf Scholz und andere in der Parteispitze zu dieser Provokation treibt? Offenbar hört man dort, obwohl die bisherigen Reformvorschläge alles andere als erfolgreich waren, immer noch auf die inzwischen breit bekannt gewordenen Berater. Weder bessere Argumente noch die Meinung der Bevölkerung scheinen diesen selbstzerstörerischen Kurs aufhalten zu können.

Wenn man, wie die Bundesregierung, erst einmal den Weg zur Entstaatlichung durch permanente Steuersenkungen und Einsparungen von öffentlichen Leistungen eingeschlagen hat, dann kann man sich eben auch für die Bildung und für ein öffentlich verantwortetes Hochschulwesen nicht mehr das Geld für notwendige Verbesserungen leisten. Da hilft dann wie in der Sozialpolitik auch bei der Bildung nur noch ein radikaler Kurswechsel. Und eine solche Wende lässt sich mit dem Schlagwort “Elite”-Universität trefflich kommunizieren. Wie das öffentliche Echo jetzt schon zeigt, klappt die Kommunikation besser als mit jedem anderen (durchaus auch vernünftigen) Vorschlag, der in der Innovationsoffensive angesprochen wird.

Was aber soll mit einer solchen Debatte angestoßen werden?
Hinter einer “Elite”-Universität nach amerikanischem Vorbild verbergen sich folgende “Reform”-Vorstellungen:

  • Private oder weitgehend privatisierte Hochschulen. (Etwa zur Umgehung der Länderzuständigkeit für das Hochschulwesen?)
  • Studiengebühren in Höhe bis zu 40.000 Dollar pro Jahr. (Könnte man so das bisherige Studiengebührenverbot im Hochschulrahmengesetz umgehen?)
  • Freie Auswahl der Studierenden durch die Hochschule, sicherlich auch nach Leistung, aber eben auch nach Geld und gesellschaftlichem Rang. (Könnte man damit nicht das Abitur als allgemeine Hochschulzugangsberechtigung und damit als eines der letztverbliebenen Instrumente der gleichen Zugangschancen auf höhere Bildung aushebeln?)
  • Einige wenige Spitzenunis und eine Vielzahl (in USA über 3000) zweit- oder drittklassige tertiäre Ausbildungsstätten mit teilweise nicht einmal Oberstufenniveau. (Könnte man damit die Studentenströme nicht von den Universitäten weg, auf Hochschulen mit niedrigerem Qualifikationsniveau umlenken?)
  • Forschendes Lernen als klassische Universitäts-“Bildung” nur noch für eine Minderheit und Zertifizierung der übrigen Abschlüsse auf status quo bezogene Funktionsertüchtigung. (Könnte man damit das Spezifikum der deutschen Universität, nämlich die Einheit von Forschung und Lehre, nicht ein für alle mal ad acta legen?)
  • Abhängigkeit von privatren Forschungsgeldern. (Könnte man damit nicht die eine unmittelbare ökonomische Verwertung des Wissens hemmende Freiheit der Forschung unter Kontrolle bekommen?)
  • Konzentration der öffentlichen Forschungsmittel auf die Spitzenuniversitäten. (Könnte man damit nicht endlich von der von der Wissenschaft selbst verwaltete Vergabe von Forschungsmittel wegkommen?)
  • Spitzengehälter für (einige, wenige) Professoren. (Könnte man damit nicht die Fesseln des Tarifs- und Besoldungsrecht endlich sprengen?)
  • Freie Rekrutierung der Lehrkräfte auch aus der Wirtschaft ohne wissenschaftliche Qualifikationsnachweise. (Könnte man damit nicht endlich den freien Austausch zwischen den Wirtschafts- und Wissenschaftseliten ermöglichen?)

Das sind nur einige der “Reform”-Strukturen, die sich hinter dem Kürzel “Elite”-Universität verbergen und um den Richtungswechsel hin auf solche Reformen geht es in Wahrheit. Denn Stanford, Columbia, MIT oder Harvard kann es und wird es in Deutschland nicht (mehr) geben, dazu fehlt es schlicht am Geld oder genauer am Stiftungskapital der frühkapitalistischen amerikanischen Gesellschaft.
Woher sollen den die Milliarden an Stiftungsvermögen kommen? Schon eine mittlere Stiftungsuniversität bräuchte für ihren Jahresetat ein Vermögen von etwa drei bis vier Milliarden Euro. Die Wirtschaft wird das Geld nicht aufbringen, wie sich etwa an der chronisch unterfinanzierten privaten Universität Witten-Herdecke zeigt. Und warum sollte die Wirtschaft auch so viel Geld aufbringen, so lange sie so gut ausgebildete Hochschulabsolventen von den staatlich finanzierten Hochschulen bekommt.

Will man das notwendige Geld für die Spitzenunis von den übrigen abziehen, dann schadet man allen zum zweifelhaften Nutzen einiger weniger.

Niemand behauptet, dass unsere Hochschulen in einem optimalen Zustand sind und dass wir nicht erheblichen Reformbedarf haben, aber genauso wenig ist die Behauptung richtig, dass das amerikanische oder das britische Hochschulwesen besser wären als das unsrige. Dass z.B. die Ausbildungsleistungen unserer Hochschulen so schlecht nicht sein können, zeigt sich schon darin, dass jeder dritte ausländische post-doc an amerikanischen Spitzenhochschulen und jeder fünfte Professor in den Naturwissenschaften aus Deutschland kommt.

Was ist die Ursache für diesen Brain-drain? Darüber lohnte sich, in einem Innovationsprogramm der SPD nachzudenken, aber nicht über Elite-Universitäten.

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