Ein Faktencheck zum Faktencheck – gibt es wirklich keine negativen Lohneffekte durch Zuwanderung?
Zahlreiche unserer Leserinnen und Leser waren sehr erstaunt, dass in der letzten Ausgabe der Anstalt die Behauptung aufgestellt wurde, dass sämtliche wissenschaftlichen Studien keine negativen Effekte auf die Löhne der Arbeitnehmer durch Zuwanderungen nachweisen konnten. Albrecht Müller kommentierte dies bereits kurz. Die Skepsis unserer Leserinnen und Leser ist begründet. Ein Faktencheck zum Faktencheck der Anstalt zeigt nämlich, dass diese Aussage nicht stimmt. Für Verwirrung sorgte bei den Anstalt-Machern wahrscheinlich eine Quelle, die im Faktencheck angegeben ist – ein Beitrag im Oxi Blog, der sehr einseitig und manipulativ ist und seine Quellen sehr selektiv zitiert. Von Jens Berger.
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Die Schweiz ist mit Deutschland nicht zu vergleichen
Welche Einflüsse die Zuwanderung auf die Löhne hat, ist eine sehr komplexe Frage, die man alleine schon aufgrund der angespannten Zuwanderungsdebatte mit der dafür nötigen Differenziertheit betrachten sollte. Migration ist nicht gleich Migration. Es macht beispielsweise einen sehr großen Unterschied, welches Einwanderungsland man betrachtet. Ein Extrem sind dabei Länder wie beispielsweise die Schweiz, in die vor allem Arbeitnehmer einwandern, die vergleichsweise hoch qualifiziert sind und die inländische Arbeitnehmer meist ergänzen und nicht verdrängen.
Das Oxi Blog, das vom Anstalts-Faktencheck als wichtigste Quelle für diesen Themenkomplex genannt wird, versucht anhand des Schweizer Arbeitsmarkts die Aussage zu belegen, dass vor allem „Niedrigqualifizierte von der Zuwanderung profitierten“. Nun ist Deutschland aber nicht die Schweiz und die meisten Zuwanderer auf den deutschen Arbeitsmarkt sind keine Facharbeiter, Informatiker oder Ärzte aus Österreich, sondern vergleichsweise gering Qualifizierte, von denen ohnehin nach dem ersten Jahr lediglich jeder Zehnte arbeitstätig ist. Aussagen über den Schweizer Arbeitsmarkt auf Deutschland zu übertragen, ist im besten Fall nicht zielführend und im schlimmsten Fall sogar manipulativ.
Ergänzung, Konkurrenz oder Verdrängung? Ein Frage der Rahmenbedingungen
In den meisten Einwanderungsländern ergänzen Zuwanderer inländische Arbeitnehmer nicht nur, sondern konkurrieren auch mit ihnen. Aber auch eine direkte Konkurrenz muss nicht zwingend zu negativen Lohneffekten führen. Den theoretischen Hintergrund dieser Debatte kann man am Beispiel des Berufs des Krankenpflegers ganz gut verdeutlichen. Wenn die Rahmenbedingungen positiv sind, können die zugewanderten Arbeitskräfte, die meist aufgrund sprachlicher und fachlicher Defizite am untersten Ende der Karriereleiter in den Job einsteigen, den inländischen Fachkräften
die einfacheren Tätigkeiten abnehmen, so dass diese sich fortbilden können und in qualifizierteren Stellen auch einen höheren Lohn beziehen können. Solch positive Rahmenbedingungen herrschen offenbar in Dänemark vor – dem Untersuchungsraum der Studie von Foged und Peri, die eine der ganz wenigen Studien ist, die zu dem Ergebnis kommt, dass gering qualifizierte inländische Arbeitskräfte keine negativen Lohneffekte hinnehmen müssten, da sie durch die Zuwanderung in höher qualifizierte und besser dotierte Jobs aufsteigen.
Ob diese empirischen Daten aus Dänemark auf Deutschland übertragbar sind, ist jedoch fraglich. Hierzulande besteht im unteren Qualifikations- und Einkommenssektor eher das Risiko von negativen Rahmenbedingungen. Und unter solchen Rahmenbedingungen verdrängt die zugewanderte Arbeitskraft aufgrund ihrer niedrigeren Lohnforderungen die „teurere“ inländische Arbeitskraft.
Weitestgehend einig ist sich die Wissenschaft in folgenden Aussagen:
- Ergänzende Einwanderung wirkt sich langfristig (vor allem durch indirekte Effekte wie Investitionen usw.) eher positiv auf die Löhne der Inländer aus.
- Konkurrierende Einwanderung kann bei positiven Rahmenbedingungen ebenfalls positive Effekte haben.
- Bei negativen Rahmenbedingungen hat die konkurrierende Einwanderung jedoch eine negative Auswirkung auf die Arbeitslöhne.
- Davon sind vor allem gering qualifizierte ansässige Arbeitnehmer betroffen.
Selektive Wahrnehmung führt zu falschen Schlussfolgerungen
Diese Aussagen sind – in verständliche Sprache übertragen – auch die Kernaussagen des DIW Roundups zum Thema „Lohn- und Beschäftigungseffekte der Zuwanderung nach Deutschland“, das auch namentlich von den Oxi-Autoren zitiert wird. Oxi spart jedoch entscheidende Passagen des DIW aus, die nicht in das Bild der Kernaussage, es gäbe „keine negativen Lohneffekte durch Zuwanderung“, passen.
Steinhardt (2011) untersucht die Lohnunterschiede zwischen Beschäftigungsgruppen (Produktion, einfache bzw. komplexe Dienstleistungen), die im Zeitraum von 1975 bis 2001 verschieden stark von Einwanderung betroffen waren. Stieg die Anzahl von Arbeitnehmern in einem bestimmten Beschäftigungssegment durch Einwanderung um 10%, sanken die Löhne von Einheimischen um 1,3%. Insbesondere einheimische Beschäftige in einfachen Dienstleistungstätigkeiten wie z.B. in der Reinigung waren von niedrigeren Löhnen durch Einwanderung im untersuchten Zeitraum betroffen.
DIW Roundup „Lohn- und Beschäftigungseffekte der Zuwanderung nach Deutschland“
An anderer Stelle verschweigt das Oxi die methodische Kritik des DIW an den von ihm untersuchten und als Beleg angeführten Studien. Das Fazit des DIW ist daher auch nicht, dass es keine negativen Lohneffekte durch Zuwanderung gäbe, sondern dass „die langfristigen Effekte von Einwanderung theoretisch unklar [sind] und bisher empirisch nicht überzeugend untersucht werden [konnten]“. Diese sehr defensive und ausweichende Einschätzung des DIW ist jedoch alles andere als unumstritten – vor allem dann, wenn man den Elfenbeinturm verlässt und sich in die politische Debatte begibt.
Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht
Denn es kommt ja niemand auf den Gedanken, dass die Zuwanderung vornehmlich gering qualifizierter Flüchtlinge negative Auswirkungen auf die Löhne von Werbefachleuten, Chefärzten, Programmierern, Richtern oder Vermögensberatern hätte. Gerade in der aufgeheizten politischen Debatte geht es darum, dass negative Auswirkungen am unteren Ende der Einkommensskala befürchtet werden. Studien und Metastudien, die ausschließlich Aussagen zu den Gesamtlöhnen machen, sind dazu jedoch nicht sonderlich aussagekräftig. Diese Einschränkung verschweigen die Autoren von Oxi.
Der IAB-Forscher Dieter Bogai ging in seiner 2007 publizierten Metastudie „Ökonomische Effekte der Migration in Deutschland“ verstärkt auf eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Einkommensgruppen ein. Bogais Studie zeigt auch recht eindeutig, dass die Aussage von Oxi, nach der „empirische Studien zu teils ganz anderen Ergebnissen kommen“, also keine negativen Lohneffekte erkennen, nicht haltbar ist. Von acht untersuchten größeren Studien kamen lediglich zwei zu einem eher positiven Ergebnis. Eine dieser Studien (Pischke & Velling 1997) wird dabei vom DIW in der oben bereits zitierten Metastudie methodisch scharf kritisiert, die zweite Studie (Haisken-DeNew/Zimmermann 1995) ist ebenfalls kritisch zu betrachten, da die positiven Effekte hauptsächlich auf unterstellte indirekte Handelseffekte und Kapitaleinkommen zurückgeführt werden, die gerade bei der Zuwanderung gering qualifizierter Einwanderer jedoch nicht signifikant sein dürften.
Fünf der acht von Bogai untersuchten Studien kommen hingegen zu negativen Lohneffekten und quantifizieren sie auch. Die Untersuchung von Haisken-DeNew und Zimmermann ist in diesem Zusammenhang abseits des „Gesamtergebnisses“ besonders interessant, da sie die Effekte für Arbeiter und Angestellte durch die Einwanderung in den 1980ern differenzierter betrachtet. Demnach hätte sich der Stundenlohn der Arbeiter um 0,45% verringert, während die Gehälter der Angestellten um 0,12% gestiegen seien. Auch darauf weist das Oxi Blog nicht hin.
Übersehen oder weggelassen?
Die Frage ist, ob diese Versäumnisse nur handwerkliche Fehler sind oder sogar mit Vorsatz begangen wurden, um die Grundaussage nicht zu gefährden. Einiges lässt auf Letzteres schließen. Nur so ist auch zu erklären, dass man den Studien des IAB-Forschers Herbert Brücker zwar eine Stellung einräumt, zentrale Punkte aus diesen Studien aber schlicht unter den Tisch fallen lässt. So erwähnt eine IAB-Studie von Brücker und Jahn, dass die in Deutschland lebenden „Ausländer“ auch langfristig durch Zuwanderung erhebliche negative Lohneffekte erleiden müssten. Brücker erklärt dies mit dem ähnlichen Bildungshintergrund und ähnlichen Berufserfahrungen, die dazu führen, dass die in Deutschland lebenden „Ausländer“ zu „Substituten“ würden, also durch neue Migranten ersetzt werden können.
Aber trifft dies „nur“ auf diese Gruppen zu? Natürlich nicht, auch inländische Geringqualifizierte sind ersetzbar und auch sie müssen demnach negative Lohneffekte befürchten. Und darum geht es bei der gesamten Debatte. Schließlich käme ja niemand auf die Idee, dass Migration einen negativen Lohneffekt auf die Gehälter von Hochqualifizierten hätte.
„Dr. Kebekus“ hat Unrecht
Mit diesen Informationen im Hinterkopf lohnt es, sich noch einmal die zentralen Aussagen der „Zuwanderungsexpertin Dr. Kebekus“ aus der Anstalt genauer anzuschauen …
„Die Untersuchung von großen Migrantenströmen, wie zum Beispiel von Kubanern nach Florida oder Aussiedlern nach Deutschland, hat ergeben: Die Einwanderung hat quasi überhaupt keine Auswirkung auf die Löhne von Einheimischen. […] Die wichtigsten Untersuchungen zeigen alle, dass selbst eine große Zuwanderung die Löhne maximal um 0,1% senkt – kurzfristig. […] Langfristig 0,0%.“
Streng genommen sind alle Teile dieses Zitats entweder schlichtweg falsch oder zumindest verzerrend. Fangen wir mit der Studie zu den „Kubanern“ an. Diese Studie stammt aus dem Jahre 1990 und wurde von David Card verfasst. Heute sind Cards Ergebnisse jedoch sehr umstritten. Der Arbeitsmarktökonom George Borjas weist in einer Studie sogar darauf hin, dass die Löhne der niedrig qualifizierten Einwohner im Raum Miami durch die Masseneinwanderung der Kubaner sogar de facto um 10 bis 30% gesunken sind. Auch die Studie zur Auswirkung der Spätaussiedler auf die lokalen Arbeitsmärkte ist in diesem Kontext unangebracht, da diese Studie zwar keine Lohneffekte, aber dafür sehr massive Verdrängungseffekte erwähnt – demnach hätten für jeweils zehn Spätaussiedler rund drei Ansässige ihren Job verloren, was laut Studie vor allem sehr junge und alte Arbeitnehmer betraf. Einen negativen Einfluss auf die Erwerbsziffern schließt die Anstalt jedoch ebenfalls aus und zeigt so, dass sie sich ihre Ergebnisse sehr selektiv herausgesucht hat und alles, was nicht ins Bild passt, weggelassen hat.
Noch schlimmer sind jedoch die Falschaussagen
So ist es schlicht nicht korrekt, dass „die wichtigsten Untersuchungen“ eine „maximale Senkung“ der Löhne um 0,1% zeigen. Der offenbar als Quelle von Oxi und der Anstalt herangezogene Aufsatz von Herbert Brücker zählt selbst zahlreiche Studien (z.B. Borjas 2003, Aydemir/Borjas 2005) auf, die viel höhere Lohneffekte nennen. De facto gibt es nur eine einzige Studie (Ottaviano, Peri), die einen Gesamtrückgang von 0,1% erwähnt. Die anderen Studien setzen den Rückgang der Löhne jeweils in den Kontext der Größe der Zuwanderung – was ja auch einleuchtend ist. So gehen Aydemir und Borjas von 0,3 bis 0,4% Lohnrückgang pro Prozent Anstieg des Ausländeranteils aus. Und selbst Studienautor und Quelle Brücker kommt auf 0,18% pro Prozent Anstieg des Ausländeranteils. Sollte es also „eine große Zuwanderung“ (Zitat Kebekus) geben, wären laut diesen Studien die Lohneffekte auch wesentlich größer als 0,1% – und dies sicher nicht nur kurzfristig.
Warum überhaupt diese Unterscheidung zwischen kurz- und langfristig? Die Studienautoren gehen hier von zwei Effekten aus: Einerseits sollen die neuen Einwohner Investitionen anziehen, die ihrerseits positive Lohneffekte haben und andererseits würden langfristig vor allem die Kapitaleinkommen durch die Zuwanderung steigen. Nun ja – ersteres ist sehr spekulativ und letzteres ist sicher korrekt, sollte jedoch vor allem für die von den negativen Lohneffekten betroffenen gering Qualifizierten auch keine Auswirkungen haben, da sie in der Regel überhaupt nicht über Kapitaleinkünfte verfügen.
Aus Fehlern lernt man
Albrecht Müller hat Recht – auch die Anstalt kann sich mal vertun und dieser Schnitzer hat keine großen Auswirkungen darauf, dass gerade diese Sendung ungemein große Verdienste im Sinne der Aufklärung hat. Wir zweifeln auch nicht daran, dass die Anstalt aus diesem Fehler lernt und auch in Zukunft ihre wichtige Arbeit aufklärerisch fortsetzt.
Vielleicht sollte man aber die Quelle Oxi, die offenbar als einzige Quelle für diesen Themenbereich herangezogen wurde, mit etwas mehr Vorsicht betrachten. Wenn man Studien derart selektiv heraussucht und sämtliche Fakten, die nicht zur eigenen Meinung passen, unter den Tisch fallen lässt, so ist dies nicht sonderlich seriös und vor allem bei derart kontroversen Debatten auch höchst ärgerlich und kontraproduktiv.
Wer oder was ist eigentlich Oxi?
Oxi wurde vor zwei Jahren als monatliche Wirtschaftsbeilage für das Neue Deutschland vom ehemaligen ND-Chefredakteur Tom Strohschneider und Wolfgang Storz, dem ehemaligen Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, der zuletzt mit seiner umstrittenen Querfront-„Studie“ für Kopfschütteln sorgte, ins Leben gerufen. Storz ist mittlerweile aus dem Vorstand ausgeschieden und publiziert auch nicht mehr bei Oxi. Intransparent erscheint nach außen vor allem die Finanzierung von Oxi und in welcher Form Blog und Monatsbeilage wirtschaftlich und organisatorisch mit dem Neuen Deutschland, der Linkspartei und der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammenhängen. Der Verdacht, dass Teile der Partei über Oxi in die Debatte eingreifen, ist zumindest nicht vollkommen auszuschließen. Damit wäre Oxi jedoch selbst „Partei“ und könnte auch nicht als neutrale Quelle für einen Faktencheck gelten.