Auch die „Anstalt“ kann sich mal vertun. Leserbriefe und Anmerkungen zur Sendung vom 25.9.2018
Am vergangenen Dienstag lief eine neue Ausgabe der „Anstalt“ über den Sender ZDF. Sie enthielt wie üblich eine Reihe von kritischen und lehrreichen Elementen. Einiges habe ich mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Auch die Meinung der NachDenkSeiten-Leser ist zumindest bei einer wichtigen Passage ziemlich geteilt. In einem Stück ging es um die Konkurrenz um Arbeit und Wohnraum zwischen einheimischen Lohnabhängigen und Zuwanderern. Siehe hier. Die Auswirkung der Zuwanderung auf die Löhne sei quasi vernachlässigbar. – Zwei Leser äußerten sich nach der Sendung enttäuscht darüber, dass die NachDenkSeiten zu der Sendung nicht gleich Stellung bezogen haben. Zugegeben, wir waren ein bisschen sprachlos. Albrecht Müller
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
A. Hier nun ein paar Anmerkungen zu den wichtigsten Aussagen:
In der Sendung wurde offenbar mit Berufung auf eine Untersuchung behauptet,
- die Löhne seien wegen der Migration gerade mal um 0,1 % gesunken, langfristig um 0,0 %,
- und die Arbeitslosigkeit sei lediglich um 0,024 % gestiegen. Mit diesen Zahlen wird vermittelt, dass es sich um eine vernachlässigbare Größenordnung handelt.
Der Faktencheck der Sendung lässt dann erkennen, dass sich die Macher der „Anstalt“ auf Herrn Professor Herbert Brücker aus Bamberg berufen. Dessen Meta-Studie mit dem Titel „Neue Erkenntnisse zu den Arbeitsmarktwirkungen internationaler Migration – Ein kritischer Überblick über vorliegende Befunde“ war in den WSI-Mitteilungen erschienen und scheint die Hauptquelle der „Anstalt“ gewesen zu sein. Dazu ein paar Anmerkungen:
- Einem Volkswirt (wie mir) muss es normalerweise schon ausgesprochen komisch vorkommen, wenn Veränderungen mit konkreten Angaben hinter dem Komma ins Feld geführt werden – also 0,1 % Veränderung bei den Löhnen, oder 0,0 % langfristig. Mit solchen Ziffern wird eine Genauigkeit der Erklärungsmöglichkeit vorgespiegelt, die es nicht gibt. Auf solchen höchst fragwürdigen Ziffern dann ein Urteil über die Wirkung von Migration aufzubauen – das geht nicht.
- Richtig stutzig wird man dann, wenn man sich den Zeitpunkt der Veröffentlichung und den Zeitraum der Untersuchung des Herrn Professor Brücker anschaut: die Studie ist in den WSI- Mitteilungen 10/2010 (!) erschienen, also vor acht Jahren, und damit auch vor der Zuwanderung einer großen Zahl von Migranten im Jahre 2015 und den folgenden Jahren. Der Autor der Studie schreibt selbst, dass die umfangreiche empirische Literatur, die er ausgewertet hat, aus den achtziger und neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammt.
- Damals gab es noch kein Hartz IV und keinen Bundeskanzler, der den Niedriglohnsektor propagierte. Damals gab es noch eine intakte Arbeitslosenversicherung und am Anfang der Neunzigerjahre gab es einen Einheitsboom, der vermutlich die Elemente der Zuwanderung und ihre makroökonomischen und mikroökonomischen Folgen deutlich überlagert hat. Das kann man auch von der Zinspolitik der Bundesbank sagen, die anfangs der Neunzigerjahre mit einer (wahnsinnigen) Erhöhung der Leitzinsen auf über 8 % in die ökonomische Entwicklung eingriff. – Dies alles kann man doch nicht einfach weglassen, wenn man die Wirkung der aktuellen Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt untersuchen und beschreiben will.
Schlussbemerkung:
Es gibt gute Gründe dafür, die Folgen der Migration nicht schwarz zu malen. Es gibt gute Gründe dafür, mit Fakten gegen die Schwarzmalerei anzugehen. Aber man sollte dabei mit seriösen Zahlen und Daten arbeiten und nicht in Wunschdenken und Kaffeesatzleserei verfallen. Und wenn man zum Beispiel ein Urteil fällen will über die Frage, wie Migration einer größeren Dimension insgesamt zu beurteilen ist, dann muss man zum Beispiel auch fragen, wie sie auf die Herkunftsländer wirkt (siehe brain drain), dann muss man nicht nur fragen, wie Migration auf die Löhne und die Arbeitslosigkeit wirkt, sondern auch auf die politischen Verhältnisse insgesamt, und man muss sich darüber Gedanken machen, wie die Menschen sinnvollerweise in der Welt verteilt sein sollen. Man muss sich auch fragen, ob Migration wirklich freiwillig und aus eigenem Interesse geschieht und wie man im anderen Fall anders helfen könnte.
Ein Sendeformat wie die „Anstalt“ kann solche komplexen Zusammenhänge nicht in einer Sendung komplett behandeln. Im konkreten Fall der „Anstalt“ kann man mit großem Respekt auch darauf hinweisen, dass die Anstalt zum Beispiel auf die Ursachen der Migration schon mehrmals eingegangen ist, zum Beispiel hier „US Interventionen als Auslöser für Flucht“ und hier “Wirtschaftsflüchtlinge” & Militärisch-politische Strategien für den Flüchtlingsgipfel – Die Anstalt – YouTube.
Man kann nicht erwarten, dass in einer Sendung wie am 25. September dann erneut alle Aspekte zur Sprache kommen. Was man allerdings verlangen kann: dass nicht der Eindruck erweckt wird, auf der Basis eines Teilaspektes könne ein umfassendes Urteil über das Phänomen Migration gefällt werden.
Wer sich ein bisschen umfassender informieren will, der findet eine differenzierte Betrachtung zum Beispiel bei Professor Julian Nida-Rümelin hier und hier.
Zurzeit stehen wir in der großen Gefahr, dass der fortschrittliche Teil unserer Gesellschaft, also Linke, Sozialliberale und Grüne sich heillos zerstreiten und damit ihr ohnehin geringer Einfluss auf die politischen Geschehnisse in Deutschland noch geringer wird. Man kann diese Tendenz zur Spaltung der fortschrittlichen Kräfte an allen Ecken beobachten. Die „Anstalt“ könnte helfen zu überbrücken.
B. Leser-Mails zur Anstalt vom 25.9.2018
1. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Müller,
jetzt bin ich als treuer NDS-Leser doch irritiert – und ehrlich gesagt auch ein wenig enttäuscht.
Beinahe nie vergessen Sie auf “Die Anstalt” hinzuweisen und oft genug haben Sie sie auch lobend rezensiert.
Zur letzten Sendung nun aber kein Wort von Ihnen. Sollte das etwa damit zu tun haben, dass die Argumentation von Uthof und Wagner diesmal nicht ganz genau deckungsgleich mit der Ihren ist? Dass auch die beiden einer Rückkehr des Nationalen eine klare Absage erteilen?
Wenn es so wäre, wäre es wirklich schade. Ich hätte gerade von den NDS erwartet, dass sie sich – gerne auch kritisch – mit den Fakten zur Sendung (insbesondere dem Punkt 6 im Faktencheck zur Sendung) auseinandersetzen. Immerhin widersprechen die Macher der Anstalt hier explizit der auch von Ihnen und Jens Berger vertretenen Argumentationslinie Sahra Wagenknechts, dernach Migranten zwangsläufig zu höherer Arbeitslosigkeit und zusätzlichem Lohndruck führen würden.
Ich fände es spannend, wenn Sie oder Herr Berger sich dazu beziehen würden. Schließlich hat Klaus von Wagner in der entsprechenden Szene die „Bauchschmerzen“ (also die Ambivalenz), die linksorientierte Menschen in dieser Situation empfinden sehr schön ausgedrückt.
Für mich ist die Lösung bzw. die Kompromissfindung in dieser Frage eines der grundlegenden Hindernisse, die auf dem Weg zu einer vereinigten, starken Linken unbedingt aus dem Weg zu räumen sind.
Mit Grüßen aus Taufkirchen
Martin Sutor
2. Leserbrief
Liebe Nachdenkseitenmacher,
wiederholt und zurecht wurde in den Nachdenkseiten auf die ZDF-Satiresendung “Die Anstalt” hingewiesen, in welcher die Herren Uthoff und von Wagner oft genug “Bildungsfernsehen” im besten Sinne boten (spontan fällt mir z.B. die Sendung zu Leiharbeit/Werkverträgen ein).
Auf die Sendung vom 25.09.2018 haben Sie aber (noch) nicht hingewiesen. Ich habe sie trotzdem angesehen und war zuerst überrascht und dann regelrecht entsetzt.
Dass nun auch hier im Halbsatz versteckt etwas Russland-Bashing (“… da nimmt man dann direkt ein Nachbarsland…” – Liza Kos) oder Wagenknecht-Bashing (“Wann haben sie die Schmerzen?” / “Nach dem Aufstehen” / “Aha, das Wagenknecht-Syndrom”) betrieben wird, mag vielleicht zur Anstalts-Linie (in dem Fall: Anstalt ZDF) gehören.
Wenn aber die ganze Rechts-AfD-Pegida-Problematik mit dem geringerem Frauenanteil im Osten der Republik (“die gutgebildeten Frauen sind abgehauen”) “erklärt” wird, und wenn Frau Kebekus (die ja bei diesen Themen immer zur Hochform aufläuft) gar “der Ejakulationsstau hebt die Hand zum Hitlergruss” schlussfolgert, bleibt mir das Lachen im Halse stecken.
Auf welchem hohen moralischen Ross muss man sitzen, wenn man derart pauschal ganze Landstriche diffamiert? Waren nicht alle ganz stolz darauf, dass das “#wirsindmehr”-Konzert so gut besucht war, und sollte das nicht zeigen, dass auch “im Osten” die Mehrheit durchaus nicht rechtsextrem ist?
Herr von Wagner sinniert, dass er keine “keine Tafelnummer mehr machen will” – was schade wäre, da doch die “Tafelnummer” zum sogenannten BAMF-Skandal das informativste an der Sendung war. Wobei man durchaus noch tiefer hätte schürfen können und sich z.B. fragen, ob die personelle Unterbesetzung des BAMF nicht durchaus Absicht war, um die Ereignisse im Herbst 2015 als “schicksalhaft unabwendbar” darstellen zu können.
Lieber präsentiert man zur Auswirkung der Immigration zweifelhafte Prozentangaben (auf 2 Nachkommastellen genau!!!), die belegen sollen, dass “fast keine” Lohnniveausenkung festzustellen sei – etwa damals bei den Exilkubanern (!), die nach Florida zogen. Im Faktenblatt zur Sendung werden diesbezüglich seitenweise Literaturverweise aufgeführt, die zusammengefasst werden zu “neuere Studien scheinen frühere Schätzungen zu bestätigen…” – wie dürftig ist das denn?
Aber nichts darf das “no borders”-Idyll stören, denn “Migration verändert die Gesellschaft immer zum Guten – immer!”. Mit derart festen Vorsätzen ist dann auch klar, dass im Herbst 2015 kein “Rechtsbruch” stattgefunden haben kann, denn “offene Grenzen – Schengen – gab es doch schon”. Dass es vielleich doch rechtliche Unterschiede geben könnte zwischen Unionsbürgern und Immigranten/Flüchtlingen, wird nicht gesehen. Im “Flaggenspiel” wird gar versucht nachzuweisen, dass es einen Anspruch irgendeines Volkes auf ein Staatsgebiet garnicht geben könne, weil ja z.B. “die Germanen die Römer vertrieben haben”. Nun – in meinem Geschichtsbuch gab es vor dieser Periode (der Völkerwanderung) eine andere, in welcher ein nicht ganz unbekannter römischer Feldherr seinem diesbezüglichen Eroberungszug ein ganzes Buch widmete: Cäsars “De bello gallico”.
Vorsicht Ironie: Irgendjemand von den “no borders”-Propagandisten muss den blöden Palästinensern ‘mal erklären, dass sie Ihren dummen Kampf um das “Heimatland” besser aufgeben und statt dessen nach Belgien oder ins Saarland ziehen könnten. Oder den blöden Kurden, dass sie den Kampf um “Kurdistan” doch einer Zukunft in Italien oder in Niedersachen zuliebe aufgeben sollen. Auch den Ukrainerinnen und Ukrainern, die sich im Moment mit Gelegenheitsjobs in Polen und Weissrussland über Wasser halten, könnten wir in Hessen oder Nordrhein-Westfalen sicher ein besseres Leben bieten. Und zu guter Letzt könnte man die “Problem-Sachsen” mit etwas geschickter Werbung doch nach Florida locken – dort werden sie sicher mit offenen Armen empfangen, denn “Migration verändert die Gesellschaft immer zum Guten – immer!”.
Ich verstehe die Sorge um einen Rechtsruck in dieser Gesellschaft. Und natürlich auch die Sorge um das Schicksal der
Immigranten/Flüchtlinge. Nur – mit dieser Mischung aus Naivität und Arroganz leistet man der guten Sache leider einen Bärendienst.
—
Sie dürfen diese eMail auch gerne an die Sendungsmacher weiterleiten – auf die Schnelle haben ich keinen direkten eMail-Kontakt zu Uthoff/Wagner gefunden.
Mit freundlichen Grüssen
peter schulz
“Es ist kein Zeichen von Gesundheit, an eine von Grund auf kranke Gesellschaft gut angepasst zu sein.”
3. Leserbrief
damit sollten Sie sich bitte unbedingt auseinandersetzen!
Wichtig wäre hierbei die Quellen entscheidender Argumente zu kennen, wie zum Beispiel, dass der Lohn durch Einwanderung nur kurzfristig gedrückt würde.
Einwanderung welchen Umfangs? Sind hierbei auch große Fluchtbewegungen mit eingeschlossen oder haben eine gesonderte Betrachtung erhalten?
Ein Dialog mit Max Uthoff und oder Werner von Braun wäre auch interessant….
https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt
Vielen Dank!:)
Cheers
future