Hauptsache Arbeit? Bullshit-Jobs!

Elmar Wigand
Ein Artikel von Elmar Wigand

Die neoliberale Umgestaltung der Wirtschaft ist im Kern ineffizient. Der Anthropologe David Graeber greift den Mythos der modernen Arbeit an. Elmar Wigand hat für die NachDenkSeiten Graebers neues Buch „Bullshit-Jobs“ rezensiert.

„Ich habe nie herausgefunden, was Depotbanken eigentlich tun. Ich verstehe, welches Konzept sich mit Depotbanken verbindet, aber ich habe sie immer nur für eine überflüssige weitere Form der Buchführung gehalten. Depotbanken bewahren Begriffe wie Aktien oder Schuldverschreibungen auf. Aber wie machen sie das eigentlich? Können russische Hacker solche Konzepte stehlen? Soweit ich erkennen kann, ist das ganze Depotwesen Bullshit.“

(Bruce, Fondsberater einer Depotbank, in: David Graeber: Bullshit-Jobs, Stuttgart 2018, S. 248)

Der US-amerikanische Anthropologe Graeber, der an der London School of Economics lehrt, ist mit Bullshit-Jobs einem Phänomen auf der Spur, das viele kennen dürften – aus der eigenen Erwerbsbiografie, aus dem Bekanntenkreis oder der erweiterten Familie –, das aber bisher nie als radikale Kritik des Arbeitswerts formuliert wurde.

Dass es sich bei Bullshit-Jobs um ein Massenphänomen mit explosionsartiger Verbreitung handelt, lassen jüngste Zahlen vermuten: Die Krankmeldungen in Deutschland sind zwischen 2008 und 2016 um mehr als 60 Prozent gestiegen. Zu den wichtigsten Ursachen zählte die Bundesregierung auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag “Fehlentwicklungen des Arbeitsalltags”. Hinter Erkrankungen des Muskel-Skelett-Syndroms waren zuvorderst psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen für insgesamt 560 Millionen Krankschreibungen zwischen 2008 und 2016 verantwortlich. Der volkswirtschaftliche Schaden habe im Zeitraum um 75 Prozent zugenommen und im Jahr 2016 75 Mrd. Euro betragen. [1]

Dass Arbeit krank macht, dürfte einfach erklärbar sein durch gesteigerte Arbeitshetze, Flexibilisierung und und Überstunden vor allem im Niedriglohnsektor. Kaum beachtet ist eine massenhafte Zunahme von vergleichsweise gut bezahlten oder gar üppig entlohnten Bullshit-Jobs. Auch sie machen krank. [2]

Was ist ein Bullshit-Job?

Graebers Definition lautet: „Ein Bullshit-Job ist eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.“

Graeber nennt unzählige Beispiele, die Stoff für Komödien bieten könnten, wenn diese Jobs die Menschen nicht tatsächlich krank machen würden. Diese Beschäftigungsformen stellen eine perfide Form der Folter dar, weil sie das urmenschliche Grundbedürfnis verletzen, Handlungen und Interaktionen zu vollziehen, die messbare Auswirkungen und Ergebnisse haben.

Eine Bekannte von mir musste jahrelang bei der DB die Verspätungen von Zügen, die sie aus dem Bundesgebiet geschickt bekam, in Excel-Tabellen eintragen. Per Hand! Eine Arbeit, die ganz einfach hätte automatisiert werden können.
Ich selbst habe in einer Internetfirma gearbeitet, die den deutschen Online-Auftritt eines großen US-Automobil-Produzenten betreute. Es gab dort so wenig zu tun, dass ich höchstens vier Stunden in der Woche produktiv tätig war, denn ich musste lediglich vorgefertigte Texte einer anderen Agentur per Kopieren + Einfügen (Strg C + Strg V) aus Auto-Broschüren ins Internet einpflegen, sie dabei ein wenig kürzen und eindampfen, um als Texter und Konzeptioner mehr Geld zu verdienen, als ich jemals wieder bekommen habe. Durch David Graebers Buch habe ich gelernt, was es damit auf sich hatte und dass ich nicht alleine war. Unser gesamtes Großraumbüro produzierte zu 70-80 Prozent Bullshit.

Des Kaisers neue Kleider

Graebers Buch müsste in Deutschland einschlagen wie eine Bombe, es könnte aber auch geflissentlich ignoriert werden. Ist unsere Epoche doch von wirtschaftlichen Irrlehren und ideologischen Hologrammen geprägt, welche die Eliten aus Politik, Wirtschaft und Hochfinanz und ihre Hofschranzen gleichzeitig produzieren, reproduzieren und selbst glauben.
In einer Konstellation, die Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ gleicht, wird jemand vermutlich ignoriert, belächelt oder scholastisch widerlegt, der dem Hofstaat des Kaisers erzählt, dass der Herrscher doch eigentlich bloß nackt sei. Eine andere Frage ist, wie der Teil der arbeitenden Bevölkerung, der von diesen Eliten weitgehend entkoppelt ist, das Thema aufnimmt.

Arbeit macht das Leben süß – süß wie Maschinenöl

Auch die sogenannte Linke verschiedenster Strömungen muss sich durch die Theorie der Bullshit-Jobs herausgefordert fühlen, trägt sie seit 150 Jahren doch ihren Teil zum Problem bei. Seit der Französischen Revolution ist das „Recht auf Arbeit“ als sozialistische Forderung im Raum, unlängst auf den Nachdenkseiten wiederholt durch Mohssen Mossarrat. [3] Die Sozialdemokratie fabrizierte den dümmlichen Slogan „Hauptsache Arbeit“ und rechtfertigte mit dieser Maxime ab 1998 erst die Ausweitung der Leiharbeit, dann die Schaffung des deutschen Niedriglohnparadieses. [4] Im sowjetischen Wirtschaftsmodell entstanden Bullshit-Jobs auch, um das Recht auf Arbeit, das zugleich sozialistische Pflicht, Erziehungsinstrument, mitunter brutaler Zwang war, praktisch möglich zu machen – manchmal gab es halt gerade aufgrund wirtschaftlicher Beschränkungen nicht genug gesellschaftlich notwendige Arbeit, so dass Arbeitsstellen künstlich geschaffen wurden.

Auch für die Linke spielte es also meist eine untergeordnete Rolle, ob die Werktätigen selbst in ihrer alltäglichen Tätigkeit und ihrer Ausgestaltung einen Sinn sehen. Diese subjektive Wahrnehmung der Betroffenen ist Graebers zentrales Kriterium, um Bullshit-Jobs zu erkennen.

Schädliche, nervige und miese Jobs sind etwas anderes

Um Missverständnissen vorzubeugen: Graebers Entwurf einer Theorie handelt keineswegs, oder nur am Rande, von gesamtgesellschaftlich, global und volkswirtschaftlich unsinnigen oder sozialschädlichen Tätigkeiten wie Braunkohle-Verstromung, Waffenproduktion, Militärstützpunkten, Immobilienspekulation, Pharmakonzernen, die Krankheitsbilder und Selbsthilfegruppen gründen, um Medikamente zu verdealen… Nein, er spricht von Arbeitsplätzen, auf denen die Beschäftigten buchstäblich nichts zu tun haben oder Dinge tun müssen, die auch im Detail, im alltäglichen Arbeitsablauf, offensichtlich keinen Sinn ergeben. In der Regel werden sie dafür auch noch vergleichsweise üppig entlohnt, was ihre seelischen, moralischen Qualen weiter steigert.
Ein Braunkohlebagger trägt zwar dazu bei, das Klima zu erwärmen und die Welt näher an den Abrund zu führen, doch ist für den Baggerführer deutlich sichtbar, dass vor ihm Kohle liegt und hinter ihm im rheinischen Braunkohlerevier die Schlote von Niederaussem und Frimmersdorf rauchen, wo seine Kohle verbrannt, in Strom verwandelt und über Hochspannungsmasten nach Köln-Godorf oder Wesseling zu Shell und Evonik geleitet wird. Ob RWE-Braunkohlearbeiter heute noch besonders überzeugt von ihrer Tätigkeit sind, darf bezweifelt werden, aber die meisten Arbeiter von Heckler & Koch z. B. sind vermutlich sogar stolz auf die Präzisionsgewehre, die sie herstellen. Sie alle verrichten sozialschädliche, womöglich unchristliche Tätigkeiten, aber keine Bullshit-Jobs.

Wie konnten Bullshit-Jobs zum Massenphänomen werden?

Graeber geht davon aus, dass die Vorhersage des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes aus dem Jahre 1930 tatsächlich eingetreten sei. Die technologische Entwicklung würde im Jahr 2000 so weit fortgeschritten sein, prophezeite Keynes, dass gesamtgesellschaftlich nur noch 15 Stunden Arbeit nötig sein würden. Dass es nicht dazu gekommen ist, führt Graeber auf verschiedene Gründe zurück:

„Die herrschende Klasse hat gemerkt, dass eine glückliche, produktive Bevölkerung, der viel Freizeit zur Verfügung steht, eine tödliche Gefahr ist.“ Diese Lehre wurde aus der 68-er Revolte gezogen.

Auf der Schattenseite: die hart arbeitenden Menschen

Es gilt die Regel, dass eine Arbeit umso schlechter bezahlt wird, je sinnvoller, hilfreicher und notwendiger sie für die Gesellschaft ist. Graeber nennt als einzige Ausnahme Ärzte und Fußballspieler. Deren Schaffen ist sowohl gesellschaftlich allgemein anerkannt und nachgefragt als auch gut bezahlt. In Deutschland müssten wir Piloten hinzufügen, die ihren gehobenen Status aufgrund gewerkschaftlicher Organisierung und geschickter Streikführung bei der marktbeherrschenden Lufthansa verteidigen konnten. (Analog zu Fußball-Profis in der Regionalliga, die von Erstliga-Bedingungen kaum zu träumen wagen, obwohl sie kaum weniger Arbeit verrichten als ein Profi des VfL Wolfsburg oder HSV, gibt es allerdings auch ein Piloten-Sub-Proletariat, etwa bei Germania, Ryanair u.a.. Gleiches gilt vermutlich für Ärztinnen und Ärzte.)

Die meisten Beschäftigten mit gesellschaftlich hilfreichen oder notwendigen Tätigkeiten werden ausgepresst wie die Zitronen. Ihre Stellen werden ausgedünnt, die Arbeitsintensität, Flexibilität und Überstunden auf perverse Weise erhöht. Die Rede ist von Müllmännern, Krankenschwestern, Putzfrauen, Kassierer_innen + Regaleinräumer_innen, Fließbandarbeitern etc. Wenn sie streiken, ziehen sie nicht nur in Großbritannien und den USA den Hass der Boulevard-Presse auf sich. Er verfängt nicht zuletzt bei der Armada aus Bullshit-Jobbern, die streikende Arbeiter insgeheim beneiden. Denn ein Streik von Werktätigen zeigt Wirkungen, während Bullshit-Jobber wie Private-Equity-Manager, PR-Forscher, Lobbyisten, Versicherungsfachleute, Telefonverkäufer, Rechtsberater so verzichtbar sind, dass sie außer Freunden und Familie niemand vermissen würde, wenn Außerirdische ihre Bürotürme eines Montagmorgens plötzlich ins All beamen würden. Ein Streik führt Bullshit-Jobbern eine Sinnlosigkeit vor Augen, die sie sich nicht eingestehen dürfen. Im Gegensatz zu ihnen thematisieren Streikende ihre Arbeitsbedingungen völlig offen, machen sie zum Ausgangspunkt sozialer Bewegung, während Bullshit-Jobber tagtäglich gezwungen sind, Arbeit zu simulieren und dabei sich selbst und andere zu belügen.

Graeber arbeitet fünf Typen von Bullshit-Jobs heraus:

  1. Lakeien und Speichellecker. Sie existieren, damit sich jemand anders wichtig fühlt, dessen Status davon abhängt, wie viele Leute er unter sich hat und kommandieren kann.
  2. Schläger. (englisch: Goons) Sie werden in einer Art Wettrüsten – vergleichbar mit der Mafia oder dem Militär – nur deshalb angestellt, weil die Konkurrenz sie auch hat: PR-Abteilungen, Lobbyisten, Telefonwerber, Unternehmensanwälte.
  3. Flickschuster. Ihre Tätigkeit existiert nur wegen eines Fehlers in der Organisation bzw. der Maschinerie, den aber niemand beheben will. Also wird um das Problem herum gearbeitet. In der Software-Branche spricht man von „duct tapers“. Hauptsächlich werden diese Fehler von Vorgesetzten angerichtet, die für ihre Position nicht qualifiziert sind und aus anderen Gründen nach oben gespült wurden.
  4. Kästchenankreuzer. Sie ermöglichen einem Unternehmen, die Behauptung aufrechtzuerhalten, es tue etwas, das es in Wirklichkeit nicht tut. Sie machen Befragungen, die niemand auswertet, schreiben Compliance-Regeln, die niemand beachtet, erarbeiten Unternehmensleitbilder, setzen Formulare in die Welt, die alles nur komplizierter machen, befassen sich mit Qualitäts- und Leistungssicherung.
  5. Aufgabenverteiler. Hier unterscheidet Graeber zwei Typen. Der erste, ungefährliche, ist damit betraut, Untergebenen Aufgaben zuzuteilen, die sie ohne seine Vermittlungsposition ohnehin machen würden. Der zweite Typ kann echten Schaden anrichten. Er ist ein Bullshit-Erzeuger, er schafft, verteilt und beaufsichtigt Bullshit-Aufgaben an Untergebene. Die Aufgabenverteiler kommen typischerweise im mittleren Management vor.

Eine Kategorie fehlt in Graebers Buch: Die privatisierten Staatsbetriebe Deutsche Bahn, Deutsche Post / DHL und Telekom errichteten ab den 1990er Jahren Formen von Strafarbeitslagern und Beamten-Gulags, die teils bis heute existieren, um ihren Bestand an unkündbaren Beamten systematisch abzuschmelzen. Dort arbeitet das Management in großem Maße mit Bullshit-Jobs. Es gibt deutliche Hinweise, dass man sich von Methoden inspirieren ließ, die bei der Privatisierung der französischen Telekom zuvor angewendet und perfektioniert wurden. (2009 erschütterte eine Selbstmordserie von Beschäftigen der France Télécom das Land. [5]) Ob es diese Beamtengulags in England, wo Graeber derzeit lehrt, oder den USA, von deren Ostküste Graeber stammt, nicht gab?

Trickle-down und andere Lebenslügen des Neoliberalismus

Es ist David Graebers großes Verdienst, dass er – wie bereits in seinem letzten Buch „Bürokratie“ – einmal mehr nachweist, dass das Zeitalter des Neoliberalismus keineswegs so schlank, effizient und ökonomisch produziert, wie es die neoliberale Propaganda versprach. Im Gegenteil. Privatisierte, zergliederte Liefer- und Wertschöpfungsketten sind chaotisch und führen zu organisatorischem Dickicht, Kontrollverlust, Korruption, Amtsmissbrauch, Behördenversagen und auch zu einer Zunahme von Bullshit-Jobs.
Das Dickicht aus Generalunternehmern, Sub-Unternehmern und Sub-Sub-Unternehmern, die oft gezielt in Konkurrenz gehalten werden, führt auch zu einer unglaublichen Verschwendung von Ressourcen. Das alles auf Kosten der „hart arbeitenden Menschen“ am Ende der Verwertungskette. Die neoliberale Umgestaltung der Wirtschaft führte fast zwangsläufig zu einer Aufblähung des mittleren Managements. Dort bilden sich Bullshit-Job-Speckgürtel sowohl um die Geschäftsführungen der zergliederten Produktionslandschaft als auch innerhalb der hochbezahlten Dienstleister, die um die verschiedenen Management-Ebenen kreisen wie die Motten ums Licht: Wirtschaftskanzleien, Rechnungsprüfer, Unternehmensberater, Mental-Coaches Mediatoren, Compliance-Experten…

Hier trennt sich allerdings der Pfad, den David Graeber beschreitet, von dem Ansatz, den mein Kollege Werner Rügemer und ich mit der aktion ./. arbeitsunrecht seit 2014 verfolgen. Beim Versuch, tiefer zu schürfen, landet Graeber makroökonomisch bei der Übernahme der Wirtschaftskontrolle durch die Finanzwirtschaft, genauer durch den FIRE-Komplex (Finance, Insurance, Real Estate – Finanzen, Versicherungen, Immobilien). Diese Übernahme der Führungsrolle begann in der ersten Hälfte der 1970er Jahre in Folge von Deregulierung, was allgemein unstrittig sein dürfte. Er spricht von „Manager-Feudalismus“ und sieht das Phänomen der Bullshit-Jobs als eine Art Degenerationserscheinung des Spät-Kapitalismus, vielleicht vergleichbar mit den letzten Zuckungen der Aristokratie im französischen Absolutismus. Das ist vermutlich nicht einmal falsch. Aber die gewählte Abstraktionsebene ist zu groß und führt Graeber zunächst in eine Sackgasse. Produktiver wäre es, die konkreten Akteure dieser kapitalistischen Umgestaltung unter die Lupe zu nehmen, anstatt bei groben Betrachtungen „des Finanzkapitalismus“ stehenzubleiben, die am Ende niemandem konkret weh tun und offenbar kaum Widerstandspotentiale erschließen.

Unternehmensverwalter und Unternehmensberater als Bullshit-Motoren

Auf der Seite des Besitzes haben folgende Konglomerate die Umgestaltung der Wirtschaft vorangetrieben und damit den Bullshit-Jobs den Boden bereitet: Gigantische Unternehmensverwalter wie Blackrock, Blackwater oder aggressive Finanz-Investoren wie KKR, Berkshire Heathaway, Bain Capital, Waterland etc. übernahmen durch Aufkäufe und Fusionen die wirtschaftliche Macht – Graeber verharrt hingegen auf einer recht allgemeinen Kritik „der Banken“.
Die konkrete Umgestaltung der Unternehmen, ihre Zerschlagung in eine „optimierte Wertschöpfungskette“ übernahmen Unternehmensberater wie McKinsey, Boston Consulting, Kienbaum, Roland Berger, Accenture. Im Zusammenwirken dieser Kräfte – Vermögensverwalter und Unternehmensberater – liegt des Pudels Kern.
Hinzu gesellen sich hochbezahlte Dienstleister in Form von Wirtschaftskanzleien (Freshfields, White & Case etc.), Rechnungsprüfern (PWC, Deloitte, KPMG) und weitere Bullshit-Motoren.

Am Ende sind die Bullshit-Jobs vermutlich eine perverse Form dessen, was uns Ronald Reagan und Margaret Thatcher als „Trickle-down-Effekt“ versprochen haben („Gib dem Pferd genug Hafer, dann kommen am Ende Pferdeäpfel heraus.“). Allerdings versprachen sie damals auch: Effizienz, Befriedigung unserer Konsumbedürfnisse, allgemeinen Wohlstand.

Leider zweigt David Graebers Pfad bei „den Banken“ ab

Graeber lässt die planmäßige, schöpferische Zerstörung einer kapitalistischen Wirtschaftsformation (wahlweise rheinischer, keynesianischer, fordistischer Kapitalismus, Deutschland AG genannt) durch oben genannte Akteure und ihre Konzepte außer acht. Er landet stattdessen bei der Soziologie Max Webers und der puritanisch-protestantischen Arbeitsmoral, die angeblich seit Jahrhunderten in uns und auf uns wirken soll und den Kapitalismus geprägt habe.

Graeber fordert am Ende gar das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) – eine gefährliche Chimäre, die in Deutschland vermutlich erst von der linken Agenda verschwinden wird, sobald sich die AfD dieses Thema auf die Fahnen schreibt. Das BGE ist eigentlich wie geschaffen für die Propaganda eines Bernd Höcke und seiner völkischen Gewerkschaftsinitiative ALARM! (Alternative Arbeitnehmervereinigung Mitteldeutschland). Wenn man das bedingungslose Grundeinkommen mit dem Zusatz „nur für Deutsche“ versieht, entsteht dadurch fast automatisch der perfekte Apartheidsstaat. Auch gibt es bereits eine neoliberale, scheinbar freundliche Variante. Graeber kennt den Boss der Drogeriekette dm, Götz Werner, [6] offenbar ebensowenig wie die Strategen bei der Deutschen Post / DHL und ihren „Glücksatlas“. [7] Diese Strategen sahen schon den Mindestlohn als Aufforderung, keinen Tariflohn mehr zu zahlen, und sie sehen im nächsten Schritt das BGE als Chance, überhaupt keinen Lohn mehr zu zahlen, sondern nur noch ein Taschengeld. Der viel geschmähte Staat – Graeber ist bekennender Anarchist – soll einmal mehr die volle Sorge und Verantwortung für Proleten und Überflüssige übernehmen – inklusive aller Kosten.

Statt ausgerechnet nach einem wohlmeinenden, starken Staat zu rufen – Wer sonst soll ein BGE einführen, garantieren und umsetzen? – sollten wir herausfinden, welches Widerstandspotential sich aus dem tiefgreifenden Frust schöpfen ließe, den Bullshit-Job-Betroffene in sich tragen müssen. Um zu Andersens Märchen zurückzukehren: Sobald das gemeine Volk erkannt hat, dass der Kaiser nackt dasteht und sein Hofstaat aus Speichelleckern und Narren besteht, ist die Herrschaft in den Köpfen bereits zerplatzt und der Weg zum Aufstand nicht mehr weit. Ob dieser Aufstand emanzipatorisch sein wird, ob Menschen zu solidarischem Handeln fähig sind, die jahrelang Kollegialität bloß simuliert haben, wieviel Bullshit-Deformation sich möglicherweise bereits in der gegenwärtigen Pegida-Welle findet, gilt es herauszufinden.

Fazit: Lesen, diskutieren, weiter verbreiten!

Auch wenn er sich am Ende verheddert, ist David Graeber ein hervorragendes Buch gelungen. Bullshit Jobs eröffnet ein bislang unbeackertes Feld und eine verblüffende Sicht auf die absurden Zustände, in denen wir leben. Ich empfehle die Lektüre, vielleicht sogar die Gründung von Lesekreisen oder Selbsthilfe-Widerstandsgruppen von Bullshit-Jobbern.


* Elmar Wigand ist Publizist und Sozialforscher. Er arbeitet als Referent und Berater für Gewerkschaften und Betriebsräte. Er ist Pressesprecher der aktion ./. arbeitsunrecht e.V.


[«1] Bericht der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfrakton. Quelle: Zahl der Krankschreibungen stark gestiegen, tagesschau.de, 21.9.2018, https://www.tagesschau.de/inland/anstieg-krankschreibungen-101.html

[«2] Allein der „volkswirtschaftliche Schaden“, der durch arbeitsunfähige Bullshit-Jobber entstehen kann, ist fraglich. Bullshit-Jobs sind so unnütz, dass es keinen Unterschied macht, ob ein „Beschäftigungsträger“ zur Arbeit erscheint oder nicht. Allerdings belastet seine Krankmeldung die Sozialsysteme, da Versicherungen die Lohnfortzahlung übernehmen.

[«3] Der Politiker und Professor der Sozialwissenschaften fordert das „Recht auf Arbeit“ ins Grundgesetz aufzunehmen. Mohssen Massarrat fragt: „Linke Sammlungsbewegung, wohin?“, nachdenkseiten, 28.8.2018, https://www.nachdenkseiten.de/?p=45718

[«4] Zukunft – Hauptsache Arbeit, Der Spiegel 18/1998, 27.4.1998, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7870591.html

[«5] 35 Selbstmorde bei France Télécom. Ex-Chef droht nach Suizidwelle Anklage, n-tv, 7.6.2016, https://www.n-tv.de/wirtschaft/Ex-Chef-droht-nach-Suizidwelle-Anklage-article18139931.html

[«6] 1000 Euro pro Monat. dm-Chef Götz Werner erklärt, warum uns das Grundeinkommen nicht zu Faulpelzen macht, Der Stern, 18.7.2017, https://www.stern.de/wirtschaft/news/grundeinkommen–goetz-werner-erklaert–warum-wir-dadurch-nicht-faul-werden-7542752.html

[«7] Wir sollen in Zukunft nicht für Lohn, sondern aus innerem Antrieb arbeiten. Den Weg zu dieser höheren Stufe der Arbeit weisen uns Engagement und Ehrenamtlichkeit, denn: „Menschen, die mit ihrem Leben überdurchschnittlich zufrieden sind, engagieren sich wesentlich häufiger aktiv für soziale oder ökologische Angelegenheiten als Menschen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind.“ Zitat: Deutsche Post Glücksatlas 2017, https://www.gluecksatlas.de/, abgerufen 24.9.2018

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!