Macrons Untergang wirft seinen Schatten
Die Vorschusslorbeeren hätten größer kaum sein können. Als Emmanuel Macron im Mai letzten Jahres zum französischen Präsidenten gewählt wurde, galt er vor allem bei deutschen Linksliberalen als Hoffnungsträger. Sie hätten es besserwissen müssen. Nach eineinhalb Jahren Macron herrscht im Élysée-Palast die Tristesse. Der „Sonnenkönig“ gilt nun mehrheitlich als Präsident der Reichen und ist so unbeliebt wie kein französischer Präsident zuvor. Seine großspurigen, aber stets inhaltsleeren Phrasen von einem neuen, besseren Europa nimmt heute in Frankreich kaum noch jemand ernst. In Deutschland wird er jedoch losgelöst von den Realitäten mehr und mehr als Retter des „liberalen Europas“ gegen „linke und rechte Populisten“ aufgebaut. Absurd. Währenddessen scharren die Rechten in Frankreich schon mit den Hufen. Von Jens Berger
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Am Montag trafen sich in New York die beiden Präsidenten, die im letzten Jahr die Berichterstattung deutscher Medien dominiert und gleichzeitig polarisiert haben wie kaum zwei Politiker zuvor – der „Oberschurke“ Donald Trump und der „strahlende junge Sonnenkönig“ Emmanuel Macron. Auch wenn die beiden Präsidenten auch unabhängig von der medialen Meinungsmache grundverschieden sind, haben sie dennoch eines gemeinsam – sie sind nach kurzer Amtszeit so unbeliebt wie keiner ihrer Vorgänger zuvor. Trumps Zustimmungsrate hat sich mittlerweile auf mageren 40% eingependelt. Dieser Wert ist zwar schlecht, aber auch nicht so schlecht, wie man es angesichts der pausenlosen Negativberichterstattung erwarten könnte. Die Mediendarlings Clinton und Obama waren mit 42% bzw. 45% in ihrem zweiten Amtsjahr auch nicht deutlich beliebter.
Noch überraschender dürfte es da für deutsche Leser sein, dass „Medienliebling“, Emmanuel Macron im eigenen Lande noch deutlich unbeliebter ist als Trump in den USA. Mit einem Zustimmungswert von nur 29% unterbietet Macron mittlerweile sogar den bisherigen Minus-Rekord seines Amtsvorgängers Hollande, der wegen eines Wertes von 31% seinerzeit freiwillig auf eine zweite Amtszeit verzichtete. Die Gründe für Macrons jüngsten Absturz sind zahlreich. Zunächst kam heraus, dass sein Bodyguard in seiner Freizeit – offensichtlich mit Zustimmung der Polizeibehörden – gerne linke Demonstranten zusammenprügelt. Dann bekommt seine Sportministerin Ärger mit der Steuerfahndung und sein überaus beliebter Umweltminister gesteht vor laufenden Mikros, dass die „Zeit des Lügens“ nun vorbei ist und er vom Amt zurücktrete. Als Dritter im Bunde verließ ihn dann noch ein alter Weggefährte, den Macron zum Innenminister ernannt hatte; nicht ohne zuvor öffentlich vor der „Hybris“, die mit Macron und seiner Entourage im Élysée Einzug gehalten hätte, zu warnen. Der Dreifach-Verlassene wollte gut Wetter machen und arrangierte einen PR-Termin, bei dem er im Élysée-Garten lustwandeln und sich bei Smalltalk zu medienwirksamen Selfies mit seinen „Untertanen“ ablichten lassen sollte. Doch Macron tat es eher Marie Antoinette gleich und erzählte vor laufenden Mikros einem arbeitslosen Gärtner, dass es doch kein Problem sei, einen neuen Job zu finden. Er müsse nur „über die Straße gehen“.
Das kam natürlich bei den „Untertanen“, die Macron aufgrund ihrer Unlust für „Reformen“ wenige Tage zuvor als „widerspenstige Gallier“ bezeichnete, weniger gut an. Aber es geht beileibe nicht nur um die sagenhafte Arroganz und die nie vorhandene Bodenhaftung des ehemaligen Investmentbankers. Auch politisch ist er eine echte neoliberale Nullnummer, die Sozialausgaben kürzt und dabei die Vermögenssteuer absenkt, die eine Bahnprivatisierung durchboxt und auch auf europäischer Ebene vor allem als Freund der Rüstungskonzerne von sich Reden macht. Vom vielzitierten „Spirit“ des Hoffnungsträgers ist weder national noch auf europäischer Ebene auch nur ein Funke sichtbar. Alles nur Show.
Da hierzulande die Lobhudelei jedoch immer noch bar jeder Grundlage fortgeführt wird, gilt Emmanuel Macron paradoxerweise in Deutschland bei vielen Linksliberalen, Grünen und „Sozialdemokraten“ immer noch als Projektionsfläche für ihren Traum von „mehr Europa und weniger Nationalstaat“. Selbst wenn man inhaltlich lieber vage bleibt und konkrete Forderungen scheut wie der Teufel das Weihwasser, hat man zumindest ein klares Feindbild: „Die Populisten“. Und das sind natürlich nicht nur „Rechtspopulisten“, sondern ganz ausdrücklich auch „Linkspopulisten“ wie Corbyn, Mélenchon, Lafontaine und Wagenknecht, deren „Europabild“ nicht so naiv ist und denen sozioökonomische Reformen wichtiger sind als der Selbstzweck, immer europäischer und immer globaler zu werden und die Checks&Balances von der regionalen oder nationalen Ebene auf eine internationale Ebene auszulagern, auf der man kaum noch Kontroll- oder gar Mitspracherechte hat.
Macron ist der Großmeister dieses Selbstzwecks und gilt seinen Brüdern und Schwestern im Geiste daher auch – völlig unabhängig von seinem grandiosen Versagen im eigenen Lande – als Aufhänger für die Europawahlen im nächsten Frühjahr; allerdings mangels Perspektive nicht mehr als Subjekt, sondern als Objekt. Der ungeliebte „Sonnenkönig“ muss der Kunstfigur aus der Welt der politischen PR weichen. Das kommt Macron natürlich sehr gelegen. Nun kann sich der talentierte Wahlkämpfer bis zu den Europawahlen fern der düsteren Tristesse in eine Parallelwelt begeben. Und wer diskutiert nicht lieber mit Jürgen Habermas und Sigmar Gabriel darüber, wie man „Europa neu denken“ könne, als sich mit erwerbslosen Gärtnern „herumzuschlagen“? Dem Gärtner und dem überwiegenden Rest der „Untertanen“ geht es durch die intellektuellen Turnübungen ihres Sonnenkönigs freilich kein Jota besser – dies anzumerken, wäre aber sicher „populistisch“.
Ein Thema hat Macron auch schon. Es geht – wen wundert es – für mehr Europa und gegen die „Populisten“. Macrons Partner steht auch schon fest – die Fraktion der wirtschaftsliberalen Parteien im Europaparlament ALDE, der als deutscher Vertreter die FDP angehört. Dies ist freilich nur konsequent. Wer bei den Europawahlen in Deutschland „proeuropäisch“, gegen die „Populisten“ und für Macron stimmen will, muss demnach sein Kreuz bei der FDP machen. Damit wäre die Katze wenigstens aus dem Sack.
Im kommenden Frühjahr könnte der ganze Spuk endlich ein Ende haben. Denn es ist mehr als unwahrscheinlich, dass Macrons Partei „La République en Marche“ auch nur im Ansatz an die Erfolge des letzten Jahres anknüpfen kann. Bei den letzten Europawahlen war in Frankreich übrigens die Front National mit 24,9% die stärkste Partei. Es steht zu befürchten, dass sich dieses Ergebnis unter dem neuen Namen „Rassemblement National“ wiederholen könnte. Vor weiteren Spekulationen sollte man sich jedoch hüten. Den aktuellen Zustimmungswerten zufolge – die in Frankreich meist auf der personellen und nicht auf der parteilichen Ebene erhoben werden – ist die politische Landschaft Frankreichs mittlerweile komplett zersplittert. Von den traditionellen Politikern schneidet der ehemalige Premier Alain Juppé, ein Gaullist, mit 40% noch am besten ab. Am unbeliebtesten ist übrigens der neue Vorsitzende der Sozialdemokraten, Olivier Faure, der auf magere 9% Zustimmung kommt.
Wie sich diese Zahlen konkret in den Wahlergebnissen im nächsten Frühjahr niederschlagen, ist zurzeit unmöglich zu sagen. Allenfalls Trends sind sichtbar. Und dabei kristallisiert sich immer mehr heraus, was Didier Eribon bereits vor Macrons Wahl vorhergesagt hatte – auf Macron folgt Le Pen. Zusammen mit AfD, Schwedendemokraten, Geert Wilders PVV, Vlaams Belang, Dänischer Volkspartei, Wahren Finnen, PiS, Fidesz, Jobbik, Lega und anderen droht dem Europaparlament damit ein so noch nie dagewesener, wirklich dramatischer Rechtsruck. Es ist fünf vor zwölf.