„Die neuen Todesfälle durch Borna-Viren bringen das Robert Koch-Institut in Erklärungsnot“
2007 erhielt die Virusforscherin Liv Bode den Whistleblower-Preis, weil sie bei ihrer Forschung zum Borna-Virus „Alarm geschlagen“ hat. Zusammen mit ihrer Forschungsgruppe war sie auf infektiöse Virusbestandteile in einer Probe gespendeten Blutplasmas gestoßen. Es folgte eine Auseinandersetzung mit dem Robert Koch-Institut (RKI), bei dem sie angestellt war. Ihre Arbeitsgruppe wurde aufgelöst und sie erhielt ein Publikationsverbot, das später zurückgenommen wurde. Aktuelle Todesfälle im Zusammenhang mit dem Borna-Virus scheinen die Forschung von Bode zu bestätigen. Im Interview mit den NachDenkSeiten erklärt Bode, was es mit dem Virus auf sich hat und was damals und heute geschehen ist. Ein Interview von Marcus Klöckner.
Frau Bode, wovor Sie bereits seit vielen Jahren gewarnt haben, scheint sich nun zu bestätigen: Das Borna-Virus ist auf Menschen übertragbar und macht krank. Können Sie uns kurz schildern, was sich jüngst ereignet hat?
Ende März 2018 wurde bekannt, dass Infektionen mit Borna-Virus bei fünf Menschen zu schweren Gehirnerkrankungen geführt haben, die in vier Fällen tödlich verlaufen sind. Drei Patienten hatten Organe ein und desselben, unerkannt mit Borna-Virus infizierten Organspenders erhalten. Zwei Empfänger einer verseuchten Niere verstarben 100 Tage später, der dritte Empfänger einer verseuchten Leber hat überlebt, verlor aber sein Sehvermögen durch eine virusbedingte Schädigung des Sehnervs. Zwei weitere Todesfälle durch Borna-Virus haben dem Vernehmen nach keinen Bezug zu den Transplantationsfällen.
Wie schätzen Sie die Bedeutung der neuen Todesfälle durch Borna-Viren und deren Bewertung im Kontext der früheren Forschung ein?
Für die Transplantationszentren und die Öffentlichkeit bleibt die Bedeutung und Brisanz der bedauernswerten Todesfälle durch die bisherige Berichterstattung weitgehend verborgen. Das liegt wesentlich an der einseitigen und irreführenden Interpretation des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), des Robert-Koch-Instituts (RKI) und der Gesellschaft für Virologie (GfV). Deren Interpretationen helfen dabei, ihre früheren Fehleinschätzungen zu verschleiern. Eine wissenschaftliche Publikation zu den Todesfällen gibt es bis dato nicht.
Die wenigsten Leser dürften ausgebildete Virusforscher sein. Können Sie uns bitte möglichst anschaulich erklären, worum es geht?
Unstrittig ist, dass das verursachende Virus der menschlichen Gehirnerkrankungen das sogenannte klassische Borna-Virus war, Borna Disease Virus (BDV-1). Falsch ist, dass behauptet wird, dies seien die allerersten Infektionsnachweise von BDV-1 beim Menschen. Damit wird die gesamte Forschung früherer Jahre, an denen ich und viele Kollegen aus dem In- und Ausland beteiligt waren, wie vor 20 Jahren ignoriert oder als irrelevant abgetan. Zu wichtigen Ergebnissen gehörten der Nachweis von Viruserbgut im Blut psychiatrischer Patienten, die Isolierung infektiöser Humanviren, die Entdeckung eines antiviralen Medikaments und die Entwicklung neuer Blutteste.
Die zentrale Frage scheint doch zu sein, wie groß die Gesundheitsgefahr für den Menschen ist, also ob Infektionen nun selten oder verbreitet sind, oder?
In der Tat. Wenn man einschätzen will, wie verbreitet eine Infektion ist, muss man erkrankte und gesund infizierte Individuen gleichermaßen einbeziehen. FLI, RKI und GfV sprechen von sehr seltenen Einzelfällen, also nur von den erkrankten und verstorbenen Patienten …
… aber lassen Tatsachen unberücksichtigt?
Das tun sie, nämlich: Die Tatsache, dass der Organspender ja offensichtlich gesund (unbemerkt) infiziert gewesen sein musste.
Was heißt das?
Das zeigt eindeutig: Symptomlose Träger der Infektion existieren.
Was wurde noch nicht berücksichtigt?
Unberücksichtigt bleiben auch publizierte Arbeiten, die die Auffassung stützen, dass gesund Infizierte nicht nur die Regel sind, sondern sogar überwiegen, auch bei Pferden und Menschen. Die tödliche Gehirnkrankheit ist die seltene Ausnahme, eine Art „Betriebsunfall“, erklärbar durch die extrem unterdrückte Immunabwehr. Es gibt unterschiedlich gute Methoden, die Infektion im Blut nachzuweisen, aber an der Existenz gesunder Träger kann niemand vorbei.
Welche Rückschlüsse ziehen Sie aus den Gegebenheiten?
Wir müssen nach Datenlage also von der Verbreitung der BDV-1-Infektion durch gesund infizierte Menschen ausgehen. Dass Spitzmäuse hier eine Rolle spielen sollen, halte ich für reine Spekulation. Die Aufrechterhaltung von sogenannten Infektketten in einer Population durch gesunde Träger ist für viele Infektionen bekannt und auch für BDV-1 wahrscheinlich. Das bedeutet gleichzeitig ein nicht unerhebliches Gesundheitsrisiko für Patienten mit unterdrücktem Immunsystem, das in den Stellungnahmen von FLI, RKI und GfV fehleingeschätzt wird.
Wie ist es mit den Nachweismethoden? Sind diese zuverlässig?
Wenn man den Stellungnahmen, beispielsweise von der GfV, glaubt, müssten Nachweismethoden, die Borna-Virus-Infektionen erkennen, erst noch entwickelt werden. Deswegen seien vorbeugende Maßnahmen zur Sicherung der Organspenden noch nicht möglich, aber auch unnötig wegen der Seltenheit der Erreger. Da dies im Widerspruch zur publizierten Literatur der BDV-Diagnostik im Blut steht, werden die bisher etablierten Testverfahren und Befunde, wie vor 20 Jahren, als nicht verlässlich diskreditiert.
Ist das denn falsch?
Ja, denn die damals erhobenen Vorwürfe sind mit weiteren publizierten Forschungsdaten längst widerlegt. Ein zentraler Vorwurf war, die aus dem Blut psychiatrischer Patienten isolierten Viren seien gar keine Humanviren, sondern Laborviren, die die Blutproben verunreinigt (kontaminiert) hätten. Diese Behauptung wurde mit der genetischen Ähnlichkeit von Humanviren und Laborviren gerechtfertigt. Nun ist es in der Tat so, dass alle BDV-1-Viren, egal ob von Mensch oder Pferd oder im Labor verändert, von Natur aus in ihrem Erbgut ungewöhnlich nahe verwandt sind. Hier gilt aber, je größer die Verwandtschaft, desto wichtiger ist jede einzelne genetische Abweichung (Mutation) für die Viruseigenschaften. Menschliche Bornaviren hemmen z.B. das Wachstum von Gehirnzellkulturen, während Laborviren dieses fördern. Es gibt eine Fülle weiterer biologischer Unterschiede, die klar zeigen, dass der Kontaminationsvorwurf falsch ist, die menschlichen Borna-Viren also echt sind.
Ein weiterer Vorwurf betrifft die von meinem Team am RKI und Kollegen der Freien Universität Berlin (FUB) entwickelten ELISA-Teste, publiziert 2001. Diesen Testen liegt die Entdeckung zugrunde, dass zwei Viruseiweiße nicht nur krankheitswichtig sind, weil sie im Gehirn wahrscheinlich die Botenstoffe stören, sondern auch diagnostisch bedeutsam, weil sie im Blutplasma bei Virusschüben nachweisbar sind und zwar hauptsächlich nach Bindung an Antikörper. Sie heißen dann Immunkomplexe (CIC). Solche CIC gibt es auch bei anderen Virus-Infektionen, aber bei BDV sind sie entscheidend, weil sie besonders häufig sind.
Was haben Sie mit dem Test herausgefunden?
Erstens, dass BDV-Infektionen in gesunden Menschen je nach Land bei jedem Zehnten bis jedem Dritten (10 bis 30 Prozent) vorkommen können, und zweitens, dass psychiatrische Patienten mehr als doppelt so häufig betroffen sind. Eine bis heute andauernde Kontroverse und die Einstellung der Forschung am RKI waren die Folgen. Dass die Teste spezifisch für BDV sind, d.h. das messen, was sie messen sollen, dafür gibt es inzwischen auch molekulare Beweise. Ungeachtet dessen werden die Teste auch jetzt wieder, in der GfV-Stellungnahme zu den Todesfällen, als „unzureichend validiert“ bezeichnet und vom Einsatz abgeraten.
Aber diese Tests und Erkenntnisse sind schon lange her?
Ja, mehr als 10 Jahre nach der Einstellung der früheren Forschung fehlt es an repräsentativen Untersuchungen in der Bevölkerung, hier und anderswo, um die regionale Verbreitung der Borna-Virus-Infektion differenziert einschätzen zu können. Das Wichtigste dabei ist der Einsatz derselben Kriterien für repräsentative Bevölkerungspanels und derselben diagnostischen Methoden, um die Daten vergleichbar zu machen. Auch gibt es Nachholbedarf, um die Diagnostik in Zukunft im Sinne von Optimierungen immer besser zu machen. Allerdings: Die bestehenden Teste, heute durchgeführt von einem akkreditierten Medizinlabor, sind lange erprobt im In- und Ausland und gut genug, um Patienten und Transplantationszentren schon jetzt verlässliche diagnostische Hilfe anzubieten.
Wann sind Sie darauf gestoßen, dass das Borna-Virus auch eine Gefahr für Menschen darstellt?
BDV, Borna Disease Virus, hat seinen Namen von der Stadt Borna bei Leipzig erhalten, wo vor über 100 Jahren eine bis dato unbekannte Infektion zu einem Massensterben von Militärpferden geführt hatte. In den 1920-er Jahren konnte die Infektion experimentell auf kleine Säugetiere (Kaninchen, Ratten) übertragen und die Viren viel später (1970-er Jahre) auch in Zellkulturen gezüchtet werden (Laborviren). Verhaltensstörungen und Wesensänderungen gehören genauso zur Bornaschen Krankheit bei Pferden, Schafen und den vielen anderen Säugetieren wie die vergleichsweise seltenen tödlichen Gehirnentzündungen.
Die naheliegende Frage war, ob auch Menschen von der Infektion betroffen sein und vergleichbare Symptome entwickeln könnten, oder?
Genau. Hinweise dafür gab es schon in den 1980-er Jahren durch Antikörpernachweise im Blutplasma psychiatrischer Patienten.
Das war aber als Beweis nicht genug?
Es bedurfte des Nachweises von Bestandteilen des Virus selbst (Erbgut oder Eiweiß). Dieser wichtige Meilenstein gelang uns 1995 mit dem Erstnachweis von Viruserbgut in den Blutzellen psychiatrischer Patienten. Erst ein Jahr zuvor war das komplette Genom unabhängig von zwei amerikanischen Forschergruppen sequenziert worden. Der nächste konsequente Schritt war der mühsame Versuch, infektiöse Viren aus solchen Patienten zu isolieren, was uns 1996 gelang und Jahre später auch japanischen Forschern. Weltweit stieß die Borna-Virus-Forschung in den 1990-er Jahren auf immer größeres Interesse und war gleichzeitig Gegenstand hitziger Debatten. Bei meinem interdisziplinär mit Experten u.a. aus Human- und Veterinärmedizin, Virologie und Biochemie entwickelten Forschungsansatz gingen wir von der Hypothese aus, dass Risiken für psychiatrische Erkrankungen durch Borna-Viren beim Menschen hoch plausibel sind.
Also, es geht um ähnliche Krankheitssymptome wie bei den von dem Virus befallenen Tieren?
Ja, bei den Tieren konnten Verhaltens- und Lernstörungen nachgewiesen werden, deren Ursache vorrangig in komplexen Störungen der Gehirnbotenstoffe in einem entwicklungsgeschichtlich alten Gehirnbereich, dem limbischen System, vermutet wurde. Beim Menschen war der Infektionsnachweis im Blut eine unerlässliche Voraussetzung für Forschungen zu Krankheiten durch BDV. Wie oben erklärt, konnten wir Tools entwickeln, die dabei halfen, die Arbeitshypothese mentaler Gesundheitsrisiken beim Menschen durch Vergleich der Proben von Patienten und Gesunden konsequent weiterzuverfolgen. Mit diesen Tools waren wir besser als andere, die nur Antikörper- oder Viruserbmaterial-Teste anwandten, in der Lage, den dynamischen Infektionsverlauf in Menschen (und Pferden) zu erkennen. In der Tat stellte sich heraus, dass Immunkomplexe und Viruseiweiße in psychiatrischen Patienten signifikant häufiger vorkommen als in Gesunden.
Das heißt?
Virusaktivität war häufiger bei den Erkrankten als bei Gesunden zu finden – wozu es mittlerweile auch Daten aus dem In- und Ausland gibt.
Diese Forschungsergebnisse haben Sie also alarmiert?
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ging ich damals wie heute von erheblichen Gesundheitsrisiken für den Menschen aus. Dabei ist aber wichtig zu beachten, dass gesunde Menschen durch die BDV-Infektion nur ein kleines oder kein Gesundheitsrisiko haben. Groß wird das Risiko erst dann, wenn die Gesundheit beeinträchtigt ist oder bereits eine mentale Erkrankung eingetreten ist. Einer der wichtigsten Risikofaktoren ist eine geschwächte oder (zeitweise) gänzlich zerstörte Immunabwehr – und da wären wir wieder bei den aktuellen Todesfällen, die nach Übertragung verseuchter Organe bei Transplantatempfängern zu beklagen waren.
Infektion ja, klinische Bedeutung nein – war das die mehrheitliche Risikowahrnehmung?
In der globalen Forschergemeinde bestand an der Infektion des Menschen mehrheitlich kaum Zweifel, zumindest in den 1990-er Jahren, wohl aber an der klinischen Bedeutung.
Den entscheidenden Unterschied machten hier die Entdeckung eines antiviralen Medikaments und die mehrfach erwähnten neuen diagnostischen Blutteste. Unsere gemeinsame Entdeckung mit klinischen Psychiatern, dass Amantadin, ein altbekanntes Mittel gegen Grippeviren, depressiven, infizierten Patienten klinisch wirksam half durch Reduktion der Borna-Virus-Aktivität, war (und ist) ein Glücksfall und stützte die Hypothese, dass BDV mitbeteiligt ist an psychiatrischen Krankheiten.
Das Konzept einer verbreiteten BDV-Infektion bei gesunden Individuen, die für eine empfindliche Minderheit aber erhebliche Gesundheitsrisiken bergen kann, hat sich nach meiner Einschätzung der Datenlage als schlüssig erwiesen. Dieses Konzept trifft im Übrigen auch für viele andere Virusinfektionen zu. Die aktuellen Todesfälle durch BDV-1-verursachte Gehirnentzündungen bei immungeschwächten Transplantatempfängern sind ein Weckruf, der endlich mehrheitlich zu einer Neubewertung des Gesundheitsrisikos führen sollte.
Und wann haben Sie damals Alarm geschlagen?
Als wir im Jahr 2001 die neuen ELISA-Teste publizierten, waren umfangreiche Untersuchungen an tausenden Blutproben von Studienpatienten vorausgegangen, wobei zahlreiche individuelle Infektionsverläufe von vielen Monaten eingeschlossen wurden. Auf diese Weise konnten die Testprotokolle optimiert und standardisiert werden. Die Patienten profitierten im Rahmen der Forschung von einer qualitätsgesicherten Diagnostik zur Abklärung des Infektionsstatus und gegebenenfalls zur Therapiekontrolle. Die Diagnostik wurde nicht nur bei Humanpatienten, sondern auch bei tierärztlich angeforderten Untersuchungen erkrankter Pferde und gesunder Bestände durchgeführt.
Als Kontrollproben gesunder Menschen wurden Plasmaproben von Blutspendern einbezogen. Auf Anfrage erhielten wir vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Zufallsprinzip ausgewählte Panels von Plasmaproben der anonymen Spender, mit Angaben zum Alter, Geschlecht und einer Code-Nummer.
In einem der Panels identifizierten wir im Oktober 2002 eine Probe, die einen hohen Anteil an BDV-Eiweißen (BDV-Antigenen) und zu unserem Schrecken infektiöse Bestandteile des BDV-Erbmaterials aufwies. Außerdem enthielt die Probe Immunkomplexe und hohe Antikörpermengen. Die Wiederholung ergab dieselben Ergebnisse, das Erbmaterial wurde zudem sequenziert und als BDV-spezifisch bestätigt. Solche Ergebnisse hatten wir 2001 nur bei schwerstkranken, hospitalisierten Patienten mit Major Depression gefunden.
Sie haben also infektiöse Virusbestandteile in einer Probe gespendeten Blutplasmas gefunden?
So ist es. Und dieser Befund einer als hochinfektiös einzustufenden Probe eines Blutplasmaspenders war extrem alarmierend. Ich wandte mich direkt an die RKI-Leitung, legte die Ergebnisse im Detail vor und schlug folgende Maßnahmen vor, die mir zur Abwendung unkalkulierbarer Risiken für Blutspende-Empfänger geeignet erschienen:
- Information des DRK durch die RKI-Leitung über den aufgetretenen Borna-Virus-Verdacht bei der betreffenden Blutspende
- Ankauf der gesamten Blutspende für weitere Untersuchungen und zum Risikoausschluss
- vorläufige Sperrung des Spenders für weitere Plasma- und/oder Blutspenden und Sperrung der Verwertung seiner Spenden für Blutprodukte, bis zur Klärung des Verdachts
- eine Vereinbarung mit dem DRK, den Infektionsverlauf des Spenders in Folgeplasmaproben, die das DRK zur Verfügung stellt, weiterverfolgen und dokumentieren zu können. Es war wichtig zu klären, wie lange der gefährliche infektiöse Infektionsstatus dauerte.
2007 haben Sie den Whistleblower-Preis erhalten. Was hat sich damals abgespielt, als Sie vor allem auch angesichts der von Ihnen festgestellten Infizierung einer DRK-Blutspende auf die Gefahren, die vom Borna-Virus ausgehen, aufmerksam gemacht haben?
Von den oben vorgeschlagenen Maßnahmen wurde von der RKI-Leitung nur der Ankauf der gesamten mutmaßlich infektiös belasteten Blutplasmaspende dieses Spenders getätigt. Alle anderen Vorsorgemaßnahmen unterblieben.
Es wurden von der RKI-Leitung aber zwei Gutachten zur Überprüfung der Testergebnisse veranlasst. Zuerst wurde ein privates Diagnostikinstitut damit beauftragt und dafür die gesamte als hochpositiv ermittelte Plasmaspende an dieses Institut weitergegeben. Das fast ein Jahr später (2003) vorliegende Gutachten der inzwischen insolventen Firma bestätigte unsere Ergebnisse nicht, erwies sich aber als wissenschaftlich unbrauchbar wegen gravierender methodischer Mängel, wie auch der RKI-Forschungsrat konstatierte.
Und dann?
Daraufhin wurde ein hausinterner Wissenschaftler mit der Begutachtung beauftragt. Dazu wurden seitens der RKI-Leitung drei weitere Zufallspanels vom DRK-Blutspendedienst angefordert, insgesamt 188 Proben, die wir zunächst mit unseren ELISA-Testen untersucht haben, um für die Begutachtung geeignete Proben zu identifizieren.
Um es abzukürzen: Der Wissenschaftlerkollege kam im Oktober 2005 zu dem Ergebnis in Form von Datenblättern, dass er unsere Befunde nicht bestätigen konnte. Die Basis dafür bildeten vier Plasmen mit hohen Immunkomplexwerten. Auch diese Begutachtung hatte gravierende methodische Mängel, die ich der RKI-Leitung in einer detaillierten schriftlichen Gegenkritik zeitnah erläutert habe. Negative Ergebnisse sind ohne Beweiskraft, wenn die genaue Menge an Viruseiweiß, die das zur Prüfung verwendete Verfahren nachweisen kann, also die Nachweisgrenze, nicht bestimmt worden ist. Trotz dieser erheblichen Mängel wurden die Untersuchungsergebnisse meines Kollegen 2006 unter Mitautorenschaft der RKI-Leitung publiziert.
Gab es denn keine unabhängige Prüfung?
Nein, auf eine unabhängige externe Prüfung der damaligen Forschungsergebnisse hat das RKI bis heute verzichtet und damit auch auf die Abklärung des Verdachts der seinerzeit, im Oktober 2002, als infektiös eingestuften Plasmaprobe und des zugehörigen Spenders.
Wie haben Sie reagiert? Welche Konsequenzen gab es für Sie?
Nachdem ich nach Auflösung meiner Arbeitsgruppe und Publikationsverbot institutsintern keine Möglichkeit mehr zur weiteren Klärung der möglicherweise gravierenden Risiken durch Borna-Viren gesehen hatte, habe ich Abgeordnete des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestags um Unterstützung gebeten und den Konflikt mit der RKI-Leitung um unterschiedliche Risikobewertung damit öffentlich gemacht. Ich bin dort sehr ermutigt worden, für Transparenz und Offenheit in der Forschung und einen freien wissenschaftlichen Kommunikationsprozess einzutreten, gerade wenn es um differierende Ergebnisse geht, die potentielle Gesundheitsrisiken der Bevölkerung betreffen. Mein detaillierter Initiativvorschlag zu einem deutschlandweiten Ringversuch hatte das Ziel, noch einen relevanten Beitrag zu einer externen Validierung der strittigen Testverfahren zu leisten. Trotz Unterstützung engagierter Ärzte im Deutschen Bundestag stieß die Initiative auf Ablehnung beim RKI und beim Bundesministerium für Gesundheit.
Die unerwartete Verleihung des Whistleblower-Preises durch die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und die IALANA im Jahr 2007 war nicht nur eine große Ehre und Anerkennung, sondern hat auch entscheidend dazu beigetragen, dass das Publikationsverbot nach eineinhalb Jahren von der Institutsleitung aufgehoben wurde unter der Maßgabe, die abweichende Meinung mit „disclaimer“ zu kennzeichnen.
Was hat der Whistleblower-Preis noch bewirkt?
Durch die Preisverleihung ist es gelungen, die Öffentlichkeit auf ein brisantes wissenschaftliches und gesundheitspolitisches Thema aufmerksam zu machen, das nicht nur die Forschung, sondern auch die Gesellschaft betrifft. Heute, über 10 Jahre später, sieht es danach aus, dass die aktuellen Todesfälle durch Borna-Viren meine damalige Risikowahrnehmung bestätigen.
Und dann: Wie ist das Robert Koch-Institut und wie sind die Fachkreise mit Ihren Erkenntnissen weiter umgegangen?
Nach der Whistleblower-Preisverleihung hat das RKI eine 5-seitige Erklärung zur 2005 erfolgten Einstellung der Borna-Virus-Forschung auf die RKI-Homepage gestellt, die noch immer abrufbar ist. Danach werden nicht nur die von mir und Kollegen entwickelten und erprobten Teste als „ungeeignet für eine aussagefähige Diagnostik angesehen“, sondern auch festgestellt, dass es „keine belastbaren Hinweise“ gibt, „dass das Borna-Virus überhaupt einen Krankheitserreger für den Menschen darstellt“.
Die GfV hatte sich dieser Auffassung angeschlossen?
Ja, und zwar ohne eigene Erkenntnisse. Sie stellte damals fest, „dass die von einer Arbeitsgruppe publizierten Befunde auf bisher ungeklärten, offenbar nicht BDV-spezifischen Reaktionen beruhen, die nach Stand der Dinge fälschlicherweise als Virusnachweis interpretiert wurden. Diese Beurteilung wird von der Mehrheit der Experten auf dem Gebiet der BDV-Forschung geteilt“. Und weiter heißt es: „Nach Meinung der Gesellschaft für Virologie beruht die Behauptung, dass BDV ein humanpathogenes Agens ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einer Fehleinschätzung von Daten und ist durch wissenschaftliche Experimente nicht belegt.“ Stand GfV 2008. Diese Stellungnahme ist allerdings nur noch im Netz, aber nicht mehr auf der Homepage der GfV zu finden.
Welches Licht wirft denn das, was damals 2002 und danach passiert ist, auf den Umgang mit Risiken im Blutspendewesen hierzulande?
Die von Dr. Dieter Deiseroth verfasste Laudatio zum Whistleblower-Preis von 2007 (Link s. oben) ist in ihrer Detailliertheit und messerscharfen Analyse und Bewertung der damaligen Vorgänge im Kontext der Vorsorge im Blutspendewesen unübertroffen. Dem kann und will ich nichts hinzufügen.
Dieser Fall betrifft also die Öffentlichkeit, die Menschen im Land. Vor Jahren sagten Sie, bei 4.000 Blutplasmaspenden täglich in Deutschland liege statistisch gesehen das Kontaminationsrisiko mit infektiösen Bestandteilen des Bornavirus bei 40 Plasmaspenden pro Tag. Halten Sie diese Zahl heute auch noch für korrekt?
Diese Kalkulation hatte nur theoretischen Wert und basierte auf der Hypothese, dass bis 1 Prozent der Plasmaspender mit infektiösen Virusbestandteilen belastet sein könnten. Bei dem Zufallspanel von 50 Plasmaproben hatten wir 2002 eine als hochwahrscheinlich infektiös eingestufte Probe gefunden, das sind 2 Prozent. Ob diese Prozentzahlen und damit auch die damalige Kalkulation realistisch sind, kann nur mit Untersuchungen an einer erheblich höheren Anzahl von Spenderproben (mindestens 1.000, besser 10.000) überprüft werden. Genau solche Untersuchungen hätten seinerzeit, nach der Entdeckung der hochbelasteten Probe, einen konstruktiven Beitrag zur Klärung des Risikos leisten können.
Es gehört fraglos zum Recht von Forschungsinstitutionen, jederzeit über die Fortsetzung von Forschungsprojekten und die Verteilung von Ressourcen zu entscheiden. Allerdings habe ich nie verstanden, wie strittige und gesundheitspolitisch darüber hinaus auch noch brisante Fragen durch bzw. nach Beendigung der Forschung gelöst werden sollen.
Welche Schritte müssten denn nun unternommen werden?
Die neuen Todesfälle durch Borna-Viren und deren Übertragung durch kontaminierte Organe eines unerkannt infizierten Spenders bringen das RKI und die GfV in Erklärungsnot. Ihre frühere Einschätzung, das klassische Borna-Virus sei kein menschlicher Krankheitserreger, hat sich als Irrtum herausgestellt.
Ich würde mir jetzt wünschen, dass dies als Chance für eine Neubewertung des Gesundheitsrisikos durch BDV-Infektionen angesehen wird. Dazu ist ein transparenter und offener wissenschaftlicher Diskurs erforderlich, der frühere Forschungsdaten genauso berücksichtigt wie die neuen Befunde.
Eine transparente Debatte zu strittigen Fragen, insbesondere zur Risikobewertung von Blut- und Organspenden, und vollumfängliche Aufklärung ist vor allem ein Recht der Patienten, die auf ein lebensrettendes Organ warten. Wenn die Infektion eben nicht selten, sondern weit verbreitet sein sollte, könnten Transplantatempfänger nicht nur durch unerkannt infizierte potentielle Spender, sondern auch durch eine eigene unerkannte BDV-1-Infektion gefährdet sein, die nach Immununterdrückung im Zuge der Transplantation aktiviert werden und dann auch u. U. lebensgefährlich krank machen kann. Hier ist es gut zu wissen, dass akut gefährdete Patienten mit Amantadin geschützt werden könnten.
Anmerkung: Liv Bode ist heute im Ruhestand, unterstützt aber weiterhin Forschungsprojekte zu menschlichen Borna-Viren (z.B. in China) und berät hierzulande bei Bedarf Medizinlabors in Diagnostikfragen.
Für alle Leser, die noch tiefer einsteigen wollen in die komplexen Hintergründe, sei auf die Links auf der Homepage der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW-ev) verwiesen.