Wer sind die AfD-Wähler? Meinungsmache mit einer fragwürdigen DIW-Studie
Die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ hat sich zum Ziel gesetzt, auch Menschen für progressive Politik zu begeistern, die sich zur Zeit wirtschaftlich und kulturell abgehängt fühlen und nun aus Protest die AfD wählen. Ginge es nach einer jüngst vom DIW veröffentlichten Studie, wäre dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt. Schon der Titel der Studie verrät deren Kernaussage: „AfD-Unterstützer sind nicht abgehängt, sondern ausländerfeindlich“. Die Botschaft ist klar. Wenn sozioökonomische Gründe für die Wahlentscheidung pro AfD keine Rolle spielen, wird auch eine Politik, die primär die sozioökonomischen Sorgen und Nöte der Menschen ernst nimmt, keinen Erfolg dabei haben, AfD-Wähler zu bekehren. Kein Wunder, dass diese Studie vor allem von den parteipolitischen Gegnern von Sahra Wagenknecht innerhalb der Linkspartei unkritisch gefeiert wird. Dabei sind Zweifel an der Studie mehr als angebracht. Mehr noch – mit derartigen Studien verspielt das DIW seinen Ruf. Von Jens Berger.
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Essen Sie häufig Fleisch? Wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten, sind Sie ernsthaft gefährdet, bei den nächsten Wahlen Ihr Kreuz bei der AfD zu machen. Was wie ein Scherz klingt, beschreibt die Arbeitsweise der Studie „AfD-Unterstützer sind nicht abgehängt, sondern ausländerfeindlich“. Der verantwortliche Autor Martin Schröder hat sich nämlich die Mühe gemacht, innerhalb der Daten des seriösen „Sozio-oekonomischen Panel“ SOEP, das vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW herausgegeben wird, Querverbindungen zwischen einer Neigung, die AfD zu wählen, und anderen Daten, Vorlieben oder Ängsten zu suchen, die im Rahmen des SOEP von den Befragten erhoben wurden. Und die Häufigkeit des Fleischkonsums korreliert offenbar sehr stark mit der Neigung zur AfD – gleich hinter den „Sorgen über die Zuwanderung“ und den „Sorgen über die Kriminalitätsentwicklung“. Dies sind freilich rein quantitative und keine qualitativen Aussagen.
Bevor man in die qualitative Analyse der Daten geht, sollte man jedoch zunächst einmal die Qualität der Daten kritisch betrachten. Denn bereits an dieser Stelle könnte man eigentlich bereits aufhören, diese „Studie“ ernsthaft zu diskutieren. Schröder hat nämlich die – an sich zuverlässigen – Daten des SOEP 2016 verwendet. Das heißt, die Daten sind größtenteils mehr als zwei Jahre alt und zeigen daher im besten Falle die Situation aus dem Jahr 2016 auf. Sie wurden also größtenteils vor den großen Umfrage- und Wahlerfolgen der AfD erhoben und man kann mit Fug und Recht davon ausgehen, dass sich die Zusammensetzung der AfD-Anhängerschaft seitdem sehr deutlich geändert hat. Heute wird gerne vergessen, dass die AfD ursprünglich als dezidiert neoliberale Professorenpartei gestartet ist, deren Alleinstellungsmerkmal die Ablehnung des Euro war. Es ist vollkommen klar, dass frühe AfD-Frontleute wie Hans-Olaf Henkel oder Bernd Lucke ein anderes Klientel ansprachen, als es heute Björn Höcke oder Alexander Gauland tun. Daher ist ein Querschnitt der AfD-Sympathisantenschar von 2016 auch nur sehr bedingt mit den heutigen AfD-Sympathisanten vergleichbar und man sollte sich hüten, jedwede Schlüsse einer zwei Jahre alten Momentaufnahme auf die Gegenwart zu beziehen.
Dies hätte der Studienautor auch bereits anhand seiner Stichprobengröße erkennen müssen. Von den 24.339 im Rahmen des SOEP befragten Personen gaben nämlich nur 517 an, eine „Präferenz“ für die AfD zu haben. Schröders Aussagen – so gewagt sie auch ansonsten sind – beziehen sich also auf einen Anteil von 2,1% der Befragten. Selbst 2016 lag die AfD bei den Umfragen bereits deutlich höher. Inwieweit man überhaupt aus den Angaben von zwei Prozent der 2016 Befragten Schlüsse auf die rund 17 Prozent der Bevölkerung machen kann, die heute Umfragen zufolge die AfD wählen würden, ist ohnehin ein Rätsel. Schröders Angaben beziehen sich also auch quantitativ nicht auf „die AfD-Wähler“, sondern auf einen verschwindend geringen Teil von SOEP-Teilnehmern, die 2016 angaben, eine wie auch immer geartete Präferenz zur AfD zu haben. Wer daraus andere Schlüsse zieht, agiert unseriös.
Methodisch hat Martin Schröder in seiner „Studie“ die Verteilung diverser Häufigkeiten zwischen der Gruppe der AfD-Sympathisanten und den übrigen 97,8 Prozent der Befragten ausgewertet. Dabei kommt er dann zu dem gewagten Schluss, dass sozioökonomische Motive bei der Zuwendung zur AfD wohl keine Rolle spielten. Da fragt man sich, wie er das aus den Daten herauslesen will? Niemand (außer Martin Schröder) behauptet schließlich, es gäbe einen monokausalen Alleingrund, die AfD zu wählen. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen dem reaktionären Großbürger von der schwäbischen Alb, der seine Ersparnisse vor dem „faulen Griechen“ retten will und Schwule, Ausländer und Frauen hasst und dem ehemaligen Ingenieur aus Meißen, der nun seine Zeit als Nachtwächter und Hartz-IV-Aufstocker totschlägt, keine Perspektive mehr für sich sieht und sich von der etablierten Politik abgewendet hat. Ersterer ist für die progressive Politik ohnedies verloren, während es sich durchaus lohnen kann, für Letzteren zu kämpfen. Beide in einen Topf zu werfen und anhand statistischer Daten mit dem Rest der Bevölkerung zu vergleichen, ist unsinnig und wird auch keine verwertbaren Ergebnisse bringen. Auch das Einbeziehen von „Einstellungsfragen“ ist da wenig hilfreich, da Ängste ja oft nicht konkret, sondern sehr diffus sind und meist von den Betroffenen noch nicht einmal als solche erkannt und schon gar nicht zugegeben werden.
Doch Schröder schaffte, woran bislang sämtliche Politikwissenschaftler scheiterten – er hat „den Elefanten im Raum“ gefunden, wie er es selbst formuliert. „Ausländerfeindlichkeit“ sei ganz klar das vereinende Gruppenmerkmal der AfD-Sympathisanten. Das ist bereits semantisch mehr als gewagt. Denn in keiner der Fragen des SOEP werden die Teilnehmer auf „Ausländerfeindlichkeit“ abgeklopft. Und selbst Schröder fasst die vier Fragen, auf die er sich bezieht, im tabellarischen Teil seiner Arbeit korrekt als „Sorgen Zuwanderung“ zusammen. AfD-Sympathisanten machen sich also Sorgen um das Thema Zuwanderung? Diese Erkenntnis ist nun weder überraschend noch originell. Daraus zu schließen, es handele sich kollektiv um „Ausländerfeinde“, ist jedoch unwissenschaftlich und unlauter. Man kann sich schließlich sehr wohl Sorgen um verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit der Zuwanderung machen, ohne „Ausländern“ feindlich gegenüberzustehen. Auch ich mache mir Sorgen um die Entwicklung auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt im Falle steigender Zuwandererzahlen und bin ganz sicher komplett unverdächtig, ein „Ausländerfeind“ zu sein.
Verstörend ist zudem, dass Schröder das Merkmal „Ausländerfeind“ völlig frei von jedwedem Kontext benutzt. Es gibt Menschen, die sind männlich oder weiblich, die sind alt, die sind jung, die haben keinen Schulabschluss oder Abitur und dann gibt es noch „Ausländerfeinde“. Für Schröder sind dies offenbar gleichrangige Merkmale. Warum jemand zum „Ausländerfeind“ wird, spielt da keine Rolle mehr. Und da es seriös betrachtet ja auch gar nicht um „Ausländerfeinde“, sondern um Menschen geht, die sich Sorgen beim Thema „Zuwanderung“ machen, wird die Sache noch verwirrender. Sind diese Sorgen etwa angeboren oder an eine andere Eigenschaft gekoppelt? Wohl kaum. Warum machen sich Menschen also Sorgen beim Thema „Zuwanderung“? Und warum sind dies – das belegen andere Studien des DIW – vornehmlich Menschen in ländlichen, überalterten Regionen, in denen der Ausländeranteil vergleichsweise gering ist? Und schon sind wir in der sehr fruchtbaren Debatte, warum diese Menschen sich beim Thema „Zuwanderung“ eigentlich Sorgen machen und nicht etwa bei sozioökonomischen Themen, die sie und ihre Region viel mehr betreffen. Die Schröder-These, Menschen wählen die AfD, weil sie halt Ausländerfeinde sind, ist nicht nur unterkomplex und durch die Daten nicht valide unterfüttert, sondern auch schlicht destruktiv und kontraproduktiv.
Denn wie soll die Politik auf dieses „Studienergebnis“ reagieren? Wenn die AfD nun einmal von „Ausländerfeinden“ gewählt wird und diese „Ausländerfeindlichkeit“ in keinem Zusammenhang mit sozioökonomischen Faktoren steht, dann lässt sich die AfD folgerichtig auch nicht durch eine progressive Sozial- und Wirtschaftspolitik bekämpfen. Dann spielen prekäre Arbeitsverhältnisse, das Problem der Altersarmut, die Wohnungsnot in den Ballungsräumen und die Abwanderung aus den ohnehin schon überalterten ländlichen Räumen und die sich immer stärker öffnenden Einkommens-und Vermögensscheren ja keine Rolle mehr. Oder um es auf den Diskurs innerhalb der politischen Linken zu beziehen: Dann würden geschätzte 80% des Parteiprogramms der Linkspartei ja überhaupt keinen Bezug darauf haben, dass die AfD der Linken immer mehr Wähler wegnimmt und die Linke nicht vom immer auffälligeren Versagen der etablierten Parteien profitieren kann. Aus dieser Sichtweise ist es natürlich verständlich, dass diese „Studie“ vom Zirkel der Wagenknecht- und Aufstehen-Gegner innerhalb der politischen Linken gefeiert wird. Früher hat gerade die politische Linke oft dadurch geglänzt, dass sie derartige Machwerke nicht willfährig nachgeplappert, sondern kritisch hinterfragt hat. Diese Zeiten sind vorbei.
Unverständlich ist auch, warum ein solch qualitativ fragwürdiges Papier vom DIW damit geadelt wird, im Rahmen der SOEPpapers unter dem Label des DIW veröffentlicht zu werden. Laut Eigenaussage gibt es keinen Automatismus, nach dem jede Studie, die Daten des SOEP nutzt, im Rahmen der SOEPpapers auch veröffentlicht wird. Die Auswahl wird vielmehr von Forschern des DIW vorgenommen. Das DIW hat die „Studie“ von Martin Schröder also wissenschaftlich redaktionell überprüft und für so gut befunden, dass man sie gleich selbst publiziert hat. Da muss sich natürlich die Frage nach dem wissenschaftlichen Anspruch des DIW stellen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die „Vorgeschichte“. Schröder bezieht sich bei seiner „Studie“ direkt auf die Erkenntnisse des Leipziger Soziologen Holger Lengfeld, der im letzten Jahr mit ähnlichen Thesen und ähnlichen handwerklichen Fehlern bereits Kopfschütteln provozierte. Lengfelds Ergebnisse wurden dann auch in der wissenschaftlichen Community harsch kritisiert. Nun verteidigt sich Lengfeld paradoxerweise unter Bezugnahme auf das DIW und die „Studie“ von Schröder, die sich ja explizit auf ihn bezieht. Solche Zirkelschlüsse machen die ohnehin schon unseriösen Studien auch nicht seriöser.
Institute wie das DIW sehen ihre Hauptaufgabe in der Politikberatung. Das ist ehrenwert. Wenn die Politik jedoch mit qualitativ minderwertigen, ideologisch eingefärbten „Studien“ beraten wird, die keiner seriösen Prüfung standhalten, ist diese Beratung kontraproduktiv und im konkreten Fall sogar sehr schädlich. Denn wenn die politische Linke die DIW-Ratschläge ernst nimmt und die sozioökonomischen Faktoren, die Menschen in die Arme der AfD treiben, nicht ernst nimmt, wird dies mittel- bis langfristig die AfD noch stärker machen. Und das kann doch auch das DIW nicht wollen.