„Wenn diese Entwicklung so weitergeht, ist der soziale Frieden gefährdet“
Bezahlbarer Wohnraum ist in vielen Städten in Deutschland kaum noch vorhanden. In München ist die Situation besonders schlimm. Gegen die Missstände auf dem Wohnungsmarkt in der bayerischen Hauptstadt gehen die Bürger am 15. September auf die Straße. „#ausspekuliert” lautet das Motto der Demonstration. Im NachDenkSeiten-Interview gibt Christian Schwarzenberger, der einer der Organisatoren des Protestes ist, einen Einblick in die Wohnsituation in München und erklärt, wie er und seine Mitstreiter sich organisiert haben. Deutlich wird: Entgegen den Beteuerungen bayerischer Spitzenpolitiker, wonach in Bayern alles rund zu laufen scheint, ist die Lage doch nicht ganz so rosig. Von Marcus Klöckner.
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Herr Schwarzenberger, Sie sind einer der Organisatoren einer Demonstration, die für den 15. September in München angesetzt ist. Sie setzen sich mit Ihren Mitstreitern für bezahlbaren Wohnraum ein. Sie selbst wohnen in München. Wie stellt sich die Situation dort dar?
München ist bekanntlich die teuerste Stadt Deutschlands. Mieten von über 20€/m² sind keine Seltenheit mehr, sondern werden langsam zur Regel. Gerade in den letzten Jahren seit der Finanzkrise steigen die Mieten rasant an. Das führt zum einen dazu, dass viele Menschen sich die Stadt nicht mehr leisten können und aus der Stadt gedrängt werden. Davon betroffen sind unter anderem Pflegekräfte, Erzieherinnen oder Verkäufer, also Menschen, auf die keine Stadt verzichten kann. Zum anderen hat sich die Zahl der Wohnungslosen in München innerhalb von 10 Jahren fast vervierfacht. Wir sprechen hier von einer dramatischen Situation.
Wie lange wohnen Sie denn in München?
Ich selbst bin vor über 10 Jahren zum Studium nach München gezogen. Seitdem lebe ich mit kurzen Unterbrechungen hier und habe die Entwicklungen gut beobachten können.
Wann sind Ihnen die Probleme zum ersten Mal aufgefallen?
Das war noch während meines Studiums, als ich das Wohnheim verlassen musste und in eine WG gezogen bin. Damals musste ich mehr als zwei Drittel meines Geldes nur für das Zimmer ausgeben. Neben dem eigenen Schicksal war für mich ein sich änderndes Stadtbild relevant. Wer nicht mit geschlossenen Augen durch die Stadt geht, sieht, dass die Anzahl der Obdachlosen von Jahr zu Jahr größer wird.
Können Sie einmal konkret an einem Fall aufzeigen, wo die Probleme liegen?
Die Teilnehmer des Mieterstammtisches berichten vor allem von Luxusmodernisierung und Entmietung. Bei den einen werden Mieten verdoppelt, die anderen werden wegsaniert oder z.T. eiskalt gekündigt. Das geht so weit, dass zum Beispiel eine Familie überlegt, in einen Campingwagen zu ziehen, weil sie die Kündigung erhalten hat und keine bezahlbare Wohnung findet.
In den meisten Fällen wurde das Haus verkauft, ein Spekulant steigt ein – oftmals eine undefinierbare Firma – mit der Zielstellung, nach der Modernisierung die Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln und sie dann lukrativ zu verkaufen. Wegen der exorbitant hohen Bodenpreise in München, die voll auf die Wohnungspreise und Mieten durchschlagen, ist das momentan der große Hype.
Haben Sie noch ein Beispiel?
Die Mieterinnen und Mieter der 33.000 bayerischen GBW-Wohnungen – in München sind es 8.000 Wohnungen – kämpfen mit Mieterhöhungen. Diese Wohnungen waren im Besitz der bayerischen Landesbank, die von der Staatsregierung gerettet wurde, weil sich die Bank in den USA und in Österreich verzockt hatte. Der Verkauf an den Immobilienhai Patrizia erfolgte 2013 unter dem damaligen Finanzminister Söder. Erst kürzlich wurde bekannt, dass er und auch Horst Seehofer den Verkauf mit wissentlich falschen Behauptungen gerechtfertigt haben.
Ich unterstütze selbst eine betroffene Mietergemeinschaft von etwa 100 Mietparteien in München. Es sind alles Geringverdiener, die meinten, Sozialwohnungen zu beziehen, und denen jetzt Mieterhöhungen bis zu 15 Prozent alle drei Jahre ins Haus flattern. Seit Jahren wenden sie sich an die Politik in Stadt und Land, seit Jahren führen sie Mietprozesse, seit Jahren werden sie von den Verantwortlichen alleingelassen.
Welche Auswirkungen ergeben sich denn aus diesen Verhältnissen?
Ein befristeter Vertrag, ein Migrationshintergrund, ein Haustier oder der Fakt, dass man alleinerziehend ist, reichen dafür aus, dass sich die Wohnungssuche über Monate oder sogar Jahre hinziehen kann. Dazu verschlingt die Miete einen immer größeren Anteil des Nettoeinkommens. Auf der anderen Seite stehen die Spekulanten, die sich auf Kosten der Menschen bereichern. Das führt natürlich dazu, dass die soziale Schere immer weiter auseinanderklafft. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, ist der soziale Frieden gefährdet.
Wenn man Markus Söder und anderen bayerischen Politikern im Fernsehen zuhört, könnte man meinen, in Bayern läuft alles wunderbar. Welche Botschaft haben Sie an solche Politiker?
Die Wirtschaftsdaten mögen gut sein, die Arbeitslosenzahlen niedrig. Trotzdem kommt eine wachsende Zahl an Menschen auch in Bayern nur noch knapp über die Runden. Neben den steigenden Mieten spielen dazu natürlich zu niedrige Löhne und prekäre Arbeitsverhältnisse eine wesentliche Rolle.
Politiker wie Söder, Seehofer und andere Großkopferte sollten sich die Geschichten der Menschen anhören, die konkret von der Verdrängung betroffen sind. Sie sollten sich den wichtigen Fragen zuwenden, anstatt Scheindebatten über Sicherheit, Migration oder Grenzpolizei zu führen.
Was fordern Sie denn?
Die CSU spielt sich ja immer auf als Partei für Recht und Ordnung. Es wäre ein Anfang, wenn sie sich zumindest an die bayerische Verfassung halten würde, in der es heißt: „Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung.“ und „Die Förderung des Baues billiger Volkswohnungen ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden.“ Davon sind wir aber aktuell Lichtjahre entfernt. Wir sagen ganz deutlich, dass Wohnen kein Luxusgut ist, sondern ein Menschenrecht!
Darüber hinaus wurden im Zuge der Demo konkrete Forderungen aufgestellt, die man auf unserer Homepage einsehen kann.
Wie erklären Sie sich, dass Politiker nicht früher auf die von Ihnen beschriebenen Verhältnisse reagiert haben?
Politiker sind wohl in den seltensten Fällen selbst betroffen vom Mietenwahnsinn. Dazu gibt es mit der Immobilienbranche einen mächtigen Gegenspieler, der durch gezielte Lobbyarbeit natürlich verhindern will, dass sich etwas zum Negativen für die Spekulanten ändert. Während diese gezielt an den Schalthebeln der Macht intervenieren, kämpfen die Mieter oft alleine. Eine Vernetzung zwischen Mietergemeinschaften hat es bisher nur begrenzt gegeben. Diese ist jedoch nötig, um den handelnden Personen zu verdeutlichen, dass es so nicht weitergehen kann.
Sie haben einiges im Vorfeld organisiert. Können Sie beschreiben, wie Sie vorgegangen sind und wie die Reaktionen der Bürger waren, die Sie angesprochen haben?
Die Idee der Mietendemo entstand aus dem Münchner Mieterstammtisch. Dieser existiert seit etwa einem halben Jahr und dient der Vernetzung von Mietergemeinschaften und Betroffenen. Bei den Treffen stellen die neuen Mietergemeinschaften in der sogenannten Speed-Dating-Runde ihre Probleme vor. So kamen viele Betroffene zusammen, deren Häuser von den gleichen Spekulanten gekauft worden sind und die sich nun über deren Vorgehensweise austauschen konnten. Die Menschen merken, dass sie nicht allein sind. Der rege Zuspruch des Mieterstammtisches zeigt, dass er einen Nerv getroffen hat.
Was meinen Sie: Was wird die Demonstration bringen?
In den letzten Wochen der Vorbereitung konnte ich sehen, dass die Demo schon gewirkt hat, bevor sie gestartet ist. Regelmäßige Berichterstattung bringt das Thema wieder in die Schlagzeilen. Darüber hinaus befürchten die Landesregierung und weitere Politiker, dass die Demo groß wird und ihre Versäumnisse so kurz vor der Landtagswahl wieder an den Pranger gestellt werden. Die Demo soll ein wichtiges Signal geben, dass die Mieter nicht mehr tatenlos zuschauen, sondern sich weiter organisieren und Druck aufbauen.
Klar ist, dass wir mit einer Demonstration nicht sofort die Mietenpolitik der letzten Jahre auf den Kopf stellen werden. Dafür werden wir einen längeren Atem und weitere Vernetzung brauchen. Ich bin zuversichtlich, dass sich im Zuge von #ausspekuliert eine weitere Dynamik ergibt und sich Menschen in Stadtteilinitiativen zusammentun, um den Druck zu erhöhen und für eine Stadt zu kämpfen, die für alle bezahlbar ist und niemanden ausgrenzt.