Von der Leyen lässt Luftwaffeneinsatz in Syrien ohne Bundestagsmandat prüfen und die deutschen Medien stecken den Kopf in den Sand
Das Bundesverteidigungsministerium prüft zur Zeit auf Anweisung von Ursula von der Leyen, ob deutsche Kampfflugzeuge sich schon bald aktiv an einer Bombardierung Syriens beteiligen können. Von der Leyen geht damit laut eines Berichts der BILD offenbar dem Wunsch der USA nach, der ihr vorletzte Woche bei einem eigens einberufenen Treffen vom neuen US-Militärattaché übermittelt wurde. Besonders pikant: Die Ministerin knüpft die zweite direkte Beteiligung der Bundesrepublik an einem Angriffskrieg an ein Einstiegsszenario, bei dem die syrische Armee Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. Dass die Islamisten momentan mit Unterstützung westlicher Geheimdienste exakt dieses Szenario vorbereiten, behauptet die russische Regierung bereits seit zwei Wochen. Nun warnt auch ein US-Senator vor diesem Szenario. Es geht um Krieg und Frieden und daher ist es auch unentschuldbar, dass über diese Warnungen in den deutschen Medien nicht ernsthaft berichtet wird. Auch wer schweigt, macht sich schuldig. Von Jens Berger.
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Der nun bereits seit sieben Jahren andauernde blutige syrische Bürgerkrieg steht eigentlich kurz vor seinem Finale. Die nordwestsyrische Provinz Idlib gilt als letztes Rückzugsgebiet der islamistischen „Rebellen“. Doch diese letzte Bastion hat es in sich. Jahrelang hatte die syrische Armee den unterlegenen Islamisten die Entwaffnung und den gesicherten Abzug nach Idlib als Option bei der Kapitulation angeboten. Dieses Angebot wurde auch sehr oft genutzt – nicht nur von Kombattanten, sondern auch von Zivilisten. Heute sollen nach UN-Schätzungen 2,9 Millionen Menschen in der Region Idlib leben – mindestens 1,4 Millionen davon sind Flüchtlinge aus anderen Regionen.
Wie groß die Zahl der islamistischen Kombattanten ist, kann bestenfalls geschätzt werden. Nach eigenen Angaben verfügt die ehemalige Al-Nusra-Front, die sich nun Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) nennt, der Al Kaida zugerechnet und weltweit als Terrorgruppe verurteilt wird, als „Hauptgegner“ der syrischen Armee über 37.800 Kämpfer. Hinzu kommen rund 7.700 Angehörige der „Islamischen Turkistan Front“, einer uigurischen Terrororganisation aus dem muslimischen Westteil Chinas, und weitere 8.000 Dschihadisten aus dem Kaukasus, die sich teils schon im Tschetschenienkrieg ihre ersten Sporen verdient haben. Und es gibt auch noch die Restverbände des fast zerschlagenen „Islamischen Staats“ (IS), die vor allem im Süden der Region ihre Stellungen haben und unzählige zersplitterte dschihadistische Kleingruppierungen, die aus den zerschlagenen Organisationen und ihren Folgeorganisationen hervorgegangen sind. Und dies sind „nur“ die Terrororganisationen, die von allen beteiligten Staaten auch so genannt werden und etwas mehr als die Hälfte der Region kontrollieren.
Noch komplizierter machen die sogenannten „moderaten Islamisten“ die Situation, die sich in der nördlichen Hälfte der Region verschanzt haben. Dies sind diverse islamistische Gruppierungen, die meist Nachfolgeorganisationen der Al Kaida sind und sich erst im Mai unter der Regie der Türkei zur „Nationalen Befreiungsfront“ zusammengeschlossen haben. Sie werden von Ankara massiv logistisch und finanziell unterstützt. „Erdogans Männer“ kämpfen sowohl gegen die syrische Armee als auch gegen die kurdischen Rebellen, die den Nordosten des Landes kontrollieren. Die „moderaten Islamisten“ werden nur von Syrien und Moskau, aber nicht vom Westen als Terroristen eingestuft. Weiterhin ist unklar, wie viele türkische Soldaten sich eigentlich mittlerweile in der „Nationalen Befreiungsfront“ befinden. Offiziell befinden sich nur 1.200 türkische Soldaten in den zwölf neu errichteten türkischen Militärbasen in der Provinz Idlib. Inoffiziell dürfte die Zahl jedoch wesentlich größer sein. Wir sprechen hier wohlgemerkt von Militärbasen, die ein NATO-Staat auf dem souveränen Staatsgebiet eines Nachbarlandes errichtet, mit dem er offiziell noch nicht einmal im Krieg ist.
Katastrophe mit Ansage
Verheerend ist vor allem, dass neben diesen rund 100.000 Kombattanten noch rund drei Millionen Zivilisten die Provinz bevölkern. Schon in der Vergangenheit mussten Zivilisten immer wieder als menschliche Schutzschilde herhalten. Dramatisch sind daher auch die Appelle des UN-Gesandten für Syrien, Staffan de Mistura. Erst jüngst warnte er vor einem „perfekten Sturm“, der sich in Idlib heranbilde. Dabei warnte er ausdrücklich auch davor, dass die „Al-Kaida-Kämpfer“ in Idlib die Technik hätten, chemische Waffen herzustellen und diese offenbar auch einsetzen würden. De Mistura forderte daher einen „humanitären Korridor“, aus dem die Zivilbevölkerung die Region verlassen kann. Aber wohin? Und was mit den Kombattanten werden soll, lässt De Mistura auch offen. So oder so, die humanitäre Katastrophe wird kommen und auch Deutschland täte gut daran, sich jetzt mit den Vereinten Nationen zusammenzusetzen und eine Lösung für das humanitäre Problem zu erarbeiten. Das Bombardieren kann man gerne Anderen überlassen. Doch diese Debatte wird nicht geführt und auch aus den Medien kommen keine Impulse in diese Richtung. Stattdessen eskaliert die Rhetorik „des Westens“.
Die USA würden mittlerweile liebend gerne die „zwanzig- bis dreißigtausend Terroristen“ bombardieren, wie der US-Stabschef General Dunford jüngst mitteilte. Er betonte dabei, dass man die Mittel und Kräfte hätte, dies auch in einer städtischen Umgebung zu tun und dabei nur „minimale Verluste unter der Zivilbevölkerung“ anzurichten. Dies war wohl als Seitenhieb auf die Russen zu verstehen, mit denen Dunford nicht zusammenarbeiten will.
„False Flag“ in Vorbereitung?
Genauso gut ist jedoch ein Szenario denkbar, bei dem die USA und ihre Verbündeten nicht die „Terroristen“, sondern die syrische Armee bombardieren wird. Trump, Macron und May lassen jedenfalls keine Gelegenheit aus, Syrien offen mit einem Angriff zu drohen, wenn die syrische Armee „einmal mehr“ Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzen würde. Jeder Terrorist, der nicht vollkommen auf den Kopf gefallen ist, muss dies natürlich als Einladung verstehen. Die USA betteln um einen Vorwand, ja sie betteln um einen Giftgasangriff von Al Kaida und Co., den man dann Syrien in die Schuhe schieben kann.
Seit gut einem Monat warnt Russland vor genau diesem Szenario. Angebliche Geheimdienstinformationen belegen demnach sehr detailliert vermeintliche Vorbereitungen eines „False-Flag“-Chemieangriffs der Islamisten, bei dessen Vorbereitung einmal mehr auch die umstrittenen Weißhelme eine Rolle spielen sollen. Haben Sie in den deutschen Medien etwas davon mitbekommen? Sicherlich nicht, denn hierzulande schweigt man entweder komplett oder dreht die Warnungen genüsslich durch den transatlantischen Propaganda-Wolf. Amerikanische Medien wie die Washington Post oder die New York Times berichteten wenigstens über die russischen Warnungen, trommeln ansonsten jedoch auch einmal mehr für einen Militäreinsatz.
Begleitet wird dies durch schrille Töne aus dem Weißen Haus über angebliche „Beweise“, die die USA nun dafür haben wollen, dass Syrien seinerseits einen Chemiewaffenangriff auf Idlib plane. Steht hier nun Aussage gegen Aussage? Keinesfalls. Denn für die syrische Armee hätte ein solcher Waffeneinsatz in der momentanen Situation militärisch keinen Vorteil und strategisch wie diplomatisch wäre es Selbstmord. Warum sollte Assad für US-Militärschläge gegen seine eigene Armee betteln? Auf der anderen Seite hätten die USA jedoch ein sehr überzeugendes Motiv, könnte man einen gefakten Giftgaseinsatz doch als Casus Belli ins Spiel bringen, um selbst wieder aktiv in den Krieg eingreifen zu können.
Denn selbst wenn Idlib fällt, ist dies nur das Ende eines Kapitels des syrischen Bürgerkriegs. Die Türkei wird den Nordteil der Provinz Idlib mit den zwölf türkischen Militärbasen sicher nicht freiwillig räumen und seine „Verbündeten“ auf Seiten der Islamisten nicht aufopfern. Ein offener Krieg zwischen Syrien und seinem Partner Russland gegen den NATO-Staat Türkei erscheint eher unwahrscheinlich. Ohnehin wird die Türkei künftig eine noch größere Rolle in Syrien spielen, da nach dem Ende des großen dschihadistischen Aufstands nun der militärische Konflikt zwischen den Kurden und den Syrern sowie den Türken in den Mittelpunkt rücken wird. Man kann sogar davon ausgehen, dass Erdogan schon eine „Anschlussverwendung“ für die aus Idlib abziehenden „moderaten Islamisten“ an der kurdischen Front hat.
Deutschland soll mitbomben
Und genau zum Zeitpunkt der kommenden Eskalation des Bürgerkriegs will Deutschland nun auch aktiv als Kriegspartei in den Krieg eingreifen? Deutschland will in einer ohnehin schon unübersichtlichen Gemengelage als Verteidiger von Islamisten Bomben auf einen souveränen Staat werfen? Einem Staat, der dann auch noch mit der Atommacht Russland verbündet ist, die vor Ort ebenfalls aktiv ist? Man kann sich vorstellen, dass dies unserer kompromisslos transatlantischen und neokonservativen Verteidigungsministerin von der Leyen gut gefallen würde. Man kann sich jedoch auch sehr gut vorstellen, dass einem solchen Kriegseinsatz eine sehr kontroverse Bundestagsdebatte vorausgehen würde, bei der von der Leyen sich sicherlich keine Bonuspunkte bei den Wählern holen dürfte.
Darum lässt von der Leyen ja auch nun eine Art „Nothilfe-Szenario“ prüfen. Man vermeldet einen Giftgaseinsatz der syrischen Armee und die Bundeswehr kommt den „Rebellen“ militärisch zu Hilfe. Da die Zeit ja knapp ist, kann das Mandat des Bundestages erst später eingeholt werden. Aber dann ist die Bundesrepublik ja schon in ihrem zweiten Angriffskrieg nach dem Kosovo hereingezogen worden. Ein Glück für von der Leyen, dass der Straftatbestand des Vorbereitens eines Angriffskrieges von der Großen Koalition aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde – ansonsten würde ihr jetzt eine lebenslängliche Haftstrafe drohen. Und die Medien? Die schlafen weiterhin den Schlaf der Gerechten. Auf keiner einzigen Seite eines großen Nachrichtenportals ist eine deutsche Beteiligung an einem Angriffskrieg in Syrien zur Zeit Topthema.