Die Umsturz-Profis – Die USA, Venezuela und der Putsch
Die US-Regierung hat mit venezolanischen Militärs einen Putsch in dem sozialistischen Land erörtert. Das weckt Erinnerungen an die zahlreichen US-Interventionen in Lateinamerika seit dem Zweiten Weltkrieg, etwa in Chile vor 45 Jahren. Die mit diesen Umstürzen verbundenen Verbrechen stellen alle Vorwürfe der Einmischung etwa an Russland weit in den Schatten – der mediale Umgang trägt dem nicht Rechnung. Von Tobias Riegel.
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Am 11. September jährt sich der Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende zum 45. Mal. Dieses Datum weckt Erinnerungen an die grausamen Ausprägungen der US-Außenpolitik gegenüber Lateinamerika seit dem Zweiten Weltkrieg: der Kampf gegen progressive Bewegungen, Politiker, Gewerkschafter und Geistliche, der seit den 50er Jahren notdürftig kaschiert oder ganz offen geführt wurde.
Aktuelle Motivation erfahren diese Erinnerungen durch nun bekannt gewordene Umsturz-Pläne gegen Venezuelas Präsidenten Nicolás Maduro, die US-Beamte und venezolanische Putschisten mutmaßlich geschmiedet haben: „Vertreter der US-Regierung haben offenbar mit venezolanischen Militärs Pläne für einen möglichen Sturz von Präsident Nicolás Maduro erörtert. Das geht aus einem Bericht der ‚New York Times‘ hervor“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Dann wird es grotesk: „Allerdings seien die in den vergangenen Monaten besprochenen Pläne nicht weiterverfolgt worden, da die USA schlechte Erfahrungen mit der Unterstützung von Umstürzen in Lateinamerika gemacht hätten.“
US-Bilanz: 20 Umstürze und 1,5 Millionen Tote in Lateinamerika seit 1945
Schlechte Erfahrungen wurden mit Umstürzen in Lateinamerika allerdings gemacht – nur von welcher Seite? Während sich die „New York Times“ um die Erfolgsaussichten der Putschisten sorgt, hat das Portal „Amerika 21“ hier die US-Interventionen im lateinamerikanischen „Hinterhof“ und ihre Folgen dokumentiert: Das Medium kommt auf 20 (teils gescheiterte) Coups und 1,5 Millionen Tote. Angesichts dieser Zahlen wird noch einmal der ablenkende und relativ nichtige Charakter der „Russia-Gate“ genannten Kampagne zu russischen „Wahl-Manipulationen“ deutlich.
Man kann nicht behaupten, die großen Medien würden die aktuellen Putschpläne gegen Venezuela verschweigen – pflichtschuldig wird der Vorgang kurz und sachlich abgehandelt. Irritierend, aber nicht überraschend ist, dass der Vorgang nicht angezweifelt, aber auch nicht skandalisiert wird. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich die emotionalen, tagelang großflächig verbreiteten Titelgeschichten vorzustellen, die bei etwaigen russischen Putsch-Plänen geschrieben worden wären.
Etwas rätselhaft erscheint, warum nun dieser Artikel in der „New York Times“ erscheint, also einem Medium, das einen Sturz der „sozialistischen Diktatur“ in Venezuela mutmaßlich begrüßen würde. Nimmt die Zeitung es für einen kurzen Wirkungstreffer gegen US-Präsident Donald Trump in Kauf, den eigenen Kampf gegen Maduro zu schwächen? Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich Maduro trotz Wirtschaftskrieg, Propaganda-Kampagnen, Drohnen-Attacken und Sabotage-Aktionen noch immer im Amt halten kann.
Es geht nicht um Ideologie, es geht ums Geld
Vielleicht war die Botschaft des Artikels auch die stark herausgestellte angebliche Aufgabe der Umsturz-Pläne. Auch die „Zeit“ betont die Verwerfung der Pläne, als sei der Verzicht auf ein Verbrechen bereits ein moralischer Sieg und diese edle Handlung die eigentliche Nachricht: Die US-Regierung habe einen Sturz der linksgerichteten Regierung Venezuelas unter Nicolás Maduro geplant, „soll diese Pläne aber schließlich verworfen haben“.
Ob „Kampf gegen die Drogen“, „Krieg gegen den Terror“, „Verbreitung der Demokratie“ oder ganz einfach „nationale Sicherheit“: Die zahlreichen Einmischungen der USA in lateinamerikanischen Ländern firmierten unter verschiedenen Labels und zahlreichen angeblichen Ideologien. Tatsächlich war aber etwa der Putsch in Chile 1973 ein frühes Signal des neoliberalen Siegeszugs, es folgte (nicht nur in Chile) eine Ära der radikalen „Liberalisierung“ – das ist bis heute das Motiv: Es geht zu allererst um Privatisierung, es geht ums Geld.
Die seit Anfang der Jahrtausendwende in vielen Ländern Lateinamerikas gewählten linken Regierungen haben einen Tranformationsprozess eingeleitet, der Millionen Menschen aus der Armut befreien konnte, während sie von den alten Eliten und deren westlichen (auch medialen) Verbündeten als „Diktatoren“ diffamiert wurden. Der Rollback läuft: Paraguay, Honduras und Brasilien sind bereits „befreit“ – Venezuela, Nicaragua und Bolivien sollen mutmaßlich folgen.
Es scheiterte schon einmal ein Putsch in Venezuela
Es gab schon einmal einen von US-Beamten mutmaßlich unterstützten Putsch gegen eine linke Regierung in Venezuela, der von dortigen Privatmedien und der heimischen Großindustrie initiiert worden war. In 2002 scheiterte der gewaltsame Sturz der Regierung von Hugo Chavez jedoch am massenhaften Widerstand. Vielleicht ist es auch diese Erfahrung, die vor einer erneuten Intervention (noch) zurückweichen lässt.
Wer die Vorgänge von 2002 noch einmal Revue passieren lassen möchte, dem sei die Dokumentation „Ein Staatsstreich von innen“ empfohlen. Der Film mag streckenweise distanzlos und revolutions-romantisch sein – aber er vermittelt in bewegender Weise die Atmosphäre der dramatischen Tage: