Über den Zusammenhang von Wirtschaftskrise und NPD-Erfolg
In allen Blättern heute: der Vorwurf Stoibers (WamS vom 6.2.) an Schröder, letzterer sei wegen der hohen Arbeitslosigkeit verantwortlich für das Erstarken der NPD, und die Gegenwehr von Bundesregierung und SPD, Stoiber habe „unterstes Niveau“ erreicht. Das zwingt zu einigen Anmerkungen. Stoiber hat mit seiner Analyse vermutlich recht, mit seiner Schuldzuweisung allein an die jetzige Regierung nicht.
Wenn man mit dem Finger auf jemanden zeigt, dann weisen 4 Finger auf den Ankläger zurück: Mit ihrem de facto seit der Wende von 1982 betriebenen neoliberalen Kurs und vor allem mit der prozyklischen Politik Anfangs der 90er-Jahre haben Union und FDP ganz wesentlich die miserable wirtschaftliche Lage verursacht. Seit sie in der Opposition sind, fordern sie ständig noch mehr Reformen in diese Richtung und haben sich auch gegen jeden Versuch Schröders gewandt, mit einer etwas expansiveren Politik gegen Arbeitslosigkeit und Depression anzugehen. Sie haben als Opposition die Regierung immer wieder in die falsche Richtung getrieben. Sie haben auch systematisch unser Land und seine Qualität miesgemacht, CDU, CSU und FDP haben immer wieder das herrschende „System“ miesgemacht und Strukturreformen bis hin zum Systemwechsel gefordert.
Stoiber war und ist zudem als Miesmacher in den vorderen Linien tätig. Ein bisschen von dem, was Strauß 1975 in seiner berühmten Sonthofener Rede vertrat (es müsse immer tiefer sinken, um das Volk zur politischen Wende zu gewinnen) klingt auch bei Stoiber und seinen Partnern an. Sie spekulieren auf den weiteren wirtschaftlichen Niedergang, um darüber an die Macht zu kommen. Dass eben dieser Niedergang auch den Rechtsradikalen hilft, stört in bißchen
Dieser Niedergang und die mit der Reformpolitik und Miesmacherei verbundene Verachtung und Aggression gegen den bisherigen Sozialstaat sind kräftige Wasser auf die Mühlen der Rechten. Wenn Stoiber sagt: “Das ökonomische Versagen der Regierung Schröder, dieses Ausmaß an Arbeitslosigkeit, bildet den Nährboden für Extremisten, die letztlich die Perspektivlosigkeit der Menschen ausnutzen und damit die Demokratie in unserem Land gefährden”, dann hat er mit Ausnahme der alleinigen Schuldzuweisung an die Regierung Schröder recht.
Wenn der SPD-Vorsitzende Müntefering dem entgegen hält, es seien nicht die Arbeitslosen, sondern Leute “mit Anzug und Krawatte und viel Geld”, die den Aufstieg der NPD bewirken, dann hat er die Zusammenhänge nicht verstanden. Es mag ja richtig sein, dass Wohlbestallte mit viel Geld das rechtsradikale Rad drehen. Aber wie in Weimar finden sie Zulauf von Arbeitslosen und Arbeitnehmern, die Angst haben um ihren Arbeitsplatz und ständig unter Druck stehen, und aus den Reihen des Mittelstands, der von der miserablen Auftragslage in der aktuellen Wirtschaftskrise und von den vielen Insolvenzen gebeutelt ist. Diesen Zusammenhang zu leugnen ist dumm und gefährlich. Gefährlich deshalb, weil offenbar nicht verstanden wird, dass eine Kurskorrektur dringend geboten ist.
Dafür, dass hohe Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit politische Reaktionen bis hin zur Wahl von Rechtsradikalen auslösen, gibt es eine Reihe von Belegen:
- Die Erfahrungen in der Weimarer Republik.
- Der Anstieg der NPD in Baden-Württemberg auf über 10% in der Folge der ersten Rezession von 1965/66/67.
- Der Niedergang der politischen Beteiligung in der letzten Zeit – sichtbar in deutlich sinkender Wahlbeteiligung und dem Austritt vieler Mitglieder aus allen Parteien.
Noch eine paar Hinweise auf Zusammenhänge, die heute wenig zu wenig beachtet werden:
- Wenn es keine Alternativen mehr im Parlament gibt, wenn alle Parteien die gleiche Glaubenslehre verkünden und darnach handeln, was sollen die Wähler machen? Enthaltung, Protest – und auch rechts.
- Die üblich gewordene Kritik und Polemik gegen solidarische Sicherungssysteme führt zur Abwertung von Solidariät und letztlich auch zur Entsolidarisierung selbst. Mit dieser Politik und der begleitenden Propaganda wird der gesellschaftliche Zusammenhang gefährdet, wie einer unserer Leser treffend schreibt. Das ist Wasser auf die Mühlen rechtsradikaler Denkweisen.
- Ähnliches gilt für die Vergötzung des „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Der Neoliberalismus und seine Glaubensbrüder setzen auf Egoismus. Der Schritt hin zur rechten Philosophie und Menschenverachtung ist klein.
- Die Deklassierung breiter Gruppen bei gleichzeitiger Zurschaustellung des großen Reichtums auf der andren Seite führt zu Frust, Unmut und Protest – je nach dem. In diesen Kontext gehört eine Einlassung des Bundeskanzlers beim Kongress der Weltelite in Davos. Er rühmte sich gegenüber den Wirtschaftsbossen dessen, seine Regierung habe in Deutschland einen Niedriglohnsektor eingeführt. Ich stelle mir vor, was eine solche Bemerkung bei Menschen auslöst, die in finanzieller Not sind, weil sie mit Niedriglöhnen auskommen müssen.
- Das rechtsradikale Denken ist auf mehreren Feldern schon seit längerem vorbereitet worden. Ich erinnere an die Asylanten-Kampagne von CDU, CSU und in einigen Medien wie BILD und Bayerischem Rundfunk zu Beginn der 90e Jahre und an die Anti-Sozialstaatskampagne, die z.B. der SPIEGEL seit längerem schon betreibt. Auf Seite 381 meines Buches „Die Reformlüge“ sind 9 Spiegel-Titel abgebildet. Die meisten liegen auf rechtspopulistischer Linie. Es klingt wie b ei wie bei Poujade und Glistrup vor über 30 Jahren, damals allerdings wurde derartiges als undemokratisch geächtet.
- Auch die weit verbreitete Anti-Gewerkschaftskampagne zahlt bei den Rechtsradikalen ein.