Alternative Medien wehrt euch: Der geplante „Medienstaatsvertrag“ bedroht die Meinungsfreiheit!
Ein aktueller Entwurf für einen „Medienstaatsvertrag“ könnte unter Umständen auch alternative Medien zur Beantragung einer Rundfunklizenz verpflichten. Kritische Informationen würden dann nur noch von Staates Gnaden ins Internet gelangen. Das potenziell verheerende Zensur-Vorhaben wird im Entwurf als „zeitgemäße Regulierung“ angepriesen, die sich vor allem gegen Internet-Riesen richte und „Entfaltungsräume für die vielen Kreativen eröffnen“ solle. Der Kampf gegen die US-Dominanz im Internet ist richtig. Aber er könnte destruktive Begleiterscheinungen haben, gegen die man prophylaktisch einschreiten sollte. Das Gute ist: Man kann sich noch wehren – das sollte die kritische Netzgemeinde jetzt tun! Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Die Rundfunkkommissionen der Länder beraten gerade über einen „Medienstaatsvertrag“. Ziel des Vorhabens sei eine „zeitgemäße Regulierung“. Viele Bürger fürchten jedoch ein Instrument der Zensur: Kritische Webseiten sollten durch das neue Gesetz mutmaßlich gezwungen werden, eine Rundfunklizenz zu beantragen. Denn „kein Rundfunk” im Sinne des künftigen Staatsvertrags sollen lediglich folgende Konstrukte sein: „1. Rundfunkprogramme, die aufgrund ihrer geringen journalistisch-redaktionellen Gestaltung, ihrer begrenzten Dauer und Häufigkeit der Verbreitung, ihrer fehlenden Einbindung in einen auf Dauer angelegten Sendeplan oder aus anderen vergleichbaren Gründen nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten, 2. Rundfunkprogramme, die jedenfalls weniger als 5000 Nutzern zum zeitgleichen Empfang angeboten werden.“ Zusätzlich gibt es die Regelung des „Bagatell-Rundfunks“ sowie befremdliche Ausnahmen für die Videospiele-Industrie, auf die unten eingegangen wird.
Offiziell richtet sich das Vorhaben gegen US-Internet-Konzerne, die im Gesetzentwurf als „Intermediäre“ bezeichnet werden. Das betont auch die Direktorin der Bremer Landesmedienanstalt und Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Cornelia Holsten, im „Deutschlandfunk“. Besonders wichtig sei es, Facebook, Google und andere Intermediäre zu regulieren. “Wir sind felsenfest davon überzeugt, dass es für Intermediäre Regeln geben muss, damit niemand diskriminiert wird, sondern damit alle Angebote gleichberechtigt eine Rolle spielen”, sagte Holsten. Dass es im Moment keine ausreichenden Regeln gebe, könne sich “sehr leicht in eine Gefahr für die Medien-und Meinungsvielfalt verwandeln”. Für Nutzer von Suchmaschinen sei es zum Beispiel wichtig, einen Ansprechpartner im eigenen Land zu haben, der Fragen zu Suchkriterien beantwortet. Diese Forderungen Holstens sind rundheraus zu begrüßen. Man sollte auch aufpassen, dass man sich nicht durch falsche Forderungen nach „Freiheit“ vor den Karren der US-Internet-Konzerne spannen lässt – diese Firmen sind Meister darin, sich als verfolgte Unschuld darzustellen.
Zensur durch die Hintertür?
Doch die Gefahr versteckt die Medienpolitikerin in einem Nebensatz: Neben der Kontrolle der Großkonzerne sei auch eine neue Definition des Rundfunkbegriffs nötig. “Das Zulassungsmodell muss ganz dringend überdacht werden”, so Holsten. Sprich: Die „Zulassung“ auch kleiner und kritischer Medien, die etwa über ihre Podcast-Angebote potenziell die Kriterien des „Rundfunks“ erfüllen könnten und damit möglicherweise zulassungspflichtig werden würden. Eine Zulassung kann man immer auch verweigern, Zensur durch die Hintertür und begründet mit der Regulierung von Großkonzernen wäre die Folge.
YouTube und Facebook sieht auch das Portal „Basic Tutorials“ als vorrangige Ziele des Gesetzes: „Diese Plattformen werden als Medienintermediäre eingestuft, was unter anderem mit der Pflicht einhergeht, Ansprechpartner für Rundfunk- bzw. Medienbelange zu benennen und Informationen über die Funktionsweise eingesetzter Algorithmen zur Verfügung stellen.“ Noch einmal: Es ist zwar richtig und wichtig, dass der Staat gegenüber den US-Konzernen Gestaltungsspielraum zurückerobert. Nebenbei könnte aber eine harte Zensur gegen kritische Netz-Journalisten Einzug halten. Um gegen diese mindestens potenzielle Gefahr einzuschreiten, sollten die Bürger massenhaft und prophylaktisch Einspruch gegen die potenzielle Reglementierung von alternativen Medien einlegen.
Massenhafter Einspruch nötig – und möglich
Der prominente Blogger Fefe sieht zwei Möglichkeiten: „Aus meiner Sicht haben wir die Wahl. Entweder wir gehen da jetzt mit dem großen Vorschlaghammer ran, oder wir können uns in Zukunft mit Rundfunklizenzen und inhaltlicher Einflussnahme auseinandersetzen, allerdings ohne im Gegenzug irgendwelche Vorteile oder Schutz wie bei Zeitungsverlegern zu erhalten.“ Er ruft bereits zum Widerstand auf und verweist auf den Umstand, dass Videospiel-Promotion („Let’s-Play-Videos“) dank Lobbyarbeit von den neuen Regeln ausgenommen sein sollen: „Beachtet auch, dass die Einschränkungen wie ‚erst ab 500 potentiellen Nutzern gleichzeitig‘ und Ausnahmen für ausschließlich persönliche oder familiäre Zwecke gestrichen werden sollen. Dafür gibt es jetzt eine Rubrik Bagatellrundfunk, die Zulassungen für weniger als 20.000 Views im Monatsdurchschnitt und für Let’s Play-Videos. Warum eine Ausnahme für Lets-Player? Weil die sich gewehrt haben! Das sollten wir glaube ich auch tun.“
Die Diskussion ist zwiespältig, eine endgültige Bewertung des Gesetzes kann erst nach Fertigstellung des Entwurfs erfolgen. Es ist ein ähnlicher Konflikt wie bei den jüngst diskutierten sogenannten Upload-Filtern: Der Kampf gegen die US-Dominanz im Internet muss als richtig bezeichnet werden – die Netzgemeinde sollte aber höllisch aufpassen, dass im Kielwasser dieser wichtigen Zurückeroberung nicht auch die eigenen Rechte beschnitten werden. Da die Erfahrung lehrt, dass dort, wo kein Widerstand droht, die Meinungsfreiheit abgebaut wird, muss der Medienstaatsvertrag im Sinne einer freien Meinungsäußerung für kritische Internet-Medien streng überwacht werden. Das Gute ist: Über ein Kontaktformular können die Bürger ihre Bedenken gegen das Vorhaben mitteilen, wegen „der hohen Resonanz“ wurde die Frist für Anregungen und Einsprüche bis 30. September verlängert. Hoffentlich wird davon massenhaft Gebrauch gemacht.
PS: Der britische Kabarettist im US-TV, John Oliver, gab einst anlässlich der Angriffe auf die Netzneutralität eine schöne Anleitung, wie potenziell zerstörerische Internet-Kommentatoren und Trolle ihre Aggressionen produktiv gegen ein Gesetz wenden können (auf englisch).