Autofreundliche Bahnpolitik

Wolfgang Bittner
Ein Artikel von Wolfgang Bittner

Frank S. fährt normalerweise mit dem Auto. Doch diesmal gedachte er im Zug bequem zu speisen, hin und wieder aus dem Fenster auf die vorübergleitende Landschaft zu schauen und endlich ein Buch zu lesen, dessen Lektüre er sich schon lange vorgenommen hatte. Doch daraus wurde nichts. Eine realistische Satire zur Saunabahn. Von Wolfgang Bittner.

Sehr geehrter Bahnchef,

seit Langem schon möchte ich Sie zu Ihrer autofreundlichen Bahnpolitik beglückwünschen. Jetzt habe ich einen aktuellen Anlass: Mein Freund Frank Schweisser in Rüsselsheim wollte kürzlich seine kranke Mutter in Hathenow besuchen. Er kaufte also zu einem nicht geringen Preis eine Fahrkarte von Rüsselsheim über Frankfurt (Main), Hannover, Berlin und Frankfurt (Oder) nach Hathenow in Brandenburg. Normalerweise fährt er als Mitarbeiter eines großen Autowerks mit dem Auto. Doch diesmal gedachte er im Zug bequem zu speisen, hin und wieder aus dem Fenster auf die vorübergleitende Landschaft zu schauen und endlich ein Buch zu lesen, dessen Lektüre er sich schon lange vorgenommen hatte. Doch daraus wurde nichts.

Bereits in Frankfurt (Main) hatte der ICE aufgrund technischer Schwierigkeiten mehr als eine Stunde Verspätung, und mein Freund musste einen späteren Zug nehmen, in dem seine Platzkarte keine Gültigkeit hatte. Da Werktätige wie er nur übers Wochenende fahren können, war der ICE ziemlich überfüllt, außerdem war die Kühlung ausgefallen, was bei hohen Außentemperaturen sehr unangenehm war. So durfte er zwischen schwitzenden und schimpfenden Mitreisenden bis Hannover drei Stunden lang stehend im Gang saunieren.

Selbstverständlich bekam er seinen Anschlusszug nicht, sodass auch hier die Platzreservierung entfiel. Zwar funktionierte diesmal die Kühlung, doch Frank Schweisser musste bis Berlin wieder stehen. So ging es nun weiter in drückender Enge nach Frankfurt (Oder), wo der letzte Bus nach Hathenow schon lange abgefahren war. Kurz vor einem Kreislaufzusammenbruch musste mein Freund seinen Neffen anrufen, der ihn mitten in der Nacht mit dem Auto vom Bahnhof abholte.

Bis dahin war es eine Horrorfahrt! Aber Frank Schweisser – Sie werden es kaum glauben – war glücklich. Glücklich wie lange nicht. Denn nur so, erklärte er mir kürzlich, lässt sich das Fortbestehen des seit Längerem bedrohten Autowerks und damit der Erhalt seines Arbeitsplatzes sicherstellen. Dank Ihrer schonungslos zielgerichteten Verkehrspolitik zu Lasten der DB-Fahrgäste!

Bitte weiter so, ich danke Ihnen herzlich
Ihr
Paul Obermeier, Werkmeister

Leicht aktualisiert aus Wolfgang Bittners Satire-Buch „Die Abschaffung der Demokratie“, Westend Verlag 2017

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