Aufstand der Meinungsmacher: Der Appell der US-Medien ist ein Dokument der Heuchelei
Hunderte US-Zeitungen haben in verschiedenen Appellen die Angriffe von US-Präsident Donald Trump auf den etablierten Medienbetrieb skandalisiert. Darunter sind auch jene Medien, die in jüngster Vergangenheit Fake-News-Kampagnen wie die „russische Wahlmanipulation“, den „Gift-Anschlag von Salisbury“ oder den „Volksaufstand in Syrien“ produziert haben. Mit der emotionalen Kampagne fordert diese erste Liga der Meinungsmacher plötzlich die Wahrheit ein. Von Tobias Riegel.
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Wenn die dominierenden Medien der USA eine gemeinsame Kampagne starten, dann kann man sich auf große Oper einstellen. Die Intensität der Heuchelei und die Wellen, die der Medien-Aufruf bis in deutsche Redaktionen hinein geschlagen hat, haben dann aber doch überrascht: Mit einer großangelegten Aktion haben hunderte Zeitungen in den USA Angriffe von US-Präsident Donald Trump auf den etablierten Medienbetrieb skandalisiert. In Leitartikeln bezogen sie Position gegen die Anschuldigung Trumps, Falschnachrichten zu verbreiten und „Feinde des Volkes“ zu sein. Initiiert wurde die Aktion von der Zeitung „Boston Globe“. Nach Angaben des Blattes beteiligten sich etwa 350 Medien.
Die dem Vorhaben innewohnende Heuchelei springt ins Auge: Denn die Aktion wird angeführt vom „Boston Globe“, von CNN, der „New York Times“ oder der „Washington Post“ – also von Medien, die allein in jüngster Vergangenheit ausufernde Fake-News-Kampagnen wie die „russische Wahlmanipulation“, den „Gift-Anschlag von Salisbury“ oder den „Volksaufstand in Syrien“ produziert haben. Mit den emotionalen Appellen fordert diese erste Liga der Meinungsmacher plötzlich die Wahrheit ein – schließlich kam das Phänomen „Fake News“ nach ihrer Darstellung erst mit Donald Trump in die Welt.
Trump zerstört den Mythos des unabhängigen Hauptstadt-Journalisten
Man kann zahllose Aspekte an Trumps Politik und Verhalten verurteilen. Aber die großen US-Medien kritisieren zuverlässig das Falsche: So wäre zum einen die von den meisten US-Redakteuren im Gleichklang dämonisierte Entspannung mit Russland zu begrüßen. Zum anderen ist zwar Trumps Betitelung von Journalisten als „Feinde des Volkes“ abstoßend – aber dass Trump das Märchen vom unabhängigen Hauptstadt-Journalisten endlich als solches offenbart, hat trotz des rabiaten Charakters der Umsetzung auch etwas Befreiendes. Die Entzauberung der Medien-Konzerne als interessengeleitete Lobbyisten mag ein schmerzhafter Erkenntnisprozess sein und mag mit allerlei verbalen Ausfällen Trumps einhergehen – aber durch Trumps radikale Angriffe trauen sich viele Menschen erstmals, den Mythos der „Unbestechlichen“ zu hinterfragen. Trotz dieses Verhaltens Trumps sollte der US-Präsident jedoch keinesfalls in den Stand eines Widerstandskämpfers erhoben werden.
“Der schmutzige Krieg gegen die freie Presse muss aufhören”, hält der „Boston Globe“ dagegen: Trumps Angriffe auf die Medien könnten gefährliche Konsequenzen haben. Freie Medien durch staatlich kontrollierte zu ersetzen, sei stets eines der ersten Ziele eines korrupten Regimes bei der Machtübernahme in einem Land. Das Verhalten Trumps sende ein „alarmierendes Signal“ an Despoten im Ausland, die sich dadurch ermutigt fühlen könnten, Journalisten wie Feinde zu behandeln, so der „Boston Globe“.
US-Milliardäre und ihre privaten Medien
Es soll hier nun nicht aufgezählt werden, welch mannigfaltige alarmierende Signale dagegen der „Boston Globe“ im Zusammenhang mit „Massenvernichtungswaffen“, „Fassbomben und Giftgas“ oder angeblichen „Volksaufständen“ bereits gesendet hat. Interessanter sind die Eigentümer-Strukturen des „Boston Globe“ und anderer führender US-Zeitungen. So haben in den letzten Jahren unter anderem die Investoren Carlos Slim, Jeff Bezos, John Henry, Chris Hughes und Warren Buffett viel Geld in defizitäre US-Presseunternehmen gesteckt, wie RT berichtet. Da ein direkter Profit aus diesen Investitionen nicht zu erwarten sei, stelle sich die Frage nach der Motivation der Milliardäre. Mutmaßlich solle Deutungshoheit und politischer Einfluss gekauft werden.
Der „Boston Globe“ wurde übrigens von Ex-Hedgefonds-Manager John Henry übernommen, der den Kauf der Zeitung mit der selbstlosen Rettung einer Tradition begründet: „Der Boston Globe ist eine Institution, für die es sich lohnt, zu kämpfen.“ Nun nutzt er sein publizistisches Spielzeug, um einen ihm nicht genehmen Präsidenten zu bekämpfen. Am radikalsten pocht von den neuerdings publizistisch tätigen US-Milliardären wohl Jeff Bezos auf sein „Recht“, sich mit seiner „Washington Post“ als reicher Mensch auch politisches Gehör zu verschaffen.
Staatsfeindlicher Pseudokonsens zwischen Medien und Bevölkerung
Der Appell zog weite Kreise: Die „Chicago Tribune“ erklärt, dass verbale Angriffe vonseiten der Regierung ideologischen Extremisten Aufwind gebe und die Sicherheit von Journalisten gefährde. Dem schließt sich das „Committee to Protect Journalists“ an. Sogar der US-Senat solidarisierte sich. Und schließlich vereinnahmt die „New York Times“ „uns alle“: “Wir sitzen alle im selben Boot“, behauptet die Zeitung. Im Jahr 2018 würden einige der schädlichsten Attacken auf Medienvertreter von Regierungsmitarbeitern kommen. Dieses Suggerieren eines staatsfeindlichen Pseudokonsenses zwischen Medien und Bevölkerung, obwohl keine gemeinsamen Interessen bestehen, kennt man bereits.
Es gab auch unter den großen US-Medien einsame kritische Rufer, die das emotionale Gemeinmachen nicht mitspielen wollten. So wies etwa das „Wall-Street-Journal“ darauf hin, dass der gemeinsame Appell genau jener Unabhängigkeit zuwiderliefe, die er zu wahren behaupte. “Trump hat genauso das Recht auf freie Meinungsäußerung wie seine Gegner in den Medien.” Die „Baltimore Sun“ schreibt, dass man zwar übereinstimme, dass Journalisten nicht als “Volksfeinde” und die Medien nicht als “Fake News” beschimpft werden sollten. Eine koordinierte Aktion von Medien unterstütze allerdings den Eindruck, man verbünde sich gemeinsam “gegen diesen republikanischen Präsidenten“. Eine Zusammenstellung von US-Beiträgen zum Appell findet sich hier.
Trump und das „Reich der Finsternis“
Solche kritischen Reflexionen sind den meisten deutschen Medien fremd, stellvertretend nennt die „Süddeutsche Zeitung“ die Aktion ein „starkes Zeichen“. Die spanische Zeitung „El País“ zeigt den Tenor, der sich durch die großen europäischen Medien zieht: „Sich solidarisch mit diesen Medien zu zeigen, ist keine unternehmerische Überlegung, sondern die Pflicht jedes Bürgers, der sich einer Bedrohung der Freiheit gegenübersieht.“ Angesichts solch hochtrabender Aufgaben kann man schon mal die journalistische Distanz vergessen: „Präsident Trump ist entschlossen, die Vereinigten Staaten zu einem Reich der Finsternis zu machen.“ Bei dieser Dämonisierung Trumps wollten auch die Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen und der Interamerikanischen Menschenrechtskommission nicht zurückstehen: „Seine Attacken sind strategisch, sollen das Vertrauen in die Berichterstattung untergraben und Zweifel an überprüfbaren Fakten schüren“, schrieben sie.
Zweifel an der Wirksamkeit des Appells äußert dagegen die Zeitung „Takungpao“ aus Honkong: „Man sollte auch nicht vergessen, dass Trump damals trotz fehlender Unterstützung der etablierten Zeitungen in den USA die Wahl gewonnen hat.“ Und auch die russische „Gazeta“ merkt an, Trump scheine überhaupt keine Presse zu brauchen: “Er hat bei Twitter mehr Abonnenten als jede große amerikanische Zeitung.“
Erst kürzlich hatten die Medienschaffenden in den USA die Möglichkeit, die Pressevielfalt und damit die Pressefreiheit in ihrem Land zu verteidigen – nämlich als der russische Auslandssender RT in den USA massiv schikaniert und schließlich als „ausländischer Agent“ registriert wurde. Dabei haben viele Redakteure, die nun im Appell zur Rettung der eigenen Haut aufrufen, kläglich versagt: Die Folge der Zensur gegen das unbequeme Medium RT-USA war ein beschämendes und dröhnendes Schweigen.