Immer noch: Wirtschaftspolitik ist geprägt von Mythen, Vorurteilen und Meinungsmache
In den Tagesthemen vom 16. Februar (ab Minute 9) traten drei der für die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Eurozone Verantwortlichen nacheinander auf: EZB-Präsident Trichet, der Präsident der Eurogruppe Junker und der Staatssekretär im deutschen Bundesfinanzministerium Jörg Asmussen. Mit markigen Worten übten sie Druck auf Griechenland aus, die Staatsausgaben zu senken, zu „sparen wie die Iren“ und Personal im öffentlichen Dienst abzubauen. Das ist offensichtlich populär bei den Kreisen, auf die es den genannten Personen ankommt. Mit dem, was sachlich geboten ist, haben diese markigen Sprüche allerdings wenig zu tun. Albrecht Müller
Prozyklische Politik – aus der Weltwirtschaftskrise fast nichts gelernt
Sachlich geboten wäre europaweit eine expansive Wirtschaftspolitik, die den Menschen Arbeit bringt und außerdem für die notwendige Versorgung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen sorgt. Genau das Gegenteil wird jetzt betrieben: Menschen werden entlassen, in Griechenland wie in Brandenburg zum Beispiel; es wird in die Krise hinein gespart; öffentliche Leistungen werden zusammengestrichen, Schwimmbäder geschlossen, soziale Dienste gekürzt, Schulen ausgehungert.
Offensichtlich haben in Europa wie auch speziell in Deutschland immer noch jene das Sagen, die mit ihrer Politik der Deregulierung und Privatisierung die jetzige Krise mitverursacht haben. Sie nutzen die Krise um diese Politik fortzuführen – im Interesse ihrer privaten Klientel aber auch aus Dummheit. Jedenfalls ist leider festzustellen: Der neoliberale Stall ist nicht ausgemistet.
Die zuvor genannten Personen gehören allesamt mit auf die Anklagebank.
Sie, die Europäische Zentralbank, die in Europa und in Deutschland für die Wirtschafts- und Finanzpolitik Verantwortlichen haben zugelassen, dass es im Euro-Raum zu einer gefährlichen Auseinanderentwicklung der Wettbewerbsfähigkeit in den einzelnen Volkswirtschaften gekommen ist. Die Löhne und die Lohnstückkosten (das sind grob skizziert die Lohnkosten unter Beachtung der Entwicklung der Arbeitsproduktivität) in den Ländern des Euro-Raumes haben sich weit auseinander entwickelt. In Deutschland hat man eine absolut unvernünftige restriktive Lohnpolitik betrieben. Die Reallöhne stagnierten. Die Lohnstückkosten sanken. In anderen Ländern, in Griechenland, in Irland, in Spanien, Portugal und Italien sind die Lohnstückkosten gestiegen. Damit wurde die deutsche Wirtschaft in Relation zu diesen Ländern immer wettbewerbsfähiger. Das geht in einem gemeinsamen Währungsraum auf Dauer nicht gut. Angela Merkel Schwärmerei für die Exportweltmeisterei zeigt, wie weit die bei uns herrschenden Personen vom Baum der Erkenntnis entfernt sind. Meilenweit.
Heiner Flassbeck, heute Chefökonom bei der UNCTAD, hat dies in einem Interview mit dem „Freitag“ anschaulich beschrieben. Hier die Überschrift und die Quelle: „Dann bricht Europa auseinander“, Heiner Flassbeck über die tiefer liegenden Gründe der Währungskrise.
Flassbeck plädiert dafür, dass die Länder der Eurozone untereinander zu einem vernünftigen Miteinander kommen. Das heißt konkret, dass Deutschland wesentlich höhere Lohnabschlüsse braucht als bisher, damit sich auf eine mittlere Frist die Lohnstückkosten in den verschiedenen Euro-Ländern und damit auch ihre Wettbewerbsfähigkeit angleichen.
Die herrschende Meinung in den Medien und unter den verantwortlichen Politikern ist weit von dieser Einsicht entfernt. Der gestrige Metallabschluss wurde bundesweit gefeiert. So verständlich dieser Abschluss aus der Sicht der Metallarbeitgeber erscheint und aus der Sicht der IG Metall erscheinen mag, gesamtwirtschaftlich ist es nicht das richtige Signal. Im Gegenteil, dieser Abschluss wird als Druckmittel zum Beispiel gegen ver.di und deren gerade aktueller Kampf für einen besseren Abschluss im öffentlichen Dienst eingesetzt werden.
Auch dies hat etwas mit vorgestanzten Vorurteilen und Mythen zu tun: niedrige Löhne gelten als etwas erstrebenswertes, so sehr bestimmt die Interessenlage der herrschenden Kreise auch das Denken weiter Teile der Arbeitnehmerschaft. Die Folgen dieser mythologischen Denke habe ich auf Seite 153 des Buches „Meinungsmache“ beschrieben:
„Stagnation der Löhne seit gut zwei Jahrzehnten, mit nur kleinen Unterbrechungen. Viele Familien kommen mit dem Verdienst nicht aus. Die Schwäche der Massenkaufkraft und der Binnennachfrage war der Anfang eines neuen Konjunktureinbruchs. Gefährliche Auseinanderentwicklung in der Euro-Zone.“
Es wurde rechtzeitig vor der Fehlentwicklung in der Euro-Zone gewarnt
Heiner Flassbeck war einmal der Vorgänger des jetzigen Staatssekretärs Jörg Asmussen. Er hat am 9. Februar 1999 in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung („Von Merkantilisten und Moralisten“) davor gewarnt, dass eine Volkswirtschaft in der Eurozone ihre Beschäftigungssituation zu verbessern versucht, in dem sie ihre Lohnentwicklung unterhalb der Produktivitätsrate hält. Damit werden Arbeitsplätze auf Kosten der Partner in der Eurozone geschaffen. Auf diese Gefahr habe auch ich 2006 in „Machtwahn. Wie eine mittelmäßige Führungselite uns zugrunde richtet“ hingewiesen. Von diesem harten Untertitel habe ich nichts zurückzunehmen. Die in Europa für die Wirtschafts- und Finanzpolitik zuständigen Personen sind unterstes Mittelmaß. Sie orientieren sich an populären Sprüchen und an ihrer eigenen Ideologie statt am sachlich Gebotenen.
Die im Spiel befindlichen Klischees und Vorurteile
Es ist schon erwähnt:
- Sparen ist gut, auch dann, wenn der Sparerfolg gar nicht eintritt, weil man ihn mit dem Sparen selbst zunichte macht. Das ist ein Ergebnis einer auf die Volkswirtschaft angewandten einzelwirtschaftlichen Denkweise. Siehe dazu hier und hier und in vielen anderen Beiträgen der NachDenkSeiten wie auch Denkfehler Nr. 31 in „Die Reformlüge“ vom August 2004.
- Niedrige Löhne sind gut
Hinzu kommt das Dauerklischee:
- Wir leben vom Export. – Auch zu diesem Klischee finden Sie in den NachDenkSeiten schon mehrere Beiträge. Dort ist auch der Text des Denkfehlers Nr. 17 aus „Die Reformlüge“ ins Netz gestellt.
Im konkreten Fall der Auseinanderentwicklung der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den südeuropäischen Ländern und Irlands auf der einen Seite und vor allem Deutschlands auf der anderen Seite wird sichtbar, wie wenig eine Volkswirtschaft von dauernden Exportüberschüssen hat. Wir haben die anderen Länder niederkonkurriert und dürfen jetzt – aus eigenem Interesse – zahlen. Hätten wir diesen Ländern die nötige Luft zum Atmen gelassen, hätten wir bei uns für eine nach oben gerichtete Reallohnentwicklung und steigende Binnennachfrage gesorgt, dann wären diese Länder nicht in Schwierigkeiten geraten und wir müssten nicht helfen.
Aber die bei uns Verantwortlichen sind weit entfernt von der Erkenntnis, dass sie mitverantwortlich sind für die Fehlentwicklung. Sie treten auf wie arrogante Besserwisser. Dabei sind sie ein klägliches Mittelmaß gemessen an der notwendigen makroökonomischen Erkenntnis.