Hinweise des Tages
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Hartz-Regelsatzermittlung verfassungswidrig; Schweizer Schizophrenie; Umfrage unterstützt ver.di; statistische Scheinwelt; trotz Krankheit zur Arbeit; Koalitionskrach; Berlin will Griechenland retten;
Studienplatzvergabechaos. (WL)
- Bundesverfassungsgericht zu Hartz IV
- Jean Ziegler: Schweizer Schizophrenie
- Tarifstreit: Umfrage stützt Verdi
- Die statistische Scheinwelt
- Trotz Krankheit zur Arbeit
- Schweinegrippe: “Eine Milliarde durch den Schornstein gepfiffen”
- FDP-Politiker nennt Union “größten Widersacher”
- Berlin will Griechenland retten
- Neue ZVS-Software soll Vergabechaos stoppen
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Bundesverfassungsgericht zu Hartz IV
- Keine Willkür mehr, keine Heimlichtuerei
Der Bund kann künftig nicht mehr im Hinterzimmer festlegen, mit wie viel Geld die Deutschen zurechtkommen müssen. Ein Interview mit Sozialrichter Jürgen Borchert, der die Hartz-IV-Klage vor dem Verfassungsgericht mitinitiierte: “Das Gericht hat dem Gesetzgeber unmissverständlich die Pflicht aufgegeben, die Frage der realitätsgerechten Bedarfe fortlaufend zu prüfen. Ausdrücklich wurde hier die Erhöhung der Verbrauchssteuern erwähnt. In dem Fall muss der Gesetzgeber umgehend Existenzminima prüfen und gegebenenfalls korrigieren. Die bisherige Kopplung der Hartz-IV-Sätze an die Rentenentwicklung ist für verfassungswidrig erklärt worden.”
Quelle: SZ - Heribert Prantl: Grundrecht auf Existenzminimum
Hartz IV ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem mit Hochspannung erwarteten Urteil den Gesetzgeber aufgefordert, das Gesetz völlig neu zu fassen und die Armutsgrenze in Deutschland neu zu beschreiben.
Quelle: SZ - Paukenschlag
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Hartz-IV-Regelsätzen für Kinder ist ein Paukenschlag. In die Freude über das wegweisende Urteil mischt sich jedoch auch Besorgnis. Das oberste Gericht wird zunehmend zum Ausputzer für Politik, die unfähig und unwillig ist, das Grundgesetz als Maßstab des eigenen Handelns anzuerkennen.
Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat missachten seit Jahren ihre verfassungsrechtlichen Pflichten. Insbesondere seit 2001 versäumen sie es, das gesamte gesetzgeberische Handeln an der Verfassung auszurichten. Immer wieder haben Exekutive und Legislative in den vergangenen Jahren versucht, die Grenzen des im Rahmen des Grundgesetzes Machbaren bis zum letzten auszureizen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung nunmehr unmißverständlich einen durchsetzbaren Anspruch auf die staatliche Gewährleistung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben festgelegt. Das stärkt das in den vergangenen Jahren unter Beschuß geratene Sozialstaatsprinzip. Hierfür war es höchste Zeit.
Dennoch wäre ein Bekenntnis zum Sozialstaatsgebot eigentlich Aufgabe des Parlaments. Die Fraktion Die LINKE fordert deshalb die Festschreibung und konkrete Ausgestaltung sozialer Grundrechte im Grundgesetz. Auf diese Weise könnte das Sozialstaatsprinzip dauerhaft vor politischen Angriffen geschützt werden. Wenn das Parlament seine Aufgaben ernst nimmt, überläßt es diese Aufgabe nicht weiterhin den Karlsruher Richtern.
Quelle: junge Welt - Schwarz-Gelb redet sich Hartz-Urteil schön
Das Aufatmen in der Koalition über die Karlsruher Entscheidung ist spürbar – die Richter haben sich nicht zur Höhe der Regelsätze geäußert.
Union und FDP wollen trotz der drohenden Mehrkosten die Steuern senken.
von Kai Beller und Timo Pache, Berlin
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist nach der Urteilsverkündung beseelt. “Das ist meines Erachtens nach ein wegweisendes, ein bahnbrechendes Urteil”, sagte sie in Karlsruhe. Dabei hatten die Richter die geltende Berechnungsmethode für die Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig erklärt und der Ministerin viel Arbeit beschert. Sie muss bis zum Jahresende für eine neue transparente und nachvollziehbare Berechnung sorgen. Das gilt sowohl für Kinder als auch Erwachsene.
Von einer schallenden Ohrfeige für die Regierung, wie es die Sozialverbände sehen, will die Ministerin trotzdem nichts wissen. Es sei ein guter und wichtiger Tag für die Kinder, deren Bedürfnisse nun endlich Berücksichtigung fänden bei der Berechnung der Hartz-IV-Sätze.
“Heute ist die Bildung der Kinder der große Sieger”, frohlockte von der Leyen. Die Frage, warum dazu ein höchstrichterliches Urteil nötig war, beantwortete sie nicht.
Quelle: FTD - System muss auf den Prüfstand
Der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky glaubt nicht, dass die Träume von Hartz-IV-Beziehern in Erfüllung gehen:
“Gegen eine transparente, lebensnahe und nachvollziehbare Berechnung kann niemand etwas haben. Aber Karlsruhe hat nicht gesagt: Die Sätze sind zu niedrig. Warum sollten sie sich jetzt verdoppeln und verdreifachen? Das hielte ich auch für falsch. Das Existenzminimum von Kindern besteht nicht nur aus Geld, sondern auch aus der Teilhabe an Gesellschaft, aus Chancengerechtigkeit am Bildungserwerb. Das Urteil ist eine große Chance. Es sagt sehr deutlich: Was ihr bisher gemacht habt, geht so nicht. Und ich sage: Dann machen wir etwas Neues und stellen das gesamte System auf den Prüfstand. Wir könnten jetzt die Familienpolitik und Familienförderung vom Kopf auf die Füße stellen. Mittagessen in der Schule, kostenlose Horte und Kindergärten und Ganztagsschulen. Alles entlastet das Familienbudget und wir investieren in die Kinder. Nirgendwo ist die soziale und gesellschaftliche Stellung der Eltern so prägend für die Zukunft der Kinder wie in Deutschland. Davon müssen wir weg. Wer 50 Euro mehr Hartz IV im Monat überweist, der überwindet Bildungsferne nicht, sondern kann sie damit sogar stabilisieren. … Je auskömmlicher das Sozialsystem das Leben gestaltet, desto stärker werden seine lähmenden, sedierenden Wirkungen. Deswegen hat Hartz IV den Anspruch, ein aktivierendes Sozialsystem zu sein und nicht ein alimentierendes. Werden die Sätze erhöht, lösen sie zwanghaft auch die Diskussion um den Mindestlohn aus. Die Ausbreitung von Dumpinglöhnen ist auch ein Missbrauch von Hartz IV, denn die Differenz trägt dann immer das Sozialsystem. Je höher man das Existenzminimum setzt, desto größer werden die Probleme mit dem Lohnabstandsgebot. Man muss die Mindesthöhe des Erwerbseinkommens anheben, sonst entsteht eine gesellschaftliche Schieflage.”
Quelle: FRAnmerkung Orlando Pascheit: Mit unserem streitbaren Bürgermeister von Neukölln ließe sich über manches streiten z.B. über die Frage, ob Hart IV wirklich ein “aktivierendes Sozialsystem” ist. Im nächsten Moment spricht er ja die Crux von Hartz IV an, die “Ausbreitung von Dumpinglöhnen”. Daran ist nichts Soziales, aber dies wurde sehr wohl mehr oder weniger offen intendiert. Aber natürlich hat er Recht mit der Forderung nach “Teilhabe an Gesellschaft” und “Chancengerechtigkeit am Bildungserwerb”. Aber sowohl diese eher abstrakt formulierten Ziele, wie auch “Mittagessen in der Schule, kostenlose Horte und Kindergärten und Ganztagsschulen” haben sehr viel mit Geld zu tun. Da verkennt Buschkowsky das Endziel der Hartz-“Reformen”: Die Privatisierung der Not.
- Keine Willkür mehr, keine Heimlichtuerei
- Jean Ziegler: Schweizer Schizophrenie
Es ist der Schweizer Banken-Oligarchie gelungen, das Land bis weit in die Politik hinein zu kolonialisieren. Dass sich nun so viele Menschen in die Abwehrfront gegen die ausländische Kritik einbauen lassen, ist unglaublich. Die ganze Schweiz übt sich in Loyalität im Verhältnis zu den Banken. Das ist ein Feudalverhalten. Es ist der Finanzindustrie gelungen, aus privaten Steuerbetrugsfällen einen interstaatlichen Konflikt zu machen.
Quelle: SZ - Tarifstreit: Umfrage stützt Verdi
Aufwind für die Gewerkschaften: Das Ergebnis einer Umfrage unterstützt Verdi und ddb im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes. Nur 25 Prozent glauben, dass hohe Personalkosten leeren Kassen verursachen. Der dbb-Vorsitzende Peter Heesen legte eine repräsentative Umfrage des Forsa-Instituts zur Finanznot der Städte und Gemeinden vor.Jeder zweite befürwortete Gehaltserhöhungen für die öffentlichen Beschäftigten.
Quelle: FRAnmerkung Orlando Pascheit: Angesichts der über Jahre abgefeuerten, beliebten Breitsalven seitens liberaler Medien, Politiker und Intellektueller auf die Beschäftigten im öffentlichem Dienst: Ineffizienz, Trägheit usw., ist es geradezu sensationell, dass die Hälfte der Befragten für eine Erhöhung der Gehälter plädiert. Schande über unsere politische Elite, die an einem zentralen Standbein ihrer eigenen Macht, vor allem aber unseres Rechtsstaates, unserer Demokratie sägt: einer intakten Bürokratie. – Lasst doch gleich Arvato die Republik übernehmen!
- Die statistische Scheinwelt
Die offiziellen US-Statistiken werden immer abstruser: Folgt man ihnen, müssten die Gewinne der Firmen vermutlich doppelt so hoch sein wie derzeit ausgewiesen. Doch machen wir das Spielchen mit und rechnen ebenfalls mal bis zur Nachkommastelle.
Quelle: FTD - Trotz Krankheit zur Arbeit
Längst , und besonders in Zeiten der Wirtschaftskrise, beobachten Experten ein Phänomen, das sie mit dem Begriff „Präsentismus“ beschreiben. Aus Angst um ihren Job schleppen sich auch immer mehr kranke Beschäftigte an den Arbeitsplatz – wo sie dann Kollegen anstecken, mehr Fehler und Unfälle verursachen und längerfristig ihren Arbeitgeber und ihre eigene Gesundheit weit stärker schädigen als durch krankheitsbedingte Absenz. Wie stark der Druck gestiegen ist, belegt der permanent steigende Anteil psychischer Krankheiten. Seit 1998 nahm er um mehr als 60 Prozent zu, im Jahr 2009 waren sie bereits Grund für mehr als jede zehnte Krankschreibung.
Quelle: Tagesspiegel - Schweinegrippe: “Eine Milliarde durch den Schornstein gepfiffen”
Die Schweinegrippe ist vorbei und fast vergessen. Es gibt allerdings noch viel aufzuarbeiten, kritisiert der Epidemiologe Ulrich Keil. “Alle paar Jahre werden wir mit Epidemien geängstigt”, sagt er im stern.de-Interview. “Dabei sind die großen Killer andere.”
Quelle: stern.de - FDP-Politiker nennt Union “größten Widersacher”
Kampfansage statt schwarz-gelber Harmonie: Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Kubicki kann das Gerede von der Liebesheirat mit der Union nicht mehr hören. Er betrachtet CDU und CSU von nun an nicht mehr als Partner – sondern als schärferen Gegner als Grüne und SPD. Seine Partei müsse dem Eindruck entgegentreten, sie sei deshalb gewählt worden, damit Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der FDP die Politik der Großen Koalition fortsetzen könne. “Deshalb müssen wir uns jetzt eine Reihe von Unionspositionen und Unionspersonen vorknöpfen.”
Quelle: Spiegel Online - Berlin will Griechenland retten
Spektakuläre Wende: Deutschland stellt den klammen Griechen Hilfen in Aussicht. Finanzminister Schäuble treibt einen Rettungsplan voran. Der Kapitalmarkt reagiert euphorisch: Der Euro klettert über 1,38 $, die Risikoaufschläge brechen ein. Über Details will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Spitze der Unionsfraktion am Mittwoch informieren. Wegen der Schuldenkrise Griechenlands befürchte man “eine größere Verwerfung als bei der Krise der Hypo Real Estate”, hieß es in Koalitionskreisen. Angestrebt sei eine europäische Lösung. Allerdings werde auch ein Alleingang Deutschlands nicht ausgeschlossen. Der Euro stieg sprunghaft an. Er kletterte über die Marke von 1,38 $.
Quelle: FTDAnmerkung Orlando Pascheit: Dass nun Deutschland vorprescht, wird wohl auch etwas damit zu tun haben, dass deutsche Banken, allen voran die Deutsche Bank, Forderungen ca. 47 Milliarden US-Dollar gegenüber dem griechischen Staat und den dort ansässigen Banken halten. Aber auch andere europäische Banken dürften Forderungen halten. Es spricht viel dafür, dass die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem informellen Gipfeltreffen am Donnerstag die causa Griechenland regeln werden. Dennoch stehen noch einige Fragen im Raum. Wie ist die Spekulation an die Kette zu legen, wenn die Finanzmärkte einfach das Land wechseln und z.B. Portugal oder Spanien testen. Im Falle Spaniens stehen allein gegenüber deutschen Banken Forderungen von ca. 240 Milliarden US-Dollar im Raum. Übergangskredite oder Anleihegarantien helfen nicht nur den verschuldeten Ländern, sondern bilden sozusagen eine Art zweiten Bankenrettungsschirm für die hiesigen Geldinstitute.
- Neue ZVS-Software soll Vergabechaos stoppen
Das Studienplatz-Lotto treibt Unis und Bewerber seit Jahren zur Verzweiflung. Ein neues Computersystem soll helfen – ab dem Wintersemester 2011. Den Auftrag dafür vergab das Bundesbildungsministerium jetzt an ein Tochterunternehmen der Telekom. Anschubfinanzierung: 15 Millionen Euro.
Quelle: Spiegel Online