Die EU zwischen den Stühlen. Angela Merkel, Anführerin ins Abseits. Von Wolfgang Bittner.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Deutschland und Westeuropa durch sträflich undiplomatisches Verhalten sowohl gegenüber dem US-Präsidenten Donald Trump als auch gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in eine Sackgasse manövriert. Es ist unglaublich, wie leichtfertig und geringschätzig die „Anführerin der freien Welt“, wie Merkel in den Obama und Clinton ergebenen Medien genannt wurde, den „mächtigsten Männern der Welt“ entgegengetreten ist. Zwar offeriert sie ständig „Gesprächsbereitschaft“, aber ein konstruktiver Dialog hat bisher weder mit Trump noch mit Putin stattgefunden.
Angela Merkel – Donald Trump
Schon unmittelbar nach der Wahl Trumps leistete sich Merkel, die seine Gegnerin Hillary Clinton favorisiert und medial unterstützt hatte, eine unverzeihliche Überheblichkeit: Sie „erinnerte“ den neuen Präsidenten der USA an seine Verantwortung für die weltweite Entwicklung und ermahnte ihn indirekt zur Einhaltung demokratischer Grundwerte: „Die Vereinigten Staaten von Amerika sind eine alte und ehrwürdige Demokratie … Deutschland und Amerika sind durch Werte verbunden: Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. Auf dieser Basis biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump, eine enge Zusammenarbeit an.“[1]
Als ob Deutschland, das an völkerrechtswidrigen US-Kriegen beteiligt war und ist, der Nabel der Welt und Hort der Moral wäre und die deutsche Bundeskanzlerin dem US-Präsidenten seine Politik vorschreiben könnte. Damit nicht genug. Anlässlich des Abschiedsbesuchs Obamas im November 2016 in Berlin, zu dem sich neben Merkel die vier europäischen Regierungschefs Theresa May, François Hollande, Matteo Renzi und Mariano Rajoy trafen, wurde die Beibehaltung der Sanktionen gegen Russland beschlossen [2] – eine politische und diplomatische Fehlleistung sondergleichen und eine Brüskierung Trumps, der sich schon seinerzeit für Gespräche mit Putin ausgesprochen hatte.
Der Herausgeber der NachDenkSeiten, Albrecht Müller, schrieb dazu:
„Bisher hatten Sie vielleicht ähnlich wie ich harmloser Beobachter des Zeitgeschehens gedacht, wir Europäer einschließlich der Deutschen seien von den USA verdonnert worden, die Sanktionen gegen Russland mitzumachen. Weit gefehlt. Jetzt haben unsere famosen Zeitgenossen in Berlin Angst, Trump könnte die Bestrafung Russlands lockern, und wir flehen Obama an, für die Verlängerung zu sorgen. Auch sorgen wir uns, Trump könnte keinen Streit mehr mit Russland haben und klammern uns an Obama, weil dessen Feindbild uns besser passt.“[3]
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die deutsche Regierung die Aggressionspolitik der NATO und des kriegstreiberischen US-Establishments mitträgt, dann ist er mit der Berliner Erklärung der Bundeskanzlerin vom 18. November 2016 erbracht. Offenbar sollen die Sanktionen gegen Russland im Alleingang der EU selbst dann beibehalten werden, wenn sich das Imperium in neuer Besetzung dagegen ausspricht. Eine absurde Vorstellung. Aber was an dieser Konfrontation mit Russland ist nicht absurd?
Angela Merkel, die sich als „persönliche Freundin“ Obamas wähnte, hatte von vornherein Partei für Hillary Clinton genommen und nicht mit der Wahl von Donald Trump gerechnet. Ebenso wenig Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. In der ZDF-Talkshow „maybrit illner“ mahnte sie den designierten US-Präsidenten Donald Trump zur Bündnistreue in der NATO: „Was ihm hoffentlich seine Berater sagen und was er lernen wird, ist, dass die NATO kein Geschäft ist … So regiert man kein Land …“[4] Die Nato sei eine Wertegemeinschaft, „die Werte verkörpert und verteidigt, die den Amerikanern genauso wichtig sind wie den Europäern“, nämlich „Demokratie, Respekt vor der Menschenwürde“, also „Werte, die den Amerikanern heilig sind.“
Außerdem warnte von der Leyen Trump als den künftigen Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte vor Nachgiebigkeit gegenüber Russland. Er müsse „sehr klar sagen, auf welcher Seite er ist, ob er auf der Seite des Rechts, der Friedensordnung, der Demokratien steht, oder ob ihm das egal ist und er so eine Art Männerfreundschaft macht.“ In den Verhandlungen mit Putin müsse die „Annexion“ der Krim ebenso zur Sprache kommen wie die Bombardierung Aleppos, wo eine Viertelmillion Menschen verhungerten, woran Putin schuld sei.[5]
Willy Wimmer, ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium, fand dazu deutliche Worte: „Was ist eigentlich davon zu halten, wenn die Bundesverteidigungsministerin dem neuen amerikanischen Präsidenten Handreichungen über den Atlantik gibt, wie er sich zu verhalten hat? … Da wird jetzt sichtbar, dass es in Washington so etwas wie ein demokratisch-republikanisches Kriegsestablishment zu geben scheint, das im Augenblick alles daran setzt, dem amerikanischen Präsidenten schon politische Handschellen anzulegen und deutlich zu machen, dass der Kriegskurs der letzten Jahre, der ja unter Obama wirklich Blüten getrieben hat, diese Politik – dass sich daran nichts ändert.“[6]
Im November 2016 schrieb Wimmer: „Das ist etwas, was die Zusammenarbeit zwischen Staaten, nach allen Vorstellungen, die man von der internationalen Diplomatie hat, komplett auf den Kopf stellt. Das macht deutlich, dass wir es mit einer Art internationaler Gang-Politik zu tun haben, die seitens der Demokraten und des demokratisch-republikanischen Kriegsestablishments in Washington betrieben wird … ich habe in 36 Jahren Betrachtung deutscher Politik und Zusammenwirkung mit Bundesregierungen so etwas nie erlebt … Frau Dr. Merkel ist das Zentrum des Anti-Trump-Widerstandes. Soweit ist es in Deutschland gekommen. Werden unsere Medien eigentlich jetzt mit Trump antiamerikanisch werden? Das wäre doch mal was Neues.“[7]
Nirgends in den Mainstreammedien war ein Wort darüber zu finden, dass sich unter Obama die innenpolitischen Probleme in den USA zugespitzt haben, dass während seiner achtjährigen Amtszeit ununterbrochen Kriege geführt wurden und dass er mitverantwortlich für die Konfrontationspolitik gegen Russland ist. Nirgends ein Wort über die korrupte, hochkriminelle Kriegsbefürworterin Clinton mit dem militärisch-industriellen Komplex im Rücken, die Anteil an der Verwüstung Libyens und dem Erstarken des IS hatte, die voraussichtlich nach der endgültigen Zerstörung Syriens dort eine Marionettenregierung à la Kiew installiert hätte und sich nicht gescheut hat, Russland und China wegen unbewiesener Cyber-Attacken mit Krieg zu drohen.[8] Anstatt dass man auf Trump zugegangen wäre, wurde er von den maßgebenden US-amerikanischen und europäischen Politikern wie auch von den sich als staatstragend verstehenden Medien von vornherein diskreditiert, und in den Talkshows gab es geradezu blindwütige Attacken gegen ihn.
Angela Merkel – Wladimir Putin und Russland
Die gleiche Geringschätzung und aggressive Feindlichkeit fand schon länger gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin statt. Bereits auf dem G20-Gipfel im November 2014 in Brisbane beschuldigte die deutsche Bundeskanzlerin Wladimir Putin, der erst nach unwürdigem Hin und Her eingeladen worden war,[9] die europäische Friedensordnung in Frage zu stellen, worauf Putin vorzeitig abreiste.[10]
Immer wieder hat sich Merkel auch für die von den USA verhängten Sanktionen gegen Russland stark gemacht. Im September 2014 hatte sie nach Gesprächen mit Präsident Obama beflissen und mit den üblichen Phrasen Härte gefordert: „Wir brauchen einen langen Atem. Aber ich bin zutiefst überzeugt: So hart die gegenwärtige Situation auch ist, am Ende wird sich die Stärke des Rechts durchsetzen. Das sollte uns ermutigen.“[11]
Obwohl erwiesen ist, dass der Putsch in der Ukraine mit dem darauf folgenden Bürgerkrieg vom Westen verursacht worden ist [12], beschuldigte Merkel Russland – offensichtlich wider besseres Wissen – der Völkerrechtsverletzung. Dass es sich bei der Abspaltung der Krim von der Kiewer Ukraine nach einem Referendum und anschließendem Beitritt zur Russischen Föderation nicht um eine Annexion, sondern um eine Sezession, eine friedliche Separation gehandelt hat,[13] ließ Merkel unbeeindruckt. Am 10. Mai 2015 sprach sie anlässlich der Gedenkfeier zum Ende des Zweiten Weltkriegs, noch dazu in Moskau im Beisein des russischen Präsidenten, von einer „verbrecherischen Annexion der Krim durch Russland“[14] – eine beispiellose Provokation.
Besonders heftige Kritik übte Merkel im Februar 2016 an Russland wegen dessen Militäreinsatzes in Syrien. Wie sowohl in der ARD-Tagesschau[15] als auch bei Spiegel Online[16] berichtet wurde, zeigte sie sich auf einer Pressekonferenz in Ankara „nicht nur erschreckt, sondern auch entsetzt“ darüber, „was an menschlichem Leid für Zehntausende Menschen durch die Bombenangriffe entstanden ist“. Und obwohl in Syrien seit September 2014 von den USA sowie einzelnen Golfstaaten gebombt wurde und bereits Millionen geflüchtet waren, gab es für die deutsche Bundeskanzlerin nur einen Schuldigen für das Leid und das „Flüchtlingsdrama“: Russland mit seinen Militäraktionen seit Ende September 2015. Über die schweren Bombardierungen Mossuls durch die von den USA geführte Koalition verlor sie kein Wort.
Das Gleiche im Fernsehen: Ständig werden Fakten verdreht, es wird gehetzt und zwielichtige Personen werden als angebliche Fachleute zu Russland, Putin, Syrien, zur Ukraine oder in letzter Zeit auch zu Trump interviewt. Sie kommen mit ihren feindseligen Unterstellungen ausführlich zu Wort, während gegenteilige Meinungen ausgeblendet und unterdrückt werden. In skandalöser und schamloser Weise beteiligen sich die Redaktionen der ARD-Tagesthemen[17] und des ZDF-heute-journals[18] an der Propaganda. Führenden Politikern wird sogar in der besonders stark frequentierten ARD-Tagesschau gestattet, ihre friedensgefährdenden Parolen widerspruchslos zu verbreiten. Ein eklatantes Beispiel dafür ist die Sendung vom 7. Februar 2017[19]: Bundeskanzlerin Angela Merkel betont bei einem Staatsbesuch in Polen das gemeinsame Verteidigungsinteresse gegen Russland und bekräftigt die Beibehaltung der Sanktionen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen begrüßt die Soldaten eines neuen NATO-Kampfbataillons in Litauen, wo die Bundeswehr die Führungsrolle übernimmt, „um die Ostflanke der Allianz Richtung Russland zu stärken“. Eine „neue NATO-Speerspitze an der Ostgrenze“.
Zugleich berichteten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung, Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz hätten auf Veranlassung der Kanzlerin etwa ein Jahr lang nach Beweisen geforscht, dass die russische Regierung versucht, die öffentliche Meinung in Deutschland zu manipulieren – vergeblich. „Entwarnung? Keineswegs.“ Das Kanzleramt ordnete an, weiter zu ermitteln.[20] Feindpropaganda auf allen Kanälen. Da kam das Treffen von Trump und Putin am 16. Juli 2018 in Helsinki äußerst ungelegen, und dementsprechend wurde und wird auch von den Medien berichtet.[21]
Ausverkauf Westeuropas
Viel mehr als der Austausch von Phrasen fand zwischen der deutschen Bundeskanzlerin und den Präsidenten der USA und Russlands bisher nicht statt. Wen wundert nach allem, was sie sich geleistet hat, dass Donald Trump und Wladimir Putin eine – zunächst noch vage – Verständigung an Deutschland und der EU vorbei anbahnen? Angela Merkel hat als Wortführerin der Kriegstreiber in den USA alles getan, um einen Friedensprozess zu unterminieren. Willy Wimmer schätzt sie zudem als Parteigängerin von Clinton und Soros ein.[22] Es wird immer offensichtlicher: Uns umgibt die reale Idiotie – und sie kennt keine Grenzen.
Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs haben Deutschland nach Maßgabe der USA nach 1945 geteilt,[23] den USA ist es in der Folge gelungen, Westeuropa unter ihre Kontrolle zu bringen und sie sind jetzt dabei, es zu spalten.[24] Und Angela Merkel ist mit ihrer Politik auf ganzer Linie gescheitert. Aber das wird in Politik und Medien nicht thematisiert – Schweigen im Walde. Die wenigen, die sich dazu äußern, werden mundtot gemacht oder diskreditiert.
Wie wird es weitergehen, nachdem Merkel und andere europäische Politiker sich zu Lasten europäischer Interessen jahrzehntelang den Vorgaben aus den USA unterworfen und das Wohl ihrer Bevölkerungen in geradezu krimineller Weise vernachlässigt haben? Vielleicht werden – wie auch immer – Donald Trump und Wladimir Putin eine Antwort geben.
Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. 2017 erschien von ihm im Westend Verlag in Frankfurt am Main das Buch „Die Eroberung Europas durch die USA – eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“.
[«1] Angela Merkel gratuliert Trump, YouTube, Nach US-Wahl: Merkel erinnert Trump an demokratische Werte, 9.11.2016. Sowie: Merkel bietet Trump Zusammenarbeit an.
[«2] Zeit Online, dpa, Ic: Westen bleibt hart gegenüber Russland, 18.11.2016.
[«3] Albrecht Müller, Verkehrte Welt – ein Wochenrückblick auf Obamas Besuch, Merkel als „Die Anführerin der freien Welt?“ und was sonst noch auf uns niederprasselte, nachdenkseiten.de, 18.11.2016.
[«4] Ursula von der Leyen, NATO: Von der Leyen mahnt Trump zur Bündnistreue, ZDF heute, 10.11.2016.
[«5] Ursula von der Leyen, a.a.O.
[«6] Willy Wimmer zum Obama-Besuch: Merkel ist das Zentrum des Anti-Trump-Widerstandes, Sputnik, 17.11.2016.
[«7] Willy Wimmer, a.a.O.
[«8] Deutsche Wirtschafts Nachrichten, USA: Hillary Clinton droht Russland mit Krieg, 4.9.2016.
[«9] AFP, Australien prüft Ausschluss Putins von G-20-Gipfel im November; zit. n.: Australien prüft Ausschluss Putins von G-20-Gipfel im November, 23.09.14.
[«10] Russland feiert den Gipfel-Flüchtling, zit. n.: Russland feiert den Gipfel-Flüchtling, 17.11.2014.
[«11] „Ohne schlüssige Begründung: EU beschließt neue Sanktionen gegen Russland“, zit. n.: „Ohne schlüssige Begründung: EU beschließt neue Sanktionen gegen Russland“, 24.09.14.
[«12] RT Deutsch, Obama im CNN-Interview: Wir überraschten Putin mit Deal zum Machttransfer in der Ukraine, 1.2.21015.
[«13] Dazu mit weiteren Nachweisen: Wolfgang Bittner, Angebliche „Annexion“ der Krim – War der Anschluss der Krim an Russland völkerrechtswidrig?, 20.6.2018.
[«14] Angela Merkel, zit. n. Focus Online: Zwingt Putin Merkel hier zu ihrem schwierigsten Handschlag?, 11.5.2015.
[«15] ARD-Tagesschau, 8.2.2016.
[«16] Spiegel Online, Merkel verurteilt russische Bombardierungen in Aleppo, 8.2.2016.
[«17] Siehe Wolfgang Bittner, Die Eroberung Europas durch die USA – Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung, Westend Verlag, Frankfurt am Main 2017, S. 27f.
[«18] Wolfgang Bittner, a.a.O. S. 31, 114f.
[«19] ARD-Tagesschau, Kanzlerin Merkel zu Besuch in Polen, 7.2.2017.
[«20] ARD-Tagesschau, Keine „Smoking Gun“ aus Russland, 6.2.2017.
[«21] Dazu: Jens Berger, Die „bizarre Putin-Trump-Horrorshow“ – der Gipfel von Helsinki zeigt, in welchem erbärmlichen Zustand unsere Medien sich befinden, nachdenkseiten.de, 17.7.2018.
[«22] Willy Wimmer, Tag der Bastille – diesmal in Washington?, world-economy.eu, 19.7.2018.
[«23] Dazu: Wolfgang Bittner, Deutschland, Kolonie der USA, cashkurs.com, 3.4.2018
[«24] Dazu: Wolfgang Bittner, Die Eroberung Europas …,. S. 250f.