Der Springer-Chef – und wie er die Welt sah: Bild-Zeitungs-Komplex und Medienkritik
Einzelne Beiträge aus dem Springer-Verlag sollten kein Objekt der Medienkritik mehr sein – auch und gerade weil der Medien-Konzern innerhalb der ideologisch einseitigen Medienlandschaft Deutschlands ein besonders destruktives Element darstellt. Der Verlag ist ein „Gesamtkunstwerk“: Mutmaßlich zahlreiche Beiträge der verschiedenen Medien des Konzerns fließen täglich zu einer Gesamtwirkung zusammen und interagieren untereinander. Die Skandalisierung einzelner Artikel würde suggerieren, dass die nicht skandalisierten Beiträge als seriös und nicht als Teil des Gesamtkunstwerks zu betrachten seien. Dem Springer-Verlag sollte man sich also vor allem als Komplex nähern – dazu bietet ein Interview mit Vorstandschef Mathias Döpfner nun Anlass. Von Tobias Riegel.
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Mathias Döpfner ist einer der einflussreichsten Medienmacher Deutschlands. Er ist nicht nur Vorstandschef des 1946 gegründeten Axel-Springer-Verlags, der mit seinen Publikationen nach eigenen Angaben 300 Millionen Menschen in 33 Ländern „erreicht“, sondern auch Präsident der Verleger-Lobby, des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der aktuell den Kampf für die Verlegerbeteiligung führt. Bertelsmann mag 2017 mit über 17 Milliarden Euro mehr Umsatz gemacht haben als Springer mit „nur“ 3,6 Milliarden Euro, wie ein aktueller Bericht der Gewerkschaft Verdi festgestellt hat. Aber die stärkere und direktere Wirkung auf das tägliche politische Geschäft kann mutmaßlich Springer auf seiner Seite verbuchen.
Döpfner und andere mächtige Funktionäre bei großen Privatmedien üben durch ihre auch von Anzeigen der Großindustrie gestützten Medien großen gesellschaftlichen Einfluss aus, ohne dafür durch die Bürger legitimiert zu sein. Sie sind im Gegensatz zum kritikwürdigen, aber wichtigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk – und außer gegenüber ihren Aktionären und Anzeigenkunden – niemandem Rechenschaft schuldig: Ein dem Rundfunkrat vergleichbares Gremium gibt es bei Privatmedien ebenso wenig wie die Möglichkeit der Programmbeschwerden. Den machtlosen Presserat müssen sie nicht ernst nehmen, gerichtlich verhängte Bußgelder bezahlen sie aus der Portokasse. Zudem kontrollieren sich die großen Privatmedien inhaltlich nicht gegenseitig. Selbst der massenhafte Absprung der Leser kann den Konzern relativ kalt lassen: Trotz stetig sinkenden Auflagen steigert sich nach eigener Darstellung der Umsatz.
Unantastbare Medienmanager lassen sich herab
Diese dementsprechend „unantastbaren“ Medienmanager haben es also eigentlich nicht nötig, sich der Bürger-Wut auf die Manipulationen durch große Medien zu stellen. Ab und zu lassen sie sich dennoch herab und geben über mutmaßlich stark redigierte Interviews Einblick in ihre Gedankenwelt – bzw. in das, was die Leser für Mathias Döpfners Gedanken halten sollen. Das nennen Manche dann „Transparenz“ – ein Gebiet, auf dem man „noch besser“ werden müsse. Nun hat sich der Springer-Chef in einem langen Gespräch dem Medienmagazin Meedia präsentiert.
Zunächst dämonisiert der Springer-Chef erwartungsgemäß die Konkurrenz der alternativen Medien, indem er ihnen zuschreibt, was Springer mutmaßlich seit Jahrzehnten praktiziert: Die „Verantwortung der Branche“ und die „Rolle des Journalismus“ werden laut Döpfner „ohne Zweifel immer wichtiger”, das sehen „wir“ am Aufstieg von „Populisten, Autokraten und der Existenzgefahr von Demokratien“. Das habe auch „mit alternativen Informationsformen, in denen Demagogie, Propaganda und gezielte Lügen unter die Menschen gebracht werden“, zu tun. Dabei seien es „weniger Fake News an sich, die ja seit Tausenden von Jahren existieren“, die dem Journalismus zu schaffen machten, sondern „die beschleunigenden und verstärkenden Effekte für Fake News durch soziale Medien“.
„Bild“-Zeitung ohne „parteipolitische Agenda“?
Amüsant wird es bei der Selbstdarstellung als Konzern, der „immer ein werteorientiertes journalistisches Haus mit einer klar definierten und transparenten gesellschaftlichen Haltung gewesen“ sei – angeblich ganz ohne „parteipolitische, tagespolitische oder personalpolitische Agenda“. In ihren „Grundwerten“ hätte der Springerverlag „eine nicht verhandelbare Verankerung – Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte“: „Und die fünf Präambeln konkretisieren das.“ Das ist nicht ganz korrekt, denn die Unternehmensgrundsätze des Springer-Verlags konkretisieren Döpfners Sätze nicht, sondern ergänzen sie lediglich um die Solidarität mit Israel, den USA und der „sozialen Marktwirtschaft.“:
„1. Wir treten ein für Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und ein vereinigtes Europa. 2. Wir unterstützen die Lebensrechte Israels. 3. Wir zeigen unsere Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. 4. Wir lehnen politischen und religiösen Extremismus ab. 5. Wir setzen uns für eine freie und soziale Marktwirtschaft ein.“
Weißwaschung eines mutmaßlichen Meinungsmachers
Voraussetzung für Springers moralischen Vorsprung sei im Übrigen „Transparenz“ – ob er damit Interviews wie dieses meint? Ferner äußert sich Döpfner in dem Gespräch auch zur politischen Korrektheit, zur von Springer zunächst zelebrierten und nun ins Gegenteil umgeschlagenen „Willkommenskultur“, zum Springer-Engagement gegen soziale Netzwerke und die öffentlich-rechtliche Konkurrenz sowie zur Ungerechtigkeit, dass „Fehler“ der Springer-Medien immer „gleich in großen Buchstaben publiziert“ würden.
Es ist kein Wunder, dass sich hier ein mächtiger mutmaßlicher Meinungsmacher als unbefangener Chronist „ohne personalpolitische Agenda“ weißwaschen möchte. Doch was ist das für eine Interview-Führung, die das unwidersprochen stehenlässt? Eine der wenigen kritischen Fragen im Meedia-Gespräch zielt auf den Drehtür-Effekt zwischen Springer-Verlag und politischen Ämtern ab – etwa als Pressesprecher oder „Berater“. Döpfner sieht da kaum Probleme. Grundsätzlich gelte zwar, dass es keine „Abhängigkeiten und zu große Nähe“ zwischen Journalisten und Politik geben dürfe. Es gelte aber auch: „Journalisten, die sich trauen, auch mal außerhalb ihres Metiers zu arbeiten, lernen oft dazu.“ Es ist schwer zu ertragen, dass Döpfner mit solchen Antworten durchkommt, ohne sich rechtfertigen zu müssen.
All die nicht gestellten Fragen: „Medienkritik“ als Feigenblatt
Hätten sich nicht auch Fragen aufgedrängt zur Eigentümer-Struktur, zur bedenklichen Marktmacht oder zu der mindestens fragwürdigen Springer-Berichterstattung zu Syrien, Russland, Griechenland, NATO, Aufrüstung, Streiks, Rente oder Mindestlohn? Vielleicht hätte man auch fragen können, warum ein mächtiger Verlag massiv gegen unliebsame Politiker wie etwa Christian Wulff agiert, wenn es doch ein Verlag „ohne personalpolitische Agenda“ sei? Was geht in einem Medienbetrieb vor, der sich eng an das transatlantische Verhältnis gebunden hat – ein Verhältnis, das gerade ein tiefes Tal durchschreitet? Wie stellt sich das Berufen von Springer auf den „Rechtsstaat“ dar, wenn seine Medien etwa bei der Frage der Abbildung von nicht verurteilten Verdächtigen regelmäßig offensiv gegen ihn agitieren? Haben nicht Medien wie die „Bild“-Zeitung erheblich dazu beigetragen, dass sich zahlreiche Bürger vom gesamten Medienbetrieb abwenden? Und ist „Freiheit“ für private Medienkonzerne wie Springer tatsächlich das wichtigste Kriterium für eine funktionierende und vielfältige Medienlandschaft?
Das Interview zeigt zweierlei. Zum einen, dass die betuliche Art „Medienkritik“, die etwa Meedia betreibt, ein Feigenblatt ist: Private Medien-Macher haben vom „Mainstream-Journalismus“ nichts zu befürchten. Zum anderen zeigt das Gespräch, dass die Manager der großen deutschen Medien – auch wegen der Verweigerung der Redakteure, sich gegenseitig zu kontrollieren – den Bezug zur Realität und zum Kern der aktuellen Mediendebatte verloren haben. Oder sie tun nur so, um sich diese wichtige Debatte vom Leib zu halten. Da sie niemand ernsthaft zur Rede stellt, werden wir es nicht erfahren.