Berliner Humboldt-Forum: „Schweinereien und Hoffnungen“

Tobias Riegel
Ein Artikel von:

Aktuell füllt sich Deutschlands meist diskutiertes Kulturprojekt mit Exponaten: Im Humboldt-Forum in Berlin werden – inszeniert als launige öffentliche Events – koloniale Ausstellungsstücke angeliefert. Die plakative Begeisterung der Verantwortlichen kann aber die zahlreichen Konflikte um das Kulturzentrum nicht überdecken: Raubkunst-Debatten, Personal-Rochaden und Rangeleien um inhaltliche Zuständigkeiten brechen immer wieder auf. Eine Bestandsaufnahme. Von Tobias Riegel.

In Berlin ist momentan das „Welterbe auf Tour“: In als öffentliche Events vermarkteten Aktionen werden seit Wochen Exponate aus den Sammlungen des Ethnologischen und des Asiatischen Museums im Berliner Stadtteil Dahlem in die Stadtmitte transportiert. Ziel der Großobjekte – etwa historische Kriegsschiffe aus der Südsee oder vor einigen Tagen die Fassaden zweier Häuser aus Papua-Neuguinea – sind die noch unfertigen Hallen des größten kulturellen Projektes des Bundes: das Berliner Humboldt-Forum hinter den „historischen“ Fassaden des Stadtschlosses. So marktschreierisch die Umzugsaktion auch angelegt ist: Diese konkrete Entwicklung bei einem seit Jahren leidenschaftlich diskutierten Großprojekt ist Anlass, den Stand der Debatte zu beleuchten.

Das Projekt Humboldt-Forum ist zu Recht von mehreren Seiten in der Kritik: Da ist das „Stadtschloss“, das von vielen Bürgern als ästhetisch und politisch rückwärts gewandtes Symbol wahrgenommen wird. Da ist die Entscheidung, mit dem Humboldt-Forum das zentralste und Aufsehen erregendste deutsche Kulturprojekt der Gegenwart als schnöde „Notunterkunft“ für ethnologische Sammlungen zu nutzen – der Wahrnehmung nach nicht einem kuratorischen Konzept folgend, sondern die renovierungsbedürftigen Häuser in Berlin-Dahlem entlastend. Und es gibt die daraus folgende wichtige Debatte um koloniale Raubkunst und Wiedergutmachung.

Stadtschloss: Rückwärts gewandtes Symbol oder bürgernaher Kulturpalast?

Auf der anderen Seite gibt es den volkstümlichen Charakter des Forums, der aktuell durch die launigen öffentlichen Transporte bereits anklingt: Ein Land stellt seinen Bürgern einen Kulturpalast bei freiem Eintritt zur Verfügung – hier wird an die positive Tradition des in dem Areal einst residierenden Palastes der Republik der DDR angeknüpft. Bei aller berechtigten Kritik an der restaurativen Ausstrahlung des Stadtschlosses und der fragwürdigen Relevanz der ethnologischen Sammlungen: Es ist prinzipiell zu begrüßen, wenn sich die Bundesregierung mit viel Geld in Kulturprojekten engagiert, die dem Bürger zugute kommen – hier sollte auch keine falsche Sparsamkeit eingefordert werden. Andererseits müssen die inhaltlichen Aspekte umso kritischer verfolgt werden.

Besonders schwer erschüttert wurde der Komplex Humboldt-Forum, als die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy vergangenen Sommer harsche Vorwürfe gegen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) erhoben hatte, die eine Betreiberin des Forums ist. Savoy ist damals sehr öffentlichkeitswirksam aus der Expertenkommission des Humboldt-Forums ausgetreten. In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (Bezahlschranke) hatte sie dies unter anderem damit begründet, dass es sich bei dem Beirat, dem Kunst- und Kulturhistoriker aus der ganzen Welt angehören, „um eine bloße Pro-forma-Veranstaltung“ handele. Savoy warf den Akteuren vor, dass es an Transparenz, Teamgeist und Verantwortung fehle. An der SPK, die künftig im Humboldt-Forum die ethnologischen und asiatischen Sammlungen der Staatlichen Museen präsentiert, kritisiert sie „das hierarchische Gefüge, die fehlende Autonomie einzelner Häuser, da herrscht eine totale Sklerose“, wie Medien berichteten. Die SPK hätte den Mut haben müssen, das Projekt abzugeben.

„Das Humboldt-Forum ist wie Tschernobyl“

Savoy vermisste demnach vor allem ausreichende Aufklärung zur Provenienz („Herkunft“) mutmaßlicher Raubkunst sowie eine engere Verzahnung von Sammlung und Wissenschaft. Der Name Humboldt sei nur ein Label. 300 Jahre Sammeltätigkeit „mit all den Schweinereien und Hoffnungen, die damit verbunden sind“, das seien wir, „das ist Europa“. Leider sei das Ganze „wie Atommüll“ unter einer Bleidecke begraben, „damit bloß keine Strahlung nach Außen dringt. Das Humboldt-Forum ist wie Tschernobyl“.

Die Gründungsintendanten – der britische Museumsmann Neil MacGregor, der SPK-Präsident Hermann Parzinger und der Kunsthistoriker Horst Bredekamp – wiesen diese Vorwürfe damals umgehend zurück: Anders als der Louvre oder das British Museum sei das Humboldt-Forum eben noch keine ausgewachsene, fertige Institution. Die Provenienzforschung sei zudem im Gegenteil „die DNA“ des Humboldt-Forums. Jedes Objekt, das ausgestellt werde, sei von den Kuratoren einer ersten Prüfung unterzogen worden. Auch werde man zu jedem Exponat Grundinformationen zur Herkunft und Sammlungsgeschichte für den Besucher sichtbar machen, dies sei schon lange klar, berichtete der „Tagesspiegel“. „Provenienzforschung ist ein fortwährender Prozess, der mitunter viele Jahre für ein Objekt in Anspruch nimmt,“ heißt es in dem Statement der Kuratoren. Savoy sagt dagegen im Interview, „Humboldt, Provenienz, Multiperspektivität, Shared Heritage“, das seien lediglich Schlagwörter, „die da verkauft werden“.

Neue Chefs und Personal-Absagen

Mittlerweile gibt es eine neue Dreierspitze für das Forum: Hartmut Dorgerloh als Generalintendanten des Humboldt-Forums, Lars-Christian Kochals Direktor der Sammlungen des Ethnologischen Museums sowie Paul Spies als Chefkurator des Landes Berlin im Schloss. In eineinhalb Jahren soll das Haus eröffnet werden und alle fragen nach Dorgerlohs Plänen, auch wenn er erst seit 1. Juni im Amt ist und 90 Prozent des Forums bereits vorher konzeptuell ausgestaltet waren. Der 56-jährige Kunsthistoriker Dorgerloh war bislang Chef der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Als Chef des Humboldt-Forums will er im Herbst einen Fahrplan für eine schrittweise Öffnung des Hauses vorlegen. Der erste Teilbereich soll 2019 in Betrieb gehen, spätestens zwei Jahre später sollen dann alle Räume im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloss genutzt werden.

Weitere Irritationen im Forums-Gefüge wurden durch die Absage der als Chefin der ethnologischen Sammlung angefragten Inés de Castro verursacht. De Castro ist derzeit Chefin des Stuttgarter Linden-Museums und das möchte sie auch bleiben – eine Entscheidung, aus der man durchaus eine Wertung des Humboldt-Forums herauslesen kann.

Gerangel um Zuständigkeiten und das Kreuz mit dem Kreuz

Eine Krise besteht auch zwischen Dorgerloh und Paul Spies, der für die Ausgestaltung der vom Land Berlin kuratierten Ausstellung im Forum verantwortlich zeichnet. Verlangt Dorgerloh ein Gesamtkonzept für das Haus, besteht Spies darauf, in „seiner“ Ausstellung eigene Akzente zu setzen. So erklärte Spies etwa Anfang des Jahres: “Wir sind uns jetzt alle einig, dass es ein Kooperationsmodell wird, wo natürlich jemand die Leitung hat, aber wo die Spieler die Mitdenker, die Mitbestimmer und die Mitproduzenten des Programms sind.“ Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hatte dagegen laut Medienberichten einen Intendanten mit der Gesamtverantwortung für das Haus betrauen wollen. Das Kulturzentrum müsse ein “Haus aus einem Guss” werden, forderte sie mehrfach. Spies, zugleich Direktor des Stadtmuseums Berlin, sprach sich wiederum gegen einen solch “überragenden Kurator” aus. “Wir haben die autonome Freiheit, unsere Ausstellungen selbst zu gestalten, ohne Einmischung von Berlin, aber auch ohne Einmischung vom Humboldt Forum”, betonte er. 

Weiterer Zankapfel war das auf der Kuppel des Forums vorgesehene Kreuz, zu dem die „Welt“ so provozierend wie zutreffend schreibt:

„Berlin, die gottlose Stadt, die stolze Kapitale des Atheismus, soll nämlich ein neues Kreuz bekommen. Ein vergoldetes Riesenkreuz in bester Lage, ausgerechnet oben auf der Kuppel des neuen Stadtschlosses, eines der berühmtesten Bauprojekte der Welt. In rund 70 Meter Höhe soll das Kreuz über dem Vorplatz schweben, bestens sichtbar für die vielen Tausend Touristen, die hier Tag für Tag vorbeiflanieren.“

Ebenso zutreffend antwortet Sigrid Hupach, kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, im selben Artikel stellvertretend nicht nur für die atheistische Mehrheit der Deutschen:

„Es soll ein öffentliches Gebäude sein, in das sich alle eingeladen fühlen. Aber wie soll ein solcher offener Dialog der Kulturen gelingen, wenn oben auf der Kuppel ein Kreuz schon die Richtung vorgibt? Eine solche Hierarchisierung der Kulturen und Religionen halte ich für absurd.“

Ein Palast für koloniale Raubkunst?

Doch der zentrale Konflikt ist und bleibt der um die Themen Raubkunst, Provenienz und Entschädigung. Und diese Debatte hat vor einigen Wochen erste konkrete Konsequenzen hervorgerufen: So hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) Ende Mai dem Vertreter der indianischen Chugach Alaska Corporation, John Johnson, geschnitzte Masken und kleinere Fragmente etwa einer Kinderwiege übergeben. In diesem Fall konnte laut „Berliner Zeitung“ erstmals eine „Herkunftsgesellschaft“ in Berlin durchsetzen, dass von den heutigen Staatlichen Museen „erworbene“ Kulturgüter zurückgegeben werden. Die Exponate wurden nach stiftungsinternen Untersuchungen in den 1880-er Jahren aus Gräbern an der Nordwestküste Amerikas geraubt, wie die „Berliner Zeitung“ weiter berichtet. Das sei, so die Preußen-Stiftung, etwas grundsätzlich anderes als eine genehmigte archäologische Grabung, diese Objekte müssten also restituiert werden.

An diesem Punkt ist die Diskussion jedoch längst nicht ausgestanden: Viele Kritiker einer kolonialen Kultur-Politik sehen auch die von der SPK als „genehmigte archäologische Grabung“ bezeichnete Praxis als Kunstraub an: Von Verhandlungen auf Augenhöhe zwischen damaligen Archäologen einerseits und Herkunfts-Gesellschaft andererseits konnte oft keine Rede sein.

Der Generalintendant des Humboldt-Forums Hartmut Dorgerloh sieht sich durch seine vorherige Tätigkeit als Chef der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg jedoch für die Aufgabe und die Konflikte gewappnet: „Auch wir betreiben Provenienzforschung in Sachen Bodenreform, DDR-Unrecht, NS-Raubkunst.“ Konkret bei kolonialer Raubkunst seien zwar die Staatlichen Museen in der ersten Verantwortung. „Das Humboldt-Forum aber muss das Thema offensiv ansprechen und die Ergebnisse vorstellen, wenn sie mitunter auch unbefriedigend sein mögen.“

Rubriken:

Kultur und Kulturpolitik

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