Das Giftgas, Die LINKE und die Manipulationen
Die Ausrichtung der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) ist bei einer Sondersitzung Ende letzter Woche verändert worden: Die OPCW darf nun die ihrer Meinung nach Schuldigen an Giftgas-Angriffen öffentlich benennen. Diese bedenkliche Entscheidung wird das Potenzial zur Instrumentalisierung der OPCW mutmaßlich stärken und die UNO schwächen. Außerdem wirft sie ein Licht zurück auf den LINKEN-Parteitag, wo die Themen Giftgas, Syrien und OPCW in unbefriedigender Weise behandelt wurden. Von Tobias Riegel.
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Die Ausrichtung der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) ist bei einer Sondersitzung der teilnehmenden Staaten Ende letzter Woche verändert worden: Bisher war es die Aufgabe der OPCW, technische Unterstützung bei der Umsetzung der Chemiewaffen-Konvention der UNO zu leisten – ohne dabei eigene Urteile zu fällen. Die Chemiewaffen-Kontrolleure sind nicht Teil der UNO, haben aber im „Joint Investigation Mechanism“ und der „Fact-Finding Mission“ zu Syrien mit ihr zusammengearbeitet. Auf Betreiben Großbritanniens, mit deutscher Unterstützung und gemäß der jüngsten Entscheidung des Gremiums soll die OPCW zukünftig nicht mehr nur Beweise sammeln, sondern gleichzeitig als Richter agieren, indem sie konkrete Täter benennt.
Diese Entscheidung ist, wie unten ausgeführt wird, bedenklich – und sie beleuchtet nochmals den Parteitag der LINKEN und dort zutage getretene Konflikte um die Haltung zu Syrien, zur OPCW und zu angeblichen Giftgas-Attacken.
Auftritt Jan van Aken – Gefühle statt Geopolitik
Es war nur eine kurze Szene beim vergangenen Parteitag der LINKEN. Aber der Auftritt des Außenpolitikers Jan van Aken zu den angeblichen Giftgas-Attacken, die im April Raketenangriffe durch die USA, Frankreich und England gegen Syrien rechtfertigen sollten, beschäftigt bis heute viele Leser der NachDenkSeiten – und er verdeutlicht, dass es in der Linkspartei nicht nur Konflikte um die Migrationspolitik gibt: Auch der Kurs gegenüber Russland und Syrien ist umstritten.
Das äußerte sich beim Parteitag etwa anlässlich eines Antrags mit dem Titel „Frieden in Europa – Schluss mit der Gewalt in Syrien und im Nahen Osten“. Darin heißt es in einem Absatz, der konkret Bezug auf die US-geführten Raketen-Attacken gegen Syrien im April nimmt:
(…) „Die Raketenangriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens auf Syrien haben die Menschheit erneut an den Rand eines weltweiten Krieges gebracht. Ein unmittelbares militärisches Aufeinandertreffen in Syrien zwischen den USA und Russland war und ist nicht ausgeschlossen. Die Angriffe auf Syrien waren völkerrechtswidrige Kriegshandlungen und nicht – wie die Bundesregierung behauptet – eine berechtigte Strafe gegen Syrien. Bis heute ist nicht aufgeklärt, ob, wie behauptet, Giftgas in Syrien eingesetzt worden ist.“ (…)
Konstruierte Gleichstellung des Westens und Russlands
Es ist schwer, diesen Zeilen etwas Substanzielles entgegenzusetzen, stellen sie doch den aktuellen Wissensstand sowohl zur rechtlichen Einordnung der Raketen-Angriffe vom 14. April als auch zur ungesicherten Existenz der angeblichen Giftgas-Attacken vom 7. April im syrischen Duma dar. Doch wo die Substanz fehlt, konnte Jan van Aken die Gefühle ins Spiel bringen.
Van Aken begann seine Gegenrede mit einer konstruierten Gleichstellung: „Wie kann man einen zweiseitigen Antrag über Russland schreiben und zu Russland schweigen? Ja: Die Raketenangriffe waren völkerrechtswidrig – aber genauso völkerrechtswidrig war die Einverleibung der Krim.“ Dieser Vergleich ist zum einen ungewöhnlich, weil die Angriffe gegen Syrien nicht mit der „Annexion“ der Krim begründet werden können. Zum anderen ist die Formulierung „genauso völkerrechtswidrig“ fragwürdig – sie ist Symptom einer vorsätzlichen Unschärfe bei der Beschreibung geopolitischer Konflikte, durch die unterschiedliche Dinge auf eine Stufe gezwungen werden sollen.
Den emotionalen Höhepunkt hatte sich van Aken für das Thema Giftgas aufgespart:
„Und dann werde ich richtig wütend: Im Antrag steht, es ist bis heute unklar, ob in Syrien überhaupt Giftgas eingesetzt worden ist. Das ist ein Schlag ins Gesicht von den tausenden von Menschen, die in Khan Scheikun, die in Ghouta, die in Duma ermordet worden sind – nachweislich und, durch die Vereinten Nationen nachgewiesen, mit Giftgas.“
Große Medien stützen Position der Parteiführung
Jan van Aken nutzt hier die Technik des absichtlichen Missverständnisses. Denn was hat der Antrag mit den „tausenden Toten“ von Khan Scheikun und Ghouta zu tun? Nichts. Der betreffende Absatz bezieht sich auf die Raketenangriffe und den angeblich vorangegangenen Giftgas-Angriff in Duma im April. Zu diesem Vorfall hat die OPCW noch keinen Bericht vorgelegt – mindestens bezüglich dieses Falls sind also van Akens Äußerungen zur Zeugenschaft der Waffeninspekteure nicht ganz korrekt.
Doch van Aken hatte mit seiner Strategie Erfolg: Der wichtige Antrag wurde abgelehnt. Und wie bei der Migrationsdebatte, bei der Parteichefin Katja Kipping oft mediale Hilfe erhält, wird van Aken und seine von der Parteiführung mutmaßlich geteilte Position auch beim Disput um Syrien und Russland von großen Medien gestützt. So hat sich etwa der ARD-Faktenfinder mit dem LINKEN-Antrag befasst. Die ARD nutzt dabei die gleiche Strategie wie van Aken: Die Journalisten tun so, als würde sich der Antrag nicht auf die ungeklärten konkreten Ereignisse von Duma beziehen, sondern würde ganz allgemein jeden Einsatz von Giftgas in Syrien bestreiten.
Fischen in trüben Quellen: OPCW nutzt „Beweise“ der Weißhelme
Die syrischen „Rebellen“ haben der OPCW mehrfach den Zutritt zu mutmaßlichen Tatorten in „ihren“ Gebieten verweigert. Beim Versuch, die dadurch behinderte Arbeit der OPCW dennoch als seriös darzustellen, erreicht der Faktenfinder jedoch das Gegenteil, wenn er eine Giftgas-Untersuchung im syrischen Idlib beschreibt:
„Die ersten Proben wurden einen Tag nach dem Angriff durch Mitglieder der oppositionellen Syria Civil Defence (SCD) genommen – den sogenannten Weißhelmen – und am 19. Februar den OPCW-Experten übergeben. Diese bereiteten das Material für den Transport vor. Es handelte sich dabei um Erde, Gras, metallische Gegenstände und Tücher, mit denen die Zylinder abgewischt worden waren. Die Proben wurden an mehreren Stellen rund um den Einschlagsort genommen und sind in dem OPCW-Bericht einzeln dokumentiert.“
Die Proben wurden von den „Weißhelmen“ genommen! Und die ARD räumt der mutmaßlichen Kriegspartei einen gehörigen Vertrauensvorschuss ein. Denn zum einen thematisieren die Faktenfinder nicht die Voreingenommenheit der „Rebellen“-Sanitäter, zum anderen stellen sie deren Behauptungen als Fakten dar: „Die Proben wurden an mehreren Stellen rund um den Einschlagsort genommen“. Die OPCW konnte bei einigen angeblichen Giftgaseinsätzen erst erheblich später zu angeblichen Tatorten vordringen, etwa in der Region Idlib: Dort soll unter anderem am 24. April 2014 Giftgas eingesetzt worden sein – die Untersuchungen im damaligen „Rebellengebiet“ starteten laut UN-Bericht vier Monate später. Man vergleiche diese Spanne mit den wenigen Tagen, die die OPCW auf ihre Kontrollen im staatlich kontrollierten Duma warten musste.
Das Ausbleiben eines medialen Einforderns einer seriösen Beweiskette und zeitnaher Untersuchungen (vor Ort!) sowie eine unangemessene Kulanz gegenüber einer präferierten Kriegspartei sind weitere Symptome der oben beschriebenen vorsätzlichen Unschärfe.
Wird die OPCW instrumentalisiert?
Nicht nur im Fall Duma ist die Täterschaft also noch unklar. Auch die Berichte zu weiteren Giftgas-Attacken stützen sich zu Teilen auf Ferndiagnosen und „Beweise“ der „Rebellen“. Die OPCW hat durch die Akzeptanz solcher „Beweise“ in den letzten Jahren viel dafür getan, um ihren einst exzellenten Ruf zu beschädigen. Es ist nicht überraschend, dass diese Vorgänge in deutschen Medien nicht thematisiert werden, und man detaillierte Artikel zur mutmaßlichen Parteilichkeit der Waffeninspekteure etwa beim Fall Idlib beim russischen Sender RT suchen muss.
Trotz der hier vorgebrachten Kritik an der mutmaßlichen Instrumentalisierung der OPCW für geopolitische Zwecke soll betont werden, dass bei dieser Organisation auch zahlreiche aufrechte Menschen eine wichtige Arbeit verrichten.
Bei dem der OPCW innewohnenden Potenzial der Instrumentalisierung wundert es nicht, dass auch das Auswärtige Amt (AA) und sein Chef Heiko Maas den britischen OPCW-Vorstoß unterstützt haben. Schließlich erleben wir „in den vergangenen Jahren eine grausame Renaissance der Chemiewaffen“, so Maas in einem Interview. Und die Webseite des AA hat letzte Woche vor der OPCW-Abstimmung kräftig die Werbetrommel gerührt: “Die Weltgemeinschaft braucht eine neutrale Institution, um Chemiewaffenangriffe aufzuklären. Warum die unabhängige OVCW auch die Urheberschaft ermitteln muss“, wird dort getitelt und fortgefahren:
„Die Bemühungen des UN-Sicherheitsrates, die Giftgasattacken in Syrien aufzuklären, werden so zum Beispiel durch Russlands Veto blockiert. Solange es keine neutrale Ermittlungsinstanz gibt, fällt es den Verantwortlichen leicht, mit Propaganda und Falschinformationen die Verantwortung von sich zu weisen.“
Soll die UNO geschwächt werden?
Nicht zuletzt schwächt die Stärkung der OPCW potenziell die UNO, weil sie den Vereinten Nationen nun nicht mehr nur mit Beweisen zuarbeitet, sondern sich den UNO-Gremien vorbehaltene Urteile anmaßt, wie auch der Leiter der russischen OPCW-Delegation Georgi Kalamanow erklärte: Der britische Antrag stelle einen direkten Angriff auf „die exklusiven Vorrechte des UN-Sicherheitsrates dar“. Er fügte hinzu, dass damit auch „die Autorität der OPCW und die Integrität der Chemiewaffen-Konvention“ untergraben werde. Ein von Russland vorgeschlagenes Gremium unter dem Dach der UNO, das die von Russland abgelehnte Praxis des „Joint Investigation Mechanism“ ersetzen sollte, wurde im Sicherheitsrat nicht angenommen.
Künftig werden die dominierenden OPCW-Staaten – bei Umgehung der UNO – Kriegseinsätze mutmaßlich mit den Urteilen „ihrer“ Inspektoren rechtfertigen können – und kein Veto wird solche Pläne dann noch stoppen können. Es ist schade, dass die Delegierten der LINKEN nicht den Mut fanden, gegen all diese Entwicklungen ein konsequentes Zeichen zu setzen.