Rentenreform: Es gibt auch Grund zum Jubel
„Allianz Leben bejubelt Rekorde“, so lautet die Schlagzeile in der Süddeutschen Zeitung vom 20.1.2005. Die Lebensversicherer hatten 2004 ein Rekordjahr. Allein die Allianz hat mit 1,3 Millionen Lebensversicherungen 340 000 Verträge mehr als im Jahr zuvor abschließen können. Das bedeutet einen Zuwachs an Versicherungsabschlüssen um 38,6%, den besten Wert in der Firmengeschichte. Die Beitragssumme aus neuen Verträgen wuchs um ein Drittel auf fast 30 Milliarden Euro.
Der Grund liegt im neuen Alterseinkünfte- und das Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz, wonach ab 2005 abgeschlossene Kapitallebensversicherungen zum Auszahlungszeitpunkt voll besteuert werden.
Das Schreckgespenst der „demographischen Entwicklung“ dient den sog. Reformern neben der Globalisierung als wichtigstes politisches Druckmittel zum flächendeckenden Abbau von Sozialleistungen. Das galt auch für die Rentenreform. Wir haben auf den Nachdenkseiten immer wieder unsere Argumente genannt, dass die Bevölkerungsprognosen von interessierter Seite dramatisiert werden und – was die Vorausberechnungen der Altersversorgung anbetrifft – weder die Steigerung der Produktivität noch die Steigerung der Erwerbspersonen berücksichtigt worden sind (z.B. durch einen Abbau der Arbeitslosigkeit oder die Erhöhung des Anteils der Frauen). Auch eine Verlängerung der tatsächlichen oder gesetzlichen Lebensarbeitszeit blieb ausgeblendet.
Das Horrorgemälde von einer Überalterung unserer Gesellschaft wurde vor allem von der Versicherungswirtschaft missbraucht, um eine allgemeine Verunsicherung über die gesetzliche Rentenversicherung herbeizuführen und die Menschen in private (nicht paritätisch finanzierte) Alters(zusatz)versicherungen zu treiben.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zur Gleichbehandlung der Besteuerung von Altersversorgungsbezüge das Seine dazu beigetragen.
So wurde dann mit dem neuen Alterseinkünftegesetz und dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz geregelt, dass ab 2005 Kapitallebensversicherungen zum Auszahlungszeitpunkt voll besteuert werden.
Mit dem neu eingeführten sog. „Nachhaltigkeitsfaktor“ orientiert sich die Entwicklung der Rente nicht mehr am Anstieg der Löhne, sondern an der Zahl der Einzahler in die Rentenversicherung und an deren beitragspflichtiger Bruttolohnsumme. Bei anhaltender Arbeitslosigkeit und bei weiterer Senkung der Lohnsumme auch durch Mini-, 400-Euro- und 1-Eurojobs kann das zu einer Senkung des Rentenniveaus auf 46% im Jahre 2020 und gar auf 43% im Jahre 2030 führen. Das hat die Ängste vor einer Armut im Alter noch weiter geschürt.
Die Menschen wurde somit den privaten Versichern geradezu in die Fänge getrieben.
Diese Renten-„Reform“ führte zum Jahresende 2004 zu einer Explosion bei den Abschlüssen von Kapitallebensversicherungsverträgen. Allein die Allianz hat im Dezember 592 000 Versicherungen abschließen können.
Statt auf eine Politik der Vollbeschäftigung auf eine Erhöhung der Quote der Erwerbstätigkeit von Frauen, auf eine angemessene Erhöhung der Bruttolöhne oder auf Innovationspolitik zur Steigerung der Produktivität zu setzen, womit die in Zukunft steigenden Rentenkosten ohne größere Belastungen der künftigen Erwerbstätigen hätten (weitgehend) finanziert werden können, wurde – wie bei der Arbeitsmarktreform – an den Symptomen kuriert und die Rente durch verschiedene Einschnitte dauerhaft gekürzt. Und wenn sich kein Umdenken einstellt und kein politischer Kurswechsel erfolgt, werden die Rentenanpassungen auch in Zukunft fortlaufend geringer ausfallen.
Man fragt sich nach der Logik, warum der Beitragssatz zur Rente an der angeblichen „Zumutbarkeitsgrenze“ von maximal 22% gedeckelt werden muss, gleichzeitig aber den Erwerbstätigen ein viel höherer Beitrag für eine private Altersversorgung zugemutet werden kann.
Die Panikmache mit der „demographischen Entwicklung“ hat funktioniert. Wenigstens die Versicherungswirtschaft hat Grund zum Jubel.