Leserbriefe zu „Der Jurist und Autor Wolfgang Bittner zur „Annexion“ der Krim. Anmerkungen zu einem Dauerbrenner.“
Zu diesem Artikel “Der Jurist und Autor Wolfgang Bittner zur „Annexion“ der Krim. Anmerkungen zu einem Dauerbrenner.” gab es diverse Zuschriften. Manche sind eher skeptisch, andere Leserbriefe sind eher zustimmend, und viele, mit weiterführenden Links auch sehr informativ. Vielen Dank an alle Leser, die zu diesem Thema geschrieben haben. Zusammengestellt von Moritz Müller.
1. Leserbrief
Annexion oder Separation? Ist nicht eine von einem fremden Staat mit Drohung von Gewalt unterstützt Separation und Einverleibung ins eigene Land immer auch eine Annexion? So einfach ist das nicht. Chruschtschow hatte zu Zeiten der Sowjetunion aus einer Laune heraus die Krim dem sowjetischen Bruderland Ukraine übertragen – natürlich in der beiderseitigen Erwartung ewiger Verbundenheit. Schon mit dem Untergang der Sowjetunion entfiel indessen die „Geschäftsgrundlage“ dieser Übergabe. Als aber die USA die Ukraine zur militärischen Speerspitze des Westens gegen Russland auserkor und den Putsch in Kiew organisierte, waren endgültig alle gemeinsamen Absichten, die mit der Überlassung der Krim an die Ukraine verbunden waren, verfehlt.. Damit ist das russische Vorgehen ein Fall des juristische Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Dieses ist im Bürgerlichen Recht abgeleitet aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, der seine Bedeutung auch im Völkerrecht hat. Er lässt die Rücknahme der Krim, auch wenn sie einen Eingriff in die Souveränität der Ukraine bedeutete, nicht als rechtswidrige Wegnahme eines Landesteils erscheinen. Sie ist nicht mehr als eine rechtlich begründete Gebietskorrektur. Sehen Sie es einmal so: wenn ein Händler einem engen Geschäftspartner ein Auto schenkt und der es plötzlich nur für Raubzüge bei den Handelsniederlassungen des Schenkers benutzet, kann man es diesem nicht verübeln, dass er sich das Fahrzeug zurückholt!
Jurist (wie Herr Bittner und Herr Merkel) bin ich übrigens auch. Vor Jahren oblag mir sogar (unter Genscher) die völkerrechtliche Ausbildung von Attachéanwärtern in Bonn.
Mit freundlichen Grüßen
Rolf Ehlers
2. Leserbrief
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Lebensmitteltechniker halte ich mich für in juristische Fragen nicht für so kompetent, als das ich etwa wie die “Annexion” juristisch bewerten könnte. Nach allem was man dazu so lesen kann tendiere ich dazu zu sagen, das es nicht ok war, aber eigentlich blieb Russland nichts anderes übrig so zu handeln und die Mehrheit der Krimbevölkerung scheint ja auch davon überzeugt zu sein das ein Anschluß an Russland besser ist.
Aber dazu eine andere Überlegung meinerseits:
Vor einigen Monaten habe ich mir mal zufällig nach einem Blick auf die Weltkarte die Frage gestellt, warum ist Hawaii eigentlich ein Bundesstaat von Amerika?
Und schon ein kurzes lesen bei (der nicht unbedingt amerikafeindlichen) Wikipedia sieht man das man da doch wohl noch viel eher von einer Annexion sprechen kann (siehe kurze Zitate unten).
Warum wird das eigentlich nie thematisiert? Ich bin zwar dagegen Unrecht gegen Unrecht aufzurechnen, aber zur Meinungsbildung ist doch der Hintergrund der Annexion von Hawaii im Vergleich zur “Annexion” der Krim sehr interessant.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schurna
(Duisburg)
Wegen der großen strategischen Bedeutung wurde Hawaii während des Spanisch-Amerikanischen Krieges durch eine gemeinsame Entschließung (joint resolution) des Senates und des Repräsentantenhauses vom 7. Juli 1898 durch die Vereinigten Staaten annektiert. Der formelle Akt fand am 12. August 1898 statt. Das US-Territorium Hawaii erhielt mit dem Hawaiian Organic Act vom 30. April 1900 (in Kraft ab 14. Juni 1900) eine entsprechende Verwaltung. Die Machtübernahme stieß bei vielen Einheimischen auf Widerstand, da die hawaiische Sprache, Hula und andere Bereiche hawaiischer Kultur unter dem starken kulturellen Einfluss der USA zurückgedrängt wurden.
Die USA verabschiedeten 1993 die Apology Resolution (formell United States Public Law 103–150), mit der sie den Putsch gegen die Monarchie von 1893 für unrechtmäßig erklärten und dafür um Entschuldigung baten. Das Gesetz, das am 23. November 1993 von beiden Häusern des Kongresses verabschiedet und am gleichen Tag von Präsident Bill Clinton unterzeichnet wurde, beendete jedoch nicht die Annexion.
3. Leserbrief
Der Jurist und Autor Wolfgang Bittner zur „Annexion“ der Krim. Anmerkungen zu einem Dauerbrenner.
Sehr geehrter Herr Müller,
als regelmäßiger Leser Ihrer NachDenkSeiten hat mich dieser o.g. Artikel des Juristen (!) Bittner irritiert. Etwas mehr Differenzierungsvermögen/Objektivität hätte ich mir gewünscht. (Ich bin selber Jurist.) Polemik hilft nicht weiter!
Vgl. hier.
Aber Herr Bittner mag wohl den obigen Wikipedia-Artikel als selbst polemisch bezeichnen?…
Die Krim hat mal zur Russischen Föderation gehört. Kufstein und Rattenberg haben auch mal zu Baiern gehört. Und Schlesien zu Deutschland.
Nix für unguat!
MH
4. Leserbrief
Sehr geehrte RedakteurInnen der Nachdenkseiten,
irgendwas hatte ich noch im Hinterkopf. Hier steht es.
Beste Grüße
Georg Nowak
5. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Bittner,
ich verfolge seit 2014 die Entwicklung um die Ukraine und das zunehmende Russlandbashing mit großer Sorge und begrüße die Zusammenstellung dieses Themas in Ihrem Beitrag Dies war für mich auch Anlass meine ursprünglich für die private Kommunikation vorgesehene Dokumentation auf den Nachdenkseiten zu veröffentlichen.1
Ich komme dabei zu den gleichen Schlussfolgerungen wie Sie, nicht aus einem juristischen Hintergrund, sondern eher aus Gründen des gesunden Menschenverstandes.
Ich möchte Sie auf eine Überlegung zur bewussten Provokation, die ich im Zusammenhang mit der „Aggression“ gegen Georgien 2008 auch bei Frau Krone Schmalz in „Eiszeit“2 auch fand. Frau Krone-Schmalz zitiert:
„Die der Verantwortlichen in Moskau gingen übrigens davon aus, das gerade umgekehrt der Westen Russland eine Falle gestellt habe. Die USA hätten Georgien zum Angriff auf Südossetien ermuntert, um Russland entweder schwach(falls es nicht reagierte) oder als aggressiv(falls es doch reagiere) hinzustellen“.
Ich stelle das im Zusammenhang mit dem Putsch auf dem Maidan im Bezug auf Ukraine/Krim wie folgt dar:
„Eines der ersten Gesetze, das noch in der Putschnacht im Parlament beschlossen wurde, betraf die Außerkraftsetzung des Sprachgesetzes, das in Gebieten mit hohem russischen Sprachanteil Russisch als 2. Amtssprache bestimmte.
Frage: Gab es in dieser Nacht nichts Wichtigeres, als ein Sprachgesetz zu kassieren, was zur Konfrontation mit der russischsprachigen Bevölkerung führen musste? Wurde diese Konfrontation bewusst herbeigeführt, um einen Bürgerkrieg zu provozieren, ein Einschreiten Russlands zu provozieren, um, wenn nicht einen heißen Krieg, dann doch den kalten Krieg wieder zu beleben? „3
Ich nutze hier das Mittel der Fragestellung, um nicht in den Verdacht der Verbreitung von Vermutungen und Verschwörungen zu kommen. Für mich persönlich beantworte ich die Frage mit einem eindeutigen „Ja“.
Vielleicht eine Anregung in zukünftigen Veröffentlichungen auch diesem Aspekt mehr Beachtung zu schenken.
Quellen:
1 Nachdenkseiten 21.3.2017; Ulrich Leonhardt; Die „Annexion der Krim“, oder: Die Verteufelung Russlands – eine umfassende Dokumentation eines unserer Leser zur Ukraine-Krise
2 G. Krone-Schmalz Eiszeit;C.H. Beck; S.61
3 Wie 1 S.. 8
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Leonhardt
6. Leserbrief
Liebes Team der Nachdenkseiten,
bei aller juristischer Haarspalterei über die formale Rechtmäßigkeit der Vorgänge sollte doch dies die Kernfrage sein: Was wollen die Menschen auf der Krim?
Diese Frage möchte ich im folgenden Beitrag gerne durch qualifizierte Verweise auf einschlägige Umfragen beantworten:
Die Präsenz russischer bewaffneter Kräfte und der Abwesenheit internationaler Wahlbeobachter begründet zunächst berechtigte Zweifel an der Aussagekraft des Referendums zur Sezession der Krim von der Ukraine im März 2014.
„Vergleichbare Angaben (über 90 Prozent für einen Anschluss an Russland) zeigten aber sowohl die Exit-Polls gleich nach der Schließung der Wahllokale als auch die im selben Jahr durch zwei US-amerikanische Meinungsforschungszentren und durch die deutsche GfK durchgeführten Befragungen.
- Bei “Pew Research Center” sagten 88 Prozent der Krim-Bewohner, die Regierung in Kiew solle das Ergebnis des Referendums anerkennen; 91 Prozent waren der Meinung, das Referendum sei fair durchgeführt worden.
- Das Gallup-Institut ermittelte, dass 82,8 Prozent der Bevölkerung der Ansicht sei, dass die Resultate die Meinung der Mehrheit adäquat wiedergeben. Selbst die Mehrheit der Krim-Ukrainer (Gallup, 59 Prozent) befürwortet die Zugehörigkeit zu Russland.
- Im Frühjahr 2015 gaben laut einer repräsentativen Umfrage der “Gesellschaft für Konsumforschung” (GfK), des größten deutschen Marktforschungsunternehmens, 82 Prozent der Krim-Bewohner an, den Anschluss an Russland rückhaltlos zu befürworten. 11 Prozent zeigten sich allein mit den Umständen des Anschlusses unzufrieden.“
Quelle: Krim – Halbinsel zwischen Russland und der Urkaine | MDR.DE
Quelle2: forbes
Die wohl detaillierteste Umfrage zum Meinungsbild auf der Krim erfolgte im Juni 2014 durch Gallup im Auftrag des Broadcasting Board of Governors.Eine überwältigende Mehrheit der Krim Bevölkerung, auch eine Mehrheit der Krim Tataren, unterstützte demnach die Abspaltung der Krim von der Ukraine und den folgenden Anschluss an Russland.
Quelle: bbg.gov (ab Seite 25 ff)
Eine neuere Studie des auf Beschluss des Bundestages im Jahr 2016 gegründeten Zentrum für Osteuropa und Internationale Studien (ZOIS) kommt im November 2017 zu ähnlichen Ergebnissen. „The vast majority of the Crimean population would vote for the status quo in a future repeat referendum on Crimea’s status and express trust in Russian state institutions.”
Quelle: zois-berlin
Was ist unser Demokratieverständnis wenn wir geostrategischen Machtspielen mehr Bedeutung beimessen als dem eindeutigen Wunsch der lokalen Bevölkerung?
Vielleicht wollen Sie an geeigneter Stelle auf diese gut dokumentierten Umfragen renommierter Institute verweisen?
Ich wünsche Ihnen weiterhin Energie und guten Erfolg bei Ihrer wichtigen Tätigkeit
Mit besten Grüßen
Andreas Albrecht
Replik Wolfgang Bittner:
Sehr geehrter Herr Albrecht,
Eine Anmerkung zu Ihrer Stellungnahme: Ich denke, es ist keine juristische „Haarspalterei“, sondern eine juristische Begutachtung, wenn ich die angebliche Annexion der Krim unter dem Gesichtspunkt des Völkerrechts prüfe, wie ja auch Prof. Reinhard Merkel. Von Politikern und Medien wird doch ständig das Völkerrecht bemüht. Warum nicht eine juristische Prüfung + Statistik zur Einstellung der Bevölkerung?
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Bittner