Die Propaganda der Anderen: Die russischen Auslandssender und die „Medien-NATO“
Auch als Reaktion auf eine westliche Verleumdungskampagne hat Russland das Auslandsmedium RT aufgebaut. Der überhebliche westliche Umgang mit dem Sender ist darum heuchlerisch: Gerade die Länder, die ihre Propaganda-Organe zu einem beispiellosen internationalen Netzwerk verbunden haben, um gemeinsam ein konkretes Land zu diffamieren, geben sich empört, dass sich das attackierte Land mit medialen Mitteln zur Wehr setzt. Von Tobias Riegel.
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Man stelle sich vor, Kanzlerin Angela Merkel würde jahrelang von großen internationalen Magazinen, Sendern und Zeitungen als SS-Offizierin, als kalte EU-Diktatorin, als Mörderin Griechenlands oder als Hund, der draußen bleiben muss, dargestellt. Und das nicht alle paar Jahre in polnischen oder türkischen Boulevard-Blättern, sondern täglich und in zahllosen großen Medien. Gleichzeitig würde das Land medial mit Merkel gleichgesetzt, es würde also zu „Merkels Deutschland“, und das litte unter einem „zunehmend autoritären Regime“.
Die Berichterstattung gegen Merkel würde in diesem fiktiven Szenario nicht aus persönlichem Hass produziert, sondern aus geopolitischen Motiven. Es sollte auch nicht die Person Merkel, sondern die Institution des deutschen Regierungschefs getroffen werden, um sich durch diese Schwächung Vorteile auf der internationalen Bühne zu verschaffen. Parallel würde man den zur angsteinflößenden Figur modulierten Mediencharakter Merkel nutzen, um mit ihm die Bevölkerungen anderer Länder einzuschüchtern und Aufrüstung zu rechtfertigen.
Wie würde Deutschland auf eine mediale Kampagne gegen die Kanzlerin reagieren?
Angenommen, dieses Szenario wäre real: Würde der deutsche Staat Maßnahmen ergreifen, die dieser internationalen Kampagne eigene Sichtweisen entgegensetzen? Davon kann man ausgehen, denn der Staat tut es bereits jetzt, obwohl Deutschland keinem medialen Sturm ausgeliefert ist: Der deutsche Auslandssender Deutsche Welle (DW) hat 2017 rund 325 Millionen Euro Steuergelder erhalten, momentan wird von der zuständigen Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) über eine Erhöhung auf 350 Millionen Euro pro Jahr verhandelt. Mit diesem Budget verbreitet DW über Fernsehen, Radio und Internet Beiträge in dreißig Sprachen, darunter zahlreiche Programme auf russisch in Russland. Insgesamt erreicht der Sender weltweit angeblich rund 157 Millionen Menschen pro Woche, wie Medien berichten.
Den Gründungsgedanken – Deutsche im Ausland auf Deutsch zu informieren – hat DW lange hinter sich gelassen. Heute wird die Welle von dem Sendungsbewusstsein getrieben, die Menschen in „autoritären Regimen” mit Informationen und westlichen Werten zu versorgen: So versprach DW-Intendant Peter Limbourg beim 65. Jubiläum der DW-Gründung Anfang Juni, den „Auftrag zur Aufklärung“ auch in Zukunft auszuführen, denn: „Propaganda, Desinformation und der Versuch, die EU zu spalten, sind traurige Realität.“ Vor diesem Hintergrund wolle die Deutsche Welle Menschen informieren – „gerade dort, wo sie Zensur und Propaganda ausgesetzt sind“. DW will also, ganz offiziell, fremde Bevölkerungen im Sinne des Staatssenders „erziehen“ – ein Verhalten, das man wiederum den Russen vorwirft.
RT gegen die „Medien-NATO“: DW, BBC, RFI, VOA, Radio Liberty und Radio Swoboda
Für ein anderes Land ist die eingangs beschriebene Fiktion Realität: Russlands Präsident Wladimir Putin wurde in den letzten Jahren in exzessiver Weise dämonisiert – und im Kielwasser der Kampagnen gegen den Präsidenten auch „Putins Russland“ und die „autoritätssüchtige russische Seele“. Diese Kampagnen haben sich von berechtigter Kritik an der Politik Russlands entkoppelt. Gleichzeitig wurden die russischen Medien, die dagegenhalten sollen, als reine Lügen-Kanäle diffamiert: Deutschland entfaltet so in nicht bedrängter Position eine mächtige internationale Propaganda, möchte aber Russland, das unter schwerem medialen Beschuss steht, die Notwehr mit den gleichen propagandistischen Mitteln verweigern.
Russlands Werkzeug im nicht zu bestreitenden Info-Krieg ist sein Auslandsmedium Rossiya Segodnya mit den beiden Sparten RT und Sputnik. Das Jahresbudget von RT lag 2016 laut offiziellen russischen Angaben bei rund 300 Millionen US-Dollar, also unter dem von DW. Man muss zusätzlich beachten, dass DW im Zweifels- oder „Bündnis“-Fall eine ideologische Symbiose mit anderen westlichen Staatsmedien wie der britischen BBC (Budget: 524 Millionen Euro), dem französischen RFI (Budget: 380 Millionen Euro) und US-amerikanischen Kanälen wie Voice Of America, Radio Liberty oder Radio Swoboda (für Osteuropa) eingeht. Gemeinsam mit DW bringt diese „Medien-NATO“ weit über eine Milliarde Euro für weitgehend im Gleichklang befindliche Auslandspropaganda von den guten Kriegen des Westens und der unentschuldbaren „Annexion“ der Krim auf die Waage. Flankiert werden diese Staatsorgane durch zahllose ins gleiche Horn stoßende Privatmedien sowie (halb-)private bzw. (halb-)staatliche Nachrichtenagenturen wie Reuters, dpa, AP und AFP.
Russland hat im Westen keine medialen Verbündeten
Russland dagegen hat keine ernstzunehmenden Verbündeten auf den medialen Bühnen der USA und Westeuropas. Umso erstaunlicher ist der Einfluss, den sich etwa der deutsche Ableger von RT seit seiner Gründung 2014 erarbeiten konnte, obwohl RT Deutsch noch keinen regulären TV-Betrieb wie etwa RT International unterhält, sondern vor allem über Videos auf YouTube einerseits und Artikel und Clips auf der Webseite andererseits in Erscheinung tritt.
Inhaltlich wird RT immer wieder eine Stärkung der AfD und generell eine „rechte“ Schlagseite unterstellt. Das deckt sich aber weder mit der multikulturellen Redaktions-Besetzung mit hohem Frauenanteil, noch mit den Beiträgen: Zwar wird die AfD bei RT nicht mit den üblichen verteufelnden Floskeln versehen, aber sie wird nicht überproportional hofiert – verunglückte Ausnahmen mögen die Regel bestätigen, aber die häufigsten Interview-Partner sind laut RT Politiker der LINKEN. Wenn in der heterogenen RT-Deutsch-Redaktion überhaupt eine politische Präferenz auszumachen ist, dann ist es wohl eher Sympathie für den Wagenknecht-Flügel der Linkspartei.
Clickbait und Skripal-Witze?
Der britische Guardian sieht das Erfolgsrezept von RT in „Clickbait und Skripal-Witzen“, also in reißerischen Meldungen und „pietätloser“ Berichterstattung über den britischen „Giftmord“. Es stimmt: Ein Teil etwa des Newstickers von RT besteht aus Aufsehen erregenden Panoramameldungen aus aller Welt – Sex and Crime, Skurriles aus der Tierwelt etc. Doch die sind zum einen harmlos, weil zum Großteil unpolitisch und zum anderen hat wohl jedes Medium seine Boulevard-Ecke.
Zahlen zum Nutzeraufkommen sind schwer aufzufinden. Das RT nicht gerade freundlich gesonnene „Correctiv“ schreibt: „Nach eigenen Angaben erreicht RT weltweit 700 Millionen Menschen in über 100 Ländern. Doch diese hohe Zahl ist zweifelhaft.“ In Deutschland rangiert „Putins Propagandasender“ mittlerweile angeblich in den Top Ten der deutschen Social-Media-Charts, nicht weit hinter News-Tankern wie „Bild“ und „Spiegel“.
Stunde des „Whataboutism“ – dem Modewort für Heuchler
Alle Auslandssender betreiben Propaganda. Diese Grundeinstellung muss jeder Bürger vor dem Konsum von DW wie von RT verinnerlicht haben. Gefordert wird hier darum keine Kritiklosigkeit gegenüber Russland und RT – wohl aber ein Ende der drastischen Ungleichbehandlungen und Schikanen. Man wird bei RT vergeblich nach kritischen Reportagen aus dem sibirischen Obdachlosen-Milieu suchen – aber das ist zum einen nicht die Aufgabe eines Auslandssenders, zum anderen wird es aus diesem Grund auch von keinem der anderen Sender praktiziert. Was an der hohen moralischen Warte deutscher Medien so aufstößt, ist darum auch die Heuchelei: Gerade die Länder, die ihre Propaganda-Organe zu einem furchteinflößenden internationalen Netzwerk verbunden haben, um gemeinsam ein konkretes Land zu verleumden, geben sich nun empört, dass sich das attackierte Land mit propagandistischen Mitteln zur Wehr setzt.
An dieser Stelle fällt oft das aktuelle Modewort für Heuchler: „Whataboutism“, also unredliche Relativierung sei es, wenn RT seine Existenz mit Verweisen auf die Budgets und Einmischungen von DW oder BBC „rechtfertigt“. Ohne diese Vergleiche der Medien untereinander wäre allerdings die ganze Debatte über das Prinzip Auslandssender sinnlos – denn gerade die Unterschiede bzw. Gleichheiten machen eine politisch-moralische Beurteilung erst möglich.
Die eine Seite greift an, die andere wehrt sich
Wenn auch RT und DW beides Propagandasender sind, so kann man doch einen moralischen Vorsprung für die russische Seite ausmachen: Es ist nicht zu bestreiten, dass sie in Notwehr gegen eine massive, boshafte und dauerhafte Kampagne handelt. So wurde RT Deutsch 2014 auch als Reaktion auf die tendenziöse deutsche Berichterstattung zum Putsch in der Ukraine gegründet – ein nicht nur aus russischem Blickwinkel, sondern auch nach Kriterien des Gerechtigkeitssinns nachvollziehbarer Schritt. Dieser mutmaßliche moralische Vorsprung der russischen Auslandsmedien ist der aktuellen historisch-politischen Konstellation geschuldet – sie ist eine Momentaufnahme und kann sich bei geopolitischen Verschiebungen auch wieder auflösen.
Kaum ein Medium in Deutschland steht unter ähnlich scharfer Beobachtung: Ein eigener Watchblog, die „Bild-Zeitung“, der ARD-Faktenfinder, die EU oder jüngst die FDP-Stiftung fühlen sich aufgefordert, RT zu überprüfen. Dadurch ist RT einer erheblich stärkeren inhaltlichen Überwachung ausgesetzt als große deutsche Privatmedien, da die „befreundeten“ Mainstream-Medien sich nicht gegenseitig kontrollieren.
Die Fassade der Pressefreiheit – der Umgang mit RT brachte sie in den USA zum Einsturz
RT spielt auch die Hybris der westlichen Medienkonzerne in die Hände: In den USA hat sich RT International zu einem Sammelbecken für aus allen anderen Medien verbannte progressive Intellektuelle entwickelt. Der Sender nimmt so in einigen westlichen Ländern teilweise die Rolle eines Alternativmediums ein – dass dieses Engagement auch aus „russischen“ Motiven geschieht, schmälert nicht den Gewinn, den der deutsche Medienkonsument durch diese zusätzliche Stimme erhält. Einer Stimme, die wie alle Medien auch immer einer kritischen Prüfung bedarf. Unter anderem bei Themen wie der Skripal-Affäre konnten sich die Deutschen aber bei RT erheblich seriöser informieren als in den deutschen Qualitätsmedien.
Am Beispiel RT International kann man auch beobachten, wie schnell sich die westliche Fassade der Pressefreiheit auflöst, wenn sie geprüft wird: Man hätte selbstbewusst einen anderen Blickwinkel zulassen können – statt dessen begann man den Sender in den USA massiv zu schikanieren. Mittlerweile musste sich RT dort als “ausländischer Agent” registrieren lassen und ist ab sofort verpflichtet, diese Kennzeichnung auf allen seinen Sendeformaten anzubringen, sämtliche Publikationen innerhalb von 48 Stunden den Behörden in Kopie zuzustellen und Aufzeichnungen aller journalistischen Aktivitäten zugänglich zu machen. Zuwiderhandelnden Redakteuren drohen Haft und Geldstrafen. Eine permanente Überwachung von RT ist die Folge. Angriffe erfolgen auch von privater Seite, wie RT beklagt: „Google schmeißt RT aus dem YouTube-Premium-Paket, Twitter verbietet Werbung von RT und Google fummelt an seinen Algorithmen, so dass bei einer Suche Beiträge von RT kaum noch gelistet werden.“
Schikane gegen RT – was berichtet „Reporter Ohne Grenzen“?
Wäre Russland so mit der Deutschen Welle verfahren, einem Sender, der in Russland unbehelligt auf Russisch senden kann, obwohl er kürzlich sogar angeblich zum Wahlboykott in Russland aufgerufen hat, so kann man sich die moralisierende Aufregung in den deutschen Medien ausmalen.
Für RT in den USA gab es jedoch keine nennenswerte Hilfe etwa von “Reporter Ohne Grenzen“ (ROG): Der Länderbericht erwähnt die Repressalien gar nicht. Dafür “verurteilt” ROG die russischen Gegenreaktionen gegen “Voice Of America”. Kürzlich forderten auch britische Abgeordnete wegen der Berichterstattung zur Skripal-Affäre kurzerhand, RT „dichtzumachen”.
In Deutschland hätten die zum Teil deutschen RT-Journalisten bei Bedrängnis wohl ebensowenig Solidarität aus der Branche zu erwarten: Ein großer Teil der deutschen Redakteure spricht RT die Existenzberechtigung ab, und sogar der Deutsche Journalistenverband würde den Kollegen wohl kaum den Rücken stärken, angesichts von Funktionärs-Äußerungen wie dieser.
Es bleibt also vorerst dabei: In der westlichen Filterblase machen Propaganda immer nur die anderen – und wenn westliche Länder unbequeme Medien schikanieren, dann ist das Selbstverteidigung und keine Zensur.