„Kontinuierliche, automatische Überwachung“: Die EU, die Zensur und das Urheberrecht
Die EU plant eine Zeitenwende: Künftig sollen Inhalte noch vor der Veröffentlichung im Internet herausgefiltert – also zensiert – werden. Die Einführung dieses gefährlichen Prinzips wird von der EU mit dem „unverfänglichen“ Schutz des Urheberrechts verknüpft. Wird das Prinzip der prophylaktischen Löschung vor einer Veröffentlichung jedoch erst einmal akzeptiert, kann es zukünftig auch potenziell zur politischen Zensur genutzt werden. Die Strategie der harmlos formulierten, aber vielseitig einsetzbaren Regelungen nutzen die EU-Institutionen nicht das erste Mal im Zusammenhang mit versuchter Meinungsunterdrückung. Von Tobias Riegel.
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Wenn sich die EU-Institutionen mit dem Internet befassen, erzeugen sie oft eine Stimmung der Bedrohung: „Das Netz“ erscheint dann meist als ein Hort des Extremismus, des Populismus, der Hasssprache, der „Feinde Europas und der Demokratie“, der Fake News, der Russen-Propaganda und der Urheberrechtsverletzung. Dass das Internet auch Chance, revolutionäres Element der Aufklärung und sehnsüchtig erwartete Alternative zu dominierenden Medienmonopolen ist, das wird in Brüssel meist negiert. Dementsprechend behandeln die EU-Institutionen den Komplex Internet und die dort verfügbaren „gefährlichen“ Informationen wie einen Feind. Vor diesem Feind müssen die Bürger, die EU-Werte oder nun die Entertainment-Industrie „geschützt“ werden.
Eine neue und in ihren Folgen potenziell dramatische „Schutz“-Maßnahme bezieht sich auf das Urheberrecht: Am 20. Juli stimmt der Rechtsausschuss im Europäischen Parlament über den Richtlinienentwurf zum Schutze des Urheberrechts ab und stellt damit die Weichen für die finalen Verhandlungen im Ministerrat. Entschieden wird nichts weniger, als darüber, ob zukünftig Daten vor(!) der Veröffentlichung unterdrückt werden sollen.
Wird das ganze Internet gefiltert?
Laut EU-Vorschlag sollen, wie der Branchenverband der Internetwirtschaft Bitkom erklärt, Internetplattformen sämtliche Inhalte einzelner Internetnutzer bereits vor dem Hochladen auf vermeintliche Urheberrechtsverletzungen hin prüfen und bei potenziellen Rechtsverletzungen maschinell blockieren – egal ob Text, Bild, Musik oder Video. Von der Maßnahme betroffen wären laut Bitkom unzählige Plattformen, die Inhalte Dritter speichern, darunter Foren, wo sich z.B. Patienten oder Hobbybastler austauschen, aber auch die großen sozialen Netzwerke wie Facebook und YouTube.
Aktuell sind Betreiber von Plattformen, auf denen nutzergenerierte Inhalte hochgeladen werden können, erst nachträglich verpflichtet, diese zu löschen, sobald eine Verletzung des Urheberrechts gemeldet wurde, wie das Portal „Unternehmen Heute“ erklärt. Die neue Richtlinie schreibe aber eine Kontrolle der Inhalte schon vor dem Hochladen vor. Und setze dabei auf so genannte Upload-Filter, die Inhalte automatisiert auf Urheberrechtsverletzungen untersuchen sollen. Konkret bedeute das: Es finde eine kontinuierliche, umfassende und automatische Überwachung statt, welche Inhalte im Internet hochgeladen werden.
YouTube als Anwalt der „kleinen Leute“?
Man kann wenig dagegen einwenden, dass verhindert werden soll, dass aktuelle Kinofilme oder Musikproduktionen illegal ins Netz geladen werden. In diesem Text soll darum keine Umsonst-Kultur propagiert werden: Künstler müssen entlohnt werden, Produktionsfirmen müssen ihre Ausgaben wieder hereinholen. Auch sollen Film- und Musik-Piraten nicht zu politischen Vorkämpfern oder Märtyrern verklärt werden.
Nach dieser Sichtweise war auch etwa die 2012 losgetretene Kampagne von YouTube gegen die (berechtigten) Tantiemen-Forderungen der GEMA eine große Heuchelei: Der Mega-Konzern spielte sich zum Anwalt der „kleinen Leute“ und deren „Recht“ auf tausende kostenlose Popsongs auf – während der Internetkonzern auf Basis eben dieser Gratis-“Kultur“ große Gewinne machte und die Künstler leer ausgingen. Bemühungen, Tantiemen zu garantieren, sind nicht per se schlecht: Kunst hat ihren Preis, Erwartungen von Bürgern nach einer Discount-, Ramsch- und Gratis-Kultur sollten gedämpft werden.
Mit Feindbildern werden Gesetze für alle durchgesetzt
Das Problem ist aber, dass man gegenüber der harmlosen Sprache solcher Gesetzestexte höchste Skepsis entwickeln muss: Die EU hat bereits diverse Zensur-Vorstöße gegen das Internet vollzogen, die jeweils mit dem „Schutz“ höherer Werte argumentierten. Die Strategie ist, anhand von allgemein akzeptierten Feindbildern Regeln zu rechtfertigen, die dann zeitversetzt alle Bürger und nicht nur die angeblich angepeilten „Rechtspopulisten“, „Russen-Propagandisten“ und „Urheberrechts-Piraten“ treffen. Zwei Beispiele für diese Taktik aus der jüngeren Vergangenheit sind die EU-Bestrebungen, Zensur mit Verbraucherschutz zu rechtfertigen, oder mit der angeblichen Propaganda von Bloggern für die Bevorzugung großer Medienkonzerne zu argumentieren.
Man sollte sich aber auch nicht naiv zum Anwalt der Internet-Wirtschaft machen. So sind die Einlassungen von Bitkom-Chef Bernhard Rohleder für sich genommen zwar zutreffend – er verteidigt dadurch aber mit hehren Worten knallharte Geschäftsinteressen der Internet-Branche:
„Die EU will Uploadfilter einführen und überschreitet damit erstmals die Grenze zwischen Kontrolle und Zensur. Wir reden hier nicht über die Bekämpfung von schwerster Kriminalität oder Terrorismus, diesmal geht es um das Urheberrecht. Zensur ist die stärkste Keule des Gesetzgebers. Die sollte er in diesem Fall im Schrank lassen und sich auf andere Maßnahmen konzentrieren, um Urheberrechtsverletzungen zu bekämpfen.“
Die privaten Zensoren würden nochmals gestärkt
Rohleder spricht das wichtige Prinzip der Verhältnismäßigkeit an: Der Schutz des Urheberrechts ist wichtig und erstrebenswert – wenn mit den eingesetzten Mitteln nicht ungleich wichtigere Rechtsgrundsätze wie die freie Meinungsäußerung beschädigt werden. Das schon etablierte, darum aber nicht weniger falsche Verfahren, bei dem private Institutionen im Internet selber zensieren dürfen („Correctiv“), würde durch die neue Regelung noch gestärkt und ausgeweitet.
Die wahre Zeitenwende besteht aber in der geplanten Praxis der vorauseilenden Zensur: Die Menschen werden, wenn sie dem nun eingeführten Prinzip der vorauseilenden Löschung nicht entgegentreten, vielleicht bald gar nicht mehr merken, wenn Inhalte verschwinden, weil diese nicht nachträglich und begleitet von wahrnehmbarer Empörung gelöscht, sondern gar nicht erst zugelassen werden. Auch wird ein Gewöhnungseffekt angestrebt: Akzeptieren die Menschen den prophylaktischen Zensurgedanken, wenn es gegen Film-Piraterie geht, dann ist die Schwelle der Akzeptanz gesenkt, wenn in einigen Monaten der Vorstoß kommt, neben gehackten Kinofilmen auch „Hasssprache“ schon vor der Veröffentlichung – und ohne Transparenz oder gar einen Gerichtsbeschluss – zu tilgen. Zudem wäre dann die nötige technische Infrastruktur für diese umfassende Art der Zensur bereits installiert.
Eine totale und unauffällige Zensur des Internets?
Wenn erst die Möglichkeit gegeben ist, auch aufgrund des Inhalts prophylaktisch zu löschen, und das ist ein mutmaßliches Fernziel der aktuellen Gesetzes-Initiativen, dann erhält der, der festlegen darf, was z.B. Hasssprache ist, das Werkzeug zur einerseits totalen und andererseits unauffälligen Zensur des Internets in die Hand. Das Prinzip der vorauseilenden Informations-Unterdrückung darf also gar nicht erst Einzug halten – egal, welche angeblich dramatischen („unpolitischen“) Missstände damit bekämpft werden sollen. Der Widerstand wird bereits organisiert. Auf der Facebook-Seite der NachDenkSeiten findet sich zum Prinzip der schleichenden Gewöhnung an Zensurmaßnahmen ein Zitat, das diese Technik, angelehnt an Martin Niemöller, treffend beschreibt:
„Als Facebook rechtspopulistische Beiträge als Fake News aussortierte, habe ich geschwiegen: ich war ja kein Rechtspopulist. Als Twitter den Russen die Accounts kündigte, habe ich geschwiegen: Ich war ja kein Russe. Als Google den Verschwörungstheoretikern die Monetarisierung ihrer YouTube-Filmchen untersagte, habe ich geschwiegen: Ich war ja kein Verschwörungstheoretiker. Als sie meine Accounts sperrten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“