Das Netz um Julian Assange zieht sich zu – Der Wikileaks-Gründer braucht jetzt Solidarität

Tobias Riegel
Ein Artikel von:

Seit sechs Jahren muss Julian Assange nun in der Londoner Botschaft Ecuadors ausharren, um sich einer instrumentalisierten und politischen Strafverfolgung durch Großbritannien, Schweden und die USA zu entziehen. Ecuador hat den Wikileaks-Gründer auf mutmaßlich massiven Druck der USA nun isoliert und drängt ihn angeblich zum „freiwilligen“ Verlassen der Botschaft. Da diese Vorgänge bislang schweigend hingenommen wurden, haben Unterstützer nun zu Aktionen der Solidarität aufgerufen. Die NachDenkSeiten schließen sich diesen Aufrufen an. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der politische, kommunikative und physische Spielraum für Julian Assange wird täglich enger. Der Gründer der Whistleblower-Plattform Wikileaks ist kurz vor dem sechsten Jahrestag seines erzwungenen Aufenthalts in der Londoner Botschaft Ecuadors isoliert, gesundheitlich angeschlagen und moralisch verzweifelt. Ecuador hat nach Jahren der mutigen Verteidigung des Australiers dem mutmaßlichen Druck der USA und Großbritanniens nachgegeben: Es opfert mit Assange den Vorkämpfer einer neuen Informationskultur nun vor der Weltöffentlichkeit. Weltöffentlichkeit? Davon kann im Falle Assanges kaum noch die Rede sein, wie der prominente australische Journalist John Pilger kürzlich feststellte:

“Es herrscht eine Art unheimliche Stille um den Fall Julian Assange. Julian wurde auf jede erdenkliche Art und Weise rehabilitiert, und doch ist er so isoliert, wie es heutzutage nur wenige Menschen sind. Er ist von den Werkzeugen seines Fachs abgeschnitten, Besucher sind nicht erlaubt. Rafael Correa, der ehemalige Präsident von Ecuador, sagte kürzlich, dass er das, was sie Julian jetzt antun, als Folter betrachtet.“

Pilger sieht auch alternative Medien und die Bürger in der Pflicht, denn “selbst in den Medien außerhalb des Mainstreams gibt es dieses Schweigen über Julian“. Die Straßen vor der Botschaft seien leer, während sie voller Leute sein sollten, die Solidarität zeigen, so Pilger. Das könnte sich zum 19. Juni, dem sechsten Jahrestag von Assanges Flucht in die ecuadorianische Botschaft, ändern: Zu dem Tag ist vor der Botschaft in London eine Mahnwache für Julian Assange angekündigt. Bereits am 17. Juni wird eine Demonstration auf dem zentralen Rathausplatz von Sydney stattfinden.

Wer es nicht nach London oder Sydney zu den Protesten schafft, kann anderweitig aktiv werden: mit Briefen ans Auswärtige Amt, mit Online-Petitionen, mit dem Füllen der Kommentarspalten einschlägiger Medien, mit Spenden an Wikileaks oder dem Verfassen von Blog-Einträgen. Die NachDenkSeiten schließen sich den Rufen nach Solidarität mit Julian Assange an.

Denn Assange hat sich diese Unterstützung verdient: Der Gestrandete ist ein tragischer Robinson unserer Tage, ein verfemter Held in einer heldenlosen Zeit, ein Sündenbock von fast putinschen Dimensionen. Er ist Projektionsfläche – für grenzenlose Liebe und unbändigen Hass gleichermaßen. Er ist sowohl Goldgrube als auch Opfer der Mainstream-Medien: Die gleichen Journalisten, die mit Assanges wichtiger Arbeit Preise abgeräumt und die Auflage gesteigert haben, sind ihm später verabscheuungswürdig in den Rücken gefallen. Er sorgte mit seinen Enthüllungen – und mit seinem sturen Pochen darauf, diese nicht zu verwässern – dafür, dass wir die Welt mit anderen Augen sehen. Er wurde als eitler Popstar, rücksichtsloser Hedonist und nützlicher russischer Idiot diffamiert, der durch seine Veröffentlichungen angeblich Menschenleben gefährde und Donald Trump unterstützt habe.

Dieser Angriffe ungeachtet, ist und bleibt er eine überlebensgroße moralische Figur, deren Aura zwar massiv durch dubiose Sex-Crime-Vorwürfe oder aufwendige Hollywood-Propaganda attackiert wurde, die aber immer noch zahllose Menschen weltweit in ihren Bann zieht – und die Assange bis heute für seine wichtige und mutige Arbeit einsetzt.

Sein Weg in die „Haft“ in der Botschaft Ecuadors war verschlungen: Nachdem Wikileaks 2010 während eines Aufenthalts Assanges in Großbritannien US-Kriegsverbrechen aufgedeckt hatte, erhob ein schwedischer Staatsanwalt widersprüchliche Anschuldigungen wegen „Sexualstraftaten“. Assange musste verhindern, nach Schweden ausgeliefert zu werden, von wo aus er in die USA hätte überstellt werden können. Dort droht ihm wegen „Geheimnisverrats“ mindestens eine hohe Haftstrafe. Im Juni 2012 hat er darum in der ecuadorianischen Botschaft in London politisches Asyl beantragt.

2016 stimmten die schwedischen Behörden zu, Assange in London zu befragen, verschleppten dann aber ihre „Untersuchung“, es wurde keine Anklage erhoben. Die britische Regierung hat sich in mutmaßlicher Abstimmung mit den USA bislang dennoch geweigert, die Verfolgung Assanges einzustellen. Der aktuelle offizielle Vorwurf der Briten lautet, dass Assange 2012 „geflohen” sei, nachdem er auf Kaution auf freien Fuß gesetzt worden sei.

Seit Ende März dieses Jahres hat die Regierung Ecuadors Assange von jeder Kommunikation abgeschnitten, zudem darf er keine Besucher mehr empfangen. Laut Medienberichten übt Ecuador Druck auf Assange aus, die Botschaft „freiwillig“ zu verlassen. Assanges Gesundheitszustand hatte sich schon vor dieser kompletten Isolation erheblich verschlechtert. Kein Wunder: Er war fast sechs Jahre beengt und ohne Sonnenlicht eingesperrt – obwohl man ihm keine Straftaten vorwerfen kann. Es ist höchste Zeit, dieses unwürdige und ungerechte Schauspiel zu beenden.