Hinweise der Woche

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Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lohnenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CW)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Von linker Moral und neoliberalen Interessen: Unser Plan für eine Sammlungsbewegung
  2. USA verlangen von Europas Nato-Staaten schnelle Einsatztruppen
  3. Die Krim wird zum Vorwand für jeden Unsinn
  4. Die präzisen Luftangriffe des Westens
  5. Deutsches Versagen
  6. Why the Left Should Embrace Brexit
  7. Nichts Neues vom Geldspeicher
  8. Ausgepresst
  9. Erntehelfer – Wer rettet die Erdbeeren?
  10. So umfährt Deliveroo Mitbestimmung
  11. Die Rentenkommission setzt sich in Bewegung. Was rauskommen wird? Mit hoher Wahrscheinlichkeit eine höchst problematische weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters
  12. Warum die imperiale Lebensweise die Klassenfrage ausblenden muss
  13. Didier Eribon – Nationalismus ist auch ein Problem der Linken

Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnendsten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Von linker Moral und neoliberalen Interessen: Unser Plan für eine Sammlungsbewegung
    Ein Gastbeitrag von Bernd Stegemann und Sahra Wagenknecht
    Nach jüngsten Umfragen steht die SPD bei rund 17 Prozent, Grüne und Linke kommen jeweils auf etwa 10 Prozent. Was im vorigen Bundestag zumindest rechnerisch noch möglich war, ist in weite Ferne gerückt: eine Mehrheit für linke Politik in Deutschland. Zugleich scheint es schwer vorstellbar, dass nicht die Mehrheit der Bevölkerung eine Politik wählen würde, die für Abrüstung und Frieden, für höhere Löhne, bessere Renten und gerechte Steuern ist. Es gibt also einen eklatanten Widerspruch zwischen der mangelnden Zustimmung zu Parteien, die dem linken Lager zugerechnet werden, und dem Wunsch nach einer solidarischen Gesellschaft.
    Wer diesen Widerspruch verstehen will, darf sich nicht nur den Kopf darüber zerbrechen, warum die SPD nicht aus dem Gefängnis ihrer Agenda-Politik herausfindet, sondern muss auch darüber nachdenken, warum die meisten Wähler, die der SPD abhandenkommen, nicht etwa zur Linkspartei wechseln, sondern entweder im Lager der Nichtwähler untertauchen oder der AfD ihre Stimme geben. Dass inzwischen mehr Arbeiter und Arbeitslose AfD wählen als SPD (oder Linkspartei), sollte jedem progressiven Geist schlaflose Nächte bereiten – macht es doch deutlich, wohin das politische business as usual eines Tages führen kann: zu einem deutschen Donald Trump im Kanzleramt. Wem vor einer solchen Perspektive graut, der muss die eingefahrenen Wege verlassen.
    Es gibt einige europäische Länder, in denen aus dem Niedergang der traditionellen Parteien erfolgreiche linke Bewegungen entstanden sind, etwa Podemos in Spanien oder La France insoumise in Frankreich. Beide sind heute Wortführer der Opposition in ihren Ländern und setzen die Themen der öffentlichen Debatte. In Großbritannien hat sich die Labour Party mit Jeremy Corbyn zu echter Erneuerung durchgerungen und gute Aussichten, aus der nächsten Wahl als Sieger hervorzugehen. Und überall dort, wo ein neuer linker Aufbruch gelingt, sieht die politische Rechte schnell so alt aus, wie sie es verdient.
    Quelle: Zeit Online

    dazu: »Der Rechtsentwicklung nicht tatenlos zuschauen«
    Die Linke streitet über eine linke Sammlungsbewegung und die Regulierung von Migration. Ein Gespräch mit Sahra Wagenknecht […]
    Genossen kritisieren, dass die Idee nicht in den Gremien der Linkspartei zur Diskussion gestellt wird. Was entgegnen Sie?
    Zu meinen, dass man in Gremien eine Bewegung gründet, finde ich schräg. Denn es geht auch darum, dass das Projekt nicht durch Die Linke instrumentalisiert werden kann. Dann ist es nämlich tot. Es sollen sich hier Mitglieder unterschiedlicher Parteien und Parteilose zusammenschließen können, die gemeinsame Anliegen haben: Wir wollen keine neoliberale Politik, keine Kriege, keine Aufrüstung.
    Zuletzt hat Gregor Gysi Skepsis gegenüber dem Projekt geäußert: Es gebe in der Linken schon lange Gesprächskreise mit unzufriedenen Grünen und Sozialdemokraten, außerdem komme die Initiative »von oben« …
    Ich hätte auch lieber eine Bewegung auf der Straße. Aber die gibt es nicht. Immerhin bekommen wir eine überraschend starke positive Resonanz aus der Bevölkerung. Ich weiß nicht, was die Antwort der Kritiker darauf ist, dass Die Linke in Umfragen weiter nicht über zehn Prozent hinauskommt. Wenn wir nichts tun, dann kann man relativ sicher sein, dass irgendwann die CDU und die AfD eine Regierung stellen wollen. Ich will dieser Rechtsentwicklung nicht tatenlos zuschauen. Denen, die sich bemühen, das Projekt totzureden, sage ich: Erstens werden sie das nicht schaffen, und zweitens sollten sie lieber darüber nachdenken, wie man daraus einen Erfolg machen kann, wenn sie sich als Linke verstehen. […]
    Seit Monaten wird Die Linke in der Öffentlichkeit vor allem durch ihre Kontroverse über die Flüchtlings- und Migrationspolitik wahrgenommen. Sie selbst haben dieses Thema immer wieder in den Vordergrund gerückt. Was verlangen Sie von der Partei?
    Die Forderung nach »offenen Grenzen für alle« in unserem Parteiprogramm ist eine für eine Welt, in der Kapitalismus überwunden ist, aber keine für die Welt von heute. Alle in der Linkspartei verteidigen das Asylrecht, alle sind der Meinung, dass wir solidarisch sein müssen mit Menschen in Not. Aber man muss eben auch bedenken: Der größte Teil der Flüchtlinge schafft es nie nach Europa, weil die Mittel dazu fehlen. Vor Ort zu helfen, ist deshalb die dringendste ­Herausforderung. Auch die Bekämpfung von Fluchtursachen ist in der Partei nicht strittig. Genau das werfen wir ja der regierenden Koalition vor: Sie tut alles dafür, Fluchtursachen zu schaffen durch unfaire Handelspolitik, Ausplünderung armer Länder, Waffenexporte in Krisengebiete.
    Strittig ist, ob wir pauschal sagen sollten, jeder der es möchte, kann nach Deutschland kommen, hat hier Anspruch auf landesübliche Sozialleistungen und kann sich eine Arbeit suchen. Das ist eine Position, die man meines Erachtens nicht durchhalten kann. Und ich finde es interessant, dass die Parteispitze, die offene Grenzen befürwortet, selbst einräumt, das sei keine »reale Umsetzungsperspektive«, sondern eine Haltungsfrage, wie Katja Kipping es ausgedrückt hat. Wenn sie selbst einräumt, dass das nicht umsetzbar ist, dann weiß ich nicht, warum diese Position mit solcher Verbissenheit verteidigt wird, obwohl wir damit gerade unter den Ärmeren Wähler verprellen.
    Quelle: junge Welt

  2. USA verlangen von Europas Nato-Staaten schnelle Einsatztruppen
    Die neue Formel, mit der die USA die Europäer zu mehr militärischem Engagement bewegen wollen, lautet 4 mal 30: Je 30 Einheiten von Heer, Luftwaffe und Marine sollen so trainiert und ausgerüstet werden, dass sie im Krisenfall innerhalb von 30 Tagen einsatzbereit wären.
    Konkret geht es um bis zu 30.000 Soldaten, 300 Flugzeuge und mindestens 30 Kriegsschiffe oder U-Boote. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte in Brüssel an, dass die EU-Verteidigungsminister über einen solchen Plan bei ihrem Treffen am Donnerstag und Freitag beraten werden. 2020, so das Ziel, sollen die Truppen so weit trainiert und ausgerüstet sein.
    „Wir wollen innerhalb der Allianz militärische Stärke für mehr Sicherheit aufbauen“, sagte die US-Botschafterin bei der Nato, Kay Hutchison. Es gehe um Abschreckung gegenüber Moskau. „Wir verlangen von Russland, seine hybriden Operationen in anderen Ländern zu stoppen und die Desinformationskampagnen während Wahlen in anderen Ländern einzustellen“, sagte Hutchison und nannte Invasionen auf der Krim, in der Ost-Ukraine und Georgien.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung Christian Reimann: Die USA geben die Richtung – Konflikt zwischen der EU und Russland – vor und die europäischen NATO-Mitgliedsstaaten merken das offenbar gar nicht. Jedenfalls scheinen sie den US-Forderungen gerne zu folgen, oder? Wendet die Bundesregierung mit ihren Mehrausgaben für das Militär Schaden vom Volke ab (Art. 56 GG) oder entsteht durch die – wenn auch geringer als von den USA gewünschte – Rüstungserhöhung eine Gefahr für einen Konflikt mit Russland?

    dazu auch: Die Mär von der transatlantischen Entfremdung und die Aufrüstung Deutschlands zur Kriegsmacht
    Die Regierung Trump ärgert Deutsche und Europäer wo sie nur kann. Wenn man unsere Politiker und Kommentatoren so hört, könnte man meinen, wir hätten eine Phase der Entfremdung im transatlantischen Verhältnis; Deutschland und Europa könnten sich womöglich freischwimmen vom übermächtigen Einfluss der Schutzmacht. Dabei folgt das alles einem raffinierten Kalkül um durchzusetzen, was Trump schon vor Amtsantritt mit markigen Worten gefordert hat: dass die Deutschen (und Europäer) einen größeren Teil der Kriegsaufgaben übernehmen.
    Quelle: Norbert Häring

    Anmerkung unseres Lesers D.G.: Dieser Artikel beschreibt m.E. leider zutreffend die derzeitige (manipulative) Meinungsmache zum Thema “Aufrüstung”. Warum wohl U.v.d. Leyen als einzige deutsche Politikerin bei der diesjährigen Bilderberg-Konferenz geladen ist – man kann sich durchaus seine Gedanken machen…

  3. Die Krim wird zum Vorwand für jeden Unsinn
    Warum muss die Nato weiter aufrüsten? Warum will die EU Autobahnen zu Panzerstraßen ausbauen? Warum darf Russland nicht zurück in die G-8? An all dem soll die Annektierung der Krim schuld sein. Die Nato will gleich 90 Verbände mit insgesamt 30.000 Soldaten verstärken. Die EU will 6,5 Mrd. Euro für ihr “Militär-Schengen” ausgeben – “freie Fahrt für Nato-Panzer” heißt das unausgesprochene Motto. […]
    Nur Kanzlerin Merkel spricht es aus. Bei einer Fragestunde im Bundestag sagte sie zur G-8: “Die Annexion der Krim ist ein flagranter Bruch des Völkerrechts gewesen.” Deshalb sei der Ausschluss Russlands aus der Gruppe richtig. Doch das überzeugt nicht. Die USA und Großbritannien haben sich ebenfalls mehrerer flagranter Brüche des Völkerrechts schuldig gemacht – man denke nur an den Irak-Krieg und die Folgen für Europa. Konsequenzen: keine.
    Außerdem passt Merkels Begründung nicht zu ihrer Forderung, sich von den USA “ein Stück weit” unabhängiger zu machen. Das ginge nur gemeinsam mit Russland oder anderen neuen Partnern – am besten wohl im Format der G-20.
    Quelle: Lost in Europe

    dazu: Der Balken im Auge
    Angela Merkel hat heute im Bundestag eine Rückkehr Russlands in die G8 ausgeschlossen, weil das G8-Format auf die Achtung des Völkerrechts ausgerichtet sei. “Die Annexion der Krim ist ein flagranter Bruch des Völkerrechts gewesen.” Deshalb sei der Ausschluss Russlands aus der Gruppe richtig. Da hat Frau Merkel in der väterlichen Bibelstunde wohl nicht aufgepasst: “Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken aber in deinem Auge bemerkst du nicht?” Hat sie immer noch nicht verstanden, dass sie selbst mit der Unterstützung des Syrienkrieges, durch den viele Menschen ums Leben kommen, das Völkerrecht bricht? Und dass sie täglich einen weiteren Bruch des Völkerrechts von deutschen Boden aus zulässt, durch den US-Drohnenkrieg, der von Ramstein aus geführt wird, mit tausenden Opfern? Wann löst sich die deutsche Politik endlich von der US-Propaganda mit ihrer verlogenen Moral?
    Quelle: Oskar Lafontaine via Facebook

  4. Die präzisen Luftangriffe des Westens
    Schwere Vorwürfe gegen die Kriegführung der Anti-IS-Koalition erhebt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Wie Amnesty in einem gestern veröffentlichten Bericht schreibt, sind bei Luftangriffen westlicher Kampfjets im Rahmen der Rückeroberung Raqqas hunderte Zivilisten ums Leben gekommen, weil westliche Militärs es bei der Vorbereitung ihrer Bombardements an der gebotenen Sorgfalt mangeln ließen oder beim Beschuss ziviler Wohngebiete unpräzise Waffen benutzten. Treffen die Vorwürfe zu, dann handelt es sich um Kriegsverbrechen. Entsprechend streitet die Anti-IS-Koalition alles ab und räumt lediglich 24 zivile Todesopfer ein. NGOs können mindestens 1.400 tote Zivilisten in der Schlacht um Raqqa belegen. Die Bundeswehr war mit der Lieferung von Aufklärungsdaten involviert. Ein Beispiel bietet die Bombardierung einer Schule im März 2017, bei der mehr als 30 Zivilisten zu Tode kamen; der Angriff wurde auf der Grundlage deutscher Aufklärungsdaten durchgeführt. Anders als im Fall russisch-syrischer Luftangriffe bleibt Kritik aus Berlin aus.
    Quelle: German Foreign Policy

    dazu: Mögliche Kriegsverbrechen in Rakka
    Ein Jahr nach Beginn der Offensive auf Rakka dokumentiert Amnesty mögliche Verletzungen des humanitären Völkerrechts der US-geführten Koalition. Ein neuer Bericht legt Hinweise darauf vor, dass die USA, Großbritannien und Frankreich bei ihren Luft- und Artillerie-Angriffen zu wenig dafür getan haben, möglichst keine Zivilisten zu treffen. Das führte zu zahlreichen Todesopfern. Die Angriffe könnten daher als Kriegsverbrechen bewertet werden.
    Vor einem Jahr, am 6. Juni 2017, begann die US-geführte Koalition ihre Offensive auf die syrische Stadt Rakka, die seit 2014 vom sogenannten Islamischen Staat (IS) besetzt war. Der neue Amnesty-Bericht “‘War of annihilation’: Devastating Toll on Civilians, Raqqa – Syria” belegt, wie während der vier Monate andauernden Kämpfe Hunderte Zivilisten ums Leben kamen. Er legt zudem nahe, dass es sich bei den Angriffen der US-amerikanischen, französischen und britischen Streitkräfte um Kriegsverbrechen handeln könnte. Amnesty-Mitarbeiter sprachen im Februar 2018 vor Ort mit 112 Zeugen und Überlebenden der Angriffe und besuchten 42 Orte in Rakka, an denen Angriffe durch Mörser, Artillerie und Luftstreitkräfte stattgefunden hatten.
    Quelle: Amnesty International

    Anmerkung unseres Lesers A.H.: Dabei muss man sich auch vor Augen führen, dass die Bundeswehr mit Aufklärungsflügen, die ja der Zielfestlegung dienen, an der “Eroberung ” Rakkas und damit auch am Tod der Zivilisten beteiligt waren.

  5. Deutsches Versagen
    Die Kanzlerin sieht zu, wie Europa zerfällt. Der Oppositionschef verharmlost die Nazi-Zeit. Viele Deutsche haben immer noch ein Problem mit Verantwortung – für Zukunft und Vergangenheit. Aber auf Italien schimpfen!
    Zu wenig, zu spät. Angela Merkel hat am Wochenende erklärt, wie sie sich die Zukunft der Europäischen Union vorstellt. Das war nicht mal ein Visiönchen. Damit wird sie Europa nicht retten. In den Büchern wird einmal stehen: Angela Merkel hat zugesehen, wie Europa zerfiel, und sie ist nicht eingeschritten. Dabei wäre sie buchstäblich die Einzige, die es könnte. Warum ist die mächtigste Frau der Welt nur so verzagt?
    Auf eine traurige Weise passt es, dass zur gleichen Zeit der Oppositionsführer im Deutschen Bundestag das sogenannte Dritte Reich als “Vogelschiss” bezeichnet hat. Ein Satz, der noch vor Kurzem unvorstellbar gewesen wäre. Was kommt morgen?
    Das verbindende Element ist: Verantwortung. Angela Merkel übernimmt keine Verantwortung für die Zukunft, Alexander Gauland will keine Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen.
    In den vergangenen Jahren wurde in der deutschen Politik sehr viel von Verantwortung geredet. Für Männer wie Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier war Verantwortung das Schlüsselwort ihrer Politik. Sie sprachen davon, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen soll. Und Deutschland hat Verantwortung übernommen, in Afghanistan, in Mali, am Horn von Afrika. Am anderen Ende der Welt hat Deutschland Verantwortung übernommen. Überall. Nur nicht da, wo es gezählt hätte: in Europa.
    Quelle: Jakob Augstein auf SPIEGEL Online
  6. Why the Left Should Embrace Brexit
    Remainers claim that Brexit will be an economic apocalypse. But it provides the opportunity for a radical break with neoliberalism.
    […]The Left’s anti-Brexit hysteria, however, is based on a mixture of bad economics, flawed understanding of the European Union, and lack of political imagination. Not only is there no reason to believe that Brexit would be an economic apocalypse; more importantly, abandoning the EU provides the British left — and the European left more generally — with a once-in-a-lifetime opportunity to show that a radical break with neoliberalism, and with the institutions that support it, is possible.
    Quelle: Jacobin
  7. Nichts Neues vom Geldspeicher
    Larry Fink, CEO von Blackrock, plädiert für langfristiges Sparen in Wertpapieren, um die Krise der Altersvorsorge zu lösen. Ein Zwischenruf zur neuen (alten) Rentendiskussion.
    In der F.A.Z. vom 25. April 2018 begründet Fink sein Plädoyer wie folgt:
    „Vor sechs Jahren, kurz bevor mein Vater im Alter von 87 Jahren starb, habe ich mit ihm zum ersten Mal darüber gesprochen, was Sparen und Geldanlage ihm gebracht haben. Dank seiner Überzeugungen, seiner Zuversicht, des langen Zeithorizonts und des Zinseszinseffekts verfügte er am Ende über etwa das Siebzigfache dessen, was er und meine Mutter durchschnittlich pro Jahr brutto verdient hatten. Das Siebzigfache. Das beeindruckt mich bis heute.“ [1]
    Mich auch. Ich habe mal nachgerechnet. Tatsächlich, wenn man z.B. eine konstante Sparquote von 10% und eine jährliche Rendite von knapp 10% unterstellt, dann kriegt man das 70-fache nach mehr als 45 Jahren Sparen locker hin. Und die Kinder von Warren Buffet oder Bill Gates können irgendwann vermutlich noch dollere Geschichten erzählen: ex-post erscheinen ökonomische Erfolgsbiographien nur allzu leicht als Folge „vernünftigen“ Verhaltens, geradezu als harmonisch sich fügende Sequenz zielführender Entscheidungen der Protagonisten.
    Es ist jedem (und auch Larry Fink) freigestellt, solche Erfahrungen zur alleinigen Grundlage einer allgemeinen Alterssicherungspolitik zu empfehlen – aber sollte die Politik dem auch folgen?
    Quelle: Makroskop
  8. Ausgepresst
    Internationale Investoren legen ihr Geld inzwischen lieber am Wohnungsmarkt als in der Automobilindustrie an. Der rasante Aufstieg der Vonovia, in deren Häusern eine Million Menschen wohnen, verdeutlicht, wie dabei asoziales Verhalten belohnt wird.
    Weil der alte Name mit zu viel Negativem verbunden war, musste ein neuer her. Die Deutsche Annington heißt seit Mitte 2015 Vonovia. Falls sich durch die Umbenennung etwas an dem Marktverhalten, das der Annington ihren schlechten Ruf einbrachte, geändert hat, muss es sich heimlich vollzogen haben.
    In rasanter Geschwindigkeit ist die Vonovia zum größten deutschen Immobilienunternehmen aufgestiegen und als einziger Vertreter dieser Branche auf dem Deutschen Aktienindex (DAX) gelistet. 2001 ist sie, noch unter dem Namen Deutsche Annington, erstmals in Erscheinung getreten: Im Zuge der Bahnreform kaufte sie elf der achtzehn Eisenbahnerwohnungsbaugesellschaften, die damals zur Auktion standen, mit insgesamt 65 000 Wohnungen. Gewisses Startkapital war demnach vorhanden. In den folgenden Jahren setzte das Immobilienunternehmen vornehmlich auf zwei Strategien: Die Konkurrenz aufkaufen und dort zuschlagen, wo in großem Stil öffentliches Eigentum in privates umgewandelt wurde.
    Quelle: Kontext: Wochenzeitung
  9. Erntehelfer – Wer rettet die Erdbeeren?
    Bauern sind in Sorge: Früchte vergammeln auf Feldern, weil es zu wenig Erntehelfer gibt. Wo sind die vielen Saisonkräfte hin? Und wer könnte die Arbeit stattdessen tun?
    Normalerweise bestimmt das Wetter, wann Obst und Gemüse vom Feld kommt. In diesem Jahr ist es der Mensch. Oder besser gesagt: jene Menschen, die nicht da sind. Immer mehr Bauern klagen, dass ihnen die Saisonarbeiter fehlen und dass ihnen Spargel und Erdbeeren auf den Feldern verderben, weil sie nicht schnell genug geerntet werden können. “Im Frühjahr dachten wir noch, alles würde ähnlich verlaufen wie letztes Jahr. Aber jetzt wissen wir: Es wird ernst”, sagt Burkhard Möller, Hauptgeschäftsführer des landwirtschaftlichen Arbeitgeberverbands GLFA. “Es muss etwas passieren.”
    In Zahlen lasse sich die Misere noch nicht ausdrücken, aber es gebe allerorten viele, sehr viele Landwirte, die dem Verband meldeten: “Wir finden keine Erntehelfer.” Das Statistische Bundesamt erhebt zwar jährlich, wie viele Saisonkräfte jedes Jahr nach Deutschland kommen, um den Spargel zu stechen, Beeren zu pflücken oder Kartoffeln zu ernten. Doch es veröffentlicht die Daten erst am Jahresende. Demnach nimmt die offizielle Zahl der Saisonarbeitskräfte bereits seit 2010 ab, von knapp 330.000 auf zuletzt 286.000. “Aber das war eher ein schleichender Prozess”, sagt Möller. Ein Grund dafür war auch die zunehmende Technisierung. Man brauchte weniger Menschen.
    Nun aber fragen Landwirte, wie sie die Saison mit so wenigen Mitarbeitern überstehen sollen. Vor allem die Bauern mit Spargel- oder Erdbeerfeldern haben ein Problem. […]
    “Normale Pflücker gibt es viele, aber die Vorarbeiter fehlen uns”, sagt Simon Schumacher vom Verband VSSE, “die guten Leute, die auch mal einen Trupp anleiten können und die bisher viele Jahre in Folge kamen.” Wo sie geblieben sind? “Viele haben Arbeit bei Paketzustelldiensten gefunden oder auf dem Bau”, so weiß Schumacher von den Mitgliedsbetrieben. “Die guten Arbeiter sind nicht nur mobil in den Beinen, sondern auch im Kopf.” Zum einen zahlen die Paketdienste besser, nämlich zwei bis drei Euro mehr pro Stunde im Vergleich zu den 8,84 Euro Mindestlohn auf dem Feld. Zum anderen bedeuten die Jobs in Logistik oder Baubranche eine dauerhafte Beschäftigung – und nicht bloß drei Monate Einkommen im Jahr, wenn gerade Erdbeerzeit ist.
    Etliche Saisonhelfer aus Polen, Rumänien oder Bulgarien seien diese Saison gar nicht erst zum Dienst angetreten, obwohl sie früher jahrelang auf bestimmten Höfen mitgeholfen hätten und oft schon im Winter Verträge unterzeichneten. Sie hätten stattdessen in ihrer Heimat Arbeit gefunden, wo neuerdings auch die Wirtschaft floriert, sagt Schumacher: “Dort verdienen sie etwas weniger, aber dafür können sie bei ihren Familien bleiben.” […]
    Osteuropas Wirtschaft wächst zurzeit so enorm, dass auch dort vielerorts schon die Arbeitskräfte knapp werden, so warnen die Handelskammern in vielen Ländern. Bulgariens Statistikämter meldeten zuletzt einen Rekordtiefststand bei der Arbeitslosigkeit mit rund sechs Prozent. Rumänien liegt bei rund 4,6 Prozent, Ungarn bei 3,7, in Tschechien herrscht quasi Vollbeschäftigung. Unternehmen in diesen Ländern klagen bereits, dass sie keine Mitarbeiter mehr finden, weil der Arbeitsmarkt leergefegt sei, weshalb sie sich schon gegenseitig die Beschäftigten abwerben.
    Wenn sich osteuropäische Arbeiter dennoch auf einen Job in der Ernte einlassen, dann ziehen sie häufig an Deutschland vorbei. In Belgien oder den Niederlanden ist die Landwirtschaft ebenfalls ein wichtiger Sektor – aber der Mindestlohn liegt dort höher, bei rund 9,50 bis 9,70 Euro.
    Quelle: ZEIT

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Die Erntehelfer bleiben aus, weil sie mit den Arbeitsbedingungen und den mickrigen Löhnen nicht zufrieden sind? In anderen Arbeitsmärkten werben Arbeitgeber sich gegenseitig Mitarbeiter ab? Solche marktwirtschaftlichen Erkenntnisse kommen sicher wie ein Schock über die deutschen Bauern, die doch die Planwirtschaft gewohnt sind, in der der Staat für den Zustrom von Billigarbeitern zu sorgen hat. Bei 15 Euro brutto pro Stunde für die Erntehelfer gäbe es schließlich mehr als genug Bewerber. Und wenn Arbeitnehmer (angeblich, ich kann das kaum glauben) lieber in Bulgarien und Rumänien arbeiten, wenn deutsche Arbeitgeber (angeblich) nicht mal aus den Armenhäusern der EU genug Tagelöhner kriegen: spätestens dann sollten sich die Bauern mal Gedanken über die Löhne machen.

    Anmerkung Jens Berger: Marktwirtschaft paradox? Zur Zeit ist in unserer Region deutscher Spargel für 7,50 Euro für die 5-Kilogramm-Kiste im Angebot. Man sollte doch annehmen, dass die angeblich so hohen Lohnkosten die Preise nach oben treiben. Empirisch ist das aber nicht feststellbar.

  10. So umfährt Deliveroo Mitbestimmung
    Im Februar hatte sich bei dem Lieferdienst eine Mitarbeitervertretung gegründet. Deliveroo hat nun die Verträge aller Betriebsräte auslaufen lassen.
    Vor wenigen Wochen war für Orry Mittenmayer alles vorbei: Die türkisfarbene Thermobox, mit der der 25-Jährige mehr als ein Jahr lang durch Köln geradelt war, hat er an das Unternehmen zurückgegeben. In der App, die ihm von Schicht zu Schicht die Route von den Restaurants zu den Kunden wies, wurde sein Profil deaktiviert. Mittenmayer war Anfang Mai nicht nur seinen Job als Essenskurier los. Mit seinem Vertragsende war vorerst auch der Versuch gescheitert, erstmals in Deutschland eine Mitarbeitervertretung bei Deliveroo zu organisieren.
    Mittenmayer war einer von fünf Mitarbeitern, die erst im Februar von den Fahrerinnen und Fahrern von Deliveroo in Köln in einen Betriebsrat gewählt wurden. Jetzt, nur zwei Monate später, verlässt Mittenmeyer als letzter der fünf Betriebsräte das Unternehmen.
    Essenslieferunternehmen wie Deliveroo expandieren derzeit stark auf dem deutschen Markt und gelten als Avantgarde einer neuen Digitalwirtschaft: Die Arbeit wird vor allem über Internetplattformen oder Apps koordiniert, die den Einsatz der Mitarbeiter steuern. Die Fahrer arbeiten oft selbstständig oder mit Zeitvertrag. Betriebsräte zu gründen, die die Interessen der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen vertreten, ist bei Digitalunternehmen mit ihren vielen Kurzzeitjobbern schwierig.
    Umso erstaunlicher war, dass es im Februar doch gelang. Die Initiatoren hatten allerdings schon im Vorfeld den Eindruck, dass Deliveroo in Köln keine Mitarbeitervertretung will: Mittenmayers Kollege, der die Betriebsratsgründung mit vorangetrieben hatte, bekam kurz darauf eine Abmahnung. Den Arbeitsvertrag mit ihm hat Deliveroo wenig später auslaufen lassen. Über die Gründe wollte sich Deliveroo im März gegenüber ZEIT ONLINE nicht äußern. Man nehme keine Stellung zu einzelnen Mitarbeitern. Auffällig war auch, dass im internen Mitarbeiterchat eine Nachricht verschwand, mit der die Initiatoren auf die Betriebsratsgründung aufmerksam gemacht hatten. Deliveroo hatte auf Nachfrage von ZEIT ONLINE keine Erklärung dafür genannt, gegenüber dem ZDF führte das Unternehmen später technische Gründe für das Verschwinden der Nachricht an.
    Quelle: Zeit

    Anmerkung JK: „Essenslieferunternehmen wie Deliveroo … gelten als Avantgarde einer neuen Digitalwirtschaft …“. Was soll an der nackten Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft “avantgardistisch“ sein?

  11. Die Rentenkommission setzt sich in Bewegung. Was rauskommen wird? Mit hoher Wahrscheinlichkeit eine höchst problematische weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters
    Hinsichtlich der großen Baustelle Rentenpolitik ist der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ein Monument des Kompromisses. So haben die Sozialdemokraten einige gesichtswahrende Punkte in dem Dokument verankern können, aber die wahre Frage nach der zukünftigen Ausgestaltung des Alterssicherungssystems hat man a) inhaltlich vertagt und b) in die ganz eigene Welt einer Kommission outgesourct, die nun erst einmal nachdenken soll und muss, was wiederum a) auf der Zeitschiene bis zum Ende der Legislatur ermöglicht.
    Die Sozialdemokraten heben als besondere erfolgt diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag hervor:
    »… werden wir die gesetzliche Rente auf heutigem Niveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2025 absichern und bei Bedarf durch Steuermittel sicherstellen, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen wird. Für die Sicherung des Niveaus bei 48 Prozent werden wir in 2018 die Rentenformel ändern.« (S. 90)
    Das nun hört sich nach einer richtigen Schubumkehr hinsichtlich der bisherigen Fahrtrichtung des Rentenniveaus nach unten an. Endlich, möchte man meinen. Allerdings wurde schon Anfang des Jahres, als im Ergebnispapier der damaligen Sondierungsgespräche dieser Punkt auftauchte, etwas spöttisch angemerkt, dass sich dieser scheinbare sozialpolitische Hengst als reichlich müder Gaul entpuppt, wenn man genauer hinschaut.
    Man könnte auch von einer Rosstäuscherei sprechen, denn dem Rentenversicherungsbericht 2017 der Bundesregierung kann man den folgenden Hinweis entnehmen:
    »Das Sicherungsniveau vor Steuern beträgt derzeit 48,2 % und bleibt in den kommenden Jahren dank einer guten wirtschaftlichen Entwicklung mit stabilem Beitragssatz auf diesem Niveau. Nach dem Jahr 2024 sinkt das Sicherungsniveau vor Steuern unter 48 %.« (S. 39)
    Wie praktisch, man kann als ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen eine “Haltelinie” beim Sicherungsniveau verkaufen, das sowieso schon mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Danke für nichts, wird der eine oder andere an diese Stelle denken. Der einzige hier relevante Punkt ist dann die in Aussicht gestellte gesetzliche Festschreibung dieser wahrscheinlichen Entwicklung.
    Quelle: Aktuelle Sozialpolitik

    dazu: An der Rente mit 69 führt kein Weg vorbei
    Experten sehen einen vierfachen Vorteil des längeren Arbeitens. Aber auch an anderen Stellschrauben wird die Regierung drehen müssen. Bürger können als „Rentenminister“ selbst testen, wie schwer das für die Politik ist.
    Die zehn Männer und Frauen, die erstmals an diesem Mittwoch in Berlin zusammenkommen, sollen nichts weniger als ein Wunder vollbringen. Die Sozialexperten haben von der Bundesregierung den Auftrag erhalten, ein Konzept zur langfristigen Stabilisierung des Rentensystems zu erarbeiten. Dabei sollen sie nicht nur verhindern, dass der Beitragssatz als Folge der Alterung durch die Decke geht. Auch das Rentenniveau – also die Rente im Verhältnis zum Lohn – soll dauerhaft stabilisiert werden. Und da Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärtermaßen auch die gesetzliche Altersgrenze keinesfalls anheben will, gleicht die Aufgabe der neuen Rentenkommission der Quadratur des Kreises. Zumal auch die vierte Unbekannte in der langfristigen Rentenrechnung, der steuerfinanzierte Bundeszuschuss, schon heute mit rund 90 Milliarden Euro ein Drittel der gesamten Ausgaben des Bundes umfasst und an eine Grenze stößt.
    Quelle: Welt Online

    Anmerkung unseres Lesers T.E.: Neben dem offensichtlich erkennbaren Werbeartikel der deutschen Versicherungswirtschaft ist besonders die beworbene Interaktive Mitmachseite hervorzuheben.

    Durch mehr oder weniger gut getarnte überzogene Annahmen und Vorgaben wird dem Nutzer vorgegaukelt, dass egal was er tut, es ist einfach nicht anders finanzierbar, als das Renteneintrittsalter auf 69 Jahre zu erhöhen! Die URL eignet sich auch hervorragend für den digitalisierten Schulunterricht um dem Nachwuchs die ausweglose Situation schon vor dem Eintritt in die Arbeitswelt klar zu machen.

    Anmerkung André Tautenhahn: Norbert Blüm sagt im Interview mit dem RND, dass nur mit guten Löhnen auch eine gute Rente entstehe. Kein System der Welt sei in der Lage, aus Hungerlöhnen eine Luxusrente zu machen. Ziel der Rentenkommission müsse sein, Armut im Alter zu verhindern. Blüm: „Wenn man es richtig macht, muss das Rentenniveau nicht sinken. Man sollte das Geld, das der Versicherungswirtschaft über die Riester-Rente in den Rachen geworfen wird, in die gesetzliche Rente investieren. Dann wären viele Probleme gelöst. Es ist ein Märchen, dass die Riester-Rente die Jüngeren vor steigenden Belastungen schützt.“

    Warum?

    „Bei Riester gibt es keinen Arbeitgeberbeitrag. Sie führt zu höheren Beiträgen und einem sinkenden Rentenniveau für die nachwachsende Generation. Die kapitalgedeckte Privatvorsorge ist keinesfalls kostengünstiger als die gesetzliche Rente. Die Verwaltungskosten der Rentenversicherung betragen ­1,5   Prozent der Einnahmen. Bei den privaten Versicherern sind es bis zu 15 Prozent. Bevor überhaupt ein Euro zurückgelegt wird, haben die Konzerne schon einmal 15 Cent abkassiert.“

    dazu auch: Die Bundesregierung muss die gesetzliche Rentenversicherung stärken
    Für eine gute Alterssicherung wäre eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt notwendig, die für gute Arbeitsbedingungen und Tarifverträge mit hohen Löhnen sorgt. Dazu müssten grundlose Befristungen abgeschafft und unfreiwillige Teilzeit abgebaut werden. So könnten die Menschen gesund bis zur Rente arbeiten und auch danach frei von Armut leben. Wichtig wäre es zudem, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder älteren Erwerbslosen Perspektiven für einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu geben. Auch gilt es, die Lebensarbeitszeit nicht weiter zu erhöhen.
    Entscheidend ist letztlich, ob die Bundesregierung die gesetzliche Rentenversicherung wieder stärkt. Dazu müsste sie das Rentenniveau stabilisieren und anheben. Zeiten, in denen Menschen wenig verdient haben, in denen sie arbeitslos oder in Bildungsmaßnahmen waren, dürfen nicht zu einem schlechteren Auskommen führen. Alle Beschäftigten sollten im Alter und bei Erwerbsminderung ein Leben in Würde führen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.
    Quelle: Gegenblende

  12. Warum die imperiale Lebensweise die Klassenfrage ausblenden muss
    Das Konzept der „imperialen Lebensweise“ besagt, dass „die allermeisten Menschen hierzulande auf Kosten der Natur und der Arbeitskräfte anderer Weltregionen“ leben, so Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem Beitrag (LuXemburg 1/2018). Dies gelte trotz der großen „Unterschiede, die vor allem vom Einkommen abhängen“. Wie begründen die Autoren ihre These? In ihrem Buch führen sie aus, dass die imperiale Lebensweise ihrem Wesen nach „die Möglichkeit eines überproportionalen Zugriffs auf Natur und Arbeitskraft“, d.h. auf ein „Außen“ im globalen Maßstab beinhalte, was wiederum voraussetze, „dass andere auf ihren proportionalen Anteil verzichten“ (Brand/Wissen 2017, 14). Aber warum können sich die einen überproportional die Produkte der Arbeit anderer aneignen und überdurchschnittlich viele natürliche Ressourcen verbrauchen? Welche Mechanismen gewährleisten dies? Diese Fragen sind nicht unbedingt neu; aber in dem Buch von Brand und Wissen findet man weder eine systematische Auseinandersetzung mit früheren Versuchen, sie zu beantworten, d.h. mit den verschiedenen Wellen der Diskussion über den Imperialismus, noch befriedigende neue Antworten. Innovativ ist sicherlich der Versuch, ökologische und soziale Gesichtspunkte in einer Theorie des globalen Kapitalismus zu verbinden. Zu begrüßen ist auch der Versuch, die Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise durch eine Kritik der Konsumnormen und der Lebensweise zu erweitern, die Analyse des Alltagslebens und der Subjektivierung in eine Theorie des globalen Kapitalismus einzubeziehen. Ich sehe aber in der Konzeption der imperialen Lebensweise drei systematische theoretische Probleme, die auch gravierende strategische Implikationen haben.
    Quelle: Luxemburg

    Anmerkung unseres Lesers C.B.: Ein wichtiger Text, der die Tendenz einiger hypermoralischer Linker allen Bewohnern der Industriestaaten eine gleichgroße kollektive Schuld für die Ausbeutung der Welt zuzuschieben zurechtrückt.

  13. Didier Eribon – Nationalismus ist auch ein Problem der Linken
    Populisten gelangen in Europa immer öfter an die Macht. Der französische Soziologe benennt die Gründe für ihren Erfolg. Nun plädiert er für ein anderes Europa
    In Rückkehr nach Reims (Suhrkamp) beschreibt der französische Soziologe Didier Eribon die mühevolle Wiederannäherung an seine proletarische Herkunft. Das Buch wurde im deutschsprachigen Raum zu einem großen Erfolg. Auch deshalb, weil es eine kluge Analyse dessen liefert, warum die Arbeiterschicht heute mehrheitlich rechts wählt. Auf Einladung der Akademie der bildenden Künste und der Universität Wien besuchte Eribon diese Woche Wien und präsentierte sein Nachfolgebuch Gesellschaft als Urteil. 400 Leute seien gekommen, erzählt er bei unserem Zusammentreffen strahlend.
    STANDARD: Beginnen wir mit einem aktuellen Bild aus der Politik: Italien steht vor einer populistischen Regierung. Präsident Mattarella versuchte offenbar umsonst, diese abzuwenden. Welche Assoziationen weckt das bei Ihnen?
    Eribon: Die Situation in Italien ist vielschichtig. In Städten wie Genua oder Turin, die in den 1970er-Jahren Hochburgen der Kommunistischen Partei waren, wird heute die Fünf-Sterne-Bewegung oder Lega Nord gewählt. Es ist genau das passiert, was ich in Rückkehr nach Reims beschrieben habe. Die Linke hat aufgrund eigener Fehler verloren. Mattarella wollte die EU vor der Bedrohung der beiden Bewegungen schützen – man kann das durchaus verstehen. Doch er hätte damit auch jene EU-Politik gestärkt, die primär neoliberal ausgerichtet ist. Die Prekarisierung hat die Menschen erst dazu gebracht, für die Populisten zu stimmen. Was dieses Bild also nahelegt, ist, dass wir ein anderes Europa brauchen: eines, das auf Arbeiterrechten aufbaut; ein soziales, kulturelles Europa, nicht dieses neoliberale, das Menschen Lebensgrundlagen nimmt.
    Quelle: Der Standard