DIE LINKE vor dem Parteitag – „Dieser Weg führt nicht weiter“

Ein Artikel von:

Der lang erwartete Leipziger Parteitag der Linkspartei steht vor der Tür, während die internen Konflikte die Partei nach wie vor polarisieren. Da es aller Voraussicht nach keine Kampfkandidatur um den Parteivorsitz geben wird und das Duo Kipping-Riexinger somit zwei weitere Jahre der Linkspartei vorstehen wird, liegen die Hoffnungen auf einer inhaltlichen Klärung. Denn „dieser Weg führt nicht weiter“, wie unser Leser Robert S. es in seinem ausführlichen Brief zum Parteitag formuliert, den wir Ihnen heute vorstellen wollen. Vielleicht schafft es der Brief ja sogar, dem einen oder anderen Delegierten noch ein paar Denkansätze mit auf den Weg zum Parteitag zu geben. Das wäre wichtig, denn die Lage ist ernst. Dieser Brief ist auch als PDF zum Ausdrucken verfügbar.

Liebe Nachdenkseiten,

ich bin ein langjähriger Leser Ihrer Seite. Die Nachdenkseiten sind ein fast täglicher Quell an relevanten Informationen. Danke hierfür.

Ich bin Gewerkschafter aus Süddeutschland und seit Jahrzehnten links-politisch engagiert – in den 80ern noch in der DKP und seit vielen Jahren nun in der Partei DIE LINKE. Seit geraumer Zeit empfinde ich die Lage in der Partei immer unangenehmer: Wegen der polarisierten Situation zwischen Parteispitze auf der einen und Fraktionsspitze auf der anderen Seite sowie der Unsachlichkeit und zum Teil Gehässigkeit der parteiinternen Debatten. Ich denke, so kann es nicht weitergehen.

Auf dem Parteitag am Wochenende wird ein neuer Vorstand gewählt werden. Da ich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage bin, zum Parteitag nach Leipzig zu fahren, habe ich in vielen Stunden zusammengetragen, welche Fehler meiner Meinung nach von der Parteiführung in den vergangenen Jahren gemacht wurden, die zu der jetzt schwierigen Lage beigetragen haben. Da es voraussichtlich keine Gegenkandidaturen gegen Bernd Riexinger und Katja Kipping geben wird, würde ich mir wünschen, dass meine Überlegungen den einen oder anderen Teilnehmer des Parteitags zu einer sachlichen, aber kritischen Frage inspirieren.

Ich würde mich freuen, wenn Sie meinen Text auf Ihrer Seite dokumentieren könnten.

Mit freundlichen Grüßen
Robert S.

Dieser Weg führt nicht weiter

Die Lage in der Partei DIE LINKE ist ernst. Sie steckt in der 10%-Falle und verliert weiter bei Menschen mit geringem Bildungsstand, bei Arbeitern und Arbeitslosen. Sie legt zu bei Akademikern. Die Polarisierung zwischen Fraktionsführung und Parteiführung lähmt zudem. Freilich, die Ausgangslage ist nicht einfach, aber Selbstkritik muss in dieser Situation schon sein. Liegt also die gefühlte Stagnation nur an äußeren Umständen oder haben auch eigene Fehler und falsche Strategien hierzu geführt?

Meine Kritik richtet sich dabei auf die beiden Parteivorsitzenden, Katja Kipping und Bernd Riexinger, die die Partei seit sechs Jahren führen und die in den vergangenen Wochen nicht müde wurden, zu erzählen, dass ja eigentlich alles in Butter sei in der LINKEN. Man habe einige neue Mitglieder gewonnen, die meist dem jungen akademischen Milieu entstammen und sei auf einem guten Weg. Ich begrüße es sehr, wenn mehr (junge) Leute gemeinsam mit der LINKEn für eine gerechte Gesellschaft kämpfen.

Bevor ich zu meiner Kritik komme, möchte ich auch loben. Die beiden Vorsitzenden sind in den vergangenen Jahren oft durch die Republik getingelt und haben mit Mitgliedern – insbesondere dem Funktionärskörper – gesprochen. Das ist ehrenhaft. Auch die Entscheidung, sich als Partei verstärkt dem Thema Pflege zuzuwenden, halte ich für gut und richtig.

Die Zahlen

DIE LINKE hat bei der vergangenen Bundestagswahl 9,2% geholt – das entspricht 4.297.270 Millionen Stimmen. Bei der Bundestagswahl 2013 kam Die Liinke auf 8,6% und 3.755.699 Millionen Stimmen. Bei diesen beiden Wahlen waren Kipping/Riexinger Parteivorsitzende. Die Zugewinne sind sehr erfreulich, doch darf man als LINKE sich nicht alles rosarot malen. Eins fällt auf: DIE LINKE hat 2013 340.000 Wähler an die AfD verloren und 2017 nochmals 420.000. Gemessen an den aktuellen Wählerzahlen, hat die Partei in zwei Wahlen also fast 18% ihrer Wähler an die AfD verloren! Und trotz massiver Verluste der SPD und über 14 Millionen Nichtwählern geht es – wenn überhaupt – nur langsam vorwärts.

Die zu große Angepasstheit der ostdeutschen Landesverbände spielt sicher eine Rolle dafür, dass DIE LINKE kaum noch als inhaltliche Alternative wahrgenommen wird. Doch welchen Anteil haben die beiden Parteivorsitzenden an der Entwicklung daran?

Hilfloser Anti-Faschismus – und was hinter der Betonung der Migrationspolitik steht

Leider habe ich nicht den Eindruck, dass es einen eigenständigen, linken durchdachten Ansatz und eine Antwort gibt, wie man als LINKE mit der AfD umgehen möchte. Ein überzeugender Plan, wie man auf den massiven Vertrauensverlust bei Arbeitnehmern und Arbeitslosen reagieren möchte, existiert meiner Kenntnis nach in der Parteizentrale nicht. Wurde von Kipping vor einigen Jahren eher verneint, dass man AfD-Wähler wieder ansprechen will (wie hier durchschimmert), wollte sie zum Glück im Bundestagswahlkampf mit einem Teil dieser Menschen wieder reden. Erfolgreich war es leider wenig. Ein roter Faden fehlt.

Es gibt in und um die Partei das von der zweifelhaften trotzkistischen Gruppierung marx21 initiierte Projekt „Aufstehen gegen Rassismus“ (AgR). Es ist meiner Meinung nach wenig geeignet, mit denen, die potentiell AfD wählen, einen kritischen Dialog zu führen, weil der Vorwurf des Rassismus alles überlädt. Anstatt die verbindenden sozialen Interessen nach vorne zu stellen. Natürlich haben viele Menschen in unserer Gesellschaft rassistische Einstellungen. Doch was nützt ein Bündnis wie AgR mit der SPD und den Grünen, das „gegen“ etwas oder jemanden ist und das weitgehend die realen oder eingeredeten materiellen Gründe für den Aufstieg der Rechten ausblendet? Wie soll der Vorwurf des Rassismus überwunden und ein ernsthaftes Gespräch mit echten oder potentiellen AfD-Wählern zustande kommen, wenn marx21 gleichzeitig die unrealistische Forderung nach “offenen Grenzen für alle Menschen” mit aller Macht verteidigt? Wie soll man sich als ernsthafte eigenständige Alternative gegenüber dem neoliberalen Mainstream und den Rechten präsentieren, wenn die Bewegungslinken um Kipping/Riexinger aus Angst vor der AfD, öffentlich schon darüber reden, mit der allen etablierten Parteien gegen die AfD zu kämpfen? Breite Bündnisse sind ja schön und gut und ab und zu richtig, aber wo ist der eigenständige, explizit linke Ansatz dieser Einheitsfront-Politik?

Vielleicht könnte man auch von einem oft hilflosen Anti-Faschismus sprechen, der oft nur moralisch daherkommt und mitunter mehr denjenigen, die sich hierbei engagieren, als selbstvergewissernder Schulterklopfer dient, denn wirklich etwas verändern zu wollen. Und sich auch mal zu trauen, sich zwischen alle Stühle zu setzen.

Der Spiegel hatte in seiner Ausgabe vom 30.12.2017 sehr gut den Politikansatz des Kipping-Lagers umschrieben. In dem Artikel „Das Herz schlägt rechts“ wird beschrieben, wie Kipping bei einer Veranstaltung von einer erwerbslosen Frau etwas gefragt wird: ob Kipping alle, die nicht möchten, dass mehr Migranten ins Land kommen, nun aufgeben werde. Kipping antwortet mit keiner Silbe auf die Frage. Ihr vehementes Eintreten für „offene Grenzen für alle“ kann man jedoch als Antwort werten – auch wenn sie selber betont, dass es dabei nur darum gehe, Haltung zu zeigen. Selbst wenn diese gar nicht umsetzbar ist. Wenn aber eine nicht für die Praxis gedachte Haltung schon das Gespräch mit Bürgern verunmöglicht, sollte sie vielleicht abgelegt werden.

Die Debatte der vergangenen Wochen und Monate in der LINKEN dreht sich um Migration, nicht um Asylpolitik. Denn in der Asylpolitik kann ich keine wirklich gravierenden Unterschiede erkennen. Die Debatte dreht sich vielmehr um die Einwanderungspolitik. Hier hatten die Ost-Landesverbände eine Art Konzept entwickelt, das auch Kipping unterstützt. Dieses Konzept würde nahezu allen das Recht geben, immerzu nach Deutschland einzuwandern und zu bleiben. Eine faire Regulierung der Einwanderung, wie es vor einigen Wochen in einem Thesenpapier vorgeschlagen wurde und wie es etliche andere europäische Linksparteien vertreten, wird von dem Kipping/Riexinger-Lager abgelehnt. Im Leitantrag des jetzt anstehenden Parteitags steht übrigens nachweisbar nicht „offene Grenzen für alle“, weswegen Sahra Wagenknecht auch kein Problem mit dem Text hat. Die Vorsitzenden behaupteten dann jedoch, dass „offene Grenzen für alle“ gemeint sei – obwohl es dort nicht steht. Ein Kindergarten, denn als Vorsitzende haben sie den Text des Leitantrages geschrieben. Wenn sie „offene Grenzen für alle“ meinen, hatten sie jede Gelegenheit, dies auch zu schreiben.

Warum wird das Thema überhaupt so hoch gehangen, wenn es doch – wie auf den Nachdenkseiten zu lesen war – eher eine Phantomdebatte ist. Denn jeder weiß, dass offene Grenzen für alle nicht umsetzbar ist, was ja auch deren Befürworter eingestehen. Dennoch fordern es einige. Weshalb? Insbesondere, weil man dadurch bei einem Wählermilieu (vor allem gering qualifizierte Beschäftigte, Arbeiter und Erwerbslose) eher verliert? Die Antwort scheint mir banal: Über das Thema Migration versucht der Flügel um Kipping/Riexinger Sahra Wagenknecht immer wieder (moralisch empört) zu attackieren, bis sie aufgibt. Man muss wissen, dass die vermutlich am Samstag beginnende Amtszeit die letzte für Kipping/Riexinger als Parteichefs sein wird, denn laut Satzung der LINKEN ist es unüblich, dass jemand länger als acht Jahre ein Parteiamt bekleidet. Welchen Posten sollen Kipping und Riexinger denn in zwei Jahren einnehmen? Die Fraktionsklausur im vergangenen Herbst hat hier meiner Meinung nach einen Hinweis gegeben: Es ist gut möglich, dass Kipping Wagenknecht als Fraktionschefin beerben möchte. Dafür müsste Wagenknecht aber weichen, denn eine Zusammenarbeit dieser beiden erscheint unwahrscheinlich. Vermutlich wird deswegen weiter ohne Unterlass an Wagenknechts Stuhl gesägt werden, damit sie binnen der nächsten zwei Jahre aufgibt. Das Thema Migration eignet sich da besonders gut, um die Widersacherin mit vermeintlich moralischer Überlegenheit kaltzustellen. Mit unseriösen Positionen und instrumentalisiertem Streit kann man nicht erwarten, dass die Partei erfolgreicher wird.

Europapolitische Fehlentscheidungen

Während der Hochzeit der Euro- und Finanzkrise wurde immer deutlicher, dass die Politik der Bundesregierung und der Troika, den Krisenländern mit Kürzungsprogrammen verbundene, immer neue Kredite aufzuzwingen, katastrophal enden wird. Oskar Lafontaine schlug damals vor, dass man sich als LINKE wieder kritischer gegenüber der gemeinsamen Währung geben müsste und die Konstruktion des Euros angreifen müsste. Er hat Recht, denn neben dem deutschen Lohndumping ist natürlich die nicht neutrale Architektur der Eurozone einer der Hauptgründe für die Krise. Nichts anderes hatte einst die PDS als Position, als der Euro eingeführt wurde: „Euro – so nicht“, sagte Gysi 1998 treffend. Riexinger und Kipping wischten Lafontaines Vorschlag einfach weg. Kurz darauf konnte die AfD sehr große Erfolge feiern mit Positionen gegen die völlig falsch konstruierte Gemeinschaftswährung. Freilich sind deren Positionen national-konservativ und marktliberal und ganz sicher will man als LINKE nicht alle AfD-Unterstützer bei sich haben. Aber die bei vielen Menschen verbreitete unklare Ablehnung gegen den Euro hat DIE LINKE damals und heute nicht mal in Ansätzen für sich genutzt, obwohl es von Beginn an die richtige Position der damaligen PDS war.

Selbst seitdem im Sommer 2015 die Troika die linke griechische Regierung, die auf eine Lösung innerhalb der Eurozone gehofft hatte, erpresst und unterworfen hat, wollen Kipping und Riexinger nicht mal über einen Plan B reden. Sie nahmen nie an Plan-B-Konferenzen teil. Der Plan B, den unter anderem Jean-Luc Mélènchon und Oskar Lafontaine erfanden, sieht vor, dass man versucht, auf EU-Ebene Dinge zu ändern (zum Beispiel im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik). Gelingt dies nicht, weil es keine Mehrheit in der EU für Vertragsänderungen gibt, will man unilateral Maßnahmen ergreifen. Bis dahin, dass man auch einen Exit aus dem Euro und seinem marktliberalen Vertragswerk samt EZB in Erwägung zieht. Statt diese wichtige Debatte nach der Kapitulation von Syriza zu führen, halfen Kipping/Riexinger Gregor Gysi dabei, Präsident der Europäischen Linkspartei (EL) zu werden. Seine Mission dort: jegliche zu EU-kritische Position zu unterbinden, denn Gysi ist mittlerweile politisch extrem angepasst. Die Weigerung, sich einer wichtigen Debatte überhaupt nur zu stellen, ist eine der erfolglosesten Aspekte der Parteivorsitzenden Kipping und Riexinger, denn dank ihnen und Gysi ist die EL klinisch tot. Nur noch die brav Kürzungspolitik ausführende griechische Syriza und die bei Wahlen immer unbedeutendere Kommunistische Partei Frankreichs sind ihre Verbündeten. Der relevante Rest hat sich trotz weiter bestehender Mitgliedschaft verzogen. Die Portugiesen des Bloco, die Dänen der Enhedslisten, die Schwedische Linke, Podemos und die neue italienische Bewegung Potere al Popolo gruppieren sich um Mélènchons La France Insoumise (LFI). Die links- bzw. grün-liberalen Kräfte gehen neuerdings zu Varoufakis‘ DIEM25-Zusammenschluss. Die EL hat sich mit ihrer angepassten Strategielosigkeit unter maßgeblicher Führung der deutschen LINKEN-Politiker selbst ins Abseits gestellt (zum Hintergrund siehe zum Beispiel hier).

Diese Isolierung hat auch mit falschen Politikansätzen in der Europa- und Außenpolitik zu tun. Zum Beispiel damit, dass Katja Kipping ernsthaft sagt, dass soziale Politik nicht mehr im Rahmen des Nationalstaates möglich sei. Und damit, dass Bernd Riexinger verächtlich vor der Sackgasse des Nationalkeynesianismus (sic!) warnt. Man fragt sich, was die beiden eigentlich wollen? Denn fast alle sozialpolitischen und Umverteilungs-Forderungen der LINKEN sind keynesianische Forderungen, die auf den deutschen Nationalstaat beschränkt sind. Mehr EU kann bei den derzeitigen Verträgen kaum gut sein. Es kann wohl kein besseres Beispiel dafür geben, sich selbst handlungsunfähig und für Wähler unattraktiv zu machen. Wenn nationale Sozialpolitik nicht mehr möglich oder erstrebenswert sein soll, warum sollen die Menschen dann noch DIE LINKE wählen, die ja zu Wahlen in Deutschland antritt? Warum sollen sie überhaupt wählen, wenn es offensichtlich unmöglich ist, national etwas zum Positiven zu verändern? Und warum sollen sie dann nicht vielleicht lieber die AfD wählen, die ihnen (mit rechter Demagogie) den Eindruck vermittelt, man könne noch was verändern?

Im Zweifel mit dem Establishment

Bei der französischen Präsidentschaftswahl 2017 erreichten die extrem rechte Marine Le Pen sowie der neoliberale Ex-Banker Emmanuel Macron die Stichwahl. Der erfolgreiche linke Kandidat Jean- Luc Mélènchon holte beachtliche fast 20 %. Kipping und auch Gysi preschten vor und riefen völlig unnötigerweise unsere Nachbarn unisono zur Wahl von Macron auf, weil die Medien hyperventilierten. Die deutschen LINKE-Politiker warteten noch nicht einmal ab, was Mélènchon vorschlagen würde. Der französische Linkspolitiker und seine Bewegung La France Insoumise (LFI) waren dabei viel cleverer. Mélènchon sagte öffentlich nur, dass man nicht Le Pen wählen solle und rief persönlich nicht zur Wahl von Macron auf, sondern ließ trotz medialen Donners gegen ihn eine Online-Abstimmung unter den LFI-Anhängern durchführen. Damit hatte sich LFI klar von den Rechten und dem neoliberalen Mainstream unterschieden. Eine eindeutige Botschaft an die Franzosen, dass es eine eigenständige dritte Alternative gibt – die nicht für die zu erwartenden Kürzungen unter Macron mitverhaftet werden konnte.

Dass Kipping und leider auch Riexinger sowie ein Teil der Partei DIE LINKE sich nicht traut, für ihre Überzeugungen den Druck des medialen Mainstreams auszuhalten, konnte man auch beim Thema Frieden beobachten. Nicht nur, dass ich mich an keine große proaktive dauerhafte Initiative für Frieden und Abrüstung und gegen die NATO von Katja und Bernd erinnern kann, sie kuschten auch. Vor ein paar Jahren traten die sogenannten Friedensmahnwachen auf. Es waren tatsächlich einige Irre dabei, mancherorts versuchten Rechte, sie zu kapern. Aber statt zu versuchen, das Ganze nach links zu ziehen, indem DIE LINKE massiv und koordiniert in diese Bewegung “reingeht” bzw. wenigstens von Stadt zu Stadt abzuwägen, wo dies sinnvoll sein könnte, wie u.a. der hoch geschätzte Andrej Hunko vorschlug, forcierten Kipping und Riexinger und andere in der Partei, wie der stellv. Vorsitzende Tobias Pflüger, eine öffentliche Abgrenzung – waren gleichzeitig aber nicht in der Lage oder wollten keine eigenen Aktivitäten aufbauen bzw. Angebote schaffen. Wenn man sich aber gemeinsam mit dem kriegsgeilen Medien-Mainstream über die pauschal als irre Friedensfreunde und Aluhüte Verunglimpften auslässt, ist das in der Sache kaum förderlich.

Während die politische Rechte im Land pro-aktiv Demos organisierte, die “Merkel muss weg” skandierten, traute sich DIE LINKE sowas nicht. Mancherorts demonstrierten LINKE und Antifa-Jugendliche reflexhaft gegen diese rechten Aufmärsche und erweckten zum Teil den Eindruck, sie verteidigten Merkel. Bizarr. Denn natürlich müsste auch DIE LINKE diese Forderung proaktiv für alle vernehmbar erheben, dass Merkel abgelöst werden muss. Nur aus unterschiedlichen Beweggründen wie die Rechten. Gerne verwenden Kipping und Riexinger den Slogan “Partei in Bewegung”, aber einiges an zu organisierender Bewegung haben die beiden in den vergangenen Jahren ziemlich verschlafen – insbesondere dort, wo sie DIE LINKE als wirkliche Alternative zu extremen Rechten und dem konservativ-liberalen Mainstream hätten positionieren können.

Verankerung

Mir fallen weitere Punkte ein, wo ich leider keinen Fortschritt in den vergangenen sechs Jahren erlebt habe. Die Verankerung in den Flächenländern zum Beispiel. Im Westen sitzt DIE LINKE nur in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie in Hessen und im Saarland im Landtag. Hier gibt es seit Jahren kaum Verbesserungen. Auch im Osten hat DIE LINKE massiv im ländlichen Raum verloren. Diese Entwicklung ist nicht neu, doch anstatt endlich eine ausgefeilte Parteiaufbau-Strategie für den ländlichen Raum zu entwickeln, scheinen die Parteivorsitzenden lieber auf die urbanen Milieus zu setzen. Das wird aber vermutlich nicht reichen, um die Partei dauerhaft zu stärken und in den Bundesländern zu verankern.

Auch die Unterstützung in Betrieben und Gewerkschaften ist für DIE LINKE weit unter ihren Möglichkeiten – und das, obwohl mit Riexinger ja ein Gewerkschafter seit sechs Jahren Parteivorsitzender ist. Bei den Bundestagswahlen war DIE LINKE unter Gewerkschaftern hinter der AfD nur die vierte Kraft: 12% gaben der LINKEN ihre Stimme – fast drei Prozent mehr als im Wählerdurchschnitt. Aber sie stagniert, wenn man bedenkt, dass DIE LINKE bzw. die Vorgängerpartei Linkspartei.PDS schon 2005 11,8%, 2009 sogar 17,1% und 2013 11% bei den Gewerkschaftsmitgliedern holten. Damit kann man nicht zufrieden sein. Es gibt zudem fast gar keine LINKE-Betriebsgruppen – also LINKE-Mitglieder und Sympathisanten in einem Betrieb, die auf der Arbeit und in ihrer Gewerkschaft organisiert für linke Politik streiten. Dies wurde über Jahre nicht – leider auch nicht von Riexinger – vorangetrieben. Manchmal denke ich, dass wir damals in der DKP der 1980er Jahre breiter in Betrieben verankert waren als DIE LINKE heute. Der Eindruck kann mich täuschen, aber die Behäbigkeit der LINKEN auf diesem Gebiet ist schon auffällig.

Während ich in den ersten Jahren immer Sympathien für Bernd Riexinger hatte, konnte ich mit Katja Kipping von Beginn an wenig anfangen. Sie überzeugte mich nie und kämpft dann auch noch für das Bedingungslose Grundeinkommen. Das lehnen alle seriösen linken Ökonomen, die Gewerkschaften und der Armutsforscher Butterwegge mit Recht ab. Dennoch leistet sich die Partei DIE LINKE an ihrer Spitze eine Repräsentantin, die in einer der absoluten Kernfragen linker Politik – der Sozialpolitik – einen falschen Ansatz fährt. Das ist wirklich ein großer Fehler. Zum Beispiel, wenn man daran denkt, dass Kipping am Vorabend des 1. Mai oder an Marx’ Geburtstag öffentlich nicht für die Mehrheits-Forderungen der Partei oder der Gewerkschaften/der Arbeiterbewegung geworben hat, sondern für ihr Grundeinkommen.

Öffentliches Auftreten

Ein letzter Punkt, der mir in den vergangenen Jahren an der Parteiführung und auch ihrem Umfeld nicht gefiel und der sicherlich dazu beigetragen hat, dass DIE LINKE für die Mehrheit der Menschen in diesem Land nicht attraktiver geworden ist, war die Art und Weise, wie sie sich öffentlich äußerten. Und damit auch die Stimmung in der Partei regelrecht vergifteten. Es beschädigt die Partei, wenn die Parteivorsitzende, die Schaden von der Partei abwenden sollte, die Fraktionsvorsitzende und einen Teil der Mitgliedschaft öffentlich indirekt als AfD-light bezeichnet. Wie soll nach solchen Vergleichen noch eine sachliche Diskussion stattfinden können? Ähnliches gilt für das Umfeld der Parteivorsitzenden: der ehemalige Bundestagsabgeordnete Jan van Aken, ein enger Vertrauter Kippings, sprach sich im Jahr vor der Bundestagswahl öffentlich für den Rücktritt von Wagenknecht aus und regte sich gekünstelt auf, um gegen Wagenknecht schießen zu können, als die Linksfraktion den einstigen General Harald Kujat zu einem Gespräch über Syrien einlud. Die bayerische Spitzenkandidatin der LINKEN, Nicole Gohlke vom Trotzkisten–Netzwerk marx 21, setzte mit Mitstreitern durch, dass man als Stadtverband München Sahra Wagenknecht im Wahlkampf auf keinen Fall einladen wolle. Daraufhin luden zwei Münchner Ortsverbände Wagenknecht ein, aber Gohlke wollte laut Genossen vor Ort noch nicht einmal zusammen mit Wagenknecht auf der gleichen Bühne stehen und nahm nicht an der Kundgebung teil. Dass es gewiss auch Wagenknechts Popularität zu verdanken ist, dass DIE LINKE erstmals sieben Bundestagsmandate in Bayern erringen konnte, scheint da offensichtlich nicht so wichtig zu sein. Es geht ja darum, Wagenknecht zu isolieren. Schließlich äußerte sich im Frühjahr der LINKEN-Politiker Niema Movassat – auch ein Anhänger der Parteivorsitzenden – anlässlich einer in der taz als gegen Wagenknecht beschriebenen Konferenz. Movassat suggerierte, dass Wagenknecht keine Positionen des linken Flügels mehr vertrete – in Gänze. Er schob dann noch dreist hinterher, man wolle „eine sachliche Streitkultur“. Aha. Nach den davor getätigten, gewiss nicht sehr sachlichen Aussagen dürfte das schwierig werden

Während Katja Kipping oder Bernd Riexinger nie müde wurden, in der Öffentlichkeit Sahra Wagenknecht zu kritisieren oder sich von ihr zu distanzieren, war stets wenig von ihnen zu hören, wenn Bodo Ramelow als Thüringer Ministerpräsident der LINKEN bei der PKW-Maut oder der Autobahnprivatisierung im Bundesrat zustimmte. Es drängt sich der Verdacht auf, dass in der Parteizentrale mit zweierlei Maß gemessen wird.

Ein derartiges öffentliches Auftreten, das massiv darauf abzielt, die beliebteste Politikerin der eigenen Partei zu beschädigen, wirkt auf die Wähler sicherlich nicht ansprechend. Sicherlich auch ein Grund für die Stagnation der LINKEN.

Abschließend vielleicht noch dies: Ich würde niemals behaupten, dass Sahra Wagenknecht perfekt ist. Sie sagt selbst von sich, sie sei keine gute Netzwerkerin. Ich hielt auch das Wort Gastrecht, das sie einmal gesagt hat, für falsch und nicht klug. Sahra Wagenknecht abzusägen, wäre aber das Dümmste, was DIE LINKE tun könnte.

Es ist die Aufgabe von Parteivorsitzenden, Debatten in sachliche Bahnen zu lenken, sie nicht zu unterdrücken und eine Partei zusammenzuhalten. Dazu gehört auch, einen ausgeglichenen Parteivorstand an diesem Wochenende zu wählen. Doch Katja und Bernd haben, das ist ein echtes Novum in der LINKEN, für jeden Posten des geschäftsführenden Parteivorstands jemanden aus ihrem Lager ins Rennen geschickt. Worte darüber, dass es die Stärke der LINKEN sei, plural zu sein, sind offenbar nur Schall und Rauch, wenn es darum geht, die eigenen Leute zu versorgen.

Da es vermutlich keine Gegenkandidaten gegen Kipping /Riexinger geben wird, kann ich nur hoffen, dass beim anstehenden Parteitag einige kritische Fragen gestellt werden. Und dass sich dadurch der Kurs der alten und vermutlich auch neuen Vorsitzenden ändern wird und somit auch die Stimmung in der Partei wieder besser werden wird. Denn so geht es wirklich nicht weiter. Ohne inhaltliche und strategische Neuorientierung sowie endlich einem sachlichen, professionellen Auftreten nach Außen kommt DIE LINKE ganz sicher nicht aus der 10%-Falle.