Italien – Ein marktkonformer Putsch von oben
Staatspräsident Sergio Mattarella könnte als der Mann in Italiens Geschichte eingehen, der die Weichen für das Ende der Republik gestellt hat. Um eine Regierung aus Lega und fünf Sternen zu verhindern, verweigerte er dem Kabinett des designierten Ministerpräsidenten Conte seine Zustimmung, nur um einen Tag später eine “Technokraten-Regierung” unter Führung eines ehemaligen hohen IWF-Vertreters bilden zu lassen. Da diese Regierung keine Chancen im Parlament hat, wird es wohl auf Neuwahlen hinauslaufen. Doch was sollen die bringen? Die einzige “Perspektive” scheint mittel- bis langfristig eine Rechtsaußen-Regierung unter Führung der Lega zu sein. Dann werden auch deutsche Medien wieder mit gespielter Naivität fragen: Wie konnte es nur so weit kommen? Dabei sollte es doch bekannt sein, dass rechtsextreme Regierungen nicht vom Himmel fallen. Von Jens Berger.
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Paolo Savona – ein Buhmann, der wie gerufen kommt
Viel ist derzeit die Rede von Paolo Savona. Der Ökonom sollte nach Wunsch von Lega und fünf Sternen künftiger Finanzminister werden. Präsident Mattarella pickte genau diese Personalie heraus, um die Regierungsbildung zu torpedieren. Warum? Offiziell ließ Mattarella verkünden, er könne doch keinen Kandidaten akzeptieren, der „einen Euro-Ausstieg Italiens ins Spiel bringe“. Das ist natürlich Unsinn. Überzeugender ist schon eine zweite Erklärung, nach der es die „Unsicherheit“ italienischer und internationaler Investoren war, die Mattarella zu seiner Blockade getrieben habe. Da ist sie wieder – die demokratisch nicht legitimierte „Macht der Märkte“, mit der man die Ergebnisse einer demokratischen Wahl ganz einfach aushebelt.
Im konkreten Fall kommt erschwerend hinzu, dass dies sogar auf mehr als fragwürdiger Faktenbasis geschieht. Savona hatte schließlich nie gefordert, dass Italien aus dem Euro austreten solle. Er bezeichnet in seinem jüngsten Buch den Euro vielmehr als „Käfig“ für Italien – dem würde wohl kein progressiver Ökonom ernsthaft widersprechen. Savona schrieb auch, dass der Euro auf Italien einen ähnlichen Effekt hätte wie der Versailler Vertrag 1919 auf Deutschland. Und damit hat er ja auch streng genommen Recht. Als Ausweg schlug er daher einen “Plan B” vor, ein glaubhaftes Ausstiegsszenario aus dem Euro, mit dem Italien zusammen mit dem Rest Südeuropas Deutschland und seinen geldpolitischen Partnern “substanzielle Zugeständnisse abringen” könne. Ein ganz ähnliches Konzept verfolgte damals übrigens Griechenlands Finanzminister Varoufakis. Ist Savona deshalb ein „Eurogegner“, ein „Deutschland-Feind“ oder gar ein „Deutschland-Hasser“ , wie unsere Qualitätszeitungen es mutmaßen? Wohl kaum. Unabhängig davon, welche Positionen Paolo Savona ansonsten vertritt, taugen die Zitate, die in den Medien aktuell genannt werden, sogar eher dazu, ihm eine gewisse Kompetenz in Währungsfragen zuzusprechen.
Hinzu kommt, dass Mattarella mit falschen Karten spielt. Als Präsident kann er im Falle eine Falles doch ohnehin sein Veto gegen Gesetzesvorlagen einlegen, die seiner Meinung nach zu einem “Euro-Ausstieg” führen und als Ultima Ratio könnte er sogar das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen. Die Weigerung, das Kabinett Conte zu ernennen, hat also nichts mit einem angeblichen “Euro-Ausstieg” zu tun.
Endstation – bitte rechts aussteigen
Worum geht es Mattarella dann? Das ist wohl die Eine-Million-Euro-Frage. Einerseits wird spekuliert, dass er als altehrenwerter Sozialdemokrat eine Regierung mit Beteiligung der nationalistischen Lega verhindern wolle. Wäre dies wirklich sein Ziel, hätte er mit seiner Blockade das genaue Gegenteil erreicht. In den aktuellen Umfragen (und die stammen aus den Wochen vor der Regierungsbildung) steht die Lega mit 26% fast 10 Prozentpunkte besser als bei den Wahlen da und die offene antidemokratische Blockade des Präsidenten dürfte der Partei noch mehr Wähler bescheren. Beste Schützenhilfe bekommt die Lega dabei übrigens von den deutschen Leitartiklern, denen die frühsommerliche Hitze offenbar nicht so gut bekommt. Ein an Dummheit kaum zu übertreffender Kommentar des SPON-Trolls Jan Fleischhauer wurde von Lega-Chef Salvini gar als Beispiel für die Arroganz Deutschlands instrumentalisiert. Über Munition in einem sicherlich sehr schmutzig werdenden Wahlkampf mit antideutscher Ausrichtung muss sich die Lega sicher keine Sorgen machen. Die leitartikelnden Edelfedern liefern mit deutscher Gründlichkeit pünktlich.
Auch wenn es viele Kommentatoren immer noch nicht wahrhaben wollen: Ein Mitte-Links-Bündnis unter Führung der Sozialdemokraten, die momentan im freien Fall sind, wird es auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Und ein Mitte-Rechts-Bündnis unter Führung von Berlusconi wird es sogar nie wieder geben; dafür sind die Kräfte- und Machtverhältnisse am rechten Rand zu eindeutig zur Lega gewandert und mit seinen 81 Jahren wird Berlusconi daran auch nicht mehr viel ändern können: La Repubblica berichtete vor wenigen Tagen sogar unter Berufung auf Original-Zitate von einem Treffen zwischen dem Lega-Chef Salvini und Berlusconi, in dem Letzterer die Führung im Mitte-Rechts-Bündnis anbot und bereits von einem “sicheren Sieg” bei Neuwahlen schwadronierte.
Was würde denn passieren, wenn Präsident Mattarella nun seine “Technokraten-Regierung” ernennt? Da man sicher nicht davon ausgehen kann, dass die beiden Kammern des Parlaments diesen Putsch von oben akzeptieren und der Regierung ihre Zustimmung geben, müsste Mattarella Neuwahlen ausrufen. Die würden frühestens im Oktober stattfinden und entweder mit einer absoluten Mehrheit eines ehemals Mitte-Rechts-, nun eher Rechts-Rechtsaußen-Bündnisses unter Führung der Lega oder zu einem wiederholten Patt zwischen Lega und fünf Sternen führen, was dann gemäß der “Logik” Mattarellas einmal mehr zu Neuwahlen führen müsste. Italien würde also so lange provisorisch von den “Technokraten” regiert, bis das Volk derart erzürnt ist, dass es entweder den fünf Sternen oder – was wahrscheinlicher ist – der nationalistischen Lega die absolute Mehrheit verschafft. Und dann? Ist es das, was der alte Sozialdemokrat Mattarella wirklich will?
Wohl kaum. Mattarella ist nicht nur ein “tragischer Held”, sondern vielmehr ein Getriebener Brüssels, Berlins und der Märkte. Eine erste Machtprobe der Finanzwelt gegen die Demokratie ging bereits ganz im Sinne der Märkte aus. Kein “Whatever it takes” von der EZB, keine Solidaritätsbekundungen aus Brüssel oder Berlin. “Europa” scheint mit dem Votum der Wähler nur dann etwas anfangen zu können, wenn man die “Richtigen” wählt und die Dominanz und ideologische Borniertheit Deutschlands nicht ernsthaft in Frage stellt. Bis Oktober, und wenn es aus Sicht “der Märkte” gut läuft, sogar bis weit ins Jahr 2019 hinein, ist das nächste Kapitel der “Eurokrise” erst einmal vertagt und der Wille der Deutschen Bank und des deutschen Finanzministeriums wird in Italien von treuen Technokraten exekutiert.
Wer nun meint, die Italiener fänden dadurch wieder zu dieser EU zurück und würden womöglich in Scharen zum deutschen Darling Matteo Renzi überlaufen, hat seine Rechnung jedoch ohne den Wirt gemacht. Wenn Berlin, Brüssel und die EZB in Frankfurt am Ende vor der normativen Kraft des Faktischen einknicken und erst einer kommenden Rechtsaußen-Regierung unter Lega-Chef Salvini den gestalterischen fiskalischen Freiraum zugestehen, mit dem auch eine Anti-Establishment-Regierung unter Führung der fünf Sterne das Land hätte rumreißen können, ist dies ein Signal für alle Rechtsaußen innerhalb der EU. Wer ist denn nun der eigentliche Europagegner? Diejenigen, die das Ergebnis demokratischer Wahlen ignorieren und das Land von nicht legitimierten Technokraten regieren lassen oder aber diese Entwicklung gutheißen, wären schon mal aussichtsreiche Kandidaten.