Der letzte Posten an der Ostfront: Um die anti-russischen Grünen wird es einsam

Tobias Riegel
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Mit letzter Kraft stemmten sich die Grünen in den vergangenen Tagen gegen die Zeichen der Zeit: Diese Zeichen stehen auf eine Annäherung Deutschlands mit Russland, auf eine Distanzierung von den USA, auf eine Tendenz zur multipolaren Welt. Immer mehr Politiker und Redakteure trauen sich inzwischen, diese Realität nicht nur anzuerkennen, sondern sie vorsichtig als potenziell positive Entwicklung zu sehen, die man versuchen sollte, aktiv mitzugestalten – anstatt sie chancenlos zu bekämpfen und sie möglicherweise tragisch zu verpassen. Auf ihrem zunehmend einsamen russenfeindlichen Posten leistet den Grünen ausgerechnet ein Flügel der SPD Gesellschaft. Von Tobias Riegel

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Wer den vergeblichen Kampf eines Politikers mit der Realität erleben möchte, sollte sich das ZDF-Interview mit dem Grünen-Chef Robert Habeck vom Sonntag ansehen: Wie sich hier ein Polit-Profi heillos in seinem selbst ausgeworfenen Netz verheddert, wäre eigentlich ein amüsantes Schauspiel, wenn es nicht einen so ernsten Hintergrund hätte. Habeck muss in dem für ihn sichtlich unangenehmen Interview die unnachgiebige Russland-Position seiner Partei vermitteln – wahrlich keine einfache Aufgabe: Alle anderen Parteien wachen gerade auf, beziehungsweise sie werfen die durch anti-russische Medienkampagnen aufgebauten Einschüchterungen langsam, aber sicher ab – Linkspartei und AfD lehnen etwa die Sanktionen schon lange rundheraus ab, aber auch bei CDU, SPD und FDP gibt es jeweils wenigstens einen Flügel, der fordert, die Konfrontation zurückzufahren. Abgesehen von vereinzelten Ausreißern harren nur die Grünen wie ein Mann an der Ostfront aus – und werden dort zunehmend einsamer.

Das Habeck-Interview war nur der Höhepunkt einer Reihe von Versuchen der Grünen, das Treffen von Kanzlerin Angela Merkel mit Russlands Präsident Wladimir Putin im Vorfeld und parallel zu sabotieren. Bemerkenswert war nebenbei, dass der Interviewer vom ZDF, Thomas Walde, gegenüber Habeck konsequent nachhakte und dadurch dessen kaum haltbare Positionen zu Russland öffentlich ins Wanken brachte. Auch medial dreht sich der Wind: Noch vor wenigen Monaten wäre der Grünen-Chef in einem vergleichbaren Interview mit Samthandschuhen angefasst worden, weil er schließlich die „richtigen“, also russenfeindliche Positionen verbreitet. Plötzlich muss er sich für die gleichen Aussagen rechtfertigen, für die er kürzlich noch gefeiert wurde – herrlich.

Der offene US-Lobbyismus der Grünen

Statt der wichtigen russisch-europäischen Pipeline Nord Stream II, die die Grünen mit Zähnen und Klauen bekämpfen, fordert Habeck gebetsmühlenartig „europäische Lösungen“ der Energiefrage – wohl wissend, dass die utopisch sind. Darum meint er auch mutmaßlich US-amerikanische Lösungen, bei denen man russische Lieferungen mit Fracking-Gas aus den USA ersetzt. Geradezu besessen sind die Grünen vom „Schicksal“ der Ukraine, der man nicht zumuten dürfe, den lukrativen Gastransfer zu verlieren. Ginge es nach den Grünen, würde sich Deutschland wohl auf Gedeih und Verderb mit diesem gekaperten und gescheiterten Staat verknüpfen. Kein Wunder: Durch ihre offene Unterstützung des Putsches von 2014 haben die Grünen ihr eigenes Schicksal sehr vorschnell an die Ukraine gekettet.

Auffallend: Auch Habeck drückt sich normalerweise weitgehend in wolkigen und möglichst allgemeinen Politiker-Phrasen aus. Geht es aber um den Energiemarkt, dann wird es bei den Grünen sehr schnell merkwürdig konkret. In ihrem Kampf gegen die Pipeline Nord Stream II legen viele Grünen-Politiker einen kaum kaschierten US-Lobbyismus an den Tag, der in dieser Offenheit sogar dem von Norbert Röttgen nahekommt.

SPD verrät weiterhin Willy Brandts Erbe

Leider machte es die SPD am vergangenen Wochenende auch nicht viel besser und provozierte Russland selbst noch bei den Potsdamer Begegnungen, einem der letzten noch nicht zerstörten deutsch-russischen Formate. Es ist schwer zu glauben – ausgerechnet die SPD, die Partei Willy Brandts und der Ostpolitik, überholt die CDU bei der Zurückweisung und Provokation Russlands: Während Kanzlerin Merkel von Präsident Putin Blumen in Empfang nahm und essenzielle Projekte wie Nord Stream II weiter festklopfte, brannte Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) in Potsdam das altbekannte Feuerwerk an gestapelten Un-, Halb- und Viertel-Wahrheiten ab: Russland habe eine „über Jahrzehnte etablierte Friedensordnung mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Einmischung in die Ost-Ukraine massiv verletzt“. Russland habe „an seiner Westgrenze in der Region Kaliningrad nuklearfähige Kurzstreckenraketen aufgestellt“. Wir würden ein Russland erleben, „das sich offensiv in die Innenpolitik anderer Staaten einmischt und dort europafeindliche sowie separatistische Kräfte unterstützt“. Roth krönt seine Litanei mit der etablierten Wahrscheinlichkeitsrechnung: „Wir beobachten Cyber-Angriffe auch auf deutsche Regierungsnetze, die ihren Ursprung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in Russland haben. Auch für den Anschlag mit einem chemischen Kampfstoff in Salisbury zeigen alle Hinweise nach Russland.“ Selbst nach dieser Anhäufung verkürzter bzw. nicht belegter Vorwürfe war es Roth nicht peinlich, noch von der Bedeutung des Dialogs zu sprechen.

Dabei war Roth vielversprechend gestartet: „Mit der Ostpolitik von Willy Brandt und dem Prinzip des Wandels durch Annäherung hat die Bundesrepublik maßgeblich zum Frieden und letztendlich auch zur Wiedervereinigung Deutschlands und Europas beigetragen. Die sozialdemokratisch geprägte Ostpolitik entsprang dem Kalten Krieg und half, ihn zu überwinden.“ Aber eigentlich will er sich lieber von seinen großen sozialdemokratischen Vorgängern distanzieren: „Doch die bipolare Welt aus den Zeiten Willy Brandts und Egon Bahr gibt es eben nicht mehr.“ Leider gibt es auch keine SPD-Politiker vergleichbaren Formats mehr.