Iran, das Öl und der Dollar
Seit einigen Wochen kriegen wir von einigen Lesern wieder verstärkt Hinweise auf Artikel, die davon berichten, Iran plane, seine Ölverkäufe künftig nicht mehr in US-Dollar abzurechnen und dies sei für die USA der „wahre“ Kriegsgrund, da eine Abkehr vom „Petrodollar“ die USA in den sicheren Ruin stürzen würde. Diese Geschichte geistert in verschiedenen Variationen nun schon seit 2004 durch das Netz und wird leider immer häufiger auch von redaktionellen Medien kritiklos aufgegriffen. Das ist ärgerlich, da so ein Teil der gerechtfertigten Kritik an der unfairen Außenwirtschaftspolitik der USA auf eine ökonomisch falsche und daher unproduktive Schiene gelenkt wird. Zeit für einen unaufgeregten Blick hinter die Kulissen. Von Jens Berger.
In Nachhinein ist es nicht mehr so einfach, die genaue Herkunft der Geschichte vom „Kriegsgrund Petrodollar“ zu bestimmen. Ungefähr zeitgleich haben um das Jahr 2005 herum die beiden amerikanischen Autoren F. William Engdahl und William R. Clark begonnen, den „wahren“ Grund für den Angriffskrieg der von den USA geführten Koalition gegen Saddam Husseins Irak in einer angeblich von den Irakern geplanten Umstellung der Transaktionswährung ihrer Ölexporte von Dollar auf Euro zu sehen. Diese Aussage war übrigens schon damals schlicht falsch, da Irak aufgrund der internationalen Sanktionen seit 1996 offiziell sein Öl über das „Oil-For-Food-Programm“ der UN und dabei zu großen Teilen ohnehin in Euro verkaufte. Das konnte aber auch nicht verhindern, dass Engdahls „Century of War“ (2004) und besonders Clarks „Petrodollar Warfare“ (2005) zu Bestsellern wurden, die auch heute noch von Autoren aus diesem Spektrum als Quellen genannt werden. Seitdem zieht sich die Geschichte von einem Land, das plant, seine Exporte künftig in Euro (oder neuerdings in der chinesischen Währung Renminbi) abzurechnen, und daher wie Irak bald Opfer eines amerikanischen Angriffskriegs werden soll, wie ein roter Faden durch die Artikelspalten bestimmter Medien. Seit 2006 geht es dabei vor allem um Iran, der angeblich plant, sein Öl künftig nur noch gegen harte Euro zu verkaufen. Nebenbei: Iran stellt bereits seit 2003 für seine europäischen und asiatischen Kunden die Ölrechnungen in Euro aus und seit 2016 akzeptiert man generell keine Dollarzahlungen mehr – Grund dafür sind die US-Sanktionen. Doch bevor man zu sehr ins Detail geht, ist ein kleiner Ausflug in die ökonomischen Grundlagen angebracht – welche Rolle spielen Transaktionswährungen überhaupt im internationalen Handel?
Auf die Transaktionswährung kommt es nicht an
Dazu ein einfaches Beispiel: Wenn ein ungarischer Ölimporteur eine Lieferung über 100.000 Barrel Rohöl aus Iran ordert, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie er die Rechnung dafür bezahlt. Die erste Variante wäre die Bezahlung in US-Dollar. Der Ungar tauscht also seine Forint gegen Dollar ein und überweist sie an den Exporteur in Iran. Der führt seine Konten jedoch in iranischen Rials und tauscht seinerseits die Dollar, die er von seinem ungarischen Geschäftspartner überwiesen bekommen hat, daher in Rial um. Und welche Auswirkungen hat dieses Geschäft nun auf den Dollar? Die Antwort ist: Gar keine, da der Iraner die gleiche Menge an Dollar wieder auf den Markt wirft, die der Ungar zuvor vom Markt eingekauft hat – ein Nullsummenspiel. Und würde sich dies ändern, wenn der Handel nun in Euro abgerechnet wird? Nein. In diesem Falle tauscht der Ungar lediglich seine Forint in Euro um, die der Iraner dann wieder in Rial umtauscht. Die Transaktionswährung spielt bei solchen Geschäften erst einmal keine Rolle.
Wichtiger ist die Reservewährung
Natürlich ist die reale Welt etwas komplexer als dieses Grundlagenbeispiel. Volkswirtschaftlich ist es vor allem für kleinere Staaten ungemein wichtig, die eigene Währung gegenüber den Währungen für strategisch und ökonomisch wichtige Importe stabil zu halten. Denn wenn die eigene Währung gegenüber der Währung, in der man z.B. seine Öl- oder Gaslieferungen importiert, auf Dauer an Tauschwert verliert, verteuern sich diese Importe. Daher betreiben nahezu alle Zentralbanken dieser Welt eine Art aktives Währungsmanagement – man interveniert, wenn der Wechselkurs einen zuvor bestimmten Korridor verlässt. Aus diesem Grund macht es natürlich vor allem bei langfristigen Importverträgen Sinn, die Abrechnung in einer Währung festzulegen, die von der eigenen Zentralbank gegenüber der heimischen Währung aktiv abgesichert wird. Und hier kommt die sogenannte „Reservewährung“ ins Spiel. Dies ist die Währung, in der die nationalen Zentralbanken ihre Devisenreserven halten, um bei Kursschwankungen eingreifen zu können. Weltweit bestehen die Währungsreserven derzeit zu 64% aus US-Dollar und zu 20% aus Euro – dahinter kommen dann noch Schweizer Franken, Japanische Yen und das Britische Pfund. Der chinesische Renminbi stellt zur Zeit nur ein einziges Prozent der Währungsreserven dar.
Der Dollar ist also nicht deshalb Weltwährungsreserve Nummer Eins, weil Öl oft in Dollar gehandelt wird, sondern Öl wird oft in Dollar gehandelt, weil der Dollar Weltwährungsreserve Nummer Eins ist. Würde unser Ungar sein Öl aus Iran nämlich nicht in Dollar oder Euro, sondern beispielsweise Schweizer Franken bezahlen, wäre dies freilich ebenfalls ein Nullsummenspiel. Anders sieht es jedoch bereits bei einem Warentermingeschäft aus. Kauft der Ungar heute das Öl, das jedoch zum heute fixierten Preis (in Franken) erst am 1. August abgewickelt wird, müsste er sich bis zu diesem Zeitpunkt gegen Kursschwankungen zwischen dem Forint und dem Franken absichern. Das sind Zusatzkosten, die er natürlich scheut. Darum wird der Ungar im konkreten Fall bei einem Warentermingeschäft die Zahlung in Euro bevorzugen, da die ungarische Zentralbank den Forint gegenüber Kursschwankungen zum Euro absichert. Warentermingeschäfte sind bei Rohstoffimporten übrigens neben langfristigen Handelsverträgen die Regel. Und bei langfristigen Verträgen ist es noch wichtiger, eine Transaktionswährung zu wählen, gegen die die eigene Währung aktiv abgesichert ist.
Bis 1973 waren solche Fragen übrigens ziemlich egal, da der US-Dollar durch das Bretton-Woods-System eine Ankerwährung war, an die alle anderen wichtigen Währungen der Welt in einem System mit festgelegten Wechselkursbandweiten gekoppelt waren. Mit dem Ende von Bretton-Woods drohte der Ölmarkt, der durch die erste Ölkrise ohnehin bereits hyperventilierte, durch Währungsturbulenzen dauerhaft seine Stabilität zu verlieren. Um dies zu verhindern, verpflichtete sich Saudi Arabien als größter OPEC-Lieferant sein Öl fortan nur noch gegen US-Dollar zu verkaufen. Das war auch für andere Staaten durchaus sinnvoll, da so die ohnehin bereits vorhandene alte Ankerwährung als Reservewährung nun auch die wichtigen Ölimporte abdeckte. Wichtig ist jedoch: Hierbei ging es nur um die Transaktionswährung! Viel wichtiger ist jedoch, was der Verkäufer schlussendlich mit den Einnahmen macht.
Holländische Krankheit und Petrodollar-Recycling – die realen Währungsprobleme
Im oben genannten Beispiel tauscht der Ölexporteur Iran die Transaktionswährung Dollar bzw. Euro sofort nach dem Handel in seine Landeswährung ein. Dies würde jedoch langfristig zu einer steigenden Nachfrage nach dem iranischen Rial und damit einer Aufwertung der Währung führen. Solche Aufwertungen sind jedoch Gift für die Konkurrenzfähigkeit von Volkswirtschaften, da die einheimischen Unternehmen ihre Kosten für Löhne, Energie und Kapital ja in der einheimischen Währung aufbringen müssen. Die Folge einer solcher Währungsaufwertung durch großvolumige Rohstoffexporte bezeichnen Ökonomen als „Holländische Krankheit“ – benannt nach dem Problem der Niederlande mit der durch die Öl- und Gasexporte aus den Nordseevorkommen resultierenden Aufwertung des Gulden in den 1960-ern. Ähnliche Probleme haben auch Venezuela, Aserbaidschan und zum Teil auch Russland. Der einzig sinnvolle Ausweg aus der Misere stellt eine Praxis dar, die ironischerweise als „Petrodollar-Recycling“ beschrieben wird.
Wenn Iran in unserem Beispiel die Einnahmen nicht in die heimische Währung Rial umtauscht, sondern entweder direkt oder indirekt in einem anderen Währungsraum investiert oder aber in gleichem Umfang Güter aus einem anderen Währungsraum importiert, vermeidet es eine Aufwertung des Rial. Beispielhaft dafür sind sowohl Saudi Arabien als auch Norwegen. Wenn ein saudischer Prinz für 150 Millionen Dollar einen Modigliani ersteigert oder sich in Belgravia für Phantasiepreise eine Villa nach der anderen kauft, so trägt dies auch zur Stabilität des Saudi-Riyal bei, da die Devisenüberschüsse damit abgebaut werden. Auch die gigantischen Rüstungsimporte haben – aus rein ökonomischer Perspektive – nebenbei den Effekt der Stabilität der eigenen Währung. Norwegen wiederum hat einen „staatlichen Pensionsfonds“ aufgelegt, der ausschließlich in anderen Währungsräumen investiert und mittlerweile ein Volumen von mehr als einer Billion US-Dollar hat. Nur so kann das Land sich dagegen absichern, dass die eigene Währung durch die Öl- und Gasimporte unkontrollierbar aufwertet und das Land an der Holländischen Krankheit eingeht.
China greift den Dollar an?
Eine ähnliche Praxis verfolgt auch China bereits seit Jahren. Das Reich der Mitte erzielt Jahr für Jahr gegenüber dem Euro- und dem Dollarraum massive Außenhandelsüberschüsse und stößt dabei bereits beim „Recyling“ an die Grenzen. Vor diesem Hintergrund liest man auch Meldungen anders, nach denen Chinas Initiative, Ölimporte nicht mehr in Devisen, sondern in der Landeswährung Renminbi zu fakturieren, ein Plan sei, „den Öl-Dollar zu killen“. Hat China denn kein Interesse mehr daran, Dollar- oder Eurorecycling zu betreiben? Will man den Renminbi nun tatsächlich aufwerten, wie die USA es ja seit Jahren fordern? Denn das ist es ja, was die Autoren solcher Artikel immer wieder verwechseln – wenn China seine Devisenüberschüsse nicht reinvestiert oder für Importe ausgibt, stärkt dies mittel- bis langfristig die eigene Währung, was den USA sogar sehr gelegen käme.
Doch um eine Aufwertung wird es China dabei nicht gehen. Man hat vielmehr ein starkes Interesse daran, den Renminbi in Asien zur wichtigsten Reservewährung zu machen und seine Nachbarn so noch stärker an sich zu binden. Insofern würde es – auch in Bezug auf die chinesische Idee einer „Neuen Seidenstraße“ hin – durchaus Sinn machen, den Renminbi auch über eine Funktion als Öl-Handelswährung zu pushen. Zumindest in puncto Iran ist dies jedoch kein Angriff auf den Dollar, da Iran sein Öl an China ja in der Transaktionswährung Euro verkauft – aber „China greift den Euro an“ taugt wohl als Überschrift nicht so gut und wäre nebenbei bemerkt auch genau so unsinnig, da es sich ja „nur“ um die Transaktionswährung handelt.
Hedging und Warentermingeschäfte – es wird komplex
Kommt es also volkswirtschaftlich dann nur darauf an, was der Verkäufer mit den Einnahmen macht und die Transaktionswährung ist egal? Könnte Iran sein Öl dann auch in isländischen Kronen verkaufen? Theoretisch ja, aber darauf würden sich die Kunden wohl nicht einlassen. Denn wenn wir nicht den einzelnen Handelsvorgang, sondern die Summe aller Transaktionen betrachten, kommt ein ordentliches Volumen zusammen. Je größer der weltweite Markt für eine bestimmte Währung ist, desto besser eignet sie sich als Transaktionswährung für den Rohstoffhandel. Ökonomen sprechen hier von der „Liquidität“ des Marktes.
Besonders wichtig ist dieser Faktor, wenn es um Warentermingeschäfte und die damit verbundenen Möglichkeiten geht, sich gegen Preisschwankungen abzusichern. Ein großes ölverarbeitendes Unternehmen hat beispielsweise ein verständliches Interesse daran, sich gegen zu hohe Ölpreise abzusichern. Umgekehrt haben Ölexporteure ein ebenso verständliches Interesse daran, sich gegen zu niedrige Ölpreise abzusichern. Dies wird in der Praxis an den Finanzmärkten über sogenannte Derivate (Optionsgeschäfte, Futures) vollzogen, die vor allem für den Handel selbst eine wichtige Rolle spielen, um die Transaktionskosten und –risiken zu minimieren. Solche Derivatgeschäfte sind jedoch immer Nullsummenspiele, bei denen es eine zweite Partei benötigt, die den Gegenpart einnimmt. Würde unser ungarischer Ölimporteur heute ein Derivat kaufen, das ihm die Lieferung von 100.000 Barrel Rohöl am 1. Juni zum Preis von 70 US-Dollar garantiert, dann braucht er einen Handelspartner, der genau diesen Kontrakt erfüllen will. Ein solcher Markt kann also nur dann funktionieren, wenn möglichst viele Teilnehmer von beiden Seiten (also Käufer und Verkäufer) vorhanden sind.
Dies ist vor allem bei den großen Warenterminbörsen und bei den „Standardsorten“ WTI (Texas) und Brent (Nordsee) der Fall und führt zur paradoxen Situation, dass heute an den Warenterminmärkten noch saudisches, iranisches oder russisches Öl auf Basis des – in Dollar notierten – Preises für texanisches Öl gehandelt wird. Der WTI-Preis bezieht sich übrigens auf den Übergabeort Cushing, Oklahoma. Schon alleine dieser Punkt ist für einen Ölverkauf von Iran nach Ungarn ziemlich unsinnig. WTI hat dennoch an den Warenterminbörsen einen Marktanteil von 78%, Brent liegt bei 16% und die chinesische Alternative aus Shanghai liegt bei immerhin 6%.
Vorsicht bei bestimmten Nachrichten
Vor diesem Hintergrund lesen sich viele Nachrichten aus diesem Bereich ein wenig anders. Chinas ambitionierter Plan, künftig einen größeren Teil seiner Ölimporte nicht nur in der eigenen Währung zu bezahlen, sondern auch an der eigenen Warenterminbörse in Shanghai zu handeln, stehen beispielsweise vor allem die eigenen Kapitalverkehrskontrollen im Wege, die bislang dem Warenterminmarkt die nötige Liquidität vorenthalten haben. Es ist vollkommen verständlich, dass Staaten wie Russland und Iran, die Gegenstand amerikanischer Sanktionen sind, ein Interesse haben, das Settlement und Clearing nicht über das mit dem Dollar verbundene Finanzsystem in New York vorzunehmen, wo die US-Behörden volle Zugriffsrechte haben, und daher auf andere Transaktionswährungen und –formen ausweichen. Dies ist beileibe kein Einzelfall. Deutschland bezahlt beispielsweise seine Gasimporte aus Russland seit jeher in Euro bzw. früher in D-Mark. Seit Beginn der Sanktionen akzeptiert Gazprom von seinen Kunden generell auch den Euro als Zahlungsmittel, Iran verkauft Indien sein Öl in Rupien und China setzt endlich seine Pläne um, mit der eigenen Währung zu bezahlen. Dies sind nur drei Beispiele von vielen, die sich mühelos fortsetzen ließen – Kuba bezahlt seine Lieferungen aus Venezuela „traditionell“ geldfrei mit medizinischen Dienstleistungen im sogenannten „Ärzte-für-Öl-Programm“. Der US-Dollar hatte nie ein Monopol als Transaktionswährung besessen und seit der Globalisierung der letzten Jahrzehnte ist dies ohnehin seit Jahren nicht mehr Fall.
Die Umstellung der Transaktionswährung ist ein recht unspektakulärer Vorgang, der den Blick auf zwei sehr wichtige Faktoren verstellt. Dies ist zum Einen die Kontrolle über die Finanzsysteme, die momentan unilateral von den USA ausgeübt und für die eigene Sanktionspolitik missbraucht wird. Zum Anderen ist die Verwendung der Exportüberschüsse (das „Petrodollar-Recyling“) ein ungemein wichtiges Thema, das jedoch weit über die Frage der Öleinnahmen hinausgeht. China und Deutschland haben nämlich als Exportüberschuss-Weltmeister ein ganz ähnliches „Problem“ wie Saudi Arabien und Venezuela. Wohin mit den Devisen? Aber das ist ein anderes Thema.
Lassen Sie sich also bitte nicht durch Horrormeldungen verrückt machen, die suggerieren, die Frage von Krieg und Frieden sei eine Frage von Währungen. Die aggressive Politik der USA in Nah- und Mittelost ist auch so schon schlimm genug und muss auf jeden Fall scharf kritisiert werden. Wer dies mit einer falschen – leicht zu widerlegenden – Begründung macht, verschenkt jedoch nur seine Energie und erweist der Sache einen Bärendienst. Viel wichtiger wäre es, endlich die Dominanz der USA bei den Finanzstrukturen zur Sprache zu bringen. Denn dass die US-Behörden de facto die Bezahlung russischen Öls an Iran verhindern können, da sie über das SWIFT-System in Belgien und Clearing-Plattformen in New York gehen, ist an sich schon bemerkenswert und kritikwürdig – dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob Iran Russland nun in Dollar, Euro, Rubel oder in sambischen Kwachas bezahlt.