Siemens macht den besten Minister, den „wir“ je hatten, zum Aufsichtsrat – wo bleibt der Aufschrei?
Dass es Sigmar Gabriel nach seinem Abschied aus der ersten Reihe der Politik irgendwann in die Wirtschaft ziehen würde, war abzusehen. Ein wenig überraschend ist jedoch, wie schnell sein Seitenwechsel nun vonstatten ging und dass er ausgerechnet bei einem Unternehmen in Lohn und Brot geht, das er während seiner Amtszeit als Umwelt-, Wirtschafts- und Außenminister massiv protegiert hat. Sollten die Kartellbehörden grünes Licht für die Fusion der Zugsparte von Siemens mit dem französischen Alstom-Konzern geben, wird Gabriel dort dem Verwaltungsrat angehören und schätzungsweise rund 300.000 Euro Bezüge pro Jahr für einen sehr überschaubaren Arbeitsaufwand erhalten. Das hat nicht nur einen faden Beigeschmack, sondern stinkt förmlich nach einer Form der Korruption, die in Deutschland leider sehr weit verbreitet ist. Eine Neuregelung ist dringend nötig. Von Jens Berger.
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Wer oder was ist eigentlich „Siemens Alstom“? Hierbei handelt es sich um ein Unternehmen, das es strenggenommen noch gar nicht gibt und nach den Vorstellungen des Industriegiganten General Electrics wohl auch nie gegeben hätte. Der US-Konzern wollte nämlich 2014 den französischen Mischkonzern Alstom komplett übernehmen und hatte dafür auch schon grünes Licht der Alstom-Aktionäre und des Alstom-Managements. Die Vorstellung, mitten im Herzen der EU einen starken amerikanischen Konkurrenten heranwachsen zu sehen, stieß jedoch beim deutschen Mischkonzern Siemens auf heftigen Widerstand. Hinter den Kulissen machte man seinen Einfluss in der Politik geltend und daraufhin legte die französische Regierung ihr Veto gegen die Übernahme ein – das darf sie nach französischem Recht, wenn es sich um die „strategische Industriesparte“ handelt. Wirkmächtigster Lobbyist von Siemens war damals niemand anderes als der amtierende deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der sich in Gesprächen mit seinem französischen Kollegen Montebourg und dem französischen Präsidenten Hollande für den deutschen Konzern stark machte. Am Ende konnten die Deutschen jedoch nur einen Teilerfolg verbuchen – während General Electrics die besonders attraktive Energiesparte von Alstom übernehmen durfte, musste Siemens mit einer Fusion seiner Zugsparte (Siemens Mobility) mit dem Alstom-Rumpfkonzern, der nach der Aufspaltung fast ausschließlich deren Zugsparte umfasste, vorlieb nehmen. So soll hinter dem chinesischen Konzern CRRC der zweitgrößte Eisenbahnhersteller der Welt in deutsch-französischer Kooperation entstehen. Ob dies ohne die politische Einflussnahme von Sigmar Gabriel überhaupt geschehen wäre, steht zur Debatte.
Auch in anderen Fällen hat sich Gabriel in seiner Arbeit als Minister stets als treuer Partner des Siemens-Konzerns verhalten. Sein Einsatz für Strom aus Atom und Kohle als Umweltminister hat der Kraftwerksparte lukrative Aufträge verschafft. Bei seinen Reisen als Wirtschafts- und Außenminister waren Siemens-Manager stets mit im Gefolge. Auf Wunsch von Siemens lud Gabriel sogar den ägyptischen Diktator as-Sisi nach Berlin ein und fädelte – abgesichert durch Bürgschaften, für die der Steuerzahler haftet – einen 10-Milliarden-Euro-Deal für die Kraftwerkssparte von Siemens mit der ägyptischen Militärjunta ein.
Beim Wiederaufbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Iran war Gabriel ebenfalls der Wortführer innerhalb der Bundesregierung. Dagegen ist freilich nichts einzuwenden; nur, dass Gabriels Engagement Presseberichten zufolge ein Ergebnis des „Drängens“ des Siemens-Chefs Joe Kaeser war, der Iran gerne Züge und Kraftwerke verkaufen würde. 2016 ließ Kaeser auf der Asien-Pazifik-Konferenz das internationale Publikum wissen, was er von Sigmar Gabriel hält.
„Er ist der beste Wirtschaftsminister, den wir je hatten“.
Mit diesen Worten im Hinterkopf überrascht die Personalie Gabriel bei Siemens Alstom dann vielleicht doch nicht mehr.
Es gehört natürlich auch zu den Aufgaben eines Wirtschaftsministers, heimische Unternehmen im Ausland zu vertreten und ihnen bei der Auftragsvergabe zu helfen. Verpflichtet ist ein Bundesminister jedoch nicht der deutschen Wirtschaft, sondern dem deutschen Volk – und das gilt auch für den Bundeswirtschaftsminister. Bei Sigmar Gabriel suchte man diesen Grundsatz jedoch oft vergebens.
Ein Bundesminister erhält pro Monat 12.271 Euro „Dienstaufwandsentschädigung“ – natürlich netto. Inklusive steuerfreier Pauschalen kommt man als Wirtschafts- oder Außenminister so auf rund 150.000 Euro netto pro Jahr. Das gleiche Salär dürfte Sigmar Gabriel künftig als von Siemens nominierter Verwaltungsrat im Gemeinschaftsunternehmen Siemens Alstom beziehen. Da es das Unternehmen noch nicht gibt, muss man sich hier an Vergleichsgrößen orientieren. Laut Vergütungsbericht darf ein Aufsichtsrat bei Siemens mit Einkünften zwischen 150.500 und 617.000 Euro pro Jahr rechnen. Für einen Nebenjob, bei dem rund die Hälfte der Vertreter pro Jahr gerade einmal auf vier Sitzungen anwesend sind, ist dies mehr als stattlich. Und es ist klar, dass Gabriel diesen Posten nicht wegen seiner Qualifikation als Deutschlehrer bekommen hat, sondern weil er Siemens als Minister gewogen war.
Diesen Konflikt kann man nur sehr schwer im Sinne der Bevölkerung auflösen. Man kann dem Privatmann Gabriel ja nicht verbieten, eine Aufsichtsrats- oder eben Verwaltungsratsstelle anzunehmen. Was man aber regulieren könnte, wäre die Verwendung der Bezüge. So ist es für Gewerkschaftsmitglieder, die als Vertreter der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat sitzen, intern vorgeschrieben, dass sie ihre Aufwandsentschädigungen an die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung spenden. Ein solches Modell erscheint auch für ehemalige Amtsträger geboten. Es spräche ja nichts dagegen, dass ein Sigmar Gabriel sich als Aufsichtsrat verdingt, wenn er die üppigen Bezüge für einen wohltätigen Zweck spenden würde. Warum verabschiedet der Bundestag nicht einfach ein Gesetz, das hohen Amtsträgern vorschreibt, Einkünfte aus der Privatwirtschaft, die in Verbindung mit der öffentlichen Tätigkeit stehen, zu spenden?
Sigmar Gabriel war nun neun Jahre Bundesminister und hat zuletzt nach eigenen Angaben 260.000 Euro pro Jahr verdient, seine Pensions- und Rentenansprüche sind als ehemaliger Bundesminister, Bundestagsabgeordneter, Ministerpräsident von Niedersachen und SPD-Vorsitzender sicherlich in einer Größenordnung, von der eine ganze Familie mühelos auf einem sehr hohen Standard leben kann. Das sei ihm auch gegönnt. Auf Zusatzeinnahmen, die den Verdacht der Käuflichkeit nahelegen, ist ein Mann wie Sigmar Gabriel doch gar nicht angewiesen. Mein Vorschlag: Er könnte doch zusammen mit seinen ehemaligen Fahrensmännern Schröder, Riester, Müntefering und Co. eine Stiftung für Opfer der Agenda-Politik gründen, in die die Herren und Damen „Reformer“ ihre Bezüge, die über die üppige staatliche Alimentierung ehemaliger Spitzenpolitiker hinausgehen, spenden. Damit wäre der Gerechtigkeit zumindest in diesem Punkt genüge getan.