„Der Weg zu einem atomwaffenfreien Deutschland wäre einfach“
„Die Bundesregierungen wollen nicht wahrnehmen, dass die Sicherheit der eigenen Nation nicht einseitig und auf Kosten anderer Staaten erlangt werden kann“, sagt Bernd Hahnfeld im Interview mit den NachDenkSeiten. Damit verweist der Mitbegründer von IALANA, einer internationalen Organisation von Juristen gegen Atomwaffen, auf die seit Jahren andauernde Haltung verschiedener Bundesregierungen, einen Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2010 zum Abzug der Atomwaffen aus Deutschland umzusetzen. Ein Interview über die Gründe für dieses Verhalten der Regierung und die Möglichkeit, wie auf rechtlichem Wege durch Parlamentarier der Beschluss doch noch umgesetzt werden könnte. Das Interview führte Marcus Klöckner.
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Herr Hahnfeld, in einem Beschluss des Bundestages aus dem Jahr 2010 heißt es:
„Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich auch bei der Ausarbeitung eines neuen strategischen Konzepts der NATO im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten mit Nachdruck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.“
Wie sehen Sie diese Forderung im Hinblick auf den neuen Koalitionsvertrag?
Die bisherigen Bundesregierungen haben diese Verpflichtung nicht zur Kenntnis genommen. Vielmehr haben sie der Modernisierung der in Büchel stationierten Atomwaffen zugestimmt. Es ist zu befürchten, dass die neue Bundesregierung den Parlamentsauftrag weiterhin missachtet. Das vage Versprechen neuer Initiativen für Abrüstung und die Unterstützung von atomwaffenfreien Zonen ersetzen nicht den verlangten Abzug der Atomwaffen. Sie klingen wie inhaltsleere Floskeln und sollen offensichtlich der Beruhigung der zahlreichen Kritiker dienen.
Die bisherigen Positionen der Bundesregierungen, einen Abzug der in Deutschland stationierten Atomwaffen nur dann zu fordern, wenn dies im Rahmen einer allgemeinen atomaren Abrüstung geschieht, führte zwangsläufig zu einer politischen Lähmung. Denn die US-Regierungen haben wiederholt erklärt, auf Atomwaffen nicht zu verzichten, solange irgendein Staat über diese verfügt. Diese Position hat die Bundesregierung offensichtlich übernommen. Die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland wünscht jedoch den Abzug der Atomwaffen.
Im neuen Koalitionsvertrag erwähnt man einerseits Initiativen für Rüstungskontrollen und Abrüstung, andererseits ist von dem von Ihnen angeführten „angemessenen Beitrag zum Erhalt der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses“ die Rede.
Wo liegt das Problem?
Die von der NATO vertretene und für uns geltende Atomwaffenstrategie setzt auf die Drohung mit der gegenseitigen Vernichtung und blendet irrationale Verhaltensweisen ebenso aus wie Gefahren menschlichen und technischen Versagens. Die Atomwaffenbesitzer nehmen die Menschheit als Geisel für ihre eigenen politischen Interessen. Das dient letztlich keiner Seite.
Die Bundesregierungen wollen nicht wahrnehmen, dass die Sicherheit der eigenen Nation nicht einseitig und auf Kosten anderer Staaten erlangt werden kann. Im atomaren Zeitalter ist Sicherheit nicht mehr vor dem potentiellen Gegner, sondern nur mit ihm gemeinsam zu erreichen. Zu dieser Analyse sind die Mitglieder der Palme-Kommission bereits Anfang der 80-er Jahre gekommen. Neunzehn bedeutende Politiker und Fachleute aus Ost und West haben dabei mitgewirkt, darunter der frühere deutsche Bundesminister und Abrüstungsexperte Egon Bahr. Sie haben das Konzept der „gemeinsamen Sicherheit“ entwickelt.
Aber die Positionierung des Bundestages im Jahr 2010 war doch eindeutig. Wie erklären Sie sich das Verhalten der Regierung?
Hier verweise ich auf das bekannte Bild von den drei Affen. Wie die Politiker aller Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten verdrängen die deutschen Politiker die völkerrechtliche Verpflichtung zu ernsthaften Verhandlungen mit dem Ziel der vollständigen atomaren Abrüstung. Diese beruht auf dem Nichtverbreitungsvertrag und für alle Staaten der Welt darüberhinaus auf dem Völkergewohnheitsrecht. Das hat der Internationale Gerichtshof 1996 ausdrücklich bekräftigt. Unsere Regierung scheut die damit verbundenen Aufgaben und fürchtet die nicht berechenbare Situation für die Sicherheit des Landes in anderer Weise zu sorgen als durch den Rückgriff auf den sogenannten „atomaren Schutzschirm“ der Verbündeten. Nicht Hinzusehen ist beruhigender als das Angehen der notwendigen Veränderungen.
Es kann aber auch anders gehen, siehe Österreich.
Das ist richtig. Österreich hat 1999 ein Bundesverfassungsgesetz für ein atomwaffenfreies Österreich erlassen, dessen § 1 wie folgt lautet: „In Österreich dürfen Atomwaffen nicht hergestellt, gelagert, transportiert, getestet oder verwendet werden. Einrichtungen für die Stationierung von Atomwaffen dürfen nicht geschaffen werden.“ – so einfach kann es gehen, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Deutschland stände mit einem gesetzlichen Atomwaffenverbot nicht allein, weil bereits einige Staaten kraft Verfassung atomwaffenfrei sind und zahllose weitere sich zu atomwaffenfreien Zonen zusammengeschlossen haben – praktisch die gesamte südliche Erdkugel. In Deutschland sind übrigens die fünf neuen Bundesländer und Berlin durch den 2+4-Vertrag bereits atomwaffenfrei.
Welche Instrumentarien stehen denn den Parlamentariern noch zur Hand, wenn die Bundesregierung sich weigert, den Beschluss umzusetzen?
Das Grundgesetz sieht vor, dass auch Gruppen von Abgeordneten eigene Gesetzesvorlagen einbringen können, die wie Regierungsvorlagen behandelt werden müssen. Nach der Geschäftsordnung des Bundestages müssen das entweder Fraktionen oder 5 % der Bundestagsabgeordneten sein.
Eine Fraktion des Bundestages oder eine Gruppe von mindestens 36 Abgeordneten kann sich auf den Textentwurf eines Gesetzes für ein atomwaffenfreies Deutschland einigen und diesen im Bundestag einbringen. Da dies ein einfaches Bundesgesetz wäre, reicht für seine Verabschiedung die Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages.
Wie wäre das genaue Vorgehen?
Solche Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages müssen – anders als Regierungsvorlagen – nicht erst dem Bundesrat vorgelegt werden. Sie werden vom Bundestag in dem vorgesehenen Verfahren beraten und beschlossen. Dabei hat der Bundesrat die Möglichkeit, einen Vermittlungsausschuss anzurufen oder Einspruch einzulegen, der vom Bundestag letztlich zurückgewiesen werden kann. Die Bundesregierung kann nur über ihr ergebene Fraktionen oder Abgeordnete Einfluss auf das Gesetzesvorhaben nehmen.
Warum ist der Bundestag bisher diesen Weg nicht gegangen? Seit 2010 sind einige Jahre vergangen.
Möglicherweise wollte der Bundestag abwarten, ob und wie die Bundesregierung der Forderung des Bundestages nachkommt. Inzwischen sollte aber deutlich geworden sein, dass der Bundesregierung wie ihren Vorgängerinnen der Wille fehlt, diesen Weg zu gehen und möglicherweise Konflikte mit NATO-Bündnispartnern zu verursachen. Die Nähe der Regierungsfraktionen im Bundestag zu der Bundesregierung und die fehlende Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Abgeordneten mögen weitere Gründe für die Untätigkeit sein. Politischen Druck hat zudem die USA ausgeübt, indem ihr Vertreter bei der NATO nachdrücklich davor gewarnt hat, in der UN-Generalversammlung für die Aufnahme von Verhandlungen zu einen Atomwaffenverbotsvertrag zu stimmen oder diesem beizutreten. Dennoch haben sich 122 Staaten im Juli 2017 nicht davon abhalten lassen, diesem Vertrag zuzustimmen.
Wie gespalten die Ansichten in den Regierungsparteien sind, ergibt sich aus der Tatsache, dass es die Bundesregierung abgelehnt hat, an den internationalen Verhandlungen über einen Atomwaffenverbotsvertrag teilzunehmen oder diesem beizutreten, andererseits jedoch die Abgeordneten derselben Parteien im EU-Parlament die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert haben, an diesen Verhandlungen teilzunehmen und dem Atomwaffenverbotsvertrag zuzustimmen.
Wie könnte denn eine realisierbare Abrüstung zwischen den Atomwaffenstaaten ablaufen?
Der Weg zu einem atomwaffenfreien Deutschland wäre einfach. Wenn es zu einem gesetzlichen Atomwaffenverbot käme, wäre die Bundesregierung schon deswegen verpflichtet, die US-Regierung zum unwiderruflichen Abzug der hier stationierten Atomwaffen und zum Abbau der dafür vorgesehenen Einrichtungen aufzufordern. Diese müsste dem nachkommen. Die Bundesregierung ist übrigens bereits nach der bestehenden Gesetzeslage verpflichtet, so vorzugehen. Denn die in Büchel praktizierte nukleare Teilhabe verstößt gegen die Verpflichtungen Deutschlands aus dem Nichtverbreitungsvertrag, der Deutschland die Verfügung oder Mitverfügung über Atomwaffen verbietet.
Aber schwieriger wäre die atomare Abrüstung zwischen den Atomwaffenstaaten, oder?
Ja, das stimmt. Als Haupthindernis dafür wird häufig die angeblich schwierige Verifizierbarkeit angesehen, das heißt die strenge und wirksame Kontrolle der globalen vollständigen Abschaffung aller Atomwaffen. Dieses müsste durch internationale Verhandlungen aller Staaten geschehen. Wie bei den Verhandlungen zum Atomwaffenverbotsvertrag bieten sich die Vereinten Nationen dafür an. Bei der UN liegt seit Jahren der Entwurf einer Nuklearwaffenkonvention mit konkreten Mechanismen für ein wirksames Verifikationssystem vor. Dieser von Nichtregierungsorganisationen wie IALANA, INESAP und IPPNW ausgearbeitete Vertragsentwurf ist als offizielles UN-Dokument vom UN-Generalsekretär an alle UN-Mitgliedsstaaten übersandt worden. Die meisten Bestimmungen dieser Konvention befassen sich mit der Deklaration der Atomwaffen und dem waffenfähigen Nuklearmaterial, mit den Phasen der Umsetzung, mit der Verifikation und den dazu notwendigen Einrichtungen, mit Kontrollen und Konsultationen sowie der Finanzierung. Sie bietet eine gute Grundlage für internationale Verhandlungen.
Also in der Tat ein nicht ganz einfaches Unterfangen?
So ist es. Die Regierungen, welche die Sicherheit ihrer Staaten und ihre politische Macht mit dem Besitz von Atomwaffen verbinden, können vermutlich nur durch ein umfassendes System der gegenseitigen kollektiven Sicherheit überzeugt werden, auf Atomwaffen zu verzichten. Insoweit lassen sich die vorhandenen Ansätze der Vereinten Nationen, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und anderer Organisationen weiterentwickeln.