Fachkräftezuwanderungsgesetz? Gibt es doch schon, liebe SPD
Spätestens seit diesem Wochenende geistert das leidige Themen-Doppel „Fachkräftemangel“ und „Arbeitsmigration“ wieder durch die Medien. Zunächst forderte der Chef der Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele via dpa ein „Fachkräftezuwanderungsgesetz“ – schließlich könnten deutsche Unternehmen schon heute den „Fachkräftemangel“ nicht mehr durch Bewerber aus dem eigenen Lande und der EU ausgleichen. Was für ein Zufall, dass die SPD bei eben diesem Gesetz, das auch im Koalitionsvertrag genannt wird, nun richtig Druck machen will, wie SPD-Arbeitsmarktexpertin Eva Högl die Medien eilig wissen ließ. Bei so viel Aktionismus muss jedoch die Frage gestattet sein, was da eigentlich warum und wie verabschiedet werden soll. Ein „Fachkräftezuwanderungsgesetz“ gibt es in Deutschland nämlich schon seit 2012 mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der Europäischen Union“, das etwas weniger sperrig unter dem Namen „Blaue Karte EU“ bekannt ist. Von Jens Berger.
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Doch die Blaue Karte EU hat aus Sicht der Unternehmen einen entscheidenden Fehler – sie gilt nur für Arbeitskräfte, die besser als der Durchschnitt entlohnt werden. Wer als Nicht-EU-Ausländer in Deutschland einen Arbeitsvertrag unterzeichnet, bei dem er mehr als 51.480 Euro brutto pro Jahr bezieht, der kann sich über die sogenannte „Blaue Karte EU“ relativ problemlos einen dauerhaften Aufenthaltstitel in Deutschland verschaffen. Wer einen von der Bundesagentur für Arbeit definierten „Mangelberuf“ ausübt (dazu gehören z.B. Mathematiker, Ärzte, IT-Fachkräfte oder Naturwissenschaftler), ist bereits mit einem Jahresbrutto von 40.560 Euro für die Blaue Karte qualifiziert. Seit Einführung nutzten über 25.000 Zuwanderer diese Möglichkeit.
Wenn es der Politik also wirklich darum gehen sollte, den vermeintlichen Fachkräftemangel durch Zuwanderung auszugleichen, ist die von Scheele geforderte gesetzliche Lösung doch schon längst umgesetzt. Die Einkommensgrenze sollte da doch eigentlich keine Hürde sein. Oder? Doch genau um diesen Passus scheint es der Politik ja zu gehen; ansonsten gäbe es ja keine Notwendigkeit, ein „neues“ Gesetz aus dem Boden zu stampfen, wenn es doch schon eine ansonsten zufriedenstellende gesetzliche Lösung gibt. Und dass zumindest aus Arbeitgebersicht die Einkommensgrenzen ein „Problem“ darstellen, zeigt exemplarisch ein Blick auf den Mangelberuf „Krankenhausarzt“.
Ein junger Assistenzarzt kommt hierzulande nach Angaben des DIW oft nur auf einen Stundenlohn von weniger als 11 Euro, was auf einen Monatsnettoverdienst von 2009 Euro hinausläuft. Damit liegen junge Ärzte in deutschen Krankenhäusern oft unter der Mindestgrenze, die für die Erteilung einer Blauen Karte festgelegt ist. Eben wegen dieser schlechten Gehälter ist der Beruf des Krankenhausarztes ja auch ein Mangelberuf. Nach Angaben der Krankenhäuser können in Deutschland rund 5.500 offene Stellen nicht besetzt werden. Das müsste nicht so sein, wenn deutsche Ärzte nicht derart massiv ins Ausland abwandern. Rund 6.000 deutsche Krankenhausärzte arbeiten derzeit bereits im Ausland – 2.200 davon alleine in der Schweiz, wo die Einstiegsgehälter für Krankenhausärzte rund doppelt so hoch liegen. Noch höher sind die Gehälter in Ländern wie Großbritannien, Neuseeland oder den USA, wo Assistenzärzte rund das Vierfache verdienen und Krankenhaus-Fachärzte auf ein Durchschnittsgehalt von mehr als 175.000 US$ pro Jahr kommen. Aber nicht nur die Einkommen, sondern auch die Arbeitsbedingungen sind im OECD-Ausland durchweg besser als hierzulande.
Wie ließe sich nun also der Fachkräftemangel an deutschen Kliniken beseitigen? Durch ein neues Fachkräftezuwanderungsgesetz, bei dem Nicht-EU-Bewerber auch dann eine Arbeitserlaubnis erhalten, wenn sie zu den schlechten Bedingungen der deutschen Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag unterzeichnen? Wohl kaum.
Denn seit vielen Jahren besteht für die Krankenhäuser die Möglichkeit, Nicht-EU-Ärzte über das Arbeitsverhältnis eines „Gastarztes“ ins Land zu holen und bei freier Kost und Logis mit einem „Taschengeld“ von 500 Euro pro Monat arbeiten zu lassen. Problematischer ist da schon die Qualifikation, da derartige „Gastärzte“ offiziell nur unter „ärztlicher Aufsicht“ arbeiten dürfen, bevor sie über ein sehr langwieriges Anerkennungsverfahren überhaupt eine Approbation in Deutschland erhalten. Doch dann steigen natürlich auch die Gehaltsforderungen und wir sind bei der „Blauen Karte“ angekommen.
Auf die naheliegende Lösung, den Fachkräftemangel durch bessere Verdienstmöglichkeiten und bessere Arbeitsbedingungen zu lindern, kommen „erstaunlicherweise“ weder Politik noch Arbeitgeber – die Gründe dafür sind freilich ebenfalls naheliegend.
Und in anderen echten Mangelberufen sieht es nicht anders aus. Denn welcher qualifizierte Ingenieur in einem MINT-Mangelberuf verdient weniger als 40.560 Euro brutto im Jahr? Und wenn es wirklich derart schlecht dotierte Angebote gibt, dann wird es sich nicht um einen „Mangel“ handeln. Denn jeder Ökonom lernt schon im ersten Semester den Grundmechanismus von Angebot und Nachfrage bei der Preisfindung. Wenn auf viele offene Stellen nur wenige Bewerber kommen, müsste automatisch der Preis, also der angebotene Lohn, steigen.
Dieses simple Erklärungsmuster lässt sich übrigens mühelos auf die gesamte Debatte rund um den angeblichen Fachkräftemangel und den angeblich drohenden allgemeinen Arbeitskräftemangel ausweiten. Solange 50-jährige Ingenieure wegen der mit dem tariflichen Lohngefüge verbundenen Einkommensregelungen als nicht vermittelbar gelten, kann es mit dem Fachkräftemangel nicht so dramatisch sein. Und solange am unteren Ende der Einkommensskala immer noch der Mindestlohn die Untergrenze markiert, kann auch von einem generellen Arbeitskräftemangel nicht die Rede sein.
Der Verdacht liegt also nahe, dass es beim Fachkräftezuwanderungsgesetz eigentlich gar nicht um echte Fachkräfte in Mangelberufen geht, sondern um eine Ausweitung der Definition auf ganz normale Berufe. Denn wenn wir nicht mehr über den Krankenhausarzt, sondern über den Pflegehelfer oder die Putzfrau im Krankenhaus sprechen, bekommt die Debatte plötzlich ihren Sinn.
Über die Blaue Karte EU ist Arbeitgebern nämlich nicht möglich, Beschäftigte in einfacheren und schlecht dotierten Berufen ins Land zu holen. Das Gehalt von Pflegehelfer und Putzfrauen liegt in der Regel sehr deutlich unter der Grenze von 40.560 Euro bei Mangelberufen oder gar 54.480 Euro bei Nicht-Mangelberufen. Hier würden bei den Arbeitgebern die Champagnerkorken knallen, wenn es eine neue gesetzliche Möglichkeit gäbe, Nicht-EU-Ausländer unter Umgehung der Gehaltsgrenzen der Blauen Karte ins Land zu holen und damit auch deutsche Bewerber im Lohngefüge unter Druck zu setzen. Es geht dabei auch nicht um die wenigen Tausend Zuwanderer, sondern um das gesamte Lohngefüge, das durch den Eingriff auf der Angebotsseite nach unten verschoben werden kann.
Dass „ausgerechnet“ die SPD sich zum Lautsprecher einer solchen Gesetzesnovelle macht, die ganz in der Tradition der Agenda 2010 steht, ist leider typisch. Echte Kritik gibt es von der Union freilich auch nicht. Dort will man das Thema aus einem ganz anderen Grund momentan auf die lange Bank schieben – „Einwanderung“ ist ein Thema, das die CSU in ihrem Wahlkampf für die bayerischen Landtagswahlen lieber ganz heraushalten will. Und wenn Bayern im Herbst gewählt hat, steht auch dem Fachkräftezuwanderungsgesetz, das wenig mit Fachkräften und Zuwanderung, dafür um so mehr mit Lohndumping zu tun hat, nichts mehr im Weg.