Der grenzenlose Krieg – US-Kongress will Trump mit exzessiven Befugnissen ausstatten

Jakob Reimann
Ein Artikel von Jakob Reimann

Der in der gesellschaftlichen Schockstarre der Anschläge vom 11. September erlassene „Authorization for Use of Military Force Act“ (AUMF) stattete den US-Präsidenten mit weitreichenden Befugnissen zum Führen von Kriegen aus. Ein breites Bündnis von Demokraten bis Republikanern im US-Kongress will diese nun exzessiv ausbauen und dem Präsidenten die Macht erteilen, jede Gruppe oder Person in jedem Land der Welt als Feind zu deklarieren und gegen diese Krieg zu führen. Von Jakob Reimann[*].

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Die Legalisierung von Staatsterror – Wann ist das Töten legal? Wann ist der Krieg legal?

Seit jeher beschäftigt Ius ad bellum – das Recht zum Kriege – Politiker und Gelehrte dieser Welt. Selbst in unseren Zeiten des endlosen Krieges wird juristische Legitimation konstruiert.
Nur drei Tage nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedete der US-Kongress den Authorization for Use of Military Force Act (AUMF), um Vergeltung gegen die Drahtzieher der 9/11-Anschläge zu üben. Exakt 60 Wörter – 413 Zeichen, keine anderthalb Tweet-Längen – stießen die Welt in die dunkle Ära des „War on Terror“. Das Mini-Gesetz wurde zum vielleicht verhängnisvollsten Dokument des 21. Jahrhunderts – führt das US Empire unter dessen vermeintlicher „Autorisierung“ seit nunmehr fast 17 Jahren seinen per Definition endlosen Krieg nicht gegen einen besiegbaren Feind, sondern gegen eine unbesiegbare Taktik. Ein millionenfacher Leichenberg ist das Ergebnis.

Eine Querfront aus Demokraten und Republikanern im US-Kongress will diese ungehemmte Macht zum Führen von Kriegen nun weiter ausbauen und dem Präsidenten die Befugnis einräumen, jeder Gruppierung in jedem Land dieser Welt den Krieg zu erklären.

Der Blankoscheck für den „War on Terror“

Angesteckt vom post-9/11 Fackeln-und-Mistgabeln-Blutrache-Wahn eines George W. Bush und der rechtsextremen Neocon-Kriegsfalken, mit denen er sich umgab, stimmte das Oberhaus, der US-Senat, am 14. September 2001 mit 98:0 einstimmig für das Kriegsautorisierungsgesetz AUMF. Im Unterhaus, dem Repräsentantenhaus, wurde das Gesetz mit 420:1 Stimmen angenommen. Nur eine einzige mutige Abgeordnete stimmte gegen das Gesetz: Barbara Lee, Demokratin aus Kalifornien. Lee begründete ihren mutigen Schritt folgendermaßen:

„Es war ein Blankoscheck für den Präsidenten, jeden anzugreifen, der an den Ereignissen vom 11. September beteiligt war – überall, in jedem Land … und ohne zeitliche Begrenzung. Indem der Kongress diese viel zu weit gefassten Befugnisse erteilte, verletzte er seine Verantwortungspflicht, die Dimensionen dieser Erklärung zu begreifen. Ich konnte es nicht unterstützen, dem Präsidenten eine solche Machtfülle zum Führen von Kriegen zu erteilen.“

Die auf das AUMF folgenden Jahre sollten Barbara Lee – die für ihren Mut zum Gewissen als „Kommunistin“, „Verräterin“ und „Staatsfeindin“ diffamiert und Todesdrohungen gegen sich und ihre Familie erhielt – Recht geben: Ein Forschungsbericht des Congressional Research Service, vergleichbar mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, vom Mai 2016 ergab, dass der AUMF seit 2001 insgesamt 37 Mal zur Rechtfertigung von militärischer Gewalt in insgesamt 14 Ländern herangezogen wurde.

Interessant: George Bush bemühte den AUMF 18 Mal, Friedensnobelpreisträger Obama 19 Mal. Auf der langen AUMF-Liste finden sich Klassiker wie der bald 17 Jahre andauernde Afghanistan-Krieg oder der Betrieb des Konzentrationslagers Guantanamo auf Kuba. Hinzu kommen Länder der „War on Terror“-Peripherie wie Jemen und Somalia, sowie eher unbekannte Operationen auf den Philippinen, in Djibouti, Kenia, Äthiopien, Georgien und Eritrea. 2013 und 2015 legitimierte Obama Luftschläge gegen Al-Qaida beziehungsweise ISIS in Libyen mit dem AUMF – gegen Dschihadisten also, die es ohne den illegalen NATO-Krieg 2011 in Libyen überhaupt nicht geben würde.

Weiter diente der AUMF zur Legalisierung von Kriegen gegen Gruppen wie Al-Shabab in Somalia, das Khorasan-Netzwerk in Zentralasien und am prominentesten ab 2014 des Kriegs gegen ISIS. Einen Zusammenhang zu den Anschlägen vom 11. September herzustellen und daraufhin den AUMF als juristische Legitimation zu bedienen, ist schlicht ein Bruch der US-Verfassung: die drei Gruppen gab es 2001 überhaupt noch nicht.

Der endlose Krieg entledigt sich seiner letzten Fesseln

Mitte April stellten je drei Senatoren der Republikaner (unter Führung von Bob Corker) und der Demokraten (unter Führung von Hillary Clintons Vizepräsidentschaftskandidat Tim Kaine) einen Gesetzesentwurf vor, der den AUMF von 2001 ersetzen soll: das Corker-Kaine-Gesetz.

Laut seiner Urheber limitiere das Gesetz die Macht des Präsidenten und stärke jene des Parlaments: „Zu lange hat der Kongress den Präsidenten einen Blankoscheck zum Führen von Kriegen ausgestellt“, erklärt Tim Kaine, Co-Autor des Gesetzes, Hillarys Vize. „Unser Gesetzesentwurf hebt diese Autorisierung nun auf und lässt den Kongress seine Arbeit machen, indem er abwägt, wo, wann und mit wem wir uns im Krieg befinden.“
Das Problem an diesen blumigen, demokratieumschmeichelnden Worten ist nur: Sie beschreiben das exakte Gegenteil von dem, was tatsächlich in dem 20-seitigen Gesetzesentwurf geschrieben steht.

Laut der American Civil Liberties Union (ACLU) ist das Corker-Kaine-Gesetz „wesentlich breiter angelegt und sogar noch gefährlicher als die aktuelle Rechtsprechung.“ Die renommierte Bürgerrechts-NGO spricht weiter von einer „monumentalen Verschiebung, die den Krieg überall anheizen wird.“

Artikel 1 der US-Verfassung räumt allein dem US-Kongress das Recht ein, Krieg zu erklären. Die Neuauflage des AUMF soll dies nun maximal aushöhlen und überträgt das Recht zur Kriegserklärung de facto auf das Amt des US-Präsidenten, der jede Gruppe oder Person in jedem Land dieser Welt zum feindlichen Kombattanten erklären und ohne Rücksprache mit dem Kongress gegen diese in den Krieg eintreten kann.

Die Anwälte der ACLU resümieren in einem Warnschreiben an den US-Senat:

„Das [Corker-Kaine-Gesetz] würde den in der Verfassung festgelegten Checks and Balances kolossalen Schaden zufügen, es würde die Bürger- und Menschenrechte im In- und Ausland aufs Spiel setzen, es würde zu einer atemberaubend breit angelegten Expansion des Krieges ohne sinnvolle Kontrolle führen und wäre ein klarer Bruch des Völkerrechts einschließlich der Charta der Vereinten Nationen.“

Das erklärte Ziel des Corker-Kaine-Gesetzes ist es, eine „rigorose Kontrolle [von Kriegseinsätzen] durch den Kongress zu etablieren“. Im Prinzip sieht der Gesetzesvorschlag tatsächlich eine Vetomacht des Kongresses vor, doch dafür bedarf es einer Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern. Angesichts des kriegstreiberischen Washingtoner Zeitgeists der letzten Jahrzehnte, sowie des Abstimmungsverhaltens bei entsprechenden Gesetzen in der Vergangenheit, ist es äußerst naiv zu glauben, zwei Drittel von Hunderten Abgeordneten würden sich gegen irgendeinen Kriegseinsatz aussprechen.

Es muss daher klar festgehalten werden, was das Corker-Kaine-Gesetz im Kern ist: Das alleinige Recht des US-Kongresses, Krieg zu erklären, soll endgültig auf das Amt des Präsidenten übertragen werden. Krieg gegen wen auch immer. In welchem Land auch immer. Mit keinem operativen Ende, mit keinem zeitlichen Ende.

Auf zum nächsten Krieg, zum übernächsten

Wie schon die sich Anwälte schimpfenden Rechtsbrecher der Bush-Ära Folter und das Konzentrationslager in Guantanamo „legalisierten“, so schafften es auch Obamas Anwälte, den nüchtern betrachtet illegalen Krieg gegen Libyens Gaddafi zu „legalisieren“, oder den nach US-Recht nicht weniger illegalen Krieg gegen ISIS.

Doch Corker und Kaine wollen dieses juristische Geplänkel der formalen „Legalisierung“ von US-Verbrechen nun beenden, indem sie dem Präsidenten die Macht geben, nach Gutdünken jede „Organisation, Person oder Macht“ als Feinde der USA zu definieren und gegen sie in den Krieg zu ziehen: Absatz 5 a (3) des Corker-Kaine-Gesetzesentwurfs räumt dem Präsidenten explizit dieses Recht ein. In jedem Land dieser Welt.

Wenn der Präsident denn wollte, könnte er behaupten, das Volk der Samen in Nordskandinavien sei ein Verbündeter der Al-Qaida und er dürfte daraufhin im Einklang mit US-Recht Lappland ausradieren. Verschont mögen die Samen bleiben, wie würde ein realistischeres Szenario aussehen?

Die Trump-Administration ist durchsetzt mit iranophoben Kriegstreibern – die jüngste Ernennung des Hetzers John Bolton zur mächtigen Person des Nationalen Sicherheitsberaters ist hier nur die unerträgliche Spitze des iranhassenden Mobs im White House. Trump könnte sämtliche vom Iran unterstützten schiitischen Milizen im Irak und Syrien – die zusammen mit den Kurden die einzigen Kräfte waren, die tatsächlich den IS bekämpften – als Feinde definieren und diese bombardieren. Trump könnte auch weitere Partner des Iran wie die Hisbollah im Libanon, die Houthis im Jemen – oder nach dem nächsten ungeklärten Chemiewaffenangriff Assad-treue Milizen in Syrien – zu Feinden erklären, diese bekämpfen und im Konzert mit iranophoben Kriegstreibern in Saudi-Arabien und Israel endlich den Krieg gegen Teheran vom Zaun brechen: das außenpolitische Kernziel der Trump-Regierung.

Donald Trump ist die Verkörperung von Unberechenbarkeit. Er ist in höchstem Maße dünnhäutig und impulsiv – das perfekte Rezept also für unberechenbares Handeln. Niemand kann seinen nächsten Schritt vorhersagen oder auch nur halbwegs seriös darüber spekulieren. Was wir jedoch sicher wissen: der mächtigste Mann der Welt ist dumm. Er ist politisch ungebildet und ignorant, denn er liest nicht. Insider, die mit ihm zusammenarbeiteten, bestätigten dies, er liest einfach nichts, ist schlicht und ergreifend bildungsresistent. Und dumme narzisstische Menschen tun das, was die intelligenten Menschen um sie herum – die wahrhaft gemeingefährlichen wie John Bolton – ihnen schmeichelnd ins Ohr einflüstern.

Ein breites Bündnis von Demokraten bis Republikanern im US-Kongress will diesem geistig labilen Mann nun endgültig das rechtliche Rüstzeug in die Hand geben, um gegen die gesamte Welt in den Krieg ziehen zu können.


[«*] Jakob Reimann bloggt auf JusticeNow! Er hat im Sommer 2014 sein Masterstudium in Biochemie in Dresden absolviert und arbeitet mittlerweile an der naturwissenschaftlichen Fakultät der An-Najah National University in Nablus, Palästina. Er forscht über die Auswirkungen chemischer Industrieanlagen auf Umwelt und Gesundheit der Menschen in der Westbank. Er ist zudem freiwillig für die Flüchtlingsorganisation PICUM tätig.