Gesundheitsschäden durch den Einsatz von Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran

Klaus-Dieter Kolenda
Ein Artikel von Klaus-Dieter Kolenda

Dieses Thema hat leider nichts von seiner Aktualität und Dringlichkeit verloren, seitdem die Nachdenkseiten das letzte Mal darüber berichtet haben. Im neuen Artikel greift Klaus-Dieter Kolenda neue Aspekte auf und gibt einen Überblick über den Stand der Debatte, soweit sie geführt wird. Denn insgesamt wird das Thema von den etablierten Medien eher stiefmütterlich behandelt. Dies liegt auch daran, dass es wenig gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gibt. Es gelingt dem Autor darzulegen, dass dies am Fehlen von Daten zum Einsatz oben genannter Waffen liegt. Diese Daten müssten von den Personen kommen, die den Einsatz der Uranmunition befehlen bzw. befohlen haben und hier schließt sich der Kreis des Desinteresses an einer Diskussion über das unbequeme Thema.

Gesundheitsschäden durch den Einsatz von Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran

Von Klaus-Dieter Kolenda

Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran (auch Uranwaffen oder Uranmunition genannt) werden aus einem Abfallprodukt der Atomindustrie (abgereichertes Uran, englisch: depleted uranium, abgekürzt: DU) hergestellt. Sie wurden zum ersten Mal im ersten Irakkrieg 1991 von den USA und Großbritannien eingesetzt. Weitere Einsätze erfolgten in den Kriegen des Westens 1999 auf dem Balkan, in Afghanistan seit 2001, im zweiten Irakkrieg 2003, außerdem in Somalia, wahrscheinlich auch in Libyen und zuletzt auch in Syrien. Der Irak ist das Land, in dem bisher wohl die größte Menge an Uranwaffen eingesetzt worden ist. Im ersten Irakkrieg sollen es etwa 600 Tonnen und im zweiten Irakkrieg bis zu 2000 Tonnen gewesen sein [1].

Über das tatsächliche Ausmaß der Gesundheitsschäden beim Einsatz von Uranmunition herrsche Uneinigkeit, heißt es bei Wikipedia [1]. Während von Gegnern dieser Waffen, wie der Organisation IPPNW (Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), Uranmunition für Krebserkrankungen, angeborene Fehlbildungen und Folgeschäden wie dem Golfkriegssyndrom verantwortlich gemacht würden, liege nach Studien der WHO (Weltgesundheitsorganisation) und IAEO (Internationale Atomenergieorganisation) keine besondere Gefährdung vor. Im „WHO Guidance on Exposure to Depleted Uranium“[2] heiße es explizit, dass keine Studie eine Verbindung zwischen Kontakt mit abgereichertem Uran und dem Auftreten von Krebs oder angeborenen Defekten habe finden können.

Was sagen unabhängige WissenschaftlerInnen zu dieser Einschätzung und was sind die Hintergründe dieser konträren Aussagen?

Zu diesem Thema fand am 21.2.2018 in Kiel eine Film- und Diskussions-veranstaltung der Kieler Gruppen von attac und IPPNW statt, bei der der informative und erschütternde Dokumentarfilm „Deadly Dust- Todesstaub“ des Filmemachers Frieder Wagner gezeigt wurde. Nach anfänglicher Betroffenheit kam es anschließend zu einer lebhaften Debatte mit dem Filmautor, in der auch kritisch gefragt wurde, welche Gesundheitsschäden durch DU denn bewiesen seien. In der Vor- und Nachbereitung dieser Veranstaltung habe ich mich mit dieser Frage auseinandergesetzt, die mir zur Verfügung stehende wissenschaftliche Literatur über Uranwaffen und deren Folgen bei ihrem Einsatz aufbereitet und in diesem Artikel zusammengefasst, so dass sich jeder Interessierte selbst ein Urteil bilden kann.

Einige physikalische und chemische Vorbemerkungen

Vereinfacht gesagt besteht Natururan zu 99,3 Prozent aus Uran 238 und zu 0,7 Prozent aus Uran 235 [1][3]. Für die Atomindustrie muss das Uran 235 durch Zentrifugation auf 3 bis 5 Prozent angereichert werden, wie es für Reaktorbrennstäbe typisch ist. Demnach sind etwa 7 kg Natururan nötig, um 1 kg angereichertes Material zu gewinnen. Dabei bleiben 6 kg abgereichertes Uran übrig. Das für Atombomben eingesetzte U-235 ist weitaus höher angereichert und hinterlässt daher eine noch größere Menge von abgereichertem Uran.

Abgereichertes Uran (DU) enthält noch etwa 60 Prozent der Radioaktivität des ursprünglichen Uranerzes auf Grund seines Gehaltes an vor allem Uran 238, einem langsam zerfallenden Alpha-Strahler mit einer Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren. Weiterhin kann Uranmunition auch Spuren von Transuranen wie z. B. Plutonium enthalten [1]. Da die sichere Lagerung von DU hohe Kosten verursacht, wird es von der Atomindustrie als ein billiges Abfallprodukt gehandelt und von der Rüstungsindustrie gerne abgenommen.

Geschosse aus abgereichertem Uran werden wegen ihrer hohen Durchschlagskraft auf Grund ihres hohen spezifischen Gewichts (DU ist 1,7- mal schwerer als Blei) und wegen seiner pyrogenen (Feuer erzeugenden) Wirkung als ideale panzer- und bunkerbrechende Waffe seit 1991 in den Kriegen des Westens eingesetzt.

Wenn die Alpha-Strahlung von DU von außen auf den Organismus einwirkt, dann ist sie relativ ungefährlich, da sie nur Bruchteile eines Millimeters weit reicht und leicht abgeschirmt werden kann. Eine ganz andere Situation liegt vor, wenn DU in den menschlichen Organismus hinein gelangt. Dann ist es doppelt gefährlich: Als Schwermetall ist es giftig und als Alpha-Strahler kann es mit seiner radioaktiven Strahlung die Gewebszellen in der Lunge und in vielen weiteren Organen des Körpers schädigen und Krebs oder Fehlbildungen beim ungeborenen Kind verursachen.

Beim Einsatz von Uranwaffen, zum Beispiel gegen Panzer und Stahlbetonbauten, werden die getroffenen Ziele auf Grund der pyrogenen Wirkung von DU nicht nur in Sekunden zur Explosion gebracht, sondern ein Teil des Urangeschosses entzündet sich auf Grund der hohen Temperaturen durch die Reibungshitze und es entsteht ein Aerosol aus winzigen Teilen Uranoxid. Es handelt sich dabei um ein Metallgas, das aus mikroskopisch kleinsten verschiedenartigen Partikeln von Uran in Nanometer-Größe (1 Nanometer ist ein Millionstel Millimeter) besteht, die von Menschen, die dem ausgesetzt sind, über die Atmung, aber auch über die Nahrung und das Trinkwasser, aufgenommen und dann im Körper mit dem Blutstrom in alle Organe verteilt werden und dort dann verweilen können.

Dabei lassen sich die Wirkungen von löslichen und von unlöslichen Formen von Uranpartikeln unterscheiden [3]. Die löslichen Formen werden über die Nieren zwar schnell ausgeschieden, können aufgrund der toxischen Wirkung in Abhängigkeit der Menge jedoch zum Beispiel zu einer Nierenschädigung bis hin zum Nierenversagen führen (zu den toxikologischen Grenzwerten für Uran im Boden und im Wasser wird auf die entsprechende Schrift aus dem Umweltbundesamt verwiesen [4]).

Die unlöslichen Formen können bei langfristiger Wirkung aufgrund ihrer Radiotoxizität (strahlungsbedingte Giftigkeit) in der Lunge und in anderen Organen, in denen ihre Ablagerung erfolgt, zu schweren Schädigungen führen. Die schädigende Risikosteigerung ist auch hier abhängig von der Menge und der Dauer der einwirkenden Strahlung. Das Ausmaß der Ablagerung im Körper, das auf diesem Weg erfolgt, gilt bislang als nicht hinreichend geklärt, doch stellt es somit ein großes Risikopotential dar. Hierbei ist bekannt, dass das Metallgas nicht nur an seinem Entstehungsort, wo es sich langsam niederschlägt, verbleibt, sondern auch durch Aufwirbelungen und Wind über große Gebiete verteilt werden kann.

Ein erster Bericht eines mutigen Arztes

Prof. Siegwart-Horst Günther war ein deutscher Arzt, der als Erster über den Einsatz und die möglichen Folgen der im Irakkrieg 1991 verwendeten Uranmunition von Seiten der USA und ihrer Alliierten berichtet hat [5][6][7].

Nachdem er mehrere Jahrzehnte als Hochschullehrer im Nahen und Mittleren Osten tätig gewesen war, wurde Prof. Günther im Oktober 1990 zu einer neuerlichen ärztlichen und Vortragstätigkeit in den Irak eingeladen. Nach dem ersten Irakkrieg 1991 machte er dort viele Reisen in Städte wie Bagdad, Basra oder Mossul. Dabei stellte er fest, dass in den Krankenhäusern, die er besuchte und die er schon aus früheren Zeiten gut kannte, bei Kindern vermehrt Leukämien und Krebserkrankungen festzustellen waren, aber auch angeborene Fehlbildungen, die er vorher noch nicht gesehen hatte und die ihn an Tschernobyl erinnerten.

Er brachte diese erschreckenden Erkrankungen und Gesundheitsschäden mit Geschossen in Verbindung, die auf den Schlachtfeldern in größerer Zahl verstreut herumlagen und mit denen die Kinder oft spielten und sie dabei zum Beispiel als Puppen anmalten. Nachdem eines der Kinder, das mit solchen Puppen gespielt hatte, an einer Leukämie erkrankt war, wollte er wissen, aus welchem Material diese Geschosse bestanden. Um diese Fragen zu klären, verbrachte er mehrere davon im Gepäck eines befreundeten Diplomaten mit nach Deutschland und ließ sie in verschiedenen Instituten in Berlin untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass die Geschosse aus abgereichertem Uran bestanden.

Das bekam er von den Untersuchungsstellen schriftlich bestätigt. So hatte er damit den Hinweis, dass es sich bei den von ihm beobachteten gehäuften schweren Erkrankungen und Fehlbildungen bei den Kindern im Irak um strahlungsbedingte Schäden aufgrund der verwendeten Uranmunition handeln könnte. Aber anstatt dass ihm für diese Entdeckung gedankt wurde, musste er sich wegen „illegaler Einführung von gefährlichen Stoffen“ vor Gericht verantworten und wurde zu einer Geldstrafe von 3000 DM verurteilt.

In den Jahren darauf folgte eine rege Vortragstätigkeit mit Radio- und Fernseh-Interviews weltweit, auch in der UNO, um diese Erkenntnisse bekannt zu machen. Die ersten Bemühungen um Aufklärung über diesen Umstand, mit Potential auf ein großes Kriegsverbrechen, erfolgten in einer Zeit, in der der Einsatz der Uranwaffen von den USA zunächst geleugnet wurde. Prof. Günther erhielt in vielen Ländern Anerkennung für dieses Engagement und wurde mit vielen Preisen und Ehrentiteln ausgezeichnet.

In den deutschen Leitmedien wurde jedoch über den Einsatz von Uranwaffen und deren Folgen nur selten berichtet und seit 2001 bis auf wenige Ausnahmen gar nicht mehr ([5]; siehe auch unten). Vor einigen Wochen sind aber in den Online-Ausgaben von „Welt“ und „Spiegel“ zwei Berichte über Wirkungen und Gesundheitsschäden von Uranwaffen erschienen [8][9]. In dem unter dem Titel „Staub des Todes“ am 6.2.2018 in der „Welt“ veröffentlichten Artikel werden auch die Befürchtungen der Gegner dieser Waffen teilweise bestätigt [8].

Prof. Günther ist im Januar 2015 in Husum im Alter von 89 Jahren verstorben, ohne dass den regionalen oder Leitmedien sein Tod eine Reaktionszeile wert gewesen ist. Es gibt aber den schon erwähnten erschütternden Dokumentarfilm des Filmemachers Frieder Wagner, der auch ihm und seinem Wirken gewidmet ist und leicht auf YouTube aufgerufen werden kann [10].

Report der IPPNW und der ICBUW aus 2012

Das von Prof. Günther und anschließend auch von weiteren ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen beschriebene gehäufte Auftreten von Krebserkrankungen und angeborenen Fehlbildungen bei Neugeborenen und Kindern nach dem ersten Irakkrieg und die Vermutung, dass die entscheidende Ursache für diese Gesundheitsschäden der Einsatz von Uranwaffen gewesen sei, war der erste Anstoß für weitere wissenschaftliche Untersuchungen (siehe unten) und ist schon deshalb als sehr verdienstvoll einzuschätzen [11].

Man muss sich aber darüber klar sein, dass die Evidenz, das heißt die Beweiskraft solcher Berichte, von der Wissenschaft als gering eingeschätzt wird. Im Gegensatz dazu steht die Evidenz zum Beispiel durch epidemiologische Studien (das sind Untersuchungen über die Verbreitung von Krankheiten und deren Ursachen), deren Befunde statistisch abgesichert sind. Im Unterschied zu einer „anekdotischen“ Evidenz spricht man hier auch von einer „statistischen“ Evidenz. Dass solche Untersuchungen nur sehr schwer durchzuführen sind, insbesondere, weil in den Ländern, in denen DU eingesetzt worden ist, kaum überwindbare Hindernisse für deren Durchführung bestehen, steht auf einem anderen Blatt. Darauf soll weiter unten noch näher eingegangen werden.

Seit 2012 liegt nun ein umfangreicher Report der deutschen Sektionen der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung“ (IPPNW) und der „Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen“ (ICBUW) vor [5][12]. Dieser Report mit dem Titel „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition. Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe“ wurde von sechs WissenschaftlerInnen der IPPNW und der ICBUW gemeinsam erarbeitet und basiert auf zahlreichen Literaturhinweisen und Anmerkungen.

Der Bericht kommt zu der Einschätzung, dass aus ärztlicher und politischer Sicht allein ein Verbot von Uranwaffen die einzige Konsequenz aus den vorgestellten und kritisch bewerteten wissenschaftlichen Untersuchungen, Feldstudien und Rechtsexpertisen über dieses Thema sein kann, um Vorsorge dafür zu treffen, dass weiteres Leid von Zivilbevölkerungen und Militärpersonal verhindert und eine Kontamination der Umwelt mit abgereichertem Uran so gering wie möglich gehalten werden kann. Der Bericht geht detailliert auf Wirkmechanismen von abgereicherten Uran im Körper ein und stellt diese in Beziehung zu den umfangreichen angeborenen Fehlbildungen, Krebserkrankungen und weiteren Schädigungen, die sich in den Bevölkerungen jener Staaten finden lassen, gegen die Kriege unter Uranwaffeneinsatz geführt wurden.

Die Autoren stellen neben der Forderung nach Ächtung von Uranwaffen weitere Forderungen auf, unter anderem nach umfassender Information der Bevölkerung über die kontaminierten Gebiete, die von der DU-Munition ausgehende Gefahr, die Finanzierung epidemiologischer Studien sowie den Aufbau von Fehlbildungs- und Krebsregistern, um Vergleichsgrößen für wissenschaftliche Studien bereitzuhalten.

Im vorliegenden Report wird auch das Völkerrecht daraufhin untersucht, ob die bestehenden zwischenstaatlichen Verträge beziehungsweise das Gewohnheitsrecht ein Verbot von DU-Munition ermöglichen. Obwohl sich die große Mehrheit der UNO-Mitglieder für ein Verbot von Uranwaffen ausgesprochen hat, sind uranhaltige Waffen ebenso wie Atomwaffen derzeit ja leider noch nicht explizit verboten. Nach Meinung der Autoren des Reports könnte jedoch schon heute auf Grund der Bestimmungen des Humanitären Völkerrechts und speziell des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen für ein Verbot von Uranwaffen argumentiert werden, denn das Zusatzprotokoll verbietet Angriffe, „..bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften dieses Protokolls begrenzt werden können“.

Grundsätzlich verboten ist eine Kriegsführung, die nicht zwischen Kombattanten und Zivilpersonen unterscheidet beziehungsweise die Umwelt schädigt. Mit dieser Argumentation setzt sich seit Jahren der Berliner Völkerrechtler Prof. Manfred Mohr, einer der Autoren des Reports und Sprecher der ICBUW, für eine Ächtung von Uranwaffen ein.

Die Autoren gehen auch auf den beachtenswerten Umstand ein, dass auf nationaler Ebene Gerichte sowohl in Italien als auch in Großbritannien in der jüngeren Vergangenheit Soldaten beziehungsweise deren Angehörigen Entschädigungen dafür zugesprochen haben, dass die Soldaten im Einsatz abgereichertem Uran ausgesetzt gewesen waren. In den USA verharrt die Rechtsprechung auf dem Stand, dass grundsätzlich keine Entschädigung für im Militärdienst erlittene Gesundheitsschäden gewährt wird.

Die ICBUW Deutschland teilt auf ihrer Website mit, dass die UN-General-versammlung der Vereinten Nationen die anhaltenden Befürchtungen über Gesundheitsrisiken von abgereichertem Uran anerkennt. Das Plenum der UN-Generalversammlung verabschiedete am 5. Dezember 2016 eine neue Resolution zu Uranwaffen mit 151 zu 4 Stimmen bei 28 Enthaltungen. Die Resolution ist die sechste angenommene Resolution seit 2007.

Obwohl eine überwältigende Mehrheit der Staaten für die Resolution stimmte, enthielt sich eine kleine Minderheit. Rund die Hälfte davon sind EU-Mitgliedsstaaten, die zuvor durch das EU-Parlament ausdrücklich zur Zustimmung aufgefordert worden waren. Deutschland, das die Resolution bis 2014 unterstützte, wurde von der ICBUW für seine Bemühungen kritisiert, die Sprache der Resolution zu schwächen und andere Staaten zur Enthaltung zu bewegen. Wie gewöhnlich wurde die Resolution von den USA, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Israel abgelehnt. Die erste Abstimmungsrunde über die Resolution fand nur wenige Tage nach dem Eingeständnis der USA statt, dass sie DU-Munition in Syrien eingesetzt haben [13].

Ergebnisse eines neuen Review-Artikels

2017 wurde mit dem Review-Artikel „Depleted Uranium and Human Health“ (abgereichertes Uran und menschliche Gesundheit) eine neue systematische Übersichtsarbeit veröffentlicht, die von sieben WissenschaftlerInnen der Universitäten in Cagliari (Italien) und Leuven (Niederlande) erarbeitet wurde [14]. Grundlagen dieser Arbeit sind 101 wissenschaftliche Untersuchungen über verschiedene Aspekte dieses Themas, davon auch eine ganze Reihe von Untersuchungen aus den letzten Jahren.

Da ich die Ergebnisse dieses aktuellen Artikels einem größeren Leserkreis bekannt machen möchte, habe ich die Zusammenfassung („Abstract“) und die Schlussfolgerungen („Conclusion“) der Autoren aus der englischen Originalfassung ins Deutsche übersetzt [15] und im Folgenden aufgeführt:

Zusammenfassung: Abgereichertes Uran (DU) wird im Allgemeinen als ein neuer Schadstoff angesehen, der zum ersten Mal in den frühen 1990er Jahren im Irak während der Militäroperation „Desert Storm“ in die Umwelt eingebracht worden ist. Man vermutete, dass DU ein gefährliches Element sowohl für exponierte Soldaten als auch für Einwohner der belasteten Gebiete in den Kriegszonen ist. In diesem Review-Artikel werden die möglichen Auswirkungen von DU, das in die Umwelt eingebracht wurde, kritisch analysiert. Im ersten Teil werden die chemischen Eigenschaften und die möglichen zivilen und militärischen Anwendungen von DU zusammengefasst. Eine präzise Analyse der Mechanismen, die der Absorption, dem Transport im Blut, der Gewebsverteilung und der Ausscheidung von DU im menschlichen Körper zu Grund liegen, ist Gegenstand des zweiten Teils. Der darauf folgende Abschnitt behandelt die pathologischen Zustände, die vermutlich mit der Überexposition von DU einhergehen. Die Entwicklung von angeborenen Fehlbildungen, das Golfkriegs-Syndrom und Nierenerkrankungen, die mit DU in Verbindung gebracht werden, sollen im dritten Abschnitt behandelt werden. Schließlich sollen die Daten kritisch analysiert werden, die eine Exposition von DU in Zusammenhang bringen mit dem Auftreten von Krebserkrankungen, insbesondere Leukämie und Lymphomen, Lungenkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Harnblasenkrebs und Hodenkrebs. Das Ziel der Autoren ist, einen Beitrag zu der Debatte über DU und dessen Effekte auf menschliche Gesundheit und Krankheit zu leisten.

Schlussfolgerungen: Die Debatte über den Zusammenhang zwischen der Exposition mit DU und dem Auftreten zahlreicher Krankheitserscheinungen, das Golfkriegssyndrom und viele Tumore eingeschlossen, scheint charakterisiert zu sein durch das Vorliegen von vielen offenen und unbeantworteten Fragen. Die schädigenden Effekte auf den Gesundheitsstatus bei Veteranen des Golf-Krieges 1991, der Kriege im Kosovo, in Kroatien und in Afghanistan und des zweiten Irak-Krieges bleiben ungeklärt. Die Effekte einer DU-Kontamination des Wassers und der Böden in der Umgebung der Kriegsschauplätze, auf denen riesige Mengen von DU und andere chemische Schadstoffe freigesetzt wurden, sind nur teilweise bekannt.

Die Zahl der Personen, die das Risiko für schwere Gesundheitsprobleme aufgrund einer Überexposition mit DU tragen, ist eindrucksvoll: Die Zahl der Golfkriegsveteranen, die das Golfkriegssyndrom nach einer Exposition mit großen Mengen DU entwickelten, ist angestiegen auf ein Drittel der 800.000 US-Soldaten, die zum Einsatz kamen. Aber die wichtigsten Konsequenzen der Exposition gegenüber DU betreffen sicherlich die Menschen, die in der Region leben.

Einige Befunde dieses Reviews sollten besonders betont werden:

  1. Die 3,5-fache Erhöhung der Inzidenz von Hodentumoren bei Kroaten nach dem Krieg im Vergleich zu der Zeit vor dem Krieg (Ergänzung von KDK: Inzidenz bedeutet Häufigkeit bezogen auf die Zeit)
  2. Die 5-fache Erhöhung der Inzidenz von Harnblasentumoren bei norwegischen Soldaten, die im Kosovo dienten
  3. Der Anstieg der Inzidenzrate von Brustkrebs bei irakischen Frauen von 26,6 in der Vorkriegszeit auf 31,5 pro 100.000 Personen in 2009, wobei 33,8 Prozent aller Brustkrebse bei jungen Mädchen unter 15 Jahren diagnostiziert wurden
  4. Lungenkrebs war statistisch signifikant häufiger bei Golfkriegs-Veteranen als bei Nicht-Golfkriegs-Veteranen.
  5. Golfkriegs-Veteranen, die DU ausgesetzt waren, zeigten höhere renale Ausscheidungen von Beta-2-Microglobulin und Retinol-bindendem Protein, die auf eine verschlechterte (renal-tubuläre) Nierenfunktion hinweisen.
  6. Die Überwachung von Veteranen des ersten Golfkriegs, die mit DU in Feuergefechten verwundet wurden, zeigt auch 20 Jahre nach dem ersten Kontakt mit DU weiterhin erhöhte Uranspiegel im Urin. Irakische Patienten, die eine Leukämie nach dem Golfkrieg entwickelten, wiesen höhere Serumspiegel von Uran auf im Vergleich zu gesunden Personen aus dem Irak.
  7. Unter den mehreren hunderttausend Veteranen, die im Irakkrieg 1991 eingesetzt waren, entwickelten 15- 20 Prozent ein Golfkriegssyndrom und etwa 25.000 starben.

Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die angeführten Befunde zwar erschütternd sind, jedoch nicht genügend Informationen dafür vorliegen, inwiefern tatsächlich der Einsatz von Uranmunition ursächlich für die erhöhten Schädigungen ist, da eine Reihe zusätzlicher Faktoren mit schädigender Wirkung im Zusammenhang mit den Kriegen bestehen.

Zudem weisen die Autoren der Studie darauf hin, dass trotz potentiell genschädigender und krebserregender Effekte von abgereicherten Uran auf menschliche Zellen eine große Anzahl von Studien, die aufgeführt werden, behaupten, dass die gesundheitsschädigenden Effekte durch abgereichertes Uran nur gering oder nicht vorhanden sind.

Die Autoren des Review-Artikels resümieren:

Unserer Meinung nach ist der wichtigste Aspekt, der sich aus dem Studium der Literatur der letzten 20 Jahre ergibt, der einer kompletten Nicht-Übereinstimmung der Studienergebnisse bezüglich DU, die charakterisiert sind durch in hohem Maße konträre Ergebnisse.

Eine Frage ergibt sich aus diesen Befunden bezüglich DU: Wie war es möglich, DU, ein radioaktives Element, in Kriegszonen einzusetzen, ohne dass experimentelle und/oder klinische Beweise für den sicheren Einsatz bei Soldaten und der Bevölkerung, die den Bomben ausgesetzt werden sollte, vorhanden waren?

Da diese und viele andere Fragen nach unserem besten Wissen unbeantwortet bleiben müssen, und ausgehend von der Erkenntnis, dass die bisher durchgeführten Studien keinen umfassenden Überblick über die potentiellen Auswirkungen von DU-Munition auf die menschliche Gesundheit erlauben, sind weitere Studien notwendig, die alle Aspekte der Wechselwirkungen zwischen den großen Mengen an DU, die freigesetzt wurden in den jüngsten Kriegen, und der Gesundheit beleuchten, mit einer besonderen Betonung der Konsequenzen für die Zivilbevölkerung, die um die Kriegsschauplätze herum lebt, und mit dem Ziel, überall auf der Welt Uranwaffen zu ächten.

Die Ergebnisse dieses neuen Review-Artikels stehen in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem oben geschilderten Report von IPPNW und ICBUW aus dem Jahre 2012 [12]. Im Hinblick auf mögliche krebserregende Folgen des Einsatzes von DU-Waffen bedeuten sie neue Erkenntnisse beziehungsweise Präzisierungen der bisherigen besorgniserregenden Befunde.

Die vielen offenen Fragen und widersprüchlichen Ergebnisse, die von den Autoren festgestellt werden, hängen vermutlich auch damit zusammen, dass die Verwenderstaaten von DU, vor allem die USA, leider weiterhin alles tun, um eine systematische Bearbeitung dieses Bereichs zu behindern – zum Beispiel durch Nicht-Zur-Verfügung-Stellen von vorliegenden Daten und Forschungsergebnissen, Verweigerung finanzieller Unterstützung von unabhängigen WissenschaftlerInnen für solche Arbeiten und durch Ignoranz und gezielte Desinformation in der Öffentlichkeit.

Besonders herausheben möchte ich aber eine epidemiologische Studie, über die in diesem Review-Artikel ausführlich berichtet wird und in der im Gegensatz zu anderen Studien Daten über Zusammenhänge zwischen dem wahrscheinlichen Einsatz von Uranwaffen und später auftretenden Gesundheitsschäden nachgewiesen werden konnten.

Es handelt es sich um eine Untersuchung, die im Jahre 2010 in der in Basel herausgegebenen wissenschaftlichen Zeitschrift „International Journal of Environmental Research and Public Health“ erschienen ist, und in der über die Häufigkeit von Krebs, Geburtsfehlern und die Veränderung des Geschlechterverhältnisses bei Neugeborenen und Kleinkindern berichtet wird [16]. Diese Studie wurde in Fallujah im Irak durchgeführt, das 2004 stark umkämpft gewesen ist und in der wahrscheinlich auch eine große Menge Uranwaffen vom US-Militär eingesetzt worden ist.

In dieser Stadt wurden mit einer Fragebogenaktion 4.843 Personen nach Geburtsfehlern, Kindersterblichkeit, Krebserkrankungen und dem Geschlechterverhältnis bei der Geburt in der Zeitspanne zwischen 2005 und 2010 befragt. Die Kindersterblichkeit in der Altersgruppe 0 bis 1 Jahr lag vier- bis achtmal so hoch wie in einer Vergleichsgruppe in Ägypten, Jordanien oder Kuweit. Die mittlere Geschlechterrate bei der Geburt im ersten Jahr nach Ende der Kampfhandlungen war stark abweichend. Während normalerweise auf 1000 Mädchengeburten 1050 Knabengeburten registriert werden, waren es in der Fallujah-Kohorte bei den 0- bis 4-Jährigen nur 860 Knabengeburten.

Die Veränderung des Geschlechterverhältnisses von Neugeborenen ist ein wichtiges Kennzeichen dafür, dass mindestens ein Elternteil vor der Zeugung erheblichem genetischen Stress, zum Beispiel durch radioaktive Strahlenbelastung, ausgesetzt gewesen ist. Eine ähnliche Verschiebung des Geschlechterverhältnisses bei Geburten war auch in Hiroshima nach dem US-Atombombenangriff ab 1945 zu beobachten. Auch die Inzidenz von Krebserkrankungen im Kindesalter, vor allem Leukämien, Lymphome, Brustkrebs und Hirntumore, waren im Vergleich zu den Inzidenzraten in den oben genannten Nachbarländen signifikant erhöht.

Zum Schluss dieses Kapitels soll noch auf eine Untersuchung aus dem Krankenhaus in Mitrovica/ Kosovo aufmerksam gemacht werden [17]. Diese Studie untersuchte die Häufigkeit des Auftretens von malignen (bösartigen) Erkrankungen im Zeitraum von 1997 bis 2000 in diesem Krankenhaus. Dieser Zeitraum wurde ausgewählt, weil er im Hinblick auf den Kosovo-Krieg 1999, in dem im großen Umfang von den NATO-Staaten auch Uranmunition eingesetzt worden ist, den Vergleich von zwei Vorkriegsjahren (1997 bis 1998) mit zwei Nachkriegsjahren (1999 bis 2000) erlaubt.

In der Vorkriegszeit belief sich die Zahl der malignen Erkrankungen auf 1,98 Prozent der Patientenaufnahmen, während in der Nachkriegszeit diese auf 5,45 Prozent angestiegen war. Der größte Anstieg war bei den malignen Lungenerkrankungen (von 1,7 auf 22 Prozent der malignen Erkrankungen) und Nierenerkrankungen (von 1,6 auf 16 Prozent) zu verzeichnen. Die Hauptgründe dieses Anstiegs werden von den Autoren in der erhöhten radioaktiven Strahlung auf dem Territorium des ganzen Kosovo durch abgereichertes Uran nach dem Bombenkrieg der Nato gesehen.

Das Golfkriegssyndrom

Von den etwa 800.000 US-Kriegsveteranen, die in den Irakkriegen eingesetzt worden sind und in die USA zurückkehrten, entwickelten bis zu 30 Prozent das umstrittene Golfkriegssyndrom und etwa 25.000 starben [14]. Bei 6000 der ca. 54.000 eingesetzten britischen Soldaten im Irak wurde inzwischen das Golfkriegssyndrom als Kriegsleiden anerkannt [18].

Typische Symptome des Golfkriegs-Syndroms sind: Gelenk- und Muskelschmerzen, ungewöhnliche Müdigkeit und Erschöpfungszustände, Gedächtnisprobleme, Depressionen und Störungen der kognitiven und emotionalen Funktionen, die inzwischen auch durch zahlreiche Studien belegt sind [18]. Hinzu kommen Schwindel, Erbrechen und Diarrhöe, Lähmungen, Haar- und Zahnausfall, Drüsenschwellungen, Sehstörungen und Gedächtnisschwund sowie Fehlbildungen bei nachmals gezeugten irakischen und amerikanischen Kindern. Weiterhin wird über eine Immunschwäche mit einer Neigung zu schweren Infektionen berichtet [11]. Da diese Symptome und Krankheitsbilder bei mehreren tausend Heimkehrern aus dem ersten Irakkrieg aufgetreten waren, fassten US-amerikanische Ärzte das Krankheitsbild im Jahre 1994 unter dem Begriff „Golfkriegssyndrom“ zusammen.

Das Golfkriegs-Syndrom lässt sich wahrscheinlich nicht ausschließlich auf eine psychische oder psychosomatische Erkrankung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zurückführen [18]. Nach den ersten Beschreibungen dieses Krankheitsbildes kam es zu sehr kontrovers geführten Diskussionen zwischen Betroffenen und verantwortlichen Stellen bzw. armeenahen WissenschaftlerInnen in den USA.

So wurden neben der Exposition gegenüber Stäuben aus Sand, die abgereichertes Uran enthalten können, verschiedene weitere Ursachen vermutet, zum Beispiel Giftgasangriffe, Pestizideinsätze, Insektenrepellents, Nebenwirkungen von Medikamenten (z. B. Pyridostigmin), unbekannte Infektionserreger und freigesetzte Dioxine aus brennenden Ölquellen. Auch Rentenbegehren sowie psychische und psychosomatische Erklärungsmuster wurden für diese Symptome und Erkrankungen in Betracht gezogen [18]. Eine eindeutige ursächliche Klärung des Golfkriegssyndroms ist bis heute nicht erfolgt.

Einige Hintergründe der bestehenden Kontroversen

Für die im vorletzten Abschnitt geäußerten Vermutungen, dass es im Hintergrund einflussreiche Kräfte gibt, die kein Interesse an einer wissenschaftlichen Aufklärung der vorliegenden Kontroversen über die gesundheitsschädigenden Wirkungen von Uranwaffen haben, gibt es mittlerweile einige konkrete Anhaltspunkte.

In dem in der Einleitung aufgeführten Wikipedia-Artikel [1] wird die „WHO Guidance on Exposure to Depleted Uranium“ dahingehend zitiert, dass keine Studie eine Verbindung zwischen Kontakt mit abgereichertem Uran und dem Auftreten von Krebs oder angeborenen Defekten habe finden können. Wenn man sich diese WHO Guidance aus 2001, die für Amtsärzte und Programmmanager bestimmt ist, aufruft, findet man dort die folgende abschließende Stellungnahme mit einer etwas vorsichtigeren Aussage ([2]; deutsche Übersetzung von KDK):

In den meisten Fällen bleibt kein dauerhafter Effekt. Im Falle einer akuten DU-Exposition besteht die Möglichkeit der tubulären Acidose (Erläuterung KDK: Dabei handelt es sich um eine Nierenschädigung). Wenn die Inhalation von signifikanten Mengen von unlöslichen Urankomponenten erfolgt, sollte der Langzeitpatient Nachuntersuchungen auf Lungentumore erhalten. Den Patienten sollte jedoch gesagt werden, dass die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Gesundheitsschäden gering ist.

Weiterhin gibt es Hinweise dafür, dass auch die WHO im Zusammenwirken mit der IAEO eine Rolle bei der Behinderung der Aufklärung über die Gesundheitsschäden der Uranwaffen spielt. Seit 1959 gibt es bekanntlich ein Abkommen, wonach bei einer Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, die beide Organisationen betreffen, auch beide zustimmen müssen [19].

2013 berichtete „Luftpost“ (Friedenspolitische Mitteilungen aus der US-Militärregion Kaiserslautern/Ramstein), die WHO blockiere erneut die Veröffentlichung eines Berichts über im Irak auftretende Fehlbildungen bei Neugeborenen und Krebserkrankungen, die auf die von den US-Streitkräften verwendete DU-Munition zurückzuführen seien [20].

Dieser Bericht ist eine Übersetzung eines Artikels, der am 13.9.2013 in „Global Research“ erschienen ist [21] und in dem die Vermutung geäußert wird, dass sich die WHO unter Missachtung ihres Mandats kategorisch weigere, im Irak gesammelte Beweise zu veröffentlichen, die belegen, dass die von den US-Streitkräften eingesetzten Geschosse aus abgereichertem Uran und andere US-Waffen nicht nur viele Zivilisten getötet hätten, sondern auch die Ursache für schwere Missbildungen gewesen seien, die bis heute bei vielen Neugeborenen auftreten.

Weiter heißt es in dem Luftpost-Artikel [20]:

Dieses Problem wurde erstmals in einem im Jahr 2004 von WHO-Experten erstellten Report über „Die langfristigen Auswirkungen des Einsatzes von DU-Waffen auf die Gesundheit der irakischen Zivilbevölkerung“ untersucht. Schon dieser ältere Bericht blieb auf Drängen der WHO „geheim“. In der damaligen, von drei führenden Strahlungsexperten erarbeiteten Studie war festgestellt worden, dass Kinder und Erwachsene nach dem Einatmen von Staub, der strahlende und hochgiftige DU-Partikel enthält, an Krebs erkranken können. Die WHO blockierte die Veröffentlichung der Studie, deren Hauptautor Dr. Keith Baverstock als Strahlenberater in ihren Diensten stand. Er bestätigte, dass die Studie absichtlich zurückgehalten wurde, auch wenn die WHO das bestreite.

Fast neun Jahre später hat die WHO gemeinsam mit dem irakischen Gesundheitsministerium einen neuen Bericht über „Krebserkrankungen und Missbildungen bei Neugeborenen im Irak“ erarbeitet, der im November 2012 veröffentlicht werden sollte. „Die Veröffentlichung wurde wiederholt verschoben und ist noch immer nicht datiert.“ (zitiert in Mozhgan Savabieasfahani, Der Anstieg von Krebserkrankungen und Missbildungen bei Neugeborenen im Irak: Die WHO weigert sich, erhobene Daten, zu veröffentlichen, nachzulesen unter [22]).

Hans von Sponeck, der ehemalige Beigeordnete UN-Generalsekretär, sagte dazu: „Die US-Regierung hat versucht, zu verhindern, dass die WHO in den Gebieten im südlichen Irak, in denen DU-Munition verwendet wurde, die schwere Beeinträchtigungen der Gesundheit und der Umwelt verursacht hat, Untersuchungen anstellt“ [20].

Ob es tatsächlich dieses WHO-IAEO-Knebelabkommen gibt, war nicht eindeutig zu klären. Bei einer Literaturrecherche fand sich eine diesbezügliche Anfrage einer französischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments [23]. Die Antwort der EU-Kommission verweist jedoch auf die Erklärung WHO/06 vom 23. Februar 2001, in der diese darauf hinweist, dass durch die Formulierungen (im WHO-IAEO-Abkommen) ihre Unabhängigkeit in ihrer “verfassungsmäßigen Zuständigkeit” nicht gefährdet sei [24]. Handelt es sich bei dieser Antwort um eine trickreiche Verschleierung der tatsächlichen Beziehungen, da eben derartige radioaktive Ereignisse eben nicht in ihre “verfassungsmäßige Zuständigkeit” fällt? Die Antwort darauf muss, wie vieles in diesem Artikel, leider offen bleiben.

Der oben angeführte Keith Baverstock ist ein renommierter Strahlenbiologe und Dozent für Umweltwissenschaft an der Universität von Ostfinnland. Er war früher regionaler Berater für Strahlenschutz und Öffentliche Gesundheit bei der WHO. Auf seiner Website findet sich unter dem Stichwort „Depleted Uranium“ die folgende Stellungnahme (Übersetzung durch KDK; siehe unter [25]): Es wird angeführt, dass das Fehlen von epidemiologischen Beweisen für einen Zusammenhang zwischen Krankheiten und DU dessen Sicherheit beweist. Es ist jedoch so, dass es keine Beweise gibt, weil keine entsprechenden Studien an einer Bevölkerung mit einer bekannten DU-Exposition durchgeführt worden sind. In einem solchen Fall ist das Fehlen eines Beweises kein Argument dafür, dass es keinen solchen Effekt gibt.

Der Hintergrund dieser Aussage ist, dass sich die USA bis heute weigern, die Einsatzorte von DU-Munition in den Ländern, in denen sie seit 1991 Krieg geführt haben, bekannt zu geben. Deshalb sind die erforderlichen epidemiologischen Untersuchungen, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von DU-Munition und dem Auftreten bestimmter Krankheiten und Fehlbildungen nicht durchzuführen beziehungsweise extrem erschwert, abgesehen davon, dass auch die betroffene Zivilbevölkerung nicht über entsprechende Risiken aufgeklärt werden kann. Weiterhin gibt es in diesen Regionen keine aussagefähigen Fehlbildungs- und Krebsregister, so dass vergleichende Untersuchungen über Gesundheitsschäden vor und nach dem Einsatz von DU-Waffen nicht möglich beziehungsweise sehr erschwert sind.

Eine weitere negative Rolle bei der Aufklärung der Bevölkerung über die Gesundheitsschäden durch den Einsatz von Uranwaffen spielen auch die Politik und die Medien. Ein besonders markantes Beispiel dafür hat sich in Deutschland zugetragen [5][26].

Im Januar 2001 hat der Journalist Siegesmund von Ilsemann, langjähriger Militärexperte des „Spiegel“, die letzte Veröffentlichung zum Thema Uranmunition geschrieben, die damals zu einer großen Mediendebatte führte. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping geriet unter Druck, weil Vorwürfe erhoben wurden, dass Uranwaffen auch im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Serbien und im Kosovo 1999 eingesetzt worden seien. Minister Scharping rechtfertigte den Einsatz und erklärte wörtlich: „Uran wird als Metall, nicht als strahlendes Material verwendet. Deshalb haben auch alle Untersuchungen ergeben, dass die Strahlung aus diesem Uran unterhalb der natürlichen Umwelteinflüsse liegt.“

Claus Biegert hat diese Erklärung des Ministers treffend kommentiert: „Uran, das nicht strahlen soll, strahlt auch nicht! Der Minister als Magier“ [26].

Scharping stellte daraufhin einen Arbeitsstab zusammen, der die Ungefährlichkeit der Uranmunition bestätigen sollte. Zum Leiter wurde Theo Sommer, der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der „Zeit“, ernannt. Weitere Mitglieder waren ein Redakteur der „FAZ“, ein Vertreter der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ und eine Reihe hoher Militärs. Auf Wissenschaftler glaubte man offensichtlich verzichten zu können.

Der Arbeitsstab kam zu dem gewünschten Ergebnis, das dann im Sommer 2001 in der „Zeit“ in einem Artikel von Gero von Randow mit dem Titel „Die Blamage der Alarmisten“ veröffentlicht wurde. Seitdem wird das Thema in den überregionalen Leitmedien und der Regionalpresse in Deutschland bis auf seltene Ausnahmen (siehe auch oben) nicht mehr aufgegriffen.

Eine Erklärung für das Schweigen der Leitmedien über den Einsatz von Uranwaffen und dessen Folgen sei, meint Claus Biegert, dass mächtige Institutionen kein Interesse an einer Diskussion des Themas haben, denn das Internationale Recht sieht vor: Für die Beseitigung von Kriegsmaterial, vergifteten Böden und Wasser sind die Verursacher verantwortlich. Für zivile Opfer müssten sie sich vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten. Eine Ächtung der Uranwaffen schmälere nicht nur die Gewinne der Waffen- und Transportindustrie, sondern sie werfe auch Fragen der Entschädigung auf, die nicht vorgesehen waren [26].

Abschließende Bemerkungen

In der medizinischen Wissenschaft hat man sich, soweit wie möglich, an gesicherten Fakten zu orientieren und nicht nur an Vermutungen, seien diese auch noch so gut begründet. Andererseits gilt: Wir wissen nur das, was auch tatsächlich wissenschaftlich untersucht und dann auch veröffentlich worden ist. Über das, was nicht untersucht beziehungsweise nicht veröffentlicht wurde, können wir keine gesicherten Aussagen machen. Deshalb bestehen im Hinblick auf die gesundheitsschädigenden Wirkungen von Uranwaffen leider weiterhin noch viele offene Fragen, die weiter abgeklärt werden müssen, deren Abklärung aber auch deshalb schwierig ist, weil diese bisher durch verschiedene Akteure verhindert worden ist (siehe oben).

Wie ich zu zeigen versucht habe, liegen mittlerweile aber auch eine Reihe von harten Daten vor, die den Verdacht nahe legen, dass der Einsatz von Uranwaffen zu gehäuftem Auftreten von Fehlbildungen bei Neugeborenen und Krebserkrankungen und weiteren Krankheiten bei Kindern und Erwachsenen führen kann. Darüber hinaus kann der Einsatz dieser Waffen, im Unterschied zu sonstigen konventionellen Waffen, zu einer Verseuchung der Kriegsschauplätze und deren Umgebung und wahrscheinlich auch weiter entfernter Regionen mit giftigem und radioaktiv strahlendem Staub führen, der auch eine gesundheitsschädigende Wirkung auf die jetzt dort lebende Bevölkerung und eventuell auch viele zukünftige Generationen ausüben kann.

Somit hat es sich nach meiner Überzeugung beim Einsatz von Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran im Irak, auf dem Balkan und den anderen Einsatzorten neben der Entfesselung von völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, dem größten aller Kriegsverbrechen, um weitere große Kriegsverbrechen der Anwenderstaaten gehandelt, für die sie sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssten.

Danksagung: Für viele wertvolle Anregungen bedanke ich mich bei Jascha Jaworski von attac Kiel und Prof. Dr. med. Martin F. Krause von der Kieler IPPNW-Gruppe.

Autor: Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Kolenda
E-Mail: klaus-dieter.kolenda(at)gmx.de


[«1] de.wikipedia.org – Uranmunition

[«2] who.int – WHO Guidance on Exposure to Depleted Uranium

[«3] mdpi.com – Depleted Uranium and Its Effects on Humans

[«4] umweltbundesamt.de – Uran (U) im Trinkwasser: Kurzbegründung des gesundheitlichen Grenzwertes der Trinkwasserverordnung (10μg/l U) und des Grenzwertes für „säuglingsgeeignete‘‘ abgepackte Wässer (2μg/l U)

[«5] Kolenda KD. – Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran.

[«6] Kolenda KD. – Nachtrag: Lesermail zu „Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran“.

[«7] Kolenda KD. – Nachtrag Nr. 2 zu „Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran“.

[«8] welt.de – Staub des Todes

[«9] spiegel.de – Kampf gegen den IS – USA räumen Einsatz von Uranmunition in Syrien ein

[«10] Frieder Wagner: Dokumentarfilm „Deadly Dust- Todesstaub: Uranmunition und die Folgen“, Langfassung, 90 min.

[«11] Siegwart-Horst Günther: Urangeschosse: Schwerbehinderte Soldaten, missgebildete Neugeborene, sterbende Kinder. Mit einem Geleitwort von Tony Benn, Margarita Papandreou &Freimut Seidel. Ahriman Verlag, Freiburg 1996

[«12] Die Gesundheitlichen Folgen von Uranmunition. Die gesellschaftliche Debatte über den Einsatz dieser umstrittenen Waffe. Ein Report der deutschen Sektionen von IPPNW und ICBUW. 1. Auflage, Dezember 2012

[«13] uranmunition.org – US-Militär setzte in Syrien Uranwaffen ein

[«14] Faa A, Gerosa C, Fanni D, et al. Review Article. Depleted Uranium and Human Health. Current Medicinal Chemistry 2017, 24,1-16

[«15] Kolenda KD. – Nachtrag Nr. 3 zum Artikel „Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran“.

[«16] Busby C, et al. Cancer, Infant Mortality and Birth Sex-Ratio in Fallujah, Iraq 2005- 2008. Int J Environ Res Public Health 2010, 7 (7), 2828- 37

[«17] Srbljak N, Milenkovic S, Cvetkovic M. Anstieg der malignen Erkrankungen in der Region von Nord-Kosovo nach der Nato-Bombardierung 1999. Aus der Inneren- und Anästhesiologischen Abteilung des G.Z. Kosovska Mitrovica. Persönliche Mitteilung, die mir in Form eines aus dem Serbischen ins Deutsche übersetzten Artikels der Autoren vorliegt

[«18] de.wikipedia.org – Golfkriegssyndrom

[«19] independentwho.org – Das Abkommen zwischen WHO und IAEO

[«20] luftpost-kl.de – Die WHO weigert sich, einen Report über Missbildungen bei Neugeborenen und Krebserkrankungen zu veröffentlichen, die durch den Einsatz DU-Munition im Irak verursacht wurden

[«21] globalresearch.ca – WHO Refuses to Publish Report on Cancers and Birth Defects in Iraq Caused by Depleted Uranium Ammunition

[«22] globalresearch.ca – Rise of Cancers and Birth Defects in Iraq: World Health Organization Refuses to Release Data

[«23] europarl.europa.eu – SCHRIFTLICHE ANFRAGE von Marie Isler Béguin (Verts/ALE) an die Kommission

[«24] europarl.europa.eu – Antwort von Frau de Palacio im Namen der Kommission

[«25] kbaverstock.org

[«26] Biegert C. DU: Das tödliche Kürzel. Wie das Thema Depleted Uranium aus den Medien verschwand. In: Ronald Thoden (Hg): ARD & Co. Wie Medien manipulieren. Band 1. Selbrund Verlag 2015, S. 160-171