SPD und Grüne in NRW wollen unbemerkt erstmals in der Bundesrepublik private Grundschulen mit Schulgeld einführen.
Mit einem Änderungsantrag vom 6.1.05 zur Novelle eines Schulgesetzes wollen offenbar die Fraktionen von SPD und Grünen im Düsseldorfer Landtag eines der letztverbliebenen Elemente egalitären Gedankenguts des Grundgesetzes, nämlich das überall in der Bundesrepublik noch geltende Prinzip für die Grundschule als „Schule für alle“ aushöhlen und über eine Hintertür „private Ergänzungsschulen“, sprich private Grundschulen zulassen, die Unterricht auch gegen Schulgeld anbieten dürfen. Damit könnten die Kinder der Geldelite – wie in vielen Ländern mit Privatschulen – schon in der Grundschule unter sich bleiben. Die bisherige Chancengleichheit zumindest in der Primarstufe würde unterminiert.
Das grundgesetzliche Verbot einer „Sonderung der Schüler nach Besitzverhältnissen der Eltern“ (Art. 7 Abs. 4 GG), das seine Ausformung in einem weitgehenden Schulmonopol der öffentlichen Hand jedenfalls für die Grundschulen gefunden hat, ist neben der Gleichheit vor dem gesetzlichen Richter oder der allgemeinen Wehrpflicht eine der wenigen verbliebenen egalitären Institutionen in unserer Gesellschaft. Die Grundschule als „Schule für alle“ galt bislang geradezu als ein Symbol der Chancengerechtigkeit.
Mit einem Änderungsantrag vom 6.1.05 zum Gesetzentwurf eines Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Schulgesetz NRW – SchulG) Drucksache 13/5394 wollen die Fraktionen der SPD und der Grünen – nachdem das Gesetz ohne diese Änderung schon die zweite Lesung passiert hat – sozusagen in letzter Sekunde und durch die Hintertür einen Rechtsanspruch auf die Errichtung von „anerkannten Ergänzungsschulen“ im Primarbereich, also von privaten Grundschulen einführen, an denen einheimische Kinder ihrer Schulpflicht genügen können und für deren Besuch auch Schulgeld erhoben werden darf.
In einer Sitzung des Schulausschusses des Landtages vom 12. Januar schlossen sich die Fraktionen von CDU und FDP diesem Antrag an.
(Anmerkung für den in schulrechtlichen Fragen nicht so versierten Leser: Es gibt natürlich heute schon neben der staatlichen Gemeinschaftsgrundschule die „Ersatzschulen“ freier Träger, also der Kirchen oder die Waldorfschulen. Obwohl man in der Schulpraxis oftmals daran zweifeln kann, dass sie das „Sonderungsverbot“ einhalten, unterliegen diese „Ersatzschulen“ , anders als „Ergänzungsschulen“, die nur einer „eingeschränkten Schulaufsicht“ unterstehen, den staatlich vorgegebenen Richtlinien und Lehrplänen vor allem auch im Hinblick auf die staatliche Anerkennung der Abschlüsse.
„Ersatzschulen“ haben im Unterschied zu „Ergänzungsschulen“ jedenfalls offiziell auch nicht das Recht, „Schulgeld“ zu erheben. Das Schulgeldverbot wird zwar in der Praxis oftmals umgangen, in dem die Eltern um Spenden gebeten werden oder für besonderen Förderunterricht bezahlen. Ergänzungsschulen können dagegen ganz offen Schulgeld verlangen.)
Da man sich im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen – noch – scheut, das – anders als in der Weimarer Zeit – bisher in der gesamten Bundesrepublik bestehende Schulmonopol der öffentlichen Hand jedenfalls für die Grundschulen ganz offen aufzugeben, wird die Zulassung von „anerkannten Ergänzungsschulen“ in gesetzliche Formulierungen verpackt, die selbst für Schulpolitiker kaum ihren wirklichen Gehalt erkennbar werden lassen:
So unverfänglich wie irreführend heißt es nämlich in der Begründung zu dem Änderungsantrag: „Durch diese Änderung wird ausländischen und internationalen Schulen ermöglicht, auch im Primarbereich den Status einer anerkannten Ergänzungsschule zu erhalten“. Irreführend deshalb, weil der uneingeweihte Leser etwa an die bekannten „Diplomatenkinder“- Schulen denken könnte, wie sie offenbar in Bonn zwar am Rande der Legalität aber immerhin mit nachvollziehbaren Gründen schon zugelassen wurden.
Eine „anerkannte Ergänzungsschule“ soll „durch das Ministerium“ dann zugelassen werden, wenn an dieser Schule a) „der Abschluss eines Mitgliedstaates der Europäischen Union“ erlangt werden kann, b) „in einem durch das Ministerium bestimmten Mindestumfang Unterricht in deutscher Sprache abgehalten wird“ und c) „für die Errichtung und den Betrieb dieser Schule dauerhaft ein besonderes öffentliches Interesse besteht“.
Auch das hört sich noch so an als ginge es ausschließlich um Schulen für ausländische Bürger oder vielleicht sogar umgekehrt, um die Einschränkung der Aktivitäten von berüchtigt gewordenen Islamistenschulen.
Sieht man sich die Zulassungskriterien allerdings genauer an, dann entpuppt sich des Pudels Kern:
- Die Schule braucht nicht eine ausländische Schule zu sein, sie kann auch eine „internationale“ Schule sein. Eine internationale Schule kann – wie etwa ein international ausgerichteter Studiengang an einer Hochschule – eben auch eine Schule sein, die sich eben international öffnet oder sich so versteht. International gilt ja als modern und zukunftsträchtig – zumal die deutschen Schulen nach Pisa ohnehin ihren guten Ruf verloren haben.
- Zwar gibt es eine Mindestanforderung an Unterricht in deutscher Sprache, man könnte aber den Unterricht auch komplett in Deutsch durchführen – selbstredend können natürlich schon in der Primarschule altersgemäß Fremdsprachen unterrichtet werden – zumal das ja heute schon für den Kindergarten empfohlen wird.
Könnte man, was die ersten beiden Zulassungskriterien anbetrifft, noch meinen, dass es eine zu weitgehende Interpretation darstelle, darin die Möglichkeit einer Zulassung privater Grundschulen heraus zu lesen, so wird durch die Begründung des dritten Kriteriums, nämlich des Vorliegens eines „öffentlichen Interesses“, ziemlich klar, worum es dem Änderungsantrag in Wahrheit – zumindest auch – geht.
„Ein besonderes öffentliches Interesse“, so heißt es im Änderungsantrag, „kann unter anderem damit begründet werden, dass die Ansiedlung von international tätigen Unternehmen in der Region eine ausländischen oder internationalen Standards entsprechende schulische Versorgung erfordert.“
Spielen wir die aktuell geplanten gesetzlichen Möglichkeiten einmal ganz praktisch an Hand eines Genehmigungsantrages durch: In einer nordrhein-westfälischen Stadt X versucht der Bürgermeister, ein Unternehmen mit seinem Hauptsitz im Ausland oder einen deutschen Versicherungskonzern, der internationale Verflechtungen hat, anzulocken – also z.B. Vodafone, AXA, Allianz oder auch eine Investmentabteilung der Dresdener Bank. Man kann natürlich gut begründen, dass es ein „weicher“ Standortfaktor ist, wenn die ausländischen Manager ihre Kinder auf eine internationale Grundschule schicken können.
Gleichzeitig oder darüber hinaus gibt es eine Gruppe von Eltern vor Ort, die für ihre Kinder schon lange eine besondere Förderung wünscht und es auch lieber hätte, wenn ihre Kinder in einer sozial homogenen Schülerpopulation heranwachsen (also mit möglichst wenig Migrantenkindern und allenfalls mit den Kindern der ausländischen Manager oder eben noch mit denen des indischen Arztes). Diese Eltern würden gerne ihren Kindern zusätzlich eine frühmusikalische Erziehung oder eine sonstige musische oder kognitive Förderung angedeihen lassen. Dann wäre diese Gruppe von Eltern – wenn sie es sich denn leisten kann – gerne bereit, sich dieses besondere schulische Angebot auch etwas kosten zu lassen. Wie Beispiele und die Vorbilder in den angelsächsischen Ländern zeigen, sind Beträge von 1000 Euro und mehr im Monat keineswegs ungewöhnlich.
Der Bürgermeister der Stadt X gibt nun diesen Bedürfnissen gerne nach und beantragt die Zulassung einer privaten Ergänzungsschule.
Das lässt sich politisch gut darstellen, zeigt er doch damit, dass er eine international angelegte Ansiedlungspolitik betreibt und darüber hinaus ist er den politischen Druck einflussreicher Eltern auf eine private Grundschule gleich mit los.
Nun gilt es allerdings für die Zulassung durch das Ministerium nur noch eine letzte Hürde zu überspringen, nämlich das soziale „Sonderungsverbot“ aus Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes.
Noch im Jahr 2000 hatte nämlich Karlsruhe entschieden, dass dem Grundgesetz „eine sozialstaatliche und egalitär-demokratischem Gedankengut verpflichtete Absage an Klassen, Stände und sonstige Schichtungen“ inne wohne (BVerfG – Beschl. v. 11.12. 2000 – 1 BvL 15/00) und deshalb Kinder aller Volksschichten zumindest in den ersten Klassen zusammen unterrichtet werden sollen.
Aber auch diese „egalitär-demokratische“ Hürde, die ja gleichzeitig eine institutionelle Ausprägung der Chancengerechtigkeit im Bereich der Primarbildung ist, wird locker übersprungen:
Wenn sich nämlich der Schulträger verpflichte – so lautet die Begründung -, für einen nicht unerheblichen Teil der Schüler die entstehenden Kosten zu tragen, könne nicht mehr davon ausgegangen werden, „dass Schülerinnen und Schüler benachteiligt werden, die wirtschaftlich nicht in der Lage wären, die regulären Schulgelder zu tragen“. Ob eine soziale Benachteiligung vorliegt, darüber soll dann künftig nicht mehr die Schulverwaltung vor Ort, sondern unmittelbar an höchster Stelle, im Ministerium im Einzelfall entschieden werden.
Da darf man jetzt schon fragen, wo bliebe der Kläger der sich gegen eine solche Anerkennung wehren würde und wer hätte die Klagebefugnis, wenn sich doch eine Benachteiligung später herausstellen sollte?
Würde der jetzt interfraktionelle Änderungsantrag in der Dritten Lesung Gesetzeskraft erlangen, so stünden – wenn der Schulträger bereit wäre „für einen nicht unerheblichen Teil der Schüler“ die „entstehenden Kosten“ zu tragen, einem „Rechtsanspruch“ auf Zulassung einer privaten, durch Schulgeld finanzierten Grundschule nichts mehr im Wege.
Den politischen Druck interessierter Konzerne und einflussreicher Bevölkerungsgruppen auf die Zulassung privater Grundschulen, mit dem Ziel, Schülerpopulationen zu schaffen, die nach Herkunft und Stand homogen sind, gibt es übrigens nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Auch aus Bayern und Hessen hört man von solchen Initiativen.