Nahles vs. Kramp-Karrenbauer? Bei diesem Duell gibt es nur einen Sieger – die Leitartikler
Nun hat SPIEGEL Online „das Duell“ ausgerufen, das die nächsten Jahre die politische Debatte in Deutschland bestimmen soll: In der linken Ecke des Rings die neue Chefin der Sozialdemokraten, Andrea Nahles (47); und in der rechten Ecke des Rings die „heimliche Parteichefin“ der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer (55). Zugegeben – ein derartiges „Duell“ wäre wohl vor noch nicht einmal einem Jahr noch nicht einmal Kabarettisten eingefallen. Der Gedanke, dass zwei Damen, die vor allem für ihr mangelndes Charisma, ihren überbordenden Opportunismus und ihre Profillosigkeit bekannt sind, den beiden angeschlagenen „Volksparteien“ ein neues Profil verleihen sollen, ist ja auch aberwitzig. Der eigentliche Gewinner dieser beiden skurrilen Personalien sind daher auch die reichweitestarken Medien, die Greti und Pleti nun munter vor sich hertreiben und die politische Agenda endgültig diktieren können. Eine Glosse von Jens Berger.
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66% Zustimmung auf einem Delegiertenkongress mit nur einer Gegenkandidatin, die zwar inhaltlich erfreulich unorthodox auftrat, aber als Bürgermeisterin einer norddeutschen Mittelstadt nicht eben als politisches Schwergewicht bezeichnet werden kann? Andrea Nahles´ Amtsvorgänger Gerhard Schröder hätte ein solches Ergebnis wohl als „suboptimal“ bezeichnet. Die Zeiten der Basta-Politik von Schröder und seiner Diadochen sind jedoch vorbei. Nun kommen die Zeiten der Bätschi-Politik … was auch nicht besser ist. Aber was soll man erwarten? Eine ehemalige Volkspartei, in der sich kein deutlicher Widerstand gegen die Nominierung einer derart katastrophalen Politikerin wie Andrea Nahles bildet, hat es wohl auch nicht besser verdient. SPD und Nahles – da haben sich zwei Misserfolgsmodelle gesucht und gefunden.
Der wohl einzige Trost, den die Funktionäre der SPD auf machtarithmetischer Ebene haben können, ist, dass es bei der CDU nach dem lang erwarteten, aber immer wieder verschobenen Abgang der ewigen Kanzlerin auch nicht besser aussieht. Dort hat man die Qual der Wahl zwischen einer Weinkönigin (Julia Klöckner), einem homosexuellen Schmalspurrechtspopulisten (Jens Spahn), einer Flinten-Uschi (Ursula von der Leyen), zwei farblosen Statisten aus dem Talkshowinventar (Peter Altmeier und Armin Laschet) und eben der Merkel in klein, die auf den sperrigen Namen Annegret Kramp-Karrenbauer hört, bis vor kurzem östlich der Saar nur Hardcore-Politikinteressierten ein Begriff war und in Wort und Bild auch irgendwie so herüberkommt, wie sie heißt. Selbst kompromisslose Unterstützer der Saarländerin würden sie wohl nicht als feurige Rednerin, intellektuelle Visionärin oder charismatischen Wählermagneten beschreiben. Ihr größtes Plus war es bislang eher, dass der politische Gegner in Gestalt von Heiko Maas und zuletzt – zumindest indirekt – Martin Schulz noch untalentierter war und der „Kanzlerinnen-Bonus“ offenbar die Farblosigkeit der Saarländerin überdeckte und ihr zu alles andere als überraschenden Siegen verhalf, die freilich von den Medien als Sensationen aufgebauscht wurden. Nun wird Frau Kramp-Karrenbauer von den Medien zum Hoffnungsträger der CDU hochgeschrieben und mit einem Fast-Schulz-Ergebnis zur neuen CDU-Generalsekretärin gewählt. Halleluja! Die Fallhöhe ist jedenfalls bald erreicht.
Wenn Sie im Bekannten-, Freundes- oder Verwandtenkreis jemanden kennen, der sich selbst als absoluter Kenner der politischen Landschaft betrachtet, können Sie ihm ja mal folgende, gemeine Frage stellen: Durch welche politischen Positionierungen hat sich Annegret Kramp-Karrenbauer in der Vergangenheit profiliert? Da ist es leichter, einen Wackelpudding an die Wand zu nageln. Auch ist Annegret Kramp-Karrenbauer nicht eben verdächtig, eine Visionärin zu sein oder eine Politik zu vertreten, mit der man den Menschen eine Orientierung gibt und an die sie glauben können. Repräsentativ für das politische Handeln der Saarländerin erscheint da eher ihr bemerkenswerter Positionswechsel beim Thema „Schuldenbremse“ zu sein. Zuerst äußerte Kramp-Karrenbauer leise Kritik an diesem kontraproduktiven neoliberalen Projekt, dann begann sie beim ersten Gegenwind aus Medien und Partei zu wanken, um schlussendlich die Schuldenbremse mit Nachdruck zu verteidigen. Ähnlich lavierend mäanderte sie auch bei den Themen „Ehe für Alle“ und „Flüchtlingspolitik“, bei denen sie kurz rechts blinkte, nur um sich dann noch überzeugter hinter ihre große Förderin Angela Merkel und die Mehrzahl der Leitartikler zu stellen. Die mögen solche Charakterlosigkeit natürlich, da auch die edelsten Edelfedern nur dann reale Macht besitzen, wenn es rückgratlose Politiker gibt, die sich von ihnen treiben lassen – Annegret Kramp-Karrenbauer gehört dazu, Andrea Nahles aber auch.
Von BILD über Focus bis zur Tagesschau – die Leitartikler lieben die „Frau der deutlichen Worte“, die ihre „Rebellenjahre“ abgehakt hat und nun als Großmeisterin der „Realpolitik“ gilt. Einer einst stolzen sozialdemokratischen Partei eine Andrea Nahles als neue Parteichefin aufzuschwätzen, ist schon eine beachtliche Leistung der Leitartikler. Aber damit gibt man sich noch nicht einmal zufrieden, sondern diktiert gleich schon einmal die drei „großen Themen“, mit denen Nahles der SPD ein neues Profil verpassen soll – diese Hammerthemen sind „verbesserte Teilzeitregelungen“, eine „Entschärfung des „Werbeverbots für Abtreibungen“ und eine Neuregelung des „Familiennachzugs für Flüchtlinge“. Da kann man als politisch Interessierter natürlich nur fassungslos den Kopf schütteln. Was ist mit den großen Themen unserer Zeit? Vor unseren Augen betreibt die NATO mit politischer Flankendeckung eine so lange nicht mehr dagewesene Spannungspolitik, Kriege sind wieder Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, Europa zerfällt, der Neoliberalismus zerfrisst unsere Gesellschaft, wir müssen wieder Angst vor der Zukunft haben und unseren Kindern und Enkelkindern drohen sogar noch schlimmere Zeiten und für die beiden ehemaligen Volksparteien sollen Nebensächlichkeiten á la Werbung für Abtreibungen die entscheidenden Themen sein, um sich zu profilieren? Schon klar – wo kein Profil vorhanden ist, haben die Leitartikler auch mehr Einfluss. Soll die Politik daher doch besser auf irgendwelchen abwegigen Nebenkriegsschauplätzen ihre Showgefechte abhalten.
Die „echten“ Themen sollen ja schließlich nicht kontrovers und schon gar nicht ergebnisoffen debattiert werden. Und sowohl Nahles als auch Kramp-Karrenbauer sind Garantinnen dafür, dass dies auch so bleibt. Eine andere Frage ist jedoch, ob der gemeine Wähler die Finte nicht wittert und das Spiel wirklich mitspielt. In einer aktuellen Umfrage, die zwar nur von Forsa ist, aber in der Tendenz sicher schon passt, würden nur 13 Prozent der Deutschen Andrea Nahles zur Kanzlerin wählen. Und es wäre schon ein großer Erfolg für die CDU, wenn ähnlich viele Wähler Annegret Kramp-Karrenbauer überhaupt kennen würden. Eigentlich wären solche Kandidatinnen unterhalb des Aufmerksamkeitsradars der Wähler ja eine Steilvorlage für eine linke Sammlungsbewegung mit einer charismatischen Frontfrau Sahra Wagenknecht, die Greti und Pleti von den Volksparteien in allen Belangen mühelos in die Tasche steckt. Doch eine Sahra Wagenknecht rüttelt natürlich auch an neuen neoliberalen und außen-/sicherheitspolitischen Grundfragen, die sich bis tief ins linksliberale Bürgertum in die Gehirne eingenistet haben und dürfte es daher schwer haben, Partner für eine gemeinsame Plattform zu finden. Bleiben die Rechtsaußen der AfD, die zu unser aller Glück jedoch bislang auch keinen überzeugenden Kandidaten aus der Pickelhaube zaubern konnten. Wenn die Politik sich aber kollektiv aus der Meinungsführerschaft abmeldet, übernehmen die Medien auch diese Funktion am Ende vollständig. Schöne neue Welt.