Amazon-Chef Jeff Bezos erhält den Axel Springer Award
Am 24. April 2018 verleiht Springer-Chef Mathias Döpfner dem Chef des größten Online-Händlers Amazon den Axel Springer Award. Da wächst zusammen, was längst zusammengehört. Von Werner Rügemer.
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Der Amazon-Gründer Jeff Bezos, geboren 1964, wurde 2017 mit 130 Milliarden US-Dollar Privatvermögen endlich das reichste Inividuum der bisherigen Menschheit. Er versteht sich als „libertär“. Das ist eine Steigerung von „liberal“ in Richtung noch größerer Aggressivität gegenüber Staaten, Gewerkschaften und überhaupt jeder Form verbindlicher Gemeinschaftlichkeit. Er will wie der bekannteste Venture-Capitalist Peter Thiel, der frühzeitig auch in Amazon investierte, alle Grenzen der bisherigen Menschheit sprengen. 2000 gründete er das Raumfahrtunternehmen Blue Origin: Vermögende Individuen sollen mit neu entwickelten, wiederverwendbaren Raketen, die besser sind als die der NASA, im Weltraum, zunächst mal im Sonnensystem, spazieren fliegen und nach neuen Investitionen Ausschau halten.
„Ich bin ein Libertär“
Für libertäre Ziele spendet der Aufsteiger immer wieder aus seinem wachsenden Vermögen, zum Beispiel im Bundesstaat Washington, weil in der Hauptstadt Seattle neben Microsoft und Boeing Amazons Zentrale steht: Bezos unterstützte die Initiative gegen ein Gesetzesvorhaben, das eine lokale Einkommenssteuer für Topverdiener vorsah; er unterstützte eine Initiative für die Anerkennung der Schwulenehe; er spendete für eine Initiative, die sich für die staatliche Förderung von Privatschulen (charter schools) einsetzt; er spendete auch für die Clock of the Long Now, die die Zeit der nächsten 10.000 Jahre anzeigt.
Auch für die gegenwärtig 566.000 Beschäftigten weltweit gibt es keine Vergangenheit, nur Zukunft. Die Bürohochhäuser in Seattle tragen die Bezeichnung Day 1 South, Day 1 North: Jeder Tag ist der erste bei der weiteren Expansion im Dienste der Aktionäre. Das sind neben dem als allmächtig inszenierten Bezos in viel größerem Umfang allerdings die heute mächtigen Kapitalorganisatoren Vanguard, Blackrock, JPMorganChase & Co, von denen die auf Personenkult setzenden Leitmedien lieber schweigen.
Der fanatisierte Aufsteiger war durch seinen exilkubanischen Stiefvater Mike Bezos, Manager bei Exxon in Houston/Texas, an die Welt des Großkapitals gewöhnt worden. Nach dem Studium in Princeton wurde er Banker bei Bankers Trust in New York. 1990 wechselte er in den kurz zuvor gegründeten Hedgefonds D.E. Shaw. Dessen Gründer David Shaw, von der Eliteuniversität Stanford kommend, hatte an der militärischen Vorform des Internet, ARPANET, mitgearbeitet und übertrug die auch geheimdienstlich entwickelte Datenverarbeitung auf den Finanzsektor. Daran nimmt ein Libertärer keinen Anstoß: Bezos wurde mit der Abteilung Einzelhandel Vizepräsident des Hedgefonds, während Chef Alvin Krongard die Verbindung zur CIA aufrechterhielt und der privaten Söldnerarmee Blackwater den ersten großen Auftrag verschaffte. 1994 machte Bezos sich mit der digitalen Buchhandelsplattform Amazon selbständig.
Prekäre Beschäftigung als Unternehmensmodell
Die meisten Beschäftigten des heutigen Weltkonzerns können sich mit Teilzeit-, Saison- und Leiharbeit nur prekär über Wasser halten. Trotzdem sind sie für den Libertär-Ideologen ein störender Kostenfaktor. Selbst wenn sie, bescheiden wie sie im US-geführten Kapitalismus geworden sind, auch in Deutschland nur „living wage“ verlangen (Lohn, der zum Überleben gerade reicht; in Deutschland der Tarifvertrag des Einzelhandels), sind sie ihm ein Greuel.
Deshalb fördert er durch start ups die weitere Automatisierung und Roboterisierung der Produktion und des Handels. Riesige fensterlose Fabrikhallen, betrieben von Robotern, sind Bezos‘ Vision. Um das Ziel zu erreichen und die digital sekundengenau kontrollierten Dienstboten-Heere zur 120-prozentigen Leistung zu disziplinieren, heuert Amazon die besten Absolventen der berühmtesten Business Schools aus Harvard, London, Barcelona und Paris an: Anfangsgehalt 171.000 Dollar.
Gegen Trump, mit Trump
Mit seiner eigenen Firma Nash Holdings kaufte er die Tageszeitung Washington Post für 250 Millionen Dollar. Sofort stellte er sie auf digitale Dienste um und kürzte die Betriebsrenten und das Recherche-Budget. Die politische Richtung braucht er nicht zu ändern. Die Zeitung, die zum Regierungsbetrieb der Hauptstadt gehört, ist noch „konservativer“ und mit den Geheimdiensten mindestens genauso eng liiert wie die New York Times, die über Amazon schon mal kritische Reportagen veröffentlichte.
Die längste Zeit hat Bezos demokratische Kandidaten bespendet. Libertäre waren bei Barack Obama und Hillary Clinton beliebt. Aber seit Trumps Wahl hat sich der unternehmenseigene PAC (Political Action Committee), in den auch Bezos mit seiner Frau einzahlt, umorientiert. Er bespendet etwa zur Hälfte auch die Trump-Partei, etwa wenn Amazon die Zulassung von Drohnen für die Auslieferung von Waren braucht.
Seelenverwandtschaft beim organisierten Prekarität
Bezos bekommt am 24.4.2018 den Axel-Springer-Award als innovativer Unternehmer, der „das Alltagsleben der Konsumenten weltweit wesentlich verändert“ habe. Amazon setze Standards, lautet die Begründung.[1] Richtig: Amazon steuert die Konsumenten nach heimlich ausgespähten Vorlieben.
Und auch die Belegschaften lässt Bezos auf der Höhe der digitalen Innovationen ausspähen und disziplinieren und setzt sie auf Prekär-Status. Und macht mit WalMart und anderen Vertragspartnern, deren Preise marktmächtig gnadenlos gedrückt werden, noch mehr Beschäftigte weltweit arm, in Indien genauso wie im „reichen“ Deutschland. Bezos investiert auch in Digital-Konzerne wie Uber (Taxidienste) und Airbnb (Vermittlung von Privat- und Hotelunterkünften), die das Dienstboten- und Steuerflucht-Geschäftsmodell noch weiter treiben.
Springer hechelt gewinnheischend in dieselbe Richtung. So hatte der Verlag seine schmutzigen Finger geheimnisvollerweise in den Groko-Verhandlungen 2018. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) – Präsident: Döpfner – setzte zur nachträglichen, allerdings gedämpften Verwunderung der SPD im Koalitionsvertrag durch: Den prekären nächtlichen Zeitungsausträgern werden für ihre kümmerlichen 450-Euro-Minijobs nun nur noch kümmerliche 5 Prozent statt bisher 15 Prozent Rentenbeitrag gewährt. Altersarmut der Unsichtbaren – welche christliche Politikerin, welchen deutschen Konzernchef und welchen Chefredakteur bundesdeutscher Leitmedien kümmert das schon? Da haben wohl die Busenfreundinnen Angela Merkel und Hausherrin Friede Springer erfolgreiche Frauen-Politik gemacht.
So macht es Springer aber nicht nur im eigenen Haus und in der Medienbranche. Der Konzern investiert wie der bewunderte Preisträger Bezos ebenfalls in Uber und Airbnb, weiteren weltweiten Labors der Prekarität und der Steuerflucht.
Kleiner Preisgeber Döpfner – großer Preisträger Bezos
Die mediale Versöhnung zwischen dem größten Niedriglohn-Sektor in der EU, in Deutschland, und der gleichzeitigen Förderung der meisten Multimilliardäre im selben Staat (Friede Springer inbegriffen) hat Springer als Geschäftsmodell seit über 60 Jahren.
Das Gossen-Medium BILD spielt sich als Anwalt des abgehängten „kleinen Mannes“ und der nackten Frau auf – während das gutbürgerliche Medium Die Welt das befrackte und diamantenbehängte Millionärs-Milieu präsentiert, verbissen die vier Hartz-Gesetze und die Steuerflucht der Vermögenden verteidigt und die millionenfache, tägliche, straflose Verletzung des Mindestlohn-Gesetzes durch die Unternehmer nicht kritisiert.
Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, Laudator John Elkann und der Preisträger kennen sich gut, sie treffen sich nicht nur bei lichtscheuen Bilderberg-Konferenzen. Der lichtscheue Springer-Verlag, der sich unter das Dach einer nicht dem deutschen Aktienrecht unterliegenden S.E. (Societas Europea) geflüchtet hat, veröffentlicht nicht das Einkommen ihres Chefs. Es wird auf gelegentlich 19 Millionen im Jahr, das Privatvermögen auf 150 Millionen geschätzt.[2]
Darüber wird nicht öffentlich informiert: Döpfner schämt sich wegen dieser finanziellen und kulturellen Ärmlichkeit. Gegenüber dem Agnelli-Erben und Fiat-Chef Elkann – zum Konzern gehören Ferrari, Chrysler, die italienische Tageszeitung Stampa, Immobilien und vieles andere – sind die paar Milliönchen des Springer-Chefs pea nuts. Außerdem hat Döpfner nicht so berühmte Freunde wie Elkann, der bei der Heirat mit einer Tochter aus dem Altadelsgeschlecht der Borromeo den Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi begrüßen konnte. Und gegenüber dem bepreisten Bezos, dessen Vermögen knapp das Hundertfache beträgt, steht der Springer-Chef wie ein armer Verwandter verschämt in der Ecke. (Nachträgliche Korrektur aufgrund der Mail eines NachDenkSeiten-Lesers: Bezos Vermögen beträgt knapp das Tausendfache!)
Glanz aus Silicon Valley
Da muss der Glanz von woanders kommen. Döpfner schickte vor einigen Jahren seinen BILD-Chefredakteur Kai Diekmann ins angebetete Digital-Paradies Silicon Valley. Diekmann wurde in den Uber-Beirat berufen. Er soll „kulturelle Übersetzungsarbeit“ zwischen den unterschiedlichen Unternehmens-Kulturen der USA und der EU machen.[3] Das heißt: Amazon und Uber als Vorbild für Deutschland und die EU.
Gleichzeitig stiftete der Konzern, dessen paar Milliarden Jahresgewinn mit den Vorbildern (bisher) nicht mithalten kann, den Axel Springer Award für hervorragende Innovationen. Voriges Jahr wurde Sir Tomothy Berners-Lee bepreist, der als Erfinder des World Wide Web gilt. Glanz sollte vor allem der erste Preisträger Mark Zuckerberg von Facebook verschaffen, dessen Geschäftsmodell in der heimlichen Ausspähung der Kunden besteht und auch den US-Geheimdiensten zugänglich ist. Das ist mit dem Springer-Geschäftsmodell allemal verträglich.
Das bekräftigte Döpfner auch jetzt nach der bekanntgewordenen Weitergabe von Facebook-Daten. „Die Verbraucher wollen ja gerade die Angebote, die sich an ihren Vorlieben orientieren. Das macht vieles bequemer.“ Den ohnehin bescheidenen Ansatz der EU, mit der E-Privacy-Richtlinie das digitale Ausspähen der Kunden, vor allem durch die US-Internet-Giganten, zu begrenzen, verteufelt Döpfner als „totalitäre“ Maßnahme und als „existenzielle Bedrohung“ seiner Branche.[4]
Schutz vor NSA, CIA und FBI?
Kurz vor der Preisvergabe an Bezos wurde Alexander Karp in den Aufsichtsrat der Springer S.E. aufgenommen. Karp ist Gründerchef von Palantir. Die Firma für „Sicherheits“software wurde von Q-Tel gefördert, der Wagniskapital-Tochter der CIA.[5]
Das Unternehmen hat heute 2.000 Beschäftigte weltweit und liefert „Sicherheits“software für NSA, CIA und FBI. Für das Innenministerium überprüft Palantir gegenwärtig Muslime, die in die USA einreisen, Honorar: 876 Millionen Dollar. Aber auch Konzerne wie Deutsche Bank, BP, Merck und Airbus sind inzwischen Kunden von Palantir.[6] Döpfner lobt Palantir: „Vermutlich das bestgerüstete Big-Data-Unternehmen der Welt.“[7]
Ob dabei der Datenschutz gewährleistet wird – für Döpfner kein Problem. Und die geplante E-Commerce-Richtlinie der EU thematisiert dieses Problem gar nicht erst. Amazon als US-Unternehmen muss wegen des Patriot Act von 2001 sowieso mit den US-Geheimdiensten kooperieren. Bezos und Döpfner – sie verstehen sich.
Nachbemerkung Albrecht Müller: Kümmert sich denn jemand vom deutschen Einzelhandelsverband oder vom deutschen Buchhandel oder von den Taxifahrern oder dem Verband der deutschen Hotels um diesen Vorgang? Sie vertreiben weiter die Bild-Zeitung und andere Produkte des Springerkonzerns, sie werben für die Bild-Zeitung und lesen sie. Vielleicht sollten sie aufwachen, bevor das Ende naht.
[«1] Axel-springer-award.com, abgerufen 14.4.2018
[«2] gehaltsreporter.de 13.1.2017; meedia.de 5.7.2017
[«3] Kai Diekmann wird Uber-Setzer, faz.net/aktuell 14.4.2017
[«4] „Totale Transparenz ist totalitär“, Interview mit Mathias Döpfner, Handelsblatt 17.4.2018
[«5] Sam Biddle: How Peter Thiel’s Palantir helped the NSA spy on the whole world, Intercept 22.2.2017
[«6] Schön billig, Der Spiegel 15/2018, S. 41
[«7] Handelsblatt 17.4.2018