„Warum die Qualität im Journalismus abnimmt
Längst nicht alles, was heute als qualitativer, faktenorientierter Journalismus verkauft wird, ist dies auch tatsächlich. Der Einfluss von Unternehmen und Institutionen auf scheinbar unabhängige Journalisten nimmt immer weiter zu.“
Diesen Hintergrundbeitrag der Medienjournalistin und „Freischreiberin“ Brigitte Baetz übernehmen wir, weil er interessant und NachDenkSeiten-einschlägig ist, in die NDS-Rubrik Andere interessante Beiträge.
Hintergrund
20.11.2009 · 18:40 Uhr
Warum die Qualität im Journalismus abnimmt
Von Brigitte Baetz
Längst nicht alles, was heute als qualitativer, faktenorientierter Journalismus verkauft wird, ist dies auch tatsächlich. Der Einfluss von Unternehmen und Institutionen auf scheinbar unabhängige Journalisten nimmt immer weiter zu.
Der beste Job der ganzen Welt: einmal für sechs Monate ein Internet-Tagebuch führen. Auf Hamilton Island vor der Küste Australiens. Mit einem Gehalt von umgerechnet 78.000 Euro. Der Sieger aus über 35.000 Bewerbungen weltweit, der vor den Kameras der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press schließlich sein Traumhaus am Strand bezog, konnte sich freuen. Noch mehr freuen aber konnte sich die Tourismusbehörde von Queensland. Mit einem Werbebudget von nur rund einer Million Dollar hat sie weltweit Schlagzeilen gemacht.
Die großen internationalen Fernsehsender berichten, die BBC dreht eine Dokumentation, für Zeitungen und Radiosender wird das Great Barrier Reef vor der australischen Küste zu einem exotischen Paradies, weil – wie die Wochenzeitung “Die Zeit” es formuliert, “die Sehnsucht hier so viel Platz hat”.
Die erfolgreiche Kampagne zur Steigerung des Reisegeschäfts gewinnt in diesem Jahr auf dem Werbefestival von Cannes gleich drei Goldene Löwen. Die Kunst, eine Werbebotschaft als Nachricht zu platzieren, ist allerdings nicht nur auf die Tourismusbranche beschränkt.
Sie ist hier nur besonders gut zu beobachten. Der Reisejournalismus etwa gilt wie der Automobiljournalismus als besonders anfällig für Werbebotschaften. Da die Redaktionen selbst kaum noch Fahrtkosten erstatten, nutzen Journalisten die Möglichkeit kostenloser Pressereisen oder Autotests der Anbieter.
Die Unternehmen und Länder, die solche Reisen veranstalten und interessante Themen anbieten, setzen damit längst den Trend in der Berichterstattung. Wie der Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller feststellt, sind gut ein Viertel der Reiseartikel in deutschen Regionalzeitungen das Ergebnis erfolgreicher PR, erfolgreicher Public Relations.
Was in den Randgebieten des seriösen Journalismus seit Jahren stillschweigend hingenommen wird, greift inzwischen auch auf die allgemeine Publizistik über: die Themensetzung durch PR-Agenturen, Lobbyisten und Unternehmen. Das reicht von offener und konkreter Einflussnahme – also dem Schalten von Anzeigen in einem passenden redaktionellen Umfeld – bis hin zu verdeckter PR.
Eine kleine Bürowohnung in der Kölner Innenstadt, die Zentrale von LobbyControl. Ein kleiner gemeinnütziger Verein, der nach eigenen Worten “über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären” will. Die Initiative mehrerer Wissenschaftler versucht mit einem geringen Budget, hauptsächlich finanziert durch Spenden, Methoden der Manipulation aufzudecken. Ulrich Müller, der geschäftsführende Vorstand:
“Dahinter steckt eigentlich die Analyse, dass die Einflussnahme auf die Politik, aber auch auf Öffentlichkeit immer stärker zunimmt, dass es auch häufig im Verborgenen ist, wie es genau läuft. Dass es strategisch geplant ist, dass es nicht so offensichtlich ist. Dass es eigentlich keine Organisation in Deutschland gibt, die den Lobbyisten und auch der PR-Szene in der Art auf die Finger guckt. Das wollten wir auch machen.”
In diesem Jahr hat LobbyControl aufgedeckt, wie PR-Firmen und sogenannte “Think Tanks” im Auftrag der Bahn versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Um ihre eigene Privatisierung voranzutreiben und den Tarifkonflikt mit den Lokomotivführern in ihrem Sinne zu begleiten, hat das Staatsunternehmen insgesamt 1,3 Millionen Euro gezahlt – unter anderem für Straßenumfragen, wie sie vom selbst ernannten Think Tank “Berlinpolis” durchgeführt wurden.
“Find ich gut. Warum? Ich denke, dadurch wird sich der Service verbessern und auch die Denke oder – sagen wir mal – die Philosophie der Bahn ändern. Also, ich bin bei der Lufthansa und bei uns wird auch privatisiert und seitdem läuft es effektiv.”
“Es gibt ja viele verschiedene Strategien oder Instrumente. Also Berlinpolis hat sehr stark zum Beispiel auf Meinungsumfragen auch gesetzt. Man stellt Umfragen her, die einen bestimmten Tenor haben und publiziert die Ergebnisse dann. Man bringt zum Teil eigene Studien heraus oder schreibt eigene Kommentare, die man dann über Kontakte auch in den Medien unterbringt, so dass darüber dann die Botschaften in die Medien kommen.”
“Dann gab’s ne zweite Schiene bei der Bahn, da wurde sehr viel online gemacht. Also, Berlinpolis hat ne eigene Website. Es gab aber auch diese Schiene, dass man Kommentare in andere Foren gepostet hat, wo nicht immer ganz klar ist, ob das Berlinpolis war oder Allendorf Media, die da mit daran beteiligt waren. Man hat dann auch noch so eine fingierte Bürgerinitiative pro Bahnprivatisierung gehabt. Also, da hat man auf verschiedenen Instrumenten gespielt.”
“Berlinpolis” sieht sich als unabhängige Denkfabrik, die junge Experten und Führungskräfte zusammenbringt. Ihr Vorsitzender Daniel Dettling trat und tritt selber gern in Talkshows und Diskussionsrunden auf und schreibt Kolumnen in Zeitungen und Magazinen, in denen er für die Privatisierung der Bahn eintritt – ohne dabei offen zu legen, dass er selbst von dem Unternehmen bezahlt wird.
Auch die Umfragen, die verdeckt und im Auftrag der Bahn lanciert werden, greifen bestimmte Medien gerne auf. Dabei wird die Fragestellung so gewählt, dass die Antwort immer ganz nach dem Geschmack der Bahn ausfällt. Die Umfragen produzieren dann Schlagzeilen wie: “Bundesbürger haben kein Verständnis für neuen Streik der Lokführer.”
“Es ist so, dass generell in den Medien zu wenig Sensibilität dafür herrscht, aus meiner Sicht, dass viele der Experten und der vermeintlichen Institute, die sozusagen sich äußern öffentlich zum Teil, dass sie Verbindungen mit bestimmten Interessen haben. Also gerade so Denkfabriken, dass man da eigentlich genauer hingucken muss und die Medien brauchen immer wieder irgendwen, den sie zitieren können oder Material und dann greifen sie darauf zurück und fragen häufig nicht genau nach oder schreiben häufig auch nicht, dass so etwas wie das Deutsche Institut für Altersvorsorge eigentlich von der Deutschen Bank finanziert wird. Das ist die eine Seite. Es gab aber durchaus bei Berlinpolis zum Beispiel Journalisten, die nachgefragt haben, die auch ganz explizit nach Verbindungen zur Bahn gefragt haben. Da wurde damals gesagt: die gibt es nicht.”
Dass Journalisten bei Themen am Ball bleiben, nachhaken, recherchieren, wird immer seltener. Der Redaktionsalltag, in dem immer weniger fest angestellte Journalisten immer mehr Arbeit leisten müssen, lässt meist keine Zeit dazu. Recherche ist zeitaufwendig, teuer und man weiß im Einzelfall nie, ob sie zu wirklich verwertbaren Ergebnissen führt.
Der Journalismus steckt in einer Strukturkrise. Weniger Anzeigen in den Blättern als noch vor Jahren, sinkende Abonentenzahlen und die immer stärker werdende Konkurrenz durch das Internet untergraben die alten Grundlagen für Qualität: nämlich Unabhängigkeit, Geld und Zeit. Tom Schimmeck, ehemals Spiegel-Redakteur und Mitbegründer der Berliner taz beklagt vor zwei Wochen beim Mainzer Mediendisput, dass die Journalisten inzwischen in einem realitätsfernen Raum arbeiteten.
“Leipziger Journalismus-Forscher haben 235 Journalisten in Tageszeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Online-Redaktionen beobachtet und festgestellt, dass diese pro Tag im Schnitt noch 108 Minuten für sogenannte Überprüfungs- und Erweiterungsrecherchen aufwenden. Für die Kontrolle der Glaubwürdigkeit und Richtigkeit von Quellen bleiben gerade elf Minuten. Raus in die weite, wahre Welt kommen sie gar nicht mehr. Der Anteil der Ortstermine und leibhaftigen Begegnungen an der knappen Recherchezeit beläuft sich auf sagenhafte 1,4 Prozent. Der deutsche Journalist, könnte man folgern, ist der Letzte, der mitkriegt, was in Deutschland los ist.”
Auch Volker Lilienthal, Professor für Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg, beklagt mangelnden Tiefgang und fehlende Recherche.
“Wir verlassen uns als Journalisten viel zu häufig auf Aussagen von Politikern und anderen bestellten Akteuren auf Pressekonferenzen zum Beispiel. Wir verzichten auf den Augenschein im Journalismus. Wir waren nicht selbst vor Ort und sind oftmals selbst zu gutgläubig. Also diese unterentwickelte Quellenkritik, die führt oftmals zu journalistischen Fehlleistungen und da betrügen wir im Grunde auch unser Publikum, weil wir ihm nicht das ganze Bild bieten.”
Während die fest angestellten Journalisten in den finanziell und personell immer schlechter ausgestatteten Redaktionen zunehmend Verwaltungs- und Produktionsarbeit leisten müssen, werden Beiträge und Artikel mehr und mehr von freien Journalisten verfasst – bei immer weiter sinkenden Honoraren. Ein stetig wachsendes kreatives Prekariat, so Tom Schimmeck:
“Honorare stehen nur noch selten in einem halbwegs angemessenen Verhältnis zum betriebenen Aufwand. Wenn Sie es richtig gut machen, wenn Sie wirklich recherchieren, telefonieren, nachlesen und nachhaken, wenn Sie noch mal los fahren und richtig hingucken, dann sind Sie ökonomisch betrachtet ein Vollidiot. Auch Qualitätszeitungen zahlen wahrlich keine Qualitätshonorare mehr. Von einer sehr auflagenstarken Qualitätszeitung erhielt ich in diesem Frühjahr für eine volle Woche Arbeit 200 Euro. Ein Medienmagazin bat mich kurz darauf um eine Buchrezension. Auf meine kühne Nachfrage nach einem Honorar kam die Antwort, ich könne ja das Buch behalten.”
Bei sinkendem Einkommen seine Unabhängigkeit zu behalten, ist nicht leicht. Zumal in der PR-Wirtschaft wesentlich höhere Honorare gezahlt werden. Nicht wenige freie Journalisten stocken deswegen ihr Einkommen mit Aufträgen aus der PR auf. Der Kodex der Vereinigung “Netzwerk Recherche” – ‘Journalisten machen keine PR’ – wird deshalb in der Branche als naiv und wirklichkeitsfern angesehen. Doch Günter Bartsch, Geschäftsführer von Netzwerk Recherche und selbst freier Journalist sagt:
“Journalisten tun sich selber damit keinen Gefallen, wenn sie PR und Journalismus gleichzeitig betreiben. Man wird da immer wieder in Konflikte geraten. Mal angenommen, jemand schreibt PR-Texte für ne Molkerei und es dürfte klar sein, dass derjenige nicht journalistisch über diese Molkerei berichten sollte, aber darf er dann auch nicht über die Branche an sich berichten oder über andere Unternehmen in dieser Branche. Also, da wird’s einfach schwierig, nen Weg zu finden. Man wird immer wieder in Konflikte geraten und zumindest, selbst wenn man mit voller Überzeugung unabhängig berichtet, sich immer angreifbar machen.”
Doch nicht alle Journalisten sehen diesen Konflikt.
“Hinter uns die Glasbauten der größten Münchener Unternehmen. Wir treffen heute Roland Berger, den größten Unternehmensberater Deutschlands.Und was mich an ihm interessiert, ist: kann ein Unternehmensberater überhaupt sozial sein, denn eigentlich ist der Job eines Unternehmensberaters ja nur, so viele Leute vor die Tür zu setzen wie es irgend geht, damit die Unternehmen schlank und produktiv sind.”
Was im Video wie ein journalistischer Beitrag aussieht, ist PR im Auftrag der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft”, einer Organisation des Bundesverbandes der Metallarbeitgeber. Im Vorfeld der Bundestagswahl wirbt sie drei freie Journalisten an, um sie auf Deutschlandtour zu schicken. In Videoreportagen sollen die das Thema Soziale Marktwirtschaft unter die Leute bringen – ganz nach den Plänen der Organisation. Den Journalisten wird dabei in Aussicht gestellt, durch ihre Arbeit auch in Verbindung mit anderen Medien zu kommen, ganz konkret zu dem Zeitschriftenmagazin “Neon”, der “Zeit”, zur Bildzeitung und den Sendungen “Anne Will” und “titel, thesen, temperamente”. Das Problem, das sich hinterher dabei herausstellt: diese Medien wissen gar nichts von einer Kooperation. Die Hoffnungen angeworbener Journalisten werden zunichte.
Schon einmal war die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” mit Schleichwerbung in der ARD-Serie “Marienhof” negativ aufgefallen. Weniger Staat, mehr Markt, mehr Unternehmerfreundlichkeit – dafür hatte sie in gekauften Dialogen der Vorabendserie geworben. Und nun auch in den Videobotschaften der Journalisten, die sich ganz begeistert darüber zeigen, welche Möglichkeiten ihnen die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” bietet:
“Aber das, was ich hier meinte mit dem Privileg, dass man die unmöglichsten Sachen erleben kann, also tatsächlich heute noch mit stinkenden, vollgeschissenen Kühen und jetzt hier in einem absolut Sagrotan-klinisch-reinen Büro im Zentrum der Macht, das ist schon interessant, ja.”
Der Journalist im Gespräch mit dem Berater Roland Berger.
“Hat die soziale Marktwirtschaft und die gesetzliche Einführung von Regeln, hat das vielleicht den Unternehmen so ein bisschen die Möglichkeit genommen, ihren eigenen sozialen Anspruch publik zu machen oder zu zeigen?”
Für den Vorsitzenden des Berufsverbandes Freier Journalisten unter der Bezeichnung “Freischreiber”, Kai Schächtele ist das Bekanntwerden der Deutschlandtour seiner Kollegen nicht nur ein PR-Desaster für die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft”.
“Für uns ist die Grenze immer da erreicht, wo ein freier Journalist von zwei Seiten bezahlt wird oder im Auftrag der einen Seite arbeitet mit dem Ziel, die Inhalte in traditionellen Medienunternehmen unterzubringen. Wenn das Einzug hält, dann erledigt sich der Journalismus von selber, weil dann kein Leser, kein Nutzer mehr darauf vertrauen kann, dass die Inhalte, die er zu lesen oder zu hören bekommt, tatsächlich auch auf der Basis von zumindest Neutralität entstanden sind.”
30.000 bis 50.000 PR-Mitarbeitern stehen hierzulande rund 48.000 hauptberufliche Journalisten gegenüber. Während die Zahl derjenigen, die vom Journalismus überhaupt noch leben können, zurück geht, steigt die Zahl der PR-Beschäftigten. In den USA hat sich das Zahlenverhältnis längst zugunsten der PR verschoben. Die Tendenz zum sogenannten Nutzwertjournalismus, mit dem sich die Verlage mehr Werbeeinnahmen erhoffen, fördert dabei die Nähe zur PR und weicht den Standard der journalistischen Unabhängigkeit auf. So Günter Bartsch vom “Netzwerk Recherche”.
“Die Redaktionen machen eben selber zum Teil Dinge, die so in diesem Grenzbereich liegen. Also es gibt ja beispielsweise Beilagen von irgendwelchen Pressestellen und Redaktionen. Mir ist das jetzt im Hochschulbereich begegnet, wo eine Uni-Pressestelle zusammen mit der Hochschulredaktion eine Beilage machte. Erkenne ich ja auch nicht als Leser, was ist jetzt von der Redaktion und was ist von der Pressestelle. Ob da ein Bewusstsein herrscht, das bin ich manchmal so am Zweifeln, gerade wenn man eben merkt, dass dieser PR-Einfluss zunimmt, aber es wird sicherlich so sein, dass Journalisten hier zu sehr auf die PR-Angebote eingehen. Den Eindruck habe ich schon.”
Doch auch PR in eigener Sache ist erwünscht. Das Badische Tagblatt beispielsweise stellt seinen freien Mitarbeitern einen Zusatzverdienst in Aussicht: die Werbung von Abonnenten. Auch dies eine Aufweichung von Standards, meint der Journalist Benno Stieber:
“Es wird damit natürlich eine klassische Trennung aufgehoben zwischen Verlag und Redaktion. Man stelle sich vor, dass man einen Oberbürgermeister interviewt, warum er gerade ein Schwimmbad schließt und ihn dann am Schluss noch fragt, ob er nicht das ein oder andere Abo mir noch abnehmen könnte. Das ist schon eine bisschen seltsame Situation.”
Die Unabhängigkeit von Journalisten wird immer stärker ausgehöhlt. Allerdings glaubt Günter Bartsch vom Netzwerk Recherche, dass das teilweise auch auf die Trägheit mancher seiner Journalistenkollegen zurückzuführen ist.
“Journalisten machen es sich zu leicht, wenn sie da blind auf die Meinung von Experten vertrauen. Das ist natürlich sehr praktisch, weil es eigene Recherchen erspart. Das ist aber auch gefährlich, weil auch der vermeintlich unabhängige Experte kein Wesen im luftleeren Raum ist. Auch Hochschulprofessoren können ja sehr dezidierte Ansichten vertreten, die nicht immer hundertprozentig nachgewiesen sind. Besonders problematisch wird’s vor allen Dingen dann, wenn sogenannte Experten von Interessen anderer gesteuert und geleitet sind. Zuletzt ist mir das aufgefallen bei einer PR-Aktion der Solariumsindustrie, nachdem die Internationale Agentur für Krebsforschung, also eine Einrichtung der WHO, Solarien in die höchste Krebsrisikostufe eingestuft hat. Prompt erschien nach dieser Warnung eine Pressemitteilung einer niederländischen Institution namens Sunlight Research Forum, wonach sich zwei Wissenschaftler in einer Zeitschrift befremdet über die Einordnung der WHO äußerten.”
Eine angeblich wissenschaftliche Kontroverse, die sofort wieder Schlagzeilen macht. Dass die Wissenschaftler mit der Solariumindustrie in Verbindung stehen, hätte man allerdings leicht mit einer einfachen Recherche über Suchmaschinen im Internet herausfinden können, meint Bartsch.
Sägen die Medien also selbst an dem Ast auf dem sie sitzen, wie es der Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller behauptet? Und wie kann die Trennlinie zwischen PR und redaktioneller Unabhängigkeit wieder eindeutiger gezogen werden, wenn die Etats der Redaktionen leer und die der PR voll sind? Volker Lilienthal, Professor für Qualitätsjournalismus in Hamburg, setzt auf die Selbstheilungskräfte der Branche und eine kritischen Öffentlichkeit.
“Wir haben so einen Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis. Die Medien haben viele Jahre lang ihr Publikum unterschätzt und haben diesem Publikum nicht mehr das Bessere angeboten und dann gewöhnt sich auch ein Publikum daran, erwartet von der Tageszeitung, von der Lokalzeitung den kritischen, investigativen Enthüllungsbericht. Wenn ich das nicht natürlicherweise geliefert bekomme, erwarte ich es nicht von der Zeitung und insofern hat sich das Qualitätsbewusstsein des Publikums, seine qualitativen Erwartungen leider etwas zurück entwickelt. Das heißt aber nicht, dass wir das nicht revitalisieren können.”
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