Mieses Spiel bei der Linken – wie am Anfang des Niedergangs der SPD.
Ob die Partei Die Linke Teil und Träger der so notwendigen politischen Alternative zu Schwarz-Gelb werden wird, das hängt auch von ihrer inneren Entwicklung ab. Dort gibt es offensichtlich jedoch ähnlich fremdbestimmte Kräfte wie beginnend vor 37 Jahren bei der SPD. Vorgestern waren es genau 37 Jahre nach dem größten Wahlsieg der SPD mit 45,8 % im Jahr 1972. Willy Brandt musste nach gewonnener Wahl wegen geschädigter Stimmbänder ins Krankenhaus. Seine Stellvertreter Herbert Wehner und Helmut Schmidt begannen trotzdem mit den Koalitionsverhandlungen. Albrecht Müller. Mehr.
Sie führten die Verhandlungen zu einem Ergebnis, das über weite Strecken dem Koalitionspartner FDP inhaltlich und mit einer äußerst großzügigen Zuteilung von Ministern entgegenkam. Sie zerbrachen damit die im Wahlkampf entstandene Aufbruchstimmung und die Hoffnung vieler Sympathisanten Willy Brandts und der damaligen SPD. Herbert Wehner, dem Willy Brandt für die Koalitionsverhandlungen detaillierte handschriftliche Leitlinien übergeben hatte, „vergaß“ übrigens diese Notizen in seiner Aktentasche. Willy Brandt stand, nachdem er das Krankenhaus im Dezember 1972 verlassen hatte, vor vollendeten Tatsachen. Damit war das Ende seiner Kanzlerschaft eingeläutet.
Vorgestern musste Lafontaine ins Krankenhaus. Einer seiner Nachfolger-Aspiranten, der thüringische Oppositionsführer Ramelow befeuert gleichzeitig ungerührt die Diskussion um die Nachfolge Oskar Lafontaines als Parteivorsitzendem der Linken.
Ich will die Parallelen nicht überstrapazieren. Aber sie sind nicht übersehbar. Der Wahlsieg von 1972 war wesentlich den Millionen von SPD-Anhängern und Sympathisanten Willy Brandts zu verdanken, die sich mit ihrem Bekenntnis zur Politik Willy Brandts in vielfältiger Weise in den Wahlkampf eingemischt hatten. Die konservative Meinungsforscherin Noelle-Neumann vom Allensbach-Institut hatte damals in besonders angelegten Forschungsversuchen herausgefunden, dass dieses Engagement der SPD-Sympathisanten den Wahlkampf beherrschte und wahlentscheidend war. Siehe dazu – und zu vielen anderen durchaus aktuellen Erkenntnissen – meine Dokumentation und Analyse „Willy wählen ’72“. Das Schlusskapitel dieses wichtigen Dokuments wird in den nächsten Tagen in den NachDenkSeiten eingestellt.
Darin skizziere ich den Umgang der SPD-Spitze mit dem Hauptwahlsieger jener Wahl und den – wie ich finde – schamlosen Missbrauch der Krankheit Willy Brandts. In den Geschichtsbüchern kommt dies kaum vor, weil es nicht in das Schema der meist von konservativen Historikern geschriebenen Geschichte passt.
Am Ende der Koalitionsverhandlungsprozedur und der davon geprägten Regierungserklärung im Januar 1973 waren jedenfalls die im Wahlkampf aufgebauten Engagements ernüchtert und zertrümmert. Darunter, unter der damit begonnenen programmatischen Entleerung und unter dem weiteren Druck auf Willy Brandt leidet die SPD bis heute.
Oskar Lafontaine hat zwar keine direkt vergleichbare Mobilisierung von Menschen erreicht. Die Dimension ist eine andere. Aber auch von ihm kann man sagen, dass das gute Ergebnis der Linkspartei allgemein und insbesondere im Westen und noch mehr im Saarland ohne ihn nicht möglich geworden wäre.
Wie bei Willy Brandt wurden auch bei Oskar Lafontaine angebliche Frauengeschichten in die politische Debatte eingespielt. Auch hier wie bei Willy Brandt gab es scheinheilige Erklärungen der Medien und der instrumentalisierten oder sich instrumentalisieren lassenden Parteifreunde. Der thüringische Fraktionschef Ramelow rief seine Partei auf, berichtete stern.de am 18. November, sich im kommenden Jahr gezielt auf die Zeit nach einem Ausscheiden Lafontaines vorzubereiten. Wörtlich: „Es muss ohne Lafontaine gehen“, so Ramelow in der „Leipziger Volkszeitung“.
Und dann scheinheilig laut Focus vom 18. November: ‚Ramelow betonte: „Ich gehe davon aus, dass sich Oskar Lafontaine nach seiner Operation so gut erholt, dass er in den kommenden zwei Jahren weiterhin den Vorsitz führt.“ Lafontaine habe mit dem Vorschlag, dass die Partei eine Doppelspitze brauche, selbst die Programm- und Personaldebatte eröffnet. „Das ist angesichts seines Alters von 66 Jahren auch vernünftig, damit er nicht wie Franz Müntefering auf dem Parteitag nicht mehr weiß, wie er aus der Sache rauskommt.“
Diese Einlassungen inklusive des Hinweises auf das (vergleichsweise jugendliche) Alter und den Vergleich mit Franz Müntefering, der seine Partei ruiniert hat, haben in etwa die „Qualität“ dessen, was ich beginnend vor 37 Jahren im Umgang mit Willy Brandt erlebt habe.
Der thüringisches Oppositionsführer Ramelow macht seinen Vorschlag, über die Nachfolge Lafontaines nachzudenken, ausdrücklich nicht an der Krankheit, sondern am Alter von Oskar Lafontaine fest. Nun gut, wenn man genügend junge Leute hat, die fähig sind, dann kann man es sich leisten, Personen vom Schlage Oskar Lafontaines beiseite zu schieben. Ob der sich selbst ins Spiel gebrachte potentielle Nachfolger Ramelow die notwendigen Qualitäten aufweist, kann man sich durchaus fragen. Ramelow ist, wenn er sich wie zitiert äußert, geistig vermutlich sehr viel älter als Lafontaine mit seinen 66 Jahren.
Das Netzwerk der Unterstützer Ramelows in den Medien funktioniert schon – ähnlich konstruiert und verlogen wie bei der Niedermache von Willy Brandt. Die für die Vorsitzendenwahl entscheidenden Funktionäre und Mitglieder der Linken bekommen zum Beispiel Nachhilfeunterricht von einer der „großen“ Publizistinnen der Hauptstadt. Brigitte Fehrle schrieb einen einschlägigen Kommentar in der Berliner Zeitung vom 20. November.
Unter der Überschrift „Lafontaine, Macht und Pietät“ schreibt sie so tolle Sätze wie: „Bodo Ramelow ist kein brutaler Mensch. Als einer der wenigen in der Linkspartei praktiziert er aktiv den evangelischen Glauben und setzt sich für die Verständigung seiner Partei mit den Kirchen ein. Als der frühere thüringische Ministerpräsident Althaus nach einem Skiunfall, infolgedessen eine junge Frau starb, in den Wahlkampf zurückkam, war es Bodo Ramelow, der dies niemals gegen ihn verwendete. Wenn er also jetzt die Pietätlosigkeit besitzt und die Krankheit seines eigenen Parteichefs Oskar Lafontaine für eine Nachfolgedebatte nutzt, so liegt das nicht an seiner Bösartigkeit. Zu vermuten ist eher, dass es in der Partei einen immensen Druck gibt, die Führungsfrage zu diskutieren. Und dass Ramelow, mehr unbewusst als bewusst, diesem Druck nachgegeben hat.“ Der arme Ramelow.
Das ist eine geradezu tolle Beschönigung, obendrein wunderbar verpackt von christlich verbrämter Nächstenliebe.
Dann geht es bei Brigitte Fehrle weiter mit einem schon im Wahlkampf immer wieder hoch stilisierten angeblichen Konflikt in der Linkspartei. Fehrle wörtlich:
„Seit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi die Linkspartei zusammengeschmiedet haben, quält sich die Partei mit ihrer Führung. Lafontaine hat die Linke im Westen zu Höhenflügen geführt. Mit ihm an der Spitze konnte bei Landtagswahlen im Westen die Fünf-Prozent-Marke übersprungen werden. Mit Verweis darauf wurde in der Partei eine Debatte über Lafontaines Führungsstil, seine politischen Positionen und die Nachfolge unterbunden. Eine Debatte, die sich aufzwängt, bedenkt man, dass Lafontaine inzwischen 66 Jahre alt ist, Lothar Bisky 68 und auch Gysi nicht mehr der Jüngste. Will die Linke aber ihre Macht langfristig festigen, ist die Debatte über neue Köpfe nicht pietätlos, sie ist überlebenswichtig.“
In diesem Kommentar finden sie einen Teil der Botschaften, die sich die Gegner der Linken ausgedacht haben.
Es gibt auch andere Kommentare, hier im Stern vom 17.11. z.B.: „Lafontaine hat Krebs: Viel Glück, Oskar!
Was ist nicht alles spekuliert worden über Oskar Lafontaine nach der Landtagswahl im Saarland. Alles nur haltlose Verdächtigungen und Gerüchte. Das Ausmaß dieses medialen Skandals ist erschreckend. Ein Kommentar von Hans Peter Schütz“
Man kann nur hoffen, dass die Funktionsträger der Linken aus der Geschichte lernen. Andernfalls, wenn sie ihre Partei ähnlich fremdbestimmen lassen, wie das mit der SPD zwischen 1972 und 2009 geschehen ist, dann haben sie ihre historische Mission, die Alternative zu Schwarz-Gelb wesentlich zu tragen und mit zu organisieren, verspielt. Ramelow arbeitet schon an der Dauerherrschaft von Schwarz-Gelb.