Der Angriff auf Syrien: Wie man Verfassung und Recht verhöhnt
Es war ein trauriges Spektakel, zu sehen, wie die USA die Verfassung mit Füßen traten und versuchten, die Kritiker des Luftschlages auf Syrien zum Schweigen zu bringen, sagt Ray McGovern in diesem Kommentar, den Josefa Zimmermann für uns aus dem Englischen übersetzt hat.
Die Verfassung der USA und das Völkerrecht erlitten letzte Nacht einen schweren Schlag durch die Hand einer seltsamen Koalition, die man als Goldlocke und die zwei moralischen Zwerge, die sich als Marinegeneräle ausgaben, bezeichnen könnte, zusammen mit der Schreckschraube aus “Right Dishonorable” (Satirewebsite, d. Ü.) und einem jungen französischen Pudel.
Wie vor 15 Jahren, als die USA und Großbritannien einen Angriffskrieg gegen den Irak vom Zaun brachen, wurden als Vorwand sogenannte “Massenvernichtungswaffen” (WMD) angeführt – und diesmal am 7. April auch der angebliche Einsatz von Chlorgas (und vielleicht auch des Nervengifts Sarin – wer weiß?) in Duma, einem Vorort von Damaskus. Und diesmal durfte der französische Präsident Emmanuel Macron als Juniorpartner mitspielen in dieser Bande, die nicht einmal überzeugend lügen kann.
Der Angriff dieser Dreierbande fand wenige Stunden vor dem Eintreffen der Experten der UN-Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) in Syrien statt, die Bodenproben und andere Materialien in Duma untersuchen sollten. Eine Frage drängt sich auf: Warum konnte die Bande nicht warten, bis die OPCW eine Chance hatte, herauszufinden, ob überhaupt ein Giftgasangriff stattgefunden hat, und wenn ja, welche Chemikalie(n) verwendet wurden?
Zuerst die Strafe, dann das Urteil
US-Verteidigungsminister James Mattis konnte lediglich sagen, er glaube, dass ein Chemiewaffenangriff stattgefunden habe, bei dem neben Chlor vielleicht auch Sarin zum Einsatz kam. Bisher gibt es als einzigen verwertbaren “Beweis” die sehr zweifelhaften Berichte in den Sozialen Medien, hinter denen bestimmte Absichten zu vermuten sind. Klar ist, dass die amerikanisch-englisch-französische Bande den Schlag ausführen wollte, bevor die OPCW-Ermittler eine Chance hatten, festzustellen, was passiert war. Hm, das klingt nach: Erst die Strafe, dann das Urteil.
Der frühere Außenminister John Kerry warb häufig dafür, wie außerordentlich nützlich Soziale Medien sein können. Er hatte es richtig begriffen. Bei den wichtigsten vermeintlichen Giftgasattacken in Syrien am 21. August 2013, am 4. April 2017 und am 7. April 2018 waren die ersten, wenn nicht sogar die einzigen Informationsquellen die “außerordentlich nützlichen”, aber notorisch unzuverlässigen “Sozialen Medien”.
Der Marine-Zuchtmeister
Die Medien wurden letzte Nacht von zwei Viersternegenerälen informiert, von denen einer (Mattis) im Ruhestand war und die irrtümlich glaubten, das Motto der Marine sei in „Semper Lie“ (Lüge immer) ungewandelt worden. Zuvor hatte Goldlocke die Bühne bereitet, indem er “Vergeltung” für den (unbewiesenen) Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Regierung forderte. Es war ein sehr trauriges Spektakel.
Als ich 1961 zum Second Lieutnant der US-Armee ernannt wurde, leistete ich einen feierlichen Eid, die Verfassung der Vereinigten Staaten gegen alle Feinde im In- und Ausland zu schützen und zu verteidigen. In die Köpfe von uns frischgebackenen Offizieren eingebläut war die Verpflichtung, immer die Wahrheit zu sagen, immer!
Naiv, wie ich war, hatte ich angenommen, dass die Marines denselben Eid geleistet hatten und derselben Pflicht unterworfen waren. Der Angriff auf den Irak vor 15 Jahren machte diese Annahme zunichte. Ich will zwei Beispiele anführen, die mich schockierten.
Das Böse nicht hören, die Wahrheit nicht sagen, schnell reich werden
Armeegeneral Zinni erhielt am 26. August 2002 auf der Veterans for Foreign War Convention eine Auszeichnung und entschied sich, Br’er Rabbit zu spielen, während er dem Hauptredner, Vizepräsident Dick Cheney, zuhörte, der die unfairen Bedingungen für den Irakkrieg festlegte.
Zinni war Kommandant von CENTCOM gewesen und war seit zwei Jahren im Ruhestand, aber da er weiterhin als Berater tätig war, war er auf dem neuesten Stand geheimdienstlicher Erkenntnisse über den Irak. Zinni sagte später, dass er schockiert war über Cheneys Darstellung der Geheimdienstinformationen (der Irak verfügt über Massenvernichtungswaffen und richtet sie gegen uns), die nicht mit dem übereinstimmten, was er tatsächlich wusste. “Es gab keinen sicheren Beweis, dass Saddam Massenvernichtungswaffen hatte. … Ich hörte erfundene Geschichten, die dazu dienten, einen Krieg anzufangen.”, sagte Zinni dreieinhalb Jahre später bei Meet the Press. (Hervorhebung des Autors)
Zuvor genoss Zinni einen guten Ruf als relativ geradliniger Schütze, dem es nicht an Mut fehlte. Und so bleibt die Frage: Warum ging er nicht an die Öffentlichkeit, als er Cheneys Lüge erstmals hörte? DAS hätte den Krieg verhindern können! Was hier machbar erscheint, ist, wie ich fürchte, ein allzu vertrautes Problem auf der Führungsebene, wo die Menschen konditioniert wurden, das Boot nicht zum Kentern zu bringen, um nicht ihr Ansehen innerhalb des Washingtoner Establishments oder ihre Aussicht auf lukrative Posten in den Unternehmensvorständen der Rüstungsindustrie zu gefährden.
Semper Fraud
Ohne die volle Kooperation des ehemaligen Marineoffiziers, Senator Pat Roberts (Republikaner, Kansas), der vor, während und nach dem Angriff auf den Irak Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des Senats war, hätten Bush und Cheney viel größere Schwierigkeiten gehabt, dieses Verbrechen zu begehen. Wegen Roberts Beteiligung an dem, was man ohne Weiteres eine kriminelle Verschwörung nennen kann, konnten Bush und Cheney Amok laufen – bis schließlich 2006 die Köpfe im Senat ausgetauscht wurden.
Am 5. Juni 2008 verkündete Roberts Nachfolger, Senator Jay Rockefeller, den Abschluss einer fünfjährigen Untersuchung des Geheimdienstausschusses, eine Untersuchung, die Roberts fortwährend auf Eis gelegt hatte. Rockefeller stellte die parteiübergreifenden Resultate der Untersuchung mit folgenden Worten vor: „Indem sie die Argumente für einen Krieg vorbrachte, stellte die Regierung wiederholt Informationen als Tatsachen dar, obwohl sie in Wirklichkeit unbegründet, widersprüchlich oder sogar inexistent waren.”
Der Marine-Kollege und UN-Waffeninspekteur Scott Ritter fand Roberts Verhalten peinlich. Ritter kam nicht umhin (in Abwandlung des Marine-Wahlspruchs „Semper fidelis“, d. Ü.), zu schreiben: „Semper Fraud (betrüge immer), Senator Roberts.“
Vor diesem Hintergrund war es besonders schmerzlich, letzte Nacht zwei Viersternegeneräle der Marine zu beobachten, die im Pentagon einen falschen Casus Belli für einen weiteren, nicht provozierten bewaffneten Angriff – diesmal auf Syrien – anboten.
Die Medienvertreter, die einen privilegierten Zugang zum Pentagon hatten, waren zu feige, gezielte Fragen nach Beweisen zu stellen, dass der syrische Präsident Bashar al-Assad am 7. April aus einem seltsamen, nur ihm bekannten Grund einen Zeitpunkt kurz vor dem Sieg wählte, um “chemische Waffen gegen sein eigenes Volk einzusetzen”. Niemand fragte, warum so schnell ein Urteil gefällt wurde, warum die Dreierbande aus den Vereinigten Staaten, der alternden britischen Cousine und ihrem französischen Pudel nicht noch ein oder zwei Tage auf die Ankunft der UN-Inspekteure warten konnten, um festzustellen, ob der sogenannte “chemische Angriff” ein echter Casus Belli war oder eine Lachnummer.
Auf Befehl handeln
Verteidigungsminister James Mattis und der gemeinsame Stabschef und Vorsitzende Joseph Dunford erinnern mich an die Generäle des Dritten Reiches, die “nur Befehlen gehorchten” als sie den Vorwand für den Angriff auf Polen – äh, ich meine Syrien – erfanden, als ob sie den feierlichen Schwur gegenüber dem Führer – äh, ich meine dem Präsidenten – geleistet hätten und nicht auf die Verfassung. Es schien zunächst, dass Präsident George W. Bushs Diktum immer noch im Pentagon gültig war, “Die Verfassung ist nur ein verdammtes Stück Papier”. Aber Präsident Donald Trump und Minister Mattis gingen nicht so weit wie Bush. Zweifellos auf Befehl des Weißen Hauses zitierte Mattis pflichtbewusst den Schlüsselsatz der fragwürdigen “Zentralistischen Exekutivtheorie“ des Verfassungsgelehrten Dick Cheney; die beinhaltet, dass der Präsident irgendwie nicht an Art. I, Abs. 8 der Verfassung gebunden ist. Dieser Absatz von Artikel 1 ist möglicherweise seit dem Angriff auf Pearl Harbor in Vergessenheit geraten, bleibt aber ein sehr wichtiger Teil der Verfassung. Und die USA gerieten in jede Menge Schwierigkeiten durch diejenigen – Regierung wie Kongressabgeordnete – die sich entschieden hatten, die Schlüsselbestimmung zu umgehen, die dem Kongress die Macht vorbehält, einen Krieg zu erklären. Unsere Gründerväter wollten, dass sie Gültigkeit besitzt, wenn ein König – ich meine Präsident – sich in den Kopf gesetzt hat, ein anderes Land anzugreifen. Syrien zum Beispiel.
Zu Beginn seiner Rede benutzte Mattis folgende zweifelhafte Variante, ohne den geringsten Einwand von denen, die ihren freien Zugang zum Pentagon behalten wollten: “Als Oberbefehlshaber hat unser Präsident nach Artikel II der Verfassung die Befugnis, militärische Gewalt im Ausland einzusetzen, um wichtige nationale Interessen der USA verteidigen. ”
Alle Interessierten sollten Artikel II noch einmal lesen. Sie werden vergebens nach etwas wie der Cheney-Mattis-Variante suchen. Alles, was in diesem Teil des Artikels steht, ist: Der Präsident soll der Oberbefehlshaber von Armee und Marine der Vereinigten Staaten sein.
Ein verbreiteter Irrtum bei angehenden Offizieren
Eine Erfahrung, die ich vor 12 Jahren als Dozent an der Marineakademie in Annapolis machte, war, dass Studenten der US-Militärakademien nahegelegt wird, zu glauben, dass Artikel II durch Artikel I ersetzt wurde. Während eines Vortrags über politisch-militärische Ereignisse vor etwa 50 Studenten des dritten Studienjahrs bezog ich mich ahnungslos auf den feierlichen Eid des Militärs und fragte, worum es bei diesem Eid ginge. “Nun, es ist natürlich ein Eid auf den Präsidenten”, sagte der erste Student, der seine Hand hob, wobei einige andere zustimmend nickten. Ich antwortete, das sei nicht ganz richtig. Und es stellte sich heraus, dass es der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen ähnelte, einen Studenten zu finden, der wusste, dass der Eid die Verfassung verteidigen sollte.
Gestern Abend fragte ich mich, was wohl Generalstaatsanwalt Jeff Sessions über Mattis’ unsinnige Feststellung bezüglich Artikel I, Absatz 8 dachte. Denn vor nicht allzu langer Zeit glänzte Senator Jeff Sessions darin, Verteidigungsminister Leon Panetta anzugreifen, der vorgab, nicht mit der grundlegenden Tatsache vertraut zu sein, dass die Verfassung dem Kongress das Recht vorbehielt, einen Krieg zu erklären.
Libyen: der Präzedenzfall für Syrien
Bei einer Anhörung des Militärausschusses des Senats am 7. März 2012 ging der damalige Senator Jeff Sessions (Republikaner, Alabama), diesem zentralen Thema bei Panetta nach, indem er nachträglich die fehlende Autorisierung für den Libyenkrieg kritisierte, und fragte Sessions wiederholt, auf welche “Rechtsgrundlage” sich die Obama-Regierung berufe, um in Syrien zu tun, was sie in Libyen getan hatte. Bei der Beobachtung dieses Teils der Aussage schien es mir, dass Sessions, ein konservativer Anwalt aus den Südstaaten, völlig authentisch war, als er berichtete, dass ihm der Atem stockte bei den ständigen Widersprüchen Panettas. Panetta behauptete ausdrücklich, dass die Regierung der Ansicht sei, für Kriege wie in Libyen keine Zustimmung des Kongresses zu benötigen. Manchmal schien er Verse aus dem „Buch des Cheney“ zu zitieren.
Sessions: “Ich bin wirklich verblüfft… Die einzige rechtliche Autorität, die benötigt wird, um das US-Militär [im Kampf] einzusetzen, sind der Kongress und der Präsident sowie das Gesetz und die Verfassung.”
Panetta: “Lassen Sie es mich für das Protokoll deutlich sagen, Senator, damit es kein Missverständnis gibt. Im nationalen Verteidigungsfall ist der Präsident autorisiert, nach der Verfassung zu handeln und dieses Land zu verteidigen, und das werden wir auch tun, Sir.“
Wenn Sie sich für die Verfassung und die Rechtsstaatlichkeit interessieren, empfehle ich Ihnen dringend, sich den gesamten 7-minütigen Videoclip anzusehen.
Konstitutionell gesehen ist dieser feige Kongress Teil des Problems. Nur wenige Mitglieder des Repräsentantenhauses und des Senats scheint es zu stören, wenn Präsidenten sich wie Könige benehmen und Truppen, die großenteils aus der armen Bevölkerungsschicht rekrutiert wurden, in Kriege entsenden, die der Kongress nicht beschlossen hat oder die bestenfalls abgenickt wurden.
Schaudern über den ersten Verfassungszusatz
Minister Mattis widmete seine letzte Minute gestern Abend dem sorgfältigen Verlesen der folgenden Warnung: “Auf der Grundlage der jüngsten Erfahrungen gehen wir mit Sicherheit von einer erheblichen Desinformationskampagne in den nächsten Tagen aus, die von denen ausgeht, die das Assad-Regime stützen. Und um Transparenz und Genauigkeit zu gewährleisten, werden meine Assistentin für Öffentlichkeitsarbeit, Frau Dana White, und Generalleutnant McKenzie, Generaldirektor des gemeinsamen Stabs hier in Washington, uns morgen früh einen Bericht über alle bekannten Einzelheiten liefern – wir erwarten ihn etwa um 9:00 Uhr an diesem Ort.“ Eine deutliche Warnung: Kritisiere das feige Verhalten von Mattis, Dunford oder der Dreierbande und du stellst dich in eine Reihe mit dem Assad-Regime.
Ray McGovern arbeitet bei Tell the Truth, dem Publikationsorgan der ökumenischen Church of the Saviour in Washington. Er war Infantrie- und Geheimdienstoffizier und später CIA-Analyst für insgesamt mehr als 30 Jahre.